Mirani-Kapitel 65

~Asher~
Ich hielt Mutters Hand, als einer der Klingentänzer das Leichentuch zurückzog, um Rhaems Gesicht zu offenbaren.
Während ihre Miene unbewegt blieb, spürte ich doch den Druck ihrer Hand und das leichte Zittern.
Trauerte sie, weil Rhaem tot war, oder war sie erleichtert? Ich konnte es nicht sagen und wollte es eigentlich gar nicht wissen.
In den letzten Tagen war mir klar geworden, dass ich sie nicht kannte und dass ich sie nicht einschätzen konnte.
Ich sah zu, wie Rhaems Leiche, wie es in der Dämmerwüste Brauch war, auf das Podest gebracht wurde. Er würde bestattet werden, wie es einem Alpha gebührte, auch wenn mir das gar nicht gefiel.
Das große Feuer würde im ganzen Land zu sehen sein, doch ich konnte nicht sagen, wie die Bewohner reagierten.
Rhaem war ein Herrscher, der bei der einfachen Bevölkerung nicht gerade beliebt gewesen war. Dafür aber bei den Adligen.
Mutter drückte noch einmal meine Hand, bevor sie mich losließ. Ihr Blick sprach Bände, doch ich konnte mich nur auf den Stolz und die unterschwellige Liebe konzentrieren, die ich das erste Mal so offen darin sehen konnte.
»Du bist der nachfolgende Alpha«, sagte sie sanft. »Es wird erwartet, dass du etwas dazu sagst.«
Ich stieß den Atem aus, denn das wusste ich zu gut. Hoffentlich hatte Vater ihr erzählt, was meine Entscheidung war. Ich wollte sie nicht zu sehr erschrecken.
Mein Blick glitt zur Mirani, die weiter entfernt im Schatten stand. Da sie kein Mitglied der Amqars und kein Bewohner der Dämmerwüste war, blieb sie im Hintergrund, obwohl ich sie gern an meiner Seite hätte.
Trotzdem straffte ich die Schultern und trat auf das Podest, auf dem Rhaems Leiche gerade in der Nähe des Scheiterhaufens aufgebahrt war.
Ich versteckte meine Aura nicht und ließ sie über die Menschen wandern, die nach und nach alle zu mir aufsahen. Das war sehr praktisch, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
»Rhaem Amqar, der Alpha der Dämmerwüste ist gefallen«, eröffnete ich. Ich war kein großer Redner und würde es nie sein. Daher fiel mir das schwer. Trotzdem war ich es den Bewohnern schuldig. »Seine illegalen Machenschaften haben es erst ermöglicht, dass die Rakshasa dem Volk, das er gelobte, zu schützen, so schaden konnte.«
Mein Blick wanderte über die Versammlung. In den Augen der Leute stand Trauer, Hass und teilweise sogar Verachtung. Was ich gut verstehen konnte.
»Sein Verbrechen liegt schwer auf unserer Familie und auf mir liegt die Schuld, nicht verhindert zu haben, dass es so weit kommt.«
Ein leises Raunen ging durch die Menge, während einige von ihnen flüsterten. Ich schnappte nur ein paar Brocken auf, doch es interessierte mich auch nicht genug, um wirklich hinzuhören. »Rashid und Nael haben sich schuldig gemacht, indem sie Rhaem unterstützten. Sie haben den Kampf überlebt, doch sie sind meine Brüder. Sie töten zu lassen spricht gegen alles, was für mich eine Familie ausmacht.« Er hatte sie nie wirklich geliebt und sie waren nie für ihn da gewesen, doch sie waren Zahiras Söhne. Er war einfach nicht in der Lage, sie zu töten, wie es das Gesetz erforderte. »Deshalb werde ich sie in den Gluthain verbannen, bevor ich als Alpha der Dämmerwüste zurücktrete.«
Stille kehrte ein, doch ich wartete nicht darauf, dass jemand etwas sagte, sondern wandte mich nach hinten.
