Zickenkrieg im Zauberkurs
Der Zauberkurs, der offiziell „Grundlagen der Transfiguration“ hieß, war der Lieblingskurs der meisten Schülerinnen. Hier lernten sie, wie man Objekte verwandelte, Elemente manipulierte und, inoffiziell, wie man den Status quo mit kreativen Gimmicks sprengte. Der Kurs wurde von Professorin Mirabel Roth geleitet, einer eleganten Frau mit silbernem Haar und einem Hang zu exzentrischen Hüten. Sie liebte die Freiheit der Magie – und reagierte allergisch auf Regeln. Das war ihre Stärke, aber auch ihre Schwäche.
Miss Poppins betrat den Raum zwanzig Minuten nach Kursbeginn. Sie hatte die Tür geöffnet, um eine Routinekontrolle durchzuführen, und fand stattdessen den Inhalt eines Drama-Seminars vor. Zwei Gruppen von Schülerinnen standen sich gegenüber: eine mit funkelnden Haarspangen und sanften Pastellkleidern, die andere mit dunklen Umhängen und blitzenden Stiefeln. Zwischen ihnen schwebten zwei Katzen – eine rosa und glitzernd, die andere tiefschwarz und rauchend. Die Katzen knurrten sich gegenseitig an, während ihre Besitzerinnen ebenso wirkungsvoll hisselten.
„Wiederholen wir noch einmal die Definition von ‚Zusammenarbeit‘“, sagte Elara trocken, als sie die Stufe herunterging. „Das hier sieht aus wie ein Pitch für eine Reality-Show.“
Professorin Roth wirbelte zu ihr herum. „Miss Poppins! Gut, dass Sie da sind. Ich habe nur kurz den Raum verlassen, um einen seltenen Kristall zu holen, und als ich zurückkam, war aus dem Unterricht eine …“ Sie suchte nach Worten. „… Gruppendynamik der besonderen Art geworden.“
„Das ist kein Gruppendynamikseminar, sondern ein Zickenkrieg“, flüsterte der Regenschirm in Elara Poppins’ Ohr. „Ich habe das Gefühl, ich sollte Popcorn zaubern.“ „Lass es“, murmelte Elara. Sie legte den Schirm auf einen Tisch und verschaffte sich einen Überblick.
„Also“, wandte sie sich an die Klasse, „wer kann mir in klaren, strukturierten Sätzen erklären, was hier passiert ist? Bitte eine Sprecherin pro Gruppe.“
Ein Mädchen mit pinken Locken hob die Hand. „Ich bin Chloe. Wir haben an einem Beautify-Zauber gearbeitet, um bei der Abschlussfeier zu glänzen. Aber diese hier“ – sie deutete auf ein Mädchen mit schwarzem Lippenstift – „hat einen Verdunklungszauber über uns gesprochen, und dann sind unsere Charm-Armbänder explodiert!“
„Unverschämt“, fauchte das Mädchen mit dem schwarzen Lippenstift. „Ich bin Raven. Wir wollten nur unseren Schattenzauber testen, und die Beauties haben uns ausgelacht. Dann haben sie diesen Glitzer überall verteilt, und jetzt glitzert mein ganzer Mantel. Das ist Sabotage!“
Ein leises Lachen ging durch die Klasse. Elara hob die Hand. „Stopp. Lachen gehört nicht zum Lösungsprozess. Wir befinden uns in einer Konfliktsituation, die aus zwei verschiedenen Magie-Ansätzen resultiert: Verschönerung versus Verdunkelung. Mirabel, warum gibt es zwei so konträre Projekte zur selben Zeit?“ Professorin Roth wich ihrem Blick aus. „Weil ich … Flexibilität fördern wollte. Die Schülerinnen sollten ihre Kreativität ausleben.“
„Kreativität ohne Grenzen führt zu Konkurrenz, nicht zu Kollaboration“, antwortete Miss Poppins. „Und Konkurrenz ohne Regeln führt zu …“
„… Zickenkrieg“, vollendete der Regenschirm triumphierend. Elara ignorierte ihn. „Kommen wir zu den Grundlagen: Bevor wir in die Transformation gehen, etablieren wir Grundregeln des Kursraums. Regel eins: Kein Zauber gegen andere Personen oder deren Besitztümer. Regel zwei: Respektiert den Raum und die Materialien. Regel drei: Kooperationsbereitschaft. Und jetzt zurück zur Situation: Chloe, Raven – könnt ihr eure Ziele ausdrücken?“
