November – Lebe! … es ist DEIN Jahr

                            November
Alleine, aber nicht einsam…
Ganz sanft und vorsichtig vertreibt die aufgehende Sonne die nächtlichen Wolken. Ein warmer Sonnenstrahl berührt mich. Ich spüre ihn jedoch kaum auf meiner Haut. Heute fällt mir alles schwer – nein, sehr sehr sehr schwer. Mühsam und fast im Zeitlupentempo packe ich meinen Wanderrucksack. Blicke mich mehrfach um, denn es ist mir so flau, so als hätte ich etwas vergessen, als würde etwas fehlen … als wäre ich gerade nicht vollzählig oder vollständig.
Mit langsamen schleifenden Schritten, ohne jeden Elan und ohne jede Körperspannung beginne ich meinen Weg. Ich gehe alleine. Seit einer unglaublich langen Zeit gehe ich tatsächlich das erste Mal wieder komplett alleine meinen Weg.
Die Sonne umhüllt mich liebevoll und versucht mir etwas Wärme zu schenken. Seit Tagen ist es mir kalt … innerlich kalt … bitterkalt. Ich bekomme auch davon nichts mit. Ich sehe nur meinen Schatten. Einen Schatten. Einen einzigen Schatten. Ich bin alleine.
Ganz oft drehe ich mich um, suche mit meinen Augen den Weg ab. Vielleicht habe ich etwas übersehen? Vielleicht kommt doch wieder ein zweiter Schatten an meine Seite? Oder gar ein dritter oder vierter Schatten?
Vor mir erwacht der Tag. Meine Tränen rinnen wie ein kleiner nie versiegender Gebirgsbach über meine Wangen, meinen Hals und bis in meinen Pulloverausschnitt hinunter.
Der Tau, welcher auf jedem einzelnen Grashalm der saftig grünen Wiese liegt, glitzert wie kleine Edelsteine. Ich sehe es nicht.
Zart erwacht das neue frühlingshafte Leben und die nestjungen Vögel rufen forsch nach ihren Eltern. Im trockenen Waldboden raschelt und knistert es und die hohen Piepslaute einer ganzen Mäuseschar sind hörbar.
Ich höre davon jedoch nichts. In meinem Kopf treibt gerade nur eine Melodie aus meiner Jugend ihr Unwesen. Jahrzehnte lang habe ich dieses Lied von Fanta 4 nicht mehr gehört und habe es ehrlich gesagt auch ganz und gar nicht vermisst … „Allein, Allein! Jetzt ist sie weg, weg! Und ich bin wieder allein! Allein!“
Ganz automatisch laufen meine müden Beine unsere vertrauten und geliebten Wege. Schmale wurzelige Wege, Wildtierpfade, fern ab der großen Hauptwanderwege. Unsere Wege!
    
    
        
        
Ganz langsam trocknet mein Tränenfluss. Ich blicke jedoch noch immer nur auf den Boden, nehme keine Gerüche, keine Farben, keine Schönheit, kein Leben wahr …
und dann setze ich gedankenversunken noch einen Fuß nach vorne und laufe tatsächlich direkt in einen Baum! Noch nie bin ich in meinem Leben in oder gegen einen Baum gelaufen! Noch nie war ich so unaufmerksam, der Natur, dem Leben so fern!
Der Baum hält mich und meinen Rucksack mit seinen vielen kleinen und großen Ästen richtig fest und ich muss mich kräftig schütteln um mich wieder zu befreien!
Mir ist so als wollte mich der Baum halten, mich in seinen Armen wiegen und mir Trost spenden. Ich atme tief ein und wieder aus. Blicke mich um.
Und nehme langsam wieder ein klein wenig mehr wahr. Ich erkenne wieder mein geliebtes Grün der Moose und ich rieche wieder meinen vertrauten und geliebten Duft des Waldes. Vorsichtig und achtsam gehe ich nun weiter. Zwischen einer kleinen Tannengruppe erspähe ich drei Rehe. Sie sehen mich auch, laufen jedoch nicht von mir davon, sondern kommen ruhig und unerschrocken und mit liebevollem Blick ein Stückchen auf mich zu … so als möchten sie mir sagen: „Alles ist gut! Habe wieder Vertrauen! Du gehst zwar gerade alleine, aber du bist nicht einsam! Wir alle sind bei dir!“
Ein paar Tränen rinnen erneut über meine Wangen und es wird mir ein klein wenig wärmer.
Ich gehen den schmalen Waldpfad bis zu meinem Lieblingsbänkchen weiter.
Ja, ich glaube tatsächlich, dass es wirklich nur MEINE Bank ist! Mein Ort der Ruhe, der Kraft und der Verbundenheit.
Meine Bank steht umringt von alten Bäumen ganz oben auf einer Anhöhe und ist nicht einfach zu erreichen. Ein dicker und in allen wunderschönen Grüntönen leuchtender Moosteppich verwandelte die längst verwitterten, aber immer noch stabilen Holzplanken in ein weiches Sofa. Kleine und größere und auch schon mit Moos und Flechten bewachsene Äste liegen quer über meinem Bänkchen verstreut. Ein achtlos weg geworfener alter zerbeulter Metalleimer, den ich vor langer Zeit im Wald gefunden habe, stützt sich an einer stabilen Wurzel ab und dient mir seit jeher treu als kleines Tischchen.
Ruhig und entspannt nehme ich meinen Rucksack von den Schultern. 
    