Mutter, die gerade mit Vater sprach, sah auf und nickte mir zu, bevor sie Azhar dabei half, die Treppe hinauf zu gehen. Bevor sie jedoch gesehen wurde, ließ sie ihn los, sodass Azhar allein auf die Bühne treten konnte.
Erneut ging ein Raunen durch die Menge. Dieses Mal lauschte ich und bemerkte, dass einige von ihnen sein Gesicht sogar kannten. Sie hatten Angst, dass er sich gezeigt hatte und machten sich Sorgen, dass ihm etwas geschah. Andere jubelten bereits leise über seine Rückkehr. Eine Tatsache, die mich noch einmal in meiner Entscheidung bekräftigte.
»In den letzten Generationen gab es viel Unrecht, das wieder gut gemacht werden muss. Weshalb ich mich entschieden habe, die Dämmerwüste zurück an die Familie zu geben, die eigentlich die herrschenden Alphas sind. Die Familie Sturmwind.«
Ich trat zurück, damit Vater vortreten konnte. Es war vermutlich besser, wenn ich nicht erwähnte, dass er mein leiblicher Vater war. Es gab schon so genug zu verdauen. Ich wollte es nicht noch schwerer machen.
Als er nach oben auf die Bühne trat, ging Raunen durch die Menge. Sogar einige Lacher kamen auf. Vermutlich, weil er nicht gerade majestätisch aussah, wenn er sich so auf seinen Stock stützte.
Als er jedoch seine Aura nutzte, die sich über uns legte, wurde das Raunen und Lachen weniger, bis aufgeregt über seine Stärke getuschelt wurde.
Es war seit vielen Jahren das erste Mal, dass ein geborener Alpha an der Macht war. Das Wissen um diese war fast ausgelöscht, weshalb ich ihnen nicht verübeln konnte, dass sie verwirrt waren. Doch es lag in der Natur der Werwölfe, sich einem Alpha zu fügen und so gab es kaum Gemecker. Dennoch erkannte ich, wie einige ranghohe Rudelführer, die Rhaem gedient hatten, die Gesichter verzogen.
Ich ging nicht davon aus, dass Vater nicht angenommen wurde, doch er hatte einen steinigen Weg vor sich, alles wieder in die richtigen Bahnen zu lenken.
Dass ich ihn damit allein ließ, erfüllte mich fast schon mit Sorge, doch wir hatten uns geeinigt. Das hier war nicht mehr mein Problem.
Erleichterung packte mich, als ich endlich von der Bühne schritt, während Vater das Wort ergriff.
Mutter lächelte mich kurz an, hörte dann jedoch Vater zu, sodass ich ungestört zu Mirani gehen konnte, um sie sanft in den Arm zu nehmen.
»Dein Bruder ist gar nicht mehr hier, oder?«, fragte ich leise, um mich abzulenken.
Vater wollte, dass wir ihn für seine Unterstützung ehrten, doch dieser war schon in seine Heimat zurückgekehrt, um Maeve zu versichern, dass es Mirani gut ging.
Diese schlang ihre Arme um mich und streichelte meinen Rücken. »Das hast du gut gemacht«, sagte sie sanft und sah dann zu mir auf.
Ich löste mich nur leicht, um ihren Blick zu erwidern, da stellte sie sich auf ihre Zehenspitzen und drückte mir einen innigen Kuss auf die Lippen.
Genussvoll schloss ich meine Augen und spürte, wie die Spannung von mir abfiel.
Endlich war dieses Kapitel meines Lebens beendet und mit Mirani an meiner Seite, konnte nur noch Glück auf mich warten. Solange ich sie hatte, brauchte ich kein Rudel. Sie war meine Familie und mit ihr würde ich mir eine neue Zukunft aufbauen.
Eine, in der mich nicht der Druck der Erwartungen niederrang.






























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