Askan-Kapitel 20

Naoki spannte sich an, als sie schließlich das Schloss betraten. Die Vorhalle war gesäubert und überall brannten kleine Feuer in Schalen, um die Halle zu erleuchten.
Die großen Fenster waren geöffnet, sodass genug Licht hineinkam. Dieses schimmerte an den goldenen Ornamenten an der Decke und den Wänden. Trotzdem war die Halle eher schlicht und in Naokis Augen sehr geschmackvoll. Sie fühlte sich hier wohler, als sie angenommen hatte. Im Gegensatz zu ihrem alten Zuhause war dieser Bereich nicht überladen und trotzdem repräsentativ.
Naoki bemerkte, dass alles alt, aber gut gepflegt war. Wenn sie sich richtig erinnerte, dann hatte Seolan ihr erzählt, dass das Schloss zwar gepflegt wurde, aber nicht mehr bewohnt war. Das hatte er jetzt geändert.
Überall huschten Diener herum.
Man hatte sie nicht erwartet, denn als sie plötzlich in der Halle standen, wichen die Diener überrascht aus, verbeugten sich kurz und machten dann weiter.
Naoki störte das nicht. Es fühlte sich gut an, nicht angestarrt zu werden. Sie brauchte keine Aufmerksamkeit. Immerhin war sie nur hier, um ihrer Arbeit nachzugehen.
Erst, als Seolan auf der Galerie erschien.
Naoki hob den Kopf und blickte zu dem Geländer in der zweiten Etage. Die Eingangshalle war sehr hoch und so gebaut, dass es Treppen gab, die direkt in die zweite Etage führte. Alles wirkte sehr modern und nicht so, wie Naoki es kannte.
Seolan machte eine Handbewegung zu zwei Dienerinnen, die sich verneigten und sofort nach unten gelaufen kamen. Vor Naoki und Reolan knicksten sie.
Der Drachenkönig neigte kurz zur Begrüßung den Kopf. Allerdings in Seolans Richtung, nicht in die der Diener. Er wusste sehr gut, dass er diese lieber nicht direkt ansehen oder ansprechen sollte. Menschen hatten Angst vor ihm.
Naoki gab sich Mühe, nicht zu knicksen. Sie war eigentlich immer mit den Dienern zuhause befreundet gewesen, doch hier war das unangebracht.
»Willkommen«, grüßten beide.
»Bitte folgt uns, wir bringen Euch in das beheizte Arbeitszimmer.«
Naoki musterte die Frau, die klein und pummelig war. Sie wirkte in ihrer Kleidung mehr wie eine Köchin und nicht so ganz wie eine Kammerdienerin.
Da sich Seolan entschieden hatte, möglichst wenig Diener einzustellen, waren die meisten hier nur für eine kurze Zeit da, um das Schloss auf Vordermann zu bringen. Nuadi war jedoch eine Dienerin, die länger hierbleiben und sich später um die Küche kümmern würde.




Reolan und Naoki wurden hinaufgeführt und dann in einen Raum, der recht klein, dafür aber kuschelig warm war.
Im Kamin brannte ein Feuer und es gab neben einem Schreibtisch eine kleine Sitzecke. Auf dem Tisch standen Getränke und Gebäck.
»Solltet Ihr etwas benötigen, werde ich vor der Tür warten«, erklärte die junge Frau, die Nuadi begleitet hatte.
Terna war erst neu in diesem Gebiet, doch ihre Mutter hatte ihr viel darüber beigebracht, wie sie einen großen Haushalt zu führen hatte, weshalb sie recht schnell zur Haushofmeisterin dieses Schlosses hochgearbeitet. Das machte sie zur Anführerin der Dienstmädchen.
Seolan nickte ihr zu und deutete Reolan und Naoki dann, sich niederzulassen.
Als sie saßen goss Reolan Naoki ein Glas Wasser ein. Diese nahm es und trank einen Schluck. Noch immer fühlte sie sich nervös und unruhig, doch dadurch, dass sie unter sich waren, wurde es besser.
»Wir haben das Schloss in Bereiche einteilen lassen, so wie du es wolltest«, bemerkte Seolan, der gleich zur Sache kommen wollte. Es gab noch sehr viel zu tun.
Naoki nickte. »Habt Ihr das Problem lösen können, wie die Menschen hierherkommen?«, fragte sie, denn das war noch ein Punkt, bei dem sie sich nicht hatten einigen können.
Für die Menschen aus weit entfernten Dörfern wäre es zu schwer hierherzukommen. Gerade, wenn sie krank waren. Die Reise konnte mehrere Wochen dauern und bis dahin war es zu spät.
»Moran hat eine Transportmöglichkeit erfunden, mit der wir die Menschen herfliegen können, ohne mit ihnen in Kontakt zu kommen«, erklärte Seolan, der zufrieden nach seinem Glas Wein griff.
Obwohl sie dieses Getränk auch in den Bergen hatte, war es doch etwas anderes, es hier zu trinken. Er hatte das Schloss und die damit einhergehenden Aufgaben vermisst.
»Das ist gut«, erwiderte Naoki, die leicht lächeln musste.
Moran war der Schmied der Drachen und dazu noch ein begnadeter Handwerker. Er war es auch gewesen, der darauf bestanden hatte, ihr einen Satten für ihre Flüge mit Reolan anzufertigen. Dieser war fast fertig, da die Transportmöglichkeiten für die Menschen Priorität hatten.
»Jedes Dorf bekommt die Anweisung die Infizierten an einem bestimmten Tag in die großen Körber zu bringen, sodass ein Drache, der die Körbe mit den Krallen packen kann, sie dann hierherbringt. Durch die Flugzeit von einem halben Tag bis zur Grenze des Kontinents wird es nicht zu lange dauern«, erklärte Seolan, der sich nun zurücklehnte.