    
        
        
Ich setze mich, schließe meine Augen und atme tief ein und wieder aus.
Hier bin ich richtig! Hier bin ich alleine, aber nicht einsam!
Sorgsam packe ich meinen beerig duftenden Tee und meine heiße Kartoffelsuppe aus.
Langsam nehme ich einen Löffel Suppe nach dem anderen zu mir. Schluck für Schluck spüre ich, wie ganz sanft und liebevoll eine wohltuende Wärme in mir aufsteigt und mir meine Kälte nimmt.
Ich bin wieder ruhig, nicht mehr so aufgewühlt, nicht mehr so traurig, nicht mehr so einsam. Die großen alten Bäume hinter mir breiten, fast wie bei einer tiefen Umarmung wohlwollend und schützend ihre frisch belaubten Äste um mich.
Ich lege meinen Kopf in den Nacken und entdecke über den Baumkronen einen wunderschönen Greifvogel der kunstvoll und mit einer unglaublichen Leichtigkeit seine Kreise zieht.
Mit flatterigen Flügelschlägen fliegt eine kleine Blaumeise an meine Bank, setzt sich zu mir, plustert sich auf, legt ihren Kopf schief und blickt mich mit ihren schwarzen Augen munter an. Und aus dem frisch angesätem Feld kommen zwei junge Füchse voller Vertrauen, ausgelassen spielend und wild ineinander verschlungen auf mich zu gekugelt. Ich muss unweigerlich wieder lächeln.
Mein Blick schweift weiter zu einer kleinen Kapelle, welche einige hundert Meter von meinem Kraftort entfernt ist und wohl vor langer langer Zeit erbaut wurde. Unzählige Stunden habe ich hier auf meiner Bank schon in voller Zuversicht und voller Glück und Freude über die Schönheit des Lebens verbracht und tatsächlich sehe ich dort heute zum ersten Mal einen anderen Menschen!
Es scheint eine alte Frau zu sein. Gebückt und auf einen Gehstock gestützt, geht sie, ganz in schwarz gekleidet, langsam auf die Kapelle und vielleicht auch ihrem Kraftort zu.
Plötzlich bleibt das alte Mütterchen stehen, dreht ihren Kopf in meine Richtung und lässt auch ihren Blick schweifen.
Ihre Augen scheinen jedoch noch sehr sehr gut zu sein, denn als sie mich in meiner Waldnische erblickt, hebt sie freudig ihre Hand und winkt mir zu. Ich winke zurück.
Wir sind beide alleine, aber nicht einsam!
Langsam geht es mir wieder besser. Meine Lebensgeister, mein Vertrauen, meine Liebe und meine Verbundenheit kommen wieder.
    
    
        
