Der Kreis der Schuldigen

Truly saß in ihrem Wohnzimmer, das Licht der Kerzen spiegelte sich in den Gläsern auf dem Tisch. Die Reste ihrer Recherche türmten sich in chaotischen Stapeln: alte Bücher, Kopien von Gerichtsakten, lose Zettel. Hayes stand am Fenster, rau, kantig, wie eine Statue, die den Regen draußen beobachtete.

»Zwei Tote in zwei Nächten«, sagte er schließlich. »Beide vergiftet, beide Drinks manipuliert. Das kann kein Zufall sein.«

»Es ist kein Zufall«, erwiderte Truly. »Es ist ein Muster.«

Sie blätterte durch ihre Notizen, das Herz pochte. »Bloody Mary. Espresso. Zwei Getränke, beide mit Beifuß versetzt. Beide zu Ritualzwecken benutzt. Und beide Opfer wurden nicht zufällig ausgewählt.«

Hayes wandte sich ihr zu. »Was verbindet sie?«

»Das habe ich gesucht.« Sie zog einen Stapel vergilbter Seiten hervor. »Alte Gerichtsprotokolle aus dem 17. Jahrhundert. London, 1648. Die Prozesse gegen Hexen.«

Er runzelte die Stirn. »Was hat das mit dem hier zu tun?«

Truly legte die Seiten auf den Tisch. »Beide Opfer – die Frau aus der Bar und der Cafébesitzer – sind direkte Nachkommen von Geschworenen, die damals Urteile gefällt haben.«

Hayes trat näher, ließ den Blick über die brüchigen Zeilen gleiten. »Sie wollen mir sagen, jemand bringt Nachkommen von Hexenrichtern um? Mit vergifteten Drinks?«

»Nicht einfach umbringen«, flüsterte Truly. »Opfern.«

Ein Schweigen spannte sich.

»Warum jetzt?«, fragte er schließlich. »Warum nach Jahrhunderten?«

Truly starrte auf die Seiten, spürte das Gewicht der Vergangenheit. ›Weil jemand den Bann brechen will. Den Bann, den mein Vater kannte.‹

Sie sagte leiser: »Weil der Kreis neu gezogen wird. Ein alter Zirkel, der seine Schulden eintreibt. Und diese Drinks sind nicht nur Gift. Sie sind Rituale. Jeder Schluck bindet das Opfer an ein Muster, das größer ist, als wir sehen.«

Hayes verschränkte die Arme. »Ein geheimes Netzwerk.«

»Mehr als das.« Sie hob den Blick. »Ein Zirkel, der mitten in dieser Stadt lebt. Und er benutzt Orte, die niemand hinterfragt. Bars, Cafés, Restaurants – Plätze, an denen jeder ein Getränk annimmt, ohne darüber nachzudenken.«

Sein Blick verdunkelte sich. »Also kann jeder das nächste Ziel sein.«



»Nein«, erwiderte sie. »Nicht jeder. Nur die, die Teil dieser alten Schuld sind.«

Sie zog einen weiteren Zettel hervor, eine Liste von Namen, die sie in den alten Akten gefunden hatte. Einige waren durchgestrichen. Zwei markierte sie rot – die beiden Toten.

»Es sind mehr«, sagte sie leise. »Noch mindestens zehn Nachkommen leben in London. Und wenn ich richtig liege, wird jeder von ihnen sterben, bis der Bann gebrochen ist.«

Hayes trat näher, stand nun direkt vor ihr. »Und was passiert, wenn der Bann bricht?«

Truly schloss die Augen. ›Dann wird die Tür geöffnet. Die Tür, die mein Vater fürchtete.‹

Sie zwang sich, ihn anzusehen. »Dann wird etwas zurückkehren, das niemals frei sein dürfte.«

Er sah sie an, als wolle er zwischen ihren Worten lesen. Schließlich nickte er knapp. »Dann müssen wir sie finden. Bevor es soweit ist.«

Truly nickte, doch ihr Inneres schrie. Denn tief in ihrem Herzen wusste sie: Der Zirkel suchte nicht nur Nachkommen der Richter. Sie suchten nach ihr.

Und irgendwann würde auch ihr Name auf der Liste stehen.

Der Regen draußen prasselte stärker, wie Applaus für ein Stück, das schon längst begonnen hatte. Hayes ging zurück ans Fenster, während Truly auf die Liste starrte.

›Der Kreis schließt sich‹, dachte sie. ›Und ich stehe darin.‹

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