Kapitel 10

Jeder Schritt, den sie hinter dem Highlord tat, fühlte sich an, als würde sie einen Schritt näher an ihr Grab treten. Als würde sie in ihr eigenes Todesurteil laufen, auch wenn sie nicht ganz wusste, wieso. Sie folgte ihrem Gebieter durch mehrere Gänge, bis sie sogar den Harem verließen und in einen anderen Teil des Palastes gelangten, den Lilitha noch nie gesehen hatte. Dort bog der Highlord in einen Gang, der komplett leer war. Er öffnete eine Tür und trat ein.
»Zieh das an«, befahl er und reichte Lilitha einen dunklen Umhang und ein Tuch, welches sie außerhalb vor dem Gesicht tragen sollte. Auch er nahm einen Umhang und ein Tuch, das sein Gesicht bedeckte. Es würde kein offizieller Besuch werden. Daher musste er unauffällig bleiben.
Lilitha hüllte sich in den gewöhnlichen Umhang, der in der Menge wohl untergehen würde, ebenso wie der des Herrschers. Auch das Tuch zog sie sich vors Gesicht, wie es ihr aufgetragen wurde.
»Bleib neben mir und verhalt dich ganz normal. Wir werden nur auf einen Markt gehen und uns ein wenig umsehen«, erklärte er beim Anziehen und ging schließlich auf eine geschlossene Tür zu, ehe er davor innehielt und sich nochmal zu ihr umdrehte. »Dieser kleine Ausflug bleibt unter uns, ist das klar?«
»Ja, Herr«, antwortete sie, auch wenn es mehr einer Frage glich.
Der Blonde lächelte und nickte. Wenn er unentdeckt bleiben wollte, dann war Herr die bessere Anrede. Highlord fiel zu sehr auf. Sie schien es verstanden zu haben, wenn sie Mylord gegen Herr eintauschte. Ein schlaues Mädchen. Was Chiana nur gegen sie hatte? Wortlos drehte er sich um und stieß eine Tür auf, die in einen Hinterhof führte.
Anscheinend waren diese Gänge nur für Bedienstete da, die ein und aus gingen. Denn mehr als andere Personen mit denselben Gewändern, die auf ein großes Tor zusteuerten oder daraus kamen, konnte Lilitha nicht ausmachen. Außerdem wurden sie weitgehend ignoriert.
Wie es der Herrscher verlangt hatte, hielt sie sich dicht bei ihm und gemeinsam folgten sie einem gewundenen Weg hinunter zur Stadt. Es war kein Hauptweg, wie dieser, der vom Haupteingang des Palasts direkt zur Stadt führte. Dieser hier war schlicht und von vielen Pferdekutschen ausgetreten. Wahrscheinlich nur für Lieferanten.
»Warum tut ihr das, Herr?«, traute sich Lilitha zu fragen, weil sie allein auf der Straße waren. Außerdem überlegte sie, ob sie diese Möglichkeit nutzen und fliehen sollte. Nur wusste sie nicht, wohin. Und sie war sich sicher, dass er sie gehen lassen würde, wenn sie das wünschte. Auch wenn sie nicht wusste, warum.
Überrascht wandte er seinen Blick zu ihr, da sie so lange geschwiegen hatte.
»Was meinst du?«, fragte er ein wenig irritiert und runzelte die Stirn. Er lief jedoch den unebenen Weg einfach weiter, ohne hinzusehen, als würde er inzwischen jedes Hindernis mit verbundenen Augen überwinden können.
»Warum diese Heimlichtuerei?«, fragte sie leise, ermahnte sich aber fast gleichzeitig in Gedanken, dass es sie nichts anging. Und dass sie gar nicht das Recht besaß, so mit ihm zu sprechen. Dennoch hatte sie es nun einmal getan und er hatte sie gefragt. Ihr Herr seufzte und wandte sich wieder geradeaus, um in die Stadt zu blicken, die man bereits in der Entfernung sehen konnte.
»Es ist zu gefährlich für mich, mich draußen rumzutreiben. Sergej macht sich zu viele Gedanken über potenzielle Gefahren«, erklärte er augenrollend und blieb an einem Baum stehen, der die Straße blockierte, um diesen für spätere Kutschen aus dem Weg zu räumen. »Außerdem gibt es in der Stadt, im Gegensatz zu außerhalb, mehrere, die mein Gesicht kennen. Jedenfalls diejenigen, die während einer öffentlichen Audienz kommen, um sich über alles Mögliche zu beschweren«, fügte er hinzu und klang dabei genervt über diese Vorstellungen.