Naoki seufzte erleichtert. »Ich hatte wirklich schon Angst, dass wir die entfernten Gebiete auslassen müssen.«
»Wir haben allerdings das Problem, dass Ubasor nicht mitmacht«, bemerkte Reolan, der seinen Mund verzog. »Sie sagen zwar, dass es in ihrem Gebiet keine Infizierten gibt, aber so wirklich glauben kann ich das nicht.«
Naoki blickte von Reolan zu Seolan und wieder zurück. Dabei war ihr Blick fragend, denn sie hörte das erste Mal von Ubasor.
Dass damit ein Teil des Kontinents Askan gemeint war, das nicht unter Seolans oder Reolans Herrschaft stand, wusste sie nicht. Allerdings schwiegen die beiden Drachen dazu, sodass sie erst einmal auch keine Antwort erwarten konnte.
Daher lehnte sich Naoki zurück, genoss das Getränk und ruhte sich aus, wie Reolan sie gebeten hatte.
»Du solltest etwas Essen«, meinte Reolan, der ihr ein Stück Gebäck vor den Mund hielt.
Naoki öffnete überrascht ihre Augen und sah es an, bevor sie es mit den Fingern nahm und Reolan ein Lächeln schenkte. Er kümmerte sich immer sehr gut um sie.
Reolan rief sich immer wieder ins Gedächtnis, dass sie ein Mensch war und daher mehr Ruhe und Nahrung brauchte, als er. Für Seolan war der Umgang mit Menschen natürlicher und er vertraute darauf, dass Naoki wusste, wann sie etwas brauchte. Dennoch hielt er Reolan nicht zurück.
Er verstand sehr gut, warum der Drachenkönig so auf diese Frau reagierte und sich so um sie kümmerte.
Für Reolan war Naoki eine zweite Chance und eine Widergeburt seiner Mutter. Einer Frau, die er sehr verehrt hatte. Das bemerkte man in der Art, wie er mit Naoki umging.
»Wann fangen wir an?«, fragte Naoki, während sie ein weiteres Stück Gebäck nahm.
»Sobald du dich kraftvoll genug fühlst«, bemerkte Seolan, denn alles war schon vorbereitet.
»Ich würde gern mit der stärksten Infektion anfangen, um zu testen, ob es doch heilbar ist«, entschied Naoki ernst. Von diesem Wunsch würde sie nicht abweichen, auch wenn die Männer ihr mit ihr Blicken deutlich zu verstehen gaben, dass sie es nicht fanden.
Seolan wollte etwas sagen, doch schwieg. Er sah zu Reolan, der angespannt aussah. »Gut, aber nur einmal. Wenn es nicht geht, ruhst du dich gut aus und machst erst einmal die anderen«, sagte er ernst. »Wenn es darum geht, dann geht hier Masse vor Klasse. Es ist wichtig, dass dir überleben, die eine Chance hast«, bestimmte er, wobei seine Stimme nicht zuließ, dass widersprach.




Naoki setzte trotzdem dazu an, entschied sich dann aber um. »In Ordnung.« Leider musste sie zugeben, dass er recht hatte.
Es war wichtiger viele Leben zu retten, statt sich auf wenige zu fokussieren, bei denen kaum eine Chance auf Genesung bestand.

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