DBdD-Kapitel 62

Yelir lief durch die Gänge, als wäre jemand hinter ihm her, dabei war er sich sicher, dass Zunae ihm nicht folgte.
Seine Gedanken schwirrten darum, was er ihr gesagt hatte. Diese Schwäche einzugestehen war ein großer Schritt für ihn und er glaubte nicht, dass Zunae ahnte, wie verletzlich er sich ihr gegenüber gezeigt hatte.
Allerdings konnte er nicht leugnen, dass er sie brauchte. Nur wollte er nicht unbedingt, dass sie das wusste. Was, wenn sie das ausnutzte? Sie hatte die Prüfung in Kavalare zwar schon längst bestanden, aber Yelir wusste nicht, was er nun tun sollte. Außer langsam die Hochzeit vorbereiten.
Daran wollte er im Moment allerdings auch nicht denken.
Darum machte er sich auch auf den Weg zu Dainte. Dort erwartete ihn Degoni, der nach seinem Ruf aus dem Anwesen von Charlet und Lacrew zurückgekehrt war, obwohl es seinem Vater noch nicht wieder richtig gut ging. Allerdings war das hier wichtiger.
»Konntet ihr jemanden wiedererkennen?«, fragte Yelir, der Degoni angewiesen hatte, die Banditen zu identifizieren.
»Nein«, erwiderte Degoni angespannt. »Selbst meine Soldaten konnten sie nicht zuordnen«, erwiderte er und deutete Yelir, ihm zu folgen.
Sie befanden sich in Räumen, die nicht genutzt wurden und deren Wände von Eis überzogen waren. Ein Zauber, der dafür sorgen sollte, dass die Leichen nicht zu schnell verwesten. Dainte wollte sie alle untersuchen, was Yelir nervös machte. Nachdem einer ihrer Soldaten mit einer Krankheit infiziert gewesen war, die nicht einmal Dainte kannte, hatte er Angst, sich diese Seuche in die Burg zu holen. Eine andere Möglichkeit hatte er im Moment jedoch nicht.
»Das ist schlecht«, murmelte Yelir, der sich im Raum umsah. Unter Tüchern lagen die einzelnen Leichen der Männer, die sie geborgen hatten. Es waren 18 Körper gewesen und ein paar Einzelteile, die darauf schließen ließen, dass es weit über 20 Angreifer gewesen sein mussten. Alle mit Artefakten, wie es schien.
»Dainte hat noch schlechtere Nachrichten«, murmelte Degoni, der selbst noch nicht wusste, was der Heiler zu verkünden hatte. Wäre Yelir nicht von selbst aufgetaucht, hätte Degoni ihn geholt. Er war gerade auf den Weg gewesen.
Yelir verzog den Mund. »Kann heute nicht wenigstens einer mit guten Neuigkeiten kommen?«, murmelte er, denn die Sache mit Zunae machte ihm zu schaffen.




Degoni maß dieser Aussage nicht so viel bei, bemerkte aber durchaus, dass sein Bruder ungewöhnlich mürrisch war. Sein Gesicht war verzogen und er wirkte angespannt, was sonst nur selten der Fall war. Selbst in so einer Situation. Das war auch der Grund, warum er sich fragte, ob Yelir vielleicht schon mehr wusste als er.
Beide betraten den kleinen, separaten Raum, der einen großen Tisch in der Mitte und mehrere kleine Schränke an den Seiten hatte.
Auf dem Tisch lag einer der Banditen, den Dainte gerade untersuchte.
Auffällig war die Tatsache, dass Yelir keinen Verwesungsgeruch wahrnahm. Wenn er an andere Untersuchungen von Leichen dachte, war der Raum immer damit erfüllt gewesen.
»Da seid ihr ja endlich«, sagte Dainte, der unruhig um den Tisch herum lief.
Yelir hob eine Augenbraue. Das passte so gar nicht zu dem eigentlich ruhigen Heiler. Zudem war er blass.
»Spucks aus«, forderte Degoni, der keine Lust auf Ratespielchen hatte.
Dainte schluckte und deutete auf den Mann auf dem Tisch. »Das da ist kein Mensch«, sagte er, was bei den beiden Brüdern Verwirrung ins Gesicht zauberte.
Sie sahen sich kurz an und dann auf den toten Mann. »Also … wenn das kein Mensch ist, was ist es dann?«, fragte Degoni, der Dainte nicht glauben konnte.
Yelirs Mund wurde jedoch trocken und er schwieg, während er auf Daintes Erklärung wartete.
Dieser nahm einen Hammer von einem Tisch und schlug auf den Mann ein. Ein Knirschen erklang, das zu einem Splittern wurde.
Degoni wich zurück und hob schützend die Hand. Das passte überhaupt nicht zu dem Heiler. Warum war er so rabiat?
»Bei allen Göttern«, keuchte Yelir, als er sah, dass der Arm innen hohl war. Die Haut sah aus wie Ton, der jetzt gesplittert war.
»Was ist das?«, fragte Degoni, der sich fragte, warum das niemanden aufgegallen war. Wenn er an die Banditen dachte, mit denen er bisher zu kämpfen gehabt hatte, dann hatten sie alle geblutet. Doch dieses Ding war innen hohl.
Dainte stieß den Atem aus. »Ich würde es fast als eine Art Golem bezeichnen«, bemerkte er unruhig.
Yelir presste fest die Lippen zusammen.
Golems. Wie war das möglich?
Dainte blickte zu Yelir auf. »Du musst mit Zunae sprechen und sie fragen, wie der Kampf verlaufen ist. Wenn ich richtig liege …« An diesem Punkt holte Dainte zitternd Luft, da er nicht aussprechen wollte, was ihm Sorge machte, das machte es nur wahr.




»Was?«, fragte Degoni gereizt, da er sich mit der Lage überfordert fühlte.
»Ich glaube … sie sind in der Lage Artefakte zu nutzen«, stieß Dainte hervor, wobei sich ein Klos in seinem Hals bildete. Ein Golem mit einem Artefakt. Eine solche Armee …
Yelir spürte Übelkeit in sich aufsteigen. »Das kann nicht sein. Nur die wenigen Auserwählten können die Artefakte nutze«, sagte er schnell, auch wenn er sich da nicht mehr so sicher war. Immerhin hatten sie bereits ein ähnliches Problem gehabt. Auch der Küchenjunge, der nach dem Verhör verschwunden war, hatte ein Artefakt nutzen können.
»Wir müssen das weiter untersuchen«, entschied Yelir.
Die Banditenangriffe waren überall in seinen Ländern verteilt und wenn er sich die Golems so ansah, konnte er sie nicht von echten Menschen unterscheiden. Vielleicht hatte man sie gemischt, um Verwirrung zu stiften? Die Chance bestand, dass die Golems keine Artefakte nutzen konnten, sondern Menschen unter ihnen waren.
»Es wird noch seltsamer«, bemerkte Dainte, der angeekelt wirkte, als er vorsichtig mit dem Hammer das Brustbein des Mannes zerstörte. Es splitterte genau wie der Arm. Allerdings kam etwas zum Vorschein, das wie Innereien wirkte.
»Ist das ein Herz?«, fragte Degoni völlig verstört und taumelte zurück.
Yelir konnte nicht anders, als es anzustarren. Es sah wirklich aus wie ein ausgetrocknetes Herz!
»Ich habe in anderen Männern ähnliche Innereien gefunden. Mehr oder weniger vertrocknet wie dieses hier.«
Degoni würgte, bevor er den Raum verließ, während Yelir sich mühsam aufrecht hielt. Er hatte keine Ahnung, was es mit diesen Wesen auf sich hatte, doch wenn sie einmal menschlich gewesen waren …
Er wollte sich lieber nicht vorstellen, was das hieß.

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