»Ich verstehe«, sagte Lilitha langsam. »Also seid auch Ihr in einem goldenen Käfig gefangen«, murmelte sie leise und zog ihr Gesichtstuch zurecht. Sie wollte nicht, dass es ihr von dem leichten, aufkommenden Wind weggeweht wurde. Es reichte schon, dass dieser ihr unter den Umhang fuhr und eine Gänsehaut hinterließ. Immerhin war es Mitte Herbst.
Sie hörte ein leises Lachen zu ihrer Rechten und schielte automatisch zu ihrem Herrscher, doch sein Gesicht war noch immer von dem Tuch verhüllt.
»Ich würde es nicht all so dramatisch darstellen, aber ja, ich habe nun mal gewisse Verpflichtungen«, korrigierte er sie und lief weiter, nachdem das Hindernis aus dem Weg geräumt war.
»Ein Käfig kann nicht nur einsperren, er kann auch schützen«, meinte sie langsam und lief weiter ein Stück hinter ihm. Allerdings nicht so weit, wie es die Regeln wollten. Das wäre zu offensichtlich gewesen. Und ihr Gebieter versuchte unentdeckt zu bleiben, also musste sie ihm seinen Wunsch erfüllen. Zusätzlich versuchte sie sich ein wenig von der Tatsache abzulenken, dass Chiana ihr wohl die Haut abziehen würde, nachdem sie von ihr getrunken hatte.
»Das stimmt. Nur braucht selbst ein Vogel mal Ausflüge. Ich habe es satt, immer dieselben Wände zu sehen. Früher bin ich auch durch Straßen gerannt und keinen hat es interessiert. Doch sobald man auf dem Thron sitzt, ist man eine laufende Zielscheibe«, erklärte er und wurde immer leiser, als der Weg schmaler wurde, da mehrere Häuserwände die Wege säumten und von einer Gasse zu einer Straße führten. Es war ein ruhiger Tag in der Stadt. Kein Markttag. Nur manche der Stände, die sowieso immer ihre Waren verkauften, waren geöffnet.
Lilitha hielt sich dicht an ihrem Herrn, während sie die Atmosphäre der Stadt aufnahm. Es gab zwar recht viele Vampire, doch die meisten Bewohner gehörten anderen Rassen an. Was schade war, denn früher hatte es hier fast nur Artgenossen gegeben.
»Haben wir ein bestimmtes Ziel?«, wollte Lilitha leise wissen, da sie sich nicht vorstellen konnte, dass der Highlord einfach nur so durch die Stadt schlendern wollte.
»Ein Stand«, war die kurze Antwort, die er gab und tauchte in die lückenhafte Menge ein.
Als einige Stadtwachen an ihnen vorbeikamen, schielte sie ein wenig unsicher zu ihrem Begleiter, der sie an ihrem Arm zu sich zog. Ansonsten lief er jedoch ganz normal weiter. Senkte weder den Blick, noch zog er seine Kapuze tiefer ins Gesicht.
Obwohl Lilitha den Blick die ganze Zeit gesenkt hatte, beobachtete sie den Highlord doch aus dem Augenwinkel. Ein Stand also. Die Rothaarige war wirklich neugierig, um welche Art Stand es sich handelte, doch sie traute sich nicht zu fragen. Sie würde es wohl oder übel erfahren, denn wenn er mehr preisgeben wollte, hätte er es sagen können. Jedoch schien er es nicht eilig zu haben, sondern spazierte langsam über die Wege und hielt ab und an auch an einem Stand an. Wieder blieb er an einem Obststand stehen und begutachtete einige frische Äpfel.
»Möchtest du was?«, bot er ihr an und blickte zu ihr, als er ihr einen Apfel entgegenhielt. Lilithas Augen wurden groß. Als hätten sie nicht im Palast genug Äpfel. Aber dieser hier war nicht geschält und sah wunderbar saftig aus.
»Sehr gern«, erwiderte sie mit leiser Stimme.
Vorsichtig nahm sie das Obst entgegen und musterte es, als hätte sie noch nie einen Apfel gesehen. Der Highlord bezahlte den Verkäufer und bedankte sich höflich. Sorglos zog er sich den Schal unter sein Kinn und biss hinein.
»Hier ist das ärmere Stadtteil, hier wird mich keiner erkennen«, erklärte er leise und mit vollem Mund, als die Straßen und auch die Leute immer düsterer wurden. Als Lilitha nach oben blickte, sah sie auch den Grund für das gedimmte Tageslicht. Zwischen den Bauten der Hauswände waren bunte Leinentücher aufgehängt worden. Vermutlich, um sie zu trocknen.
