Der Professor, der Magie hasst – und Miss Poppins nicht ignorieren kann
Professor Lucian Hart mochte keine Magie. Er tolerierte sie, verwaltete sie, analysierte sie – wie ein CFO eine komplizierte Bilanz. Doch so sehr er sich der Arithmetik der Zauberei widmete, so sehr lehnte er ihre Praxis ab. Für ihn war Magie ein unsicheres Investment: hohe Volatilität, zu viele unbekannte Variablen. „Ich verstehe sie, ich kontrolliere sie – aber ich muss sie nicht mögen“, erklärte er oft.
Miss Poppins hatte sich diese Aussage gemerkt. Sie wusste, dass Hart ein Rationalist war, der an Planung und Struktur glaubte. Doch er konnte auch nicht bestreiten, dass Elara Poppins mit ihren Methoden funktionierte. Und genau das machte ihn nervös. An diesem Morgen saßen sie im Besprechungsraum des Südflügels. Die Holzpaneele zierten altmodische Porträts von Professoren, deren Zauberstäbe wie Bleistifte wirkten. Auf dem Tisch lagen stapelweise Protokolle, Tabellen und ein Teeservice. Miss Poppins hatte ihren Laptop in der Mitte aufgeschlagen – oder besser: eine magische Schreibmaschine, die Protokolle in schöne Schrift verwandelte. Hart trank seinen Kaffee aus einer Tasse, die per Zauber warm blieb. Ironie des Alltags.
„Unsere Agenda heute“, begann Elara und tippte zur Betonung auf den Tagesordnungspunkt, „ist der sogenannte Zickenkrieg zwischen den Drittklässlerinnen von Haus Aquila. Wir sprechen von Rivalitäten, Wettbewerben und tatsächlich von einem kaputten Fenster, das letzte Nacht in tausend Teile geflogen ist. Wir müssen eine Lösung finden.“
Hart nickte und verschränkte die Arme. „Ich habe den Bericht gelesen. Die Rivalität geht auf einen Wettbewerb um eine magische Amulett-Patenschaft zurück. Zwei Gruppen, beide wollen die Patenschaft, beide denken, sie haben Anspruch darauf.“ „Korrekt“, sagte Miss Poppins. „Und beide haben eine emotionale Investmentsumme, die weit über dem Budget liegt. Daher brauchen wir ein Mediationsgespräch – mit klaren Regeln, moderiertem Ablauf und verbindlichen Ergebnissen.“ „Sie wollen die Gruppen zusammenführen?“ Hart hob die Augenbrauen. „Das ist wie zwei konkurrierende Start-ups in denselben Raum zu setzen und zu hoffen, dass sie sich nicht gegenseitig auffressen.“ „Genau deshalb werde ich moderieren“, erwiderte Elara. „Und Sie sind dabei – als neutraler, magisch-skeptischer Berater. Ihr Blickwinkel bringt eine nüchterne Perspektive, die die Schülerinnen respektieren.“
„Warum sollte ich?“, fragte Hart, aber in seiner Stimme lag bereits eine Spur Neugier. „Weil Sie sich für die Zukunft dieser Schule einsetzen“, antwortete Miss Poppins. „Und weil Sie wissen, dass Konflikte sich nicht von allein lösen. Außerdem, ganz unter uns: Ihr Ruf als magie-kritischer Professor ist eine Waffe in diesem Setting. Sie sind der Garant, dass wir nicht in der esoterischen Heile-Welt-Sphäre landen.“ Hart betrachtete sie einen Moment lang. „Sie glauben, ich kann nicht nein sagen.“ „Ich glaube, Sie wollen wissen, ob meine Methoden funktionieren“, sagte Elara offen. „Und ich glaube, Sie haben eine tiefe Abneigung gegen das Unberechenbare. Magie ist unberechenbar, aber ich biete Struktur an. Wenn wir zusammenarbeiten, fügen wir Magie und Struktur zu einer funktionierenden Symbiose. Deal?“ Hart seufzte, dann schmunzelte er. „Deal.“