Chloe straffte die Schultern. „Wir wollten ein magisches Accessoire entwickeln, das uns selbstbewusster macht. Wir nennen es den Glitzer-Amplifier.“ Raven nickte. „Wir wollten einen Umhang erschaffen, der uns unsichtbar macht, damit wir uns konzentrieren können, ohne von glitzernden Lichtern abgelenkt zu sein.“ Miss Poppins wandte sich an die Klasse. „Zwei Projekte mit zwei unterschiedlichen Zielen. Der Konflikt entsteht, weil ihr beides gleichzeitig und ohne Absprache ausführt. Hier kommen wir ins Projektmanagement: Ihr braucht klare Projektphasen, definierte Räume und gegenseitige Abstimmung. Also: Ab sofort plant ihr eure Projekte wie ein professionelles Team.“ „Wir sind keine Managerinnen“, protestierte Raven. „Aber ihr seid Zauberinnen“, sagte Elara. „Und Zauberinnen benötigen genauso Prozesse wie Managerinnen. Das nennt sich ‚Magie-Management‘. Professorin Roth, Sie werden ab jetzt einen Stundenplan für die unterschiedlichen Projekte erstellen und Teams definieren. Jedes Team dokumentiert seine Fortschritte in einem Logbuch, das wöchentlich reviewt wird. Und – wichtig – ihr plant regelmäßige Feedback-Sessions mit euren Stakeholdern, also euren Klassenkameradinnen.“
Roth nickte. „Das klingt … strukturiert.“ „Es ist strukturiert“, erwiderte Miss Poppins. „Zudem empfehle ich einen Kurs in Konfliktkompetenz. Wir werden ein Rollenspiel machen, in dem Chloe und Raven ihre Perspektiven tauschen. Das fördert Empathie. Ihr werdet sehen: Wenn ihr versteht, warum eure Gegenpartei handelt, fällt es euch leichter, kooperativ zu sein.“ „Und was ist mit dem Glitzer und dem Dunkelheitsmantel?“, fragte Chloe skeptisch. „Ihr bekommt beide Projektteams ihre eigenen Laborzeiten“, erklärte Elara. „Team Glitzer experimentiert vormittags, Team Schatten nachmittags. Die Katzen werden entzaubert und in den normalen Zustand versetzt. Und der Raum wird gereinigt. Professorin Roth, Sie tragen die Verantwortung für die Einhaltung dieser Rahmenbedingungen.“
Roth nickte. „Verstanden.“ „Und was, wenn sich jemand nicht an die Regeln hält?“, fragte Raven herausfordernd. „Dann tritt Regel vier in Kraft: Eskalation an Miss Poppins“, sagte Elara ruhig. „Ich vergesse nie einen Vorfall, und ich reagiere immer. Wir definieren Konsequenzen, bevor sie eintreten.“
Die Klasse murmelte. Chloe und Raven schauten sich an. Schließlich reichte Raven Chloe die Hand. „Frieden?“ „Frieden“, antwortete Chloe zögernd. Sie lächelten einander an – ein kleiner Schritt, aber ein wichtiger. „Der Zauberkurs ist gerettet“, flüsterte der Regenschirm dramatisch. „Schade, ich wollte ihre Katzen adoptieren.“
Elara beugte sich zu ihm. „Konzentriere dich auf deine Aufgabe. Wir sind hier, um Mehrwert zu schaffen, nicht um Zoos zu eröffnen.“ „Ich schaffe Mehrwert mit Kommentaren“, protestierte der Schirm. „Und ich schaffe Struktur mit Regeln“, konterte Elara. „Jeder nach seinem Mandat.“
Am Ende des Unterrichts war der Raum geordnet. Die Glitzerreste wurden in kleine Phiolen gefüllt, die später in der Bibliothek als Buch-Lesezeichen dienen sollten. Der Dunkelheitszauber wurde neutralisiert. Die Schülerinnen hatten eine Lektion gelernt: Kreativität braucht Rahmenbedingungen. Und Miss Poppins und Professorin Roth hatten zum ersten Mal gemeinsam eine kooperative Lösung erarbeitet.
Professor Hart tauchte am Türrahmen auf, als Elara ihre Tasche schloss. „Ich habe nur zugeschaut“, sagte er. „Das war ein beeindruckender Zickenkrieg.“ „Und eine beeindruckende Aufräumaktion“, erwiderte Miss Poppins. „Magie und Management – eine unterschätzte Kombination.“ „Ich mag Magie immer noch nicht“, gestand Hart. „Aber ich gebe zu: Es ist faszinierend, wie Sie sie bändigen.“ „Vielleicht werden Sie sie nie lieben“, antwortete Elara, „aber Sie werden sie respektieren. Und das ist der erste Schritt zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit.“
Der Regenschirm seufzte theatralisch. „Und vielleicht werde ich nie schweigen.“ „Das weiß ich schon“, sagte Miss Poppins. „Aber wir arbeiten daran.“

































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