»Ich verstehe«, murmelte Lilitha leise. Sie hielt ihren Apfel weiterhin in der Hand und traute sich nicht, ihr Tuch abzunehmen. Denn anders als ihren Gebieter würde man sie hier sicherlich wiedererkennen. Immerhin hatte sie das letzte Jahr hier verbracht. Auf der Suche nach Nahrung und Unterschlupf. Wie eine streunende Katze, weshalb sie auch den Spitznamen Kätzchen von den Banden der Stadt erhielt. Ihr Orientierungssinn war nicht sonderlich gut, daher war sie sich nicht ganz sicher, in welchem Stadtteil und welchem Revier sie sich gerade befanden. Dennoch reichte das Wissen, dass Lilitha in eine andauernde Anspannung fiel.
»Du bist nicht gezwungen, etwas von mir anzunehmen«, sagte er nun und sorgte so dafür, dass Lilitha sein Gesicht zu ihm drehte. Seine braunen Augen musterten bedenklich den Apfel in ihrer Hand als er erneut in seinen eigenen biss.
»Das ist es nicht«, versicherte sie leise, ehe sie schnell das Tuch zur Seite zog, in den Apfel biss und es sich wieder vors Gesicht zog. Ihr Blick war dabei auf ihre Umgebung gerichtet, denn sie ahnte, dass sie aufgrund der Äpfel, die als Statussymbol galten, bereits im Visier der Straßenbanden lagen. Schon damals hatte Lilitha erfahren müssen, dass diese nicht davor zurückschreckten, junge und hübsche Frauen an Sklavenhändler zu verkaufen. Selbst, wenn diese Frauen aus ihrer eigenen Mitte stammten.
»Du wirkst sehr angespannt«, stellte er fest und richtete seinen Blick wieder auf den Weg, als er wieder langsamer wurde und an einem Stand zum Stehen kam, der Schmuck verkaufte. Prüfend nahm er einige der Armreifen in die Hand, um sie zu mustern, schien aber immer noch auf eine Erklärung seitens Lilitha zu warten.
»Hier gibt es viele Straßenkinder«, sagte Lilitha, als würde das alles erklären, während ihr Blick weiter über die Umgebung glitt. Im Moment konnte sie drei sehen, die sich in den Straßen versteckten und auf ihre Gelegenheit warteten. Allerdings hatten sie nicht den Highlord und sie im Blick. »Sie sind dafür bekannt, junge Frauen als Sklaven zu verkaufen«, fügte sie an und nahm einen weiteren Bissen ihres Apfels, den sie sichtlich genoss.
»Du bist hier aufgewachsen?«, fragte der Highlord überrascht und ließ seinen Blick ruckartig zu ihr gleiten. Wieder musterte er sie eindringlich, als würde er sie gar nicht mit dieser Gegend in Verbindung bringen können. Zögernd wandte er seinen Blick wieder von ihr ab und legte einen silbernen Armreif aus seiner Hand, um einen anderen zu begutachten. Er war zwar nur vergoldet, dennoch waren die Verzierungen schmeichelhaft, aber nicht zu verspielt.
Die Stücke, die hier ausgestellt waren, waren nicht von so hoher Qualität und doch mussten die Wachen, die hier vorbeikamen, immer wieder ein Auge auf den Stand werfen. Sie positionierten sich sogar oft sehr nah, um ihn beobachten zu können, als würden sie ihn als Lockvogel für die Räuber und Diebe einsetzen.
»Ein paar Jahre. Nach dem Tod meiner Eltern kam ich in ein Waisenhaus, aber im Dorf war ich nicht erwünscht«, erklärte sie, während ihr Blick sich scheinbar ins Nichts richtete. Noch immer konnte sie vor ihrem inneren Auge sehen, wie die Leute sie anstarrten und verfluchten. »Ich hatte solche Angst, dass ich irgendwann aus dem Dorf geflohen und hier in der Stadt gelandet bin. Danach habe ich versucht irgendwie über die Runden zu kommen und habe mich diversen Kinderbanden angeschlossen. Bei der letzten hatte ich nicht so viel Glück. Sie waren der Ansicht, ich wäre zu schön und entschieden sich dazu, mich an die Sklavenhändler zu verkaufen«, erzählte sie weiter, wobei ihre Stimme immer leiser und tonloser wurde. Der Verrat saß tief und sorgte dafür, dass ihr Herz noch immer schmerzte. Obwohl sie wusste, dass auf der Straße jeder für sich selbst kämpfte und versuchte zu überleben, hatte sie trotzdem auf ihren Freund vertraut.