Die Mediationsrunde fand in einem Rundsaal statt. Zwei Gruppen von Schülerinnen saßen einander gegenüber. Auf der einen Seite: Julia, Mia und Soraya – stolze Mitglieder des Flugsport-Teams. Auf der anderen: Lea, Emma und Nadine – begabte Alchemie-Talente. Die Atmosphäre war gespannt; da und dort zuckten schon magische Funken. Miss Poppins stellte sich in die Mitte. „Guten Tag, meine Damen. Wir sind hier, um einen Konflikt zu lösen. Professor Hart und ich werden Sie begleiten. Das Ziel: Einigung und klare Abmachungen. Die Regeln: Wir hören einander zu, wir sprechen in der Ich-Form, und wir greifen niemanden magisch oder verbal an. Einverstanden?“ Die Mädchen nickten, manche murrten. Hart beobachtete die Mimik. „Beginnen wir mit den Fakten“, sagte er nüchtern. „Was ist passiert?“ Julia stand auf. „Wir wollten das Amulett, weil wir im letzten Jahr das Turnier gewonnen haben. Es gehört uns.“ Lea konterte. „Wir haben die besten Noten in Alchemie. Das Amulett würde uns ermöglichen, eine völlig neue Energiequelle zu entwickeln. Wieso sollten Flugsportlerinnen es bekommen?“ „Weil Tradition es so vorsieht“, entgegnete Mia. Miss Poppins hob die Hand. „Stopp. Wir gehen den Prozess strukturiert an. Zuerst: Bedürfnisse und Interessen. Julia, was ist euer Ziel? Und Lea, was ist euer Ziel?“
Julia atmete durch. „Unser Ziel ist es, Anerkennung für unsere Leistung zu bekommen. Wir wollen, dass unsere Siege sichtbar werden.“ Lea nickte. „Unser Ziel ist es, unsere Forschung voranzutreiben. Das Amulett würde uns dabei helfen, eine neue Form von magischem Licht zu entwickeln.“ Miss Poppins nickte. „Also wollen wir Anerkennung und Innovation. Beides sind legitime Anliegen. Gibt es vielleicht Wege, beides zu erreichen?“ Stille. Hart übernahm. „Wir könnten eine hybride Lösung erwägen. Das Amulett wird für zwei Projekte genutzt. Flugsport erhält das Amulett als Symbol für den Sieg – ihr dürft es bei Wettkämpfen tragen. Gleichzeitig wird es den Alchemie-Kursen für Forschungszwecke zur Verfügung gestellt, wenn es nicht im Turnierbetrieb ist. Dazu legt ihr feste Zeiten fest, die für beide Seiten transparent sind. Das ist kein Kompromiss, es ist eine Win-win-Situation.“ „Wie in einer Shared-Resource-Strategie“, ergänzte Miss Poppins. „Wir definieren Nutzungsfenster und Verantwortlichkeiten. Bei Konflikten greift die Eskalationsrichtlinie, die ich festlege. Ist das für euch denkbar?“ Die Mädchen flüsterten miteinander. „Das könnte funktionieren“, sagte Soraya schließlich. „Wir wollen nur, dass man uns nicht übergeht.“ „Und wir wollen nur, dass man uns vertraut“, fügte Emma hinzu. „Vertrauen basiert auf Verbindlichkeit“, sagte Hart. „Darum werden wir den gemeinsamen Nutzungsplan aufsetzen, inklusive Ziele, Messgrößen und Review-Terminen. Und ich werde das Dokument überwachen – auch wenn ich Magie nicht mag, bin ich exzellent in der Überwachung.“ Miss Poppins lächelte. „Dann sind wir uns einig. Wir stellen den Plan auf, wir definieren einen gemeinsamen Kalender, und wir treffen uns in zwei Wochen zum Monitoring.“ Die beiden Gruppen nickten. Die Spannung löste sich. Die Mädchen begannen bereits, über die Details zu diskutieren, ohne sich anzugreifen. Miss Poppins schloss ihr Notizbuch. „Gut gemacht“, sagte sie. „Konflikt managen kann man lernen.“ Als die Schülerinnen den Saal verließen, blieb Hart zurück. „Sie haben eine erstaunliche Fähigkeit, Chaos zu strukturieren“, sagte er nachdenklich. „Obwohl ich Magie nicht mag, sehe ich, dass Ihr Ansatz funktioniert.“ „Und Sie haben eine erstaunliche Fähigkeit, Dinge zu beobachten, die Sie nicht mögen“, erwiderte Elara. „Magie ist wie jede Ressource. Sie muss verantwortungsvoll eingesetzt werden. Sie mögen sie nicht, das ist okay. Aber Sie haben sie heute gemanagt.“ Hart nickte leicht. „Vielleicht. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich sie jemals mögen werde.“ „Sie müssen sie nicht mögen“, sagte Miss Poppins leise. „Sie müssen nur die Menschen respektieren, die sie nutzen. Und das tun Sie.“ Ein Lächeln huschte über Harts Gesicht. „Vielleicht kann ich Sie nicht mehr ignorieren“, gestand er. „Und vielleicht ist das keine schlechte Sache.“ „Vielleicht nicht“, antwortete Elara und schloss das Kapitel mental ab. „Lassen Sie uns jetzt diese verbotene Tür auditieren. Ich brauche Ihre Skepsis wie nie zuvor.“































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