        
Liebevoll von der Sonne gewärmt trinke ich noch eine Tasse Tee und lasse erneut meinen Blick kreisen.
Der Himmel ist nun strahlend blau und kein Wölkchen ist mehr zu sehen. Die ersten Frühlingsblüher strecken ihre kleinen Köpfchen aufgeregt der Sonne entgegen und auch die emsigen Bienen genießen sichtlich ihren warmen Flug.
Aber was ist das denn dort oben?
Ganz leicht und in großen Schwüngen, wie ein geübter Fallschirmspringer segelt etwas auf mich hinunter.
Es ist ein Liebesbrief! Ein Liebesbrief des Greifvogels! Eine große und wunderschöne Feder landet genau vor meinen Füße. Mir wird es ganz warm ums Herz!
Ich stehe langsam auf und hebe diese Feder sorgsam und voller Dankbarkeit und Liebe auf. Sanft streicheln meine Finger darüber und bewundern die einmalige Schönheit und die, wie von berühmter Malerhand gezeichneten Farben. Ich schicke ein von Herzen kommendes „Danke“ in den Himmel. Und dann stecke ich mir die Feder in mein langes, aber zu einem Knoten zusammen gebundenes Haar.
Ich bin alleine, aber nicht einsam!
Voller innerer Wärme und Zufriedenheit packe ich nach einer langen Weile wieder meinen Rucksack und laufe los.
Mein Gang ist wieder aufrechter, meine Schritte wieder fester und sicherer, mein Blick ist freier und wieder etwas ungetrübter.
Ich lausche meiner Natur und kann langsam wieder die Schönheit, die Einzigartigkeit und meine Zugehörigkeit erkennen.
Aufgeregt und zugleich etwas erschrocken drehe ich mich um. Ich habe doch etwas gehört? Bist du da? Waren das nicht deine Pfoten, die über das knisternde Gehölz des Waldbodens galoppieren?
Meine Augen scannen den Wald um mich herum akribisch ab, aber ich kann dich mit diesen Augen nicht erkennen. Ich kann dich aber spüren! Du bist da! Ich bin nicht mehr einsam!
Munter klopfe ich mir mit meiner flachen Hand zwei Mal auf den rechten Oberschenkel und pfeife unseren kurzen hellen Pfiff.
Ein zarter warmer Windhauch umspielt meine Beine und findet an meiner rechten Seite seinen Platz. Du bist da! Du bist an meiner Seite!
Die Sonne begleitet mich und wirft meinen Schatten erneut auf den Boden.
Ich blinzle. Ich blinzle nochmals. Mein Schatten ist groß und klar zu erkennen. Aber neben meinem Schatten darf ich noch einen ganz zarten, fast unsichtbaren Schatten erkennen.
    
    
        
        
Du bist wieder an meiner Seite!
Ich bin nicht einsam!
Erneut klopfe ich mir auf den Oberschenkel und pfeife wieder unseren Pfiff.
Ein warmer Windhauch springt von links auf mich zu und wirbelt mir durch meine Haare.
Zart wird für mich ein weiterer Schatten neben mir sichtbar.
Ich atme tief ein und wieder aus und ein unglaubliches Gefühl des Glücks, der Geborgenheit, der tiefen Sicherheit und des unbändigen Vertrauens erfüllt mein Herz.
Noch einmal klopfe ich mir auf den Schenkel und noch einmal pfeife ich.
Voller Freude werde ich von dem nächsten warmen Windstoß im Kreis herumgewirbelt.
Und ein dritter zarter Schatten erscheint für mich auf meiner linken Seite.
Eine Träne der Liebe und der Verbundenheit rinnt mir über meine Wange.
Wir sind wieder zusammen!
Ich gehe meinen Weg alleine, aber ich bin nicht einsam!
Für Dich:
Von guten Mächten …
… wunderbar geborgen. Habe Vertrauen! Auch wenn du dich einmal schrecklich alleine fühlst, du bist nicht und nie einsam! Komme zur Ruhe, lass deine Gefühle und Gedanken zu und dann wirst du kurze Zeit später ganz liebevoll und wohlwollend in den Arm genommen.
Orte deiner Kraft
Wo fühlst du dich so richtig wohl? Was schenkt dir Kraft? Wo kannst du einfach du sein?
Spüre in dich hinein und dann gehe dahin oder mache das was dir Kraft, Verbundenheit und Geborgenheit gibt.
Schäme dich nicht
Schäme dich nicht für deine Gefühle! Du darfst alle Gefühle spüren und leben, ganz egal was die Welt um dich herum sagt, meint, empfiehlt oder sich von dir wünscht. Es ist einzig und allein dein Leben und du bist nie einsam, auch wenn du vermeintlich ein Stückchen deines Weges alleine gehst!
Tränen des Glücks
Weine! Ja, du darfst weinen! Ich weine vor Schmerz, vor Trauer, vor Sehnsucht aber ich weine auch vor Glück, vor Liebe, vor Geborgenheit, vor Verbundenheit und von Dankbarkeit. Und ganz oft mischen sich meine Tränen der Gefühle und befreien mich und geben mir wieder Kraft.
Raum für Deine Gedanken, Ideen, Notizen und Geistesblitze:
– Was beschäftigt Dich in diesem Monat?
– Für was bist Du aktuell besonders dankbar?
– Was tut Dir gerade gut? Was brauchst Du momentan?
    
    
        
        
– Was macht Dich glücklich?
– Wem oder wo konntest Du eine Hilfe sein?
– Wann, wo oder wie spürst Du Dein Leben?
– Wann musstest Du herzhaft lachen?
– Durftest Du auch einem anderen Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern?
– Traf Dich womöglich ein „Blitz der inneren Erleuchtung“?
				
				





























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