»Welch grausame Art und Weise, einem Mädchen zu schmeicheln«, murmelte der Highlord bei ihrem letzten Satz. Es war nicht unüblich, dass viele Kinder ihre Familien überlebten und somit auf der Straße landeten. Nur gab es selten solche Fälle bei Vampiren. Da diese herrschende Rasse schon fast zur Seltenheit geworden war, waren die meisten Vampirfamilien adliger Natur und somit nicht in die Kriege involviert. Dennoch hatte es Adlige gegeben, die mit an der Front gekämpft hatten, wie der Highlord nur zu gut wusste. Vielen von diesen Helden verdankte er auch den Sieg. Doch kaum einer von ihnen war lebend zurückgekehrt.
»Die Vorsteher der Bordelle wollten mich nicht. Denen war ich zu jung und nicht ansehnlich genug, um das Risiko einzugehen, das Gesetz zu brechen. Denn wie Ihr sicherlich wisst, ist es verboten, Kinder in Bordellen feilzubieten«, sagte sie murmelnd und biss erneut in ihren Apfel. Er nickte zustimmend, wandte den Blick jedoch nicht von dem Armreif in seiner Hand ab.
»Ja, ich weiß. Es gibt aber immer welche, die sich über das Gesetz stellen. Oder besser gesagt, lügen manche und preisen sich vor den Wächtern als älter an«, gab er zu bedenken und drehte das Schmuckstück einige Male in seiner Hand. »Wie findest du den?«, fragte er letztlich und reichte den Armreif an Lilitha weiter, damit sie einen Blick darauf werfen konnte.
»Er ist schön filigran«, sagte sie und hielt ihn gegen das Licht. »Das Muster gefällt mir. Es wirkt verspielt«, fügte sie hinzu und reichte ihn wieder zurück. Sie selbst war kein Freund von Schmuck und trug am liebsten unauffällige Dinge, wenn sie denn überhaupt Schmuck trug.
Der Highlord seufzte, als wüsste er nicht wirklich, was er mit der Information anfangen sollte.
»Ich wollte Chiana etwas mitbringen, um sie ein wenig zu besänftigen, allerdings weiß ich gar nicht wirklich, was sie trägt«, gestand er und nahm den Armreif wieder entgegen, um ihn nochmals zu mustern.
»Aber ich weiß es«, sagte Lilitha leise und sah sich an dem Stand weiter um. »Hier werden wir allerdings nichts finden«, bemerkte sie und blickte dann die Straße entlang, die aus dem Viertel führte. »Dort hinten«, sagte sie, als sie einen weiteren Schmuckstand entdeckte.
Gemeinsam liefen sie darauf zu und entfernten sich so auch von der Gegend, die Lilitha einen Schauer über den Rücken laufen ließ.
Als sie ankamen, griff Lilitha sofort nach einem viel auffälligeren Armreif, der schon fast zu sehr den Blick auf sich zog. Nicht zuletzt wegen des großen Rubins, der in das dicke, aus Gold gefertigte Band eingelassen war. »Sie mag es auffällig, aber auch elegant. Allerdings denke ich, dass es ihr egal sein wird, solange das Geschenk von Euch kommt.«
Beeindruckt hob er die Brauen und nahm das Schmuckstück entgegen, um es zu mustern.
»Und sie meinte, du hättest nichts gelernt«, murmelte er und hob den Reif ein Stück hoch, damit der Verkäufer es sah und reichte ihm einige Goldstücke, um es zu bezahlen. »Möchtest du auch etwas?«, fragte er und packte das Geschenk unter seinen Umgang.
»Vielen Dank für das Angebot, aber wahrscheinlich werde ich keine Gelegenheit haben, etwas davon zu tragen«, sagte sie, aber an ihrer Stimme konnte er das Lächeln erkennen. Allein die Tatsache, dass er sie gefragt hatte, wärmte ihr irgendwie das Herz und machte sie glücklich. Generell fühlte sie sich hier in der Stadt, während beide so vermummt waren, unglaublich frei und unbekümmert. Es war, als könnte sie vergessen, dass er der Highlord und sie seine Dienerin war.
»Umso schöner ist es doch, etwas zu haben, wenn ein Moment kommt. Dann ist es wenigstens was Besonderes«, warf er fast schon charmant ein und richtete wieder seinen Umhang.
Lilithas Lächeln vertiefte sich, auch wenn der Blonde es nicht sehen konnte. »Sollte es irgendwann einen Moment geben, an dem ich ein Schmuckstück brauchen werde, werde ich sicherlich eines bekommen«, schwärmte sie leise und träumte von ihrer Hochzeