Mirani-Kapitel 4

~Maeve~
Als ich Zahira in den Nachbarraum führte, spürte ich ihre Anspannung ganz deutlich.
Ich fragte mich, ob ich einen Fehler gemacht hatte, doch mein Gefühl sagte mir, dass ich Zahiras Probleme nicht einfach so ignorieren sollte. Trotzdem hätte ich vielleicht jemanden finden können, der nicht Mirani war.
Es war nicht so, dass ich an Zahiras guten Absichten oder ihrem Wort zweifelte. Nachdem, was ich jetzt erfahren hatte, wusste ich jedoch nicht, ob die Dämmerwüste für meine Tochter sicher genug war. Erst recht nicht, als ich die anschwillenden Auren aus dem Nachbarraum spürte.
Asher war impulsiv und nicht die ideale Begleitung für Mirani. Zumindest keine, die ich mir so gewünscht hatte.
Allerdings hatte ich meine Entscheidung bereits getroffen und Mirani war zumindest nicht abgeneigt. Die eigentliche Frage war jedoch noch nicht geklärt.
War Zahira überhaupt bereit, diese Hilfe anzunehmen?
Sie stieß einen Seufzer aus. »Ich beginne, deine Bedingungen zu begreifen«, murmelte Zahira, die eindeutig noch in Gedanken versunken war. All das, was sie gesehen hatte, zu begreifen, war sicher nicht leicht. Immerhin hatte sie gerade ein Geheimnis erfahren, das ich lange Zeit gut versteckt hatte. Mirani sollte nicht zur Zielscheibe werden.
Zahira trat auf das kleine Fenster zu und blickte in den Nebel des Waldes. Ihre Anspannung war deutlich zu sehen, was ich ihr nicht verübeln konnte. Miranis Fähigkeiten waren Fluch und Segen zugleich. Sowohl für sie als auch andere.
Zahira mochte glauben, dass die Bedingungen nur ihr halfen, doch eigentlich waren sie da, um Mirani zu schützen. Egal, was das Problem war, meine Tochter würde immer an erster Stelle stehen, auch wenn ich es nicht offensichtlich zeigen würde. Nur so konnte ich sie schützen.
Ich gewährte Zahira einen kleinen Moment der Ruhe und eigenen Gedanken, bevor ich meine Stimme erhob. »Meine Tochter hat mir etwas erzählt, das ich nicht ganz mit der Geschichte eures Landes in Verbindung bringen kann«, sagte ich. Mein Blick fest auf Zahira gerichtet, damit mir keine ihrer Regungen entging. Das hier war für sie der Moment, der vermutlich alles entscheiden würde. War sie bereit, meine Hilfe anzunehmen? Vertraute sie mir genug?
Als sie sich fragend zu mir umwandte, versuchte ich keine Regung zu zeigen. Was nicht zu schwer war, denn eigentlich interessierte mich das Treiben in anderen Gebieten nicht sonderlich. Nur, weil ich Sorgen um mein eigenes Reich hatte, war ich gewillt zu helfen. Doch irgendwie war das hier auch eine Ausnahme. Immerhin ging es um meine Tochter.
Da sie nicht reagierte, sondern mich nur ansah, entschied ich mich dazu, zu sprechen. »Der Urgroßvater deines Mannes. Der Held der Amqars, der jeden Kampf bestritt, um seinen Bruder zu retten«, setzte ich an.
Schon während ich sprach, wich Zahira sämtliche Farbe aus dem Gesicht, als wüsste sie, was ich sagen würde.
Das war überaus interessant, denn das würde heißen, sie hatte den Ring mit Absicht gewählt. Oder war sie sich vielleicht doch nicht seiner Geheimnisse bewusst? »Bist du dir gewahr, dass er derjenige war, der seinen Bruder heimtückisch ermordete?«
Zahira schnappte nach Luft, als hätte sie bis eben noch geglaubt, dass ich etwas anderes sagen wollte.
Dann fasste sie sich und stieß ein leises Räuspern aus, doch ich hatte genug gesehen. Das hier war keine einfache Anschuldigung. Ich wusste, dass es wahr war und auch Zahira wusste es. Vermutlich würde sie es leugnen und Mirani als Lügnerin hinstellen, doch sie überraschte mich.
»Du hast nicht zu viel versprochen, als du von ihrer Gabe erzählt hast«, bemerkte Zahira, ohne die Sache zu bestätigen oder abzustreiten. Eine kluge Entscheidung, auch wenn sie mir damit auch zeigte, dass das Vertrauen zwischen uns noch nicht ganz so gefestigt war. Aber damit hatte ich auch nicht gerechnet.
»Keine Sorge. Deine Geheimnisse sind bei uns sicher«, sagte ich sanft. Alles, was Mirani herausfand, würde nicht erzählt werden. So war sie nicht. Ähnlich wie ich, interessierte sie sich nicht für die ungewaschene Wäsche anderer. »Aber du musst eine Entscheidung fällen. Wirst du sie in dein Land einladen? Sobald sie das Zimmer verlässt, wird es nicht leicht, sie wieder herzuholen.« Obwohl sie meine Tochter war, war ich mir durchaus bewusst, dass sich unsere Stärken unterschieden. Meine lag im Alter und der Weisheit. Miranis hingegen … Sie konnte überaus stur sein, wenn sie wollte. Dann konnte niemand sie überzeugen. Ob Alpha oder nicht. Sie fügte sich nicht so einfach.
Zahira stieß den Atem aus und blickte zu den Vorhängen, die uns vom anderen Raum trennten. Sie verschluckten unsere Stimmen, sodass es keinen Grund dazu gab, zu glauben, jemand würde uns hören können.
»Ich …«, setzte Zahira zögerlich an, während sie auf den Vorhang sah, als würde sie versuchen, dahinter etwas zu sehen. »Habe keine andere Wahl, oder?«
Es war nicht wirklich eine Frage. Wir beide kannten die Antwort. Wäre es nicht so wichtig und würde die Tatsache der seltsamen Mordfälle mir nicht so Magenschmerzen machen, hätte ich nie zugelassen, dass Mirani die Aethelhain-Inseln verließ. Dazu war sie einfach nicht geschaffen. Trotzdem wusste ich um ihre Stärke. Es war nur für kurze Zeit. Sie konnte zudem jederzeit zurückkehren, wenn es ihr zu viel wurde. Ich traute Zahira nicht zu, mein Vertrauen so zu verraten, dass sie Mirani etwas tat. Das wäre in jeder Hinsicht dumm, denn mein Rudel war noch immer eines der Gefährlichsten. Vielleicht brachten wir nicht so viele Alphas hervor, doch unsere Kraft konnte eine Naturgewalt sein.
»Dann solltest du sie darum bitten, mit euch zu kommen und ihr die Sachlage erklären.« Immerhin hatte ich bewusst darauf verzichtet, genau das zu tun. Ich wollte nicht, dass sie sich gezwungen fühlt. Die Probleme der Dämmerwüste waren nicht ihre und ich wollte sie auch nicht zu ihren machen. Trotzdem sah ich im Moment keinen anderen Ausweg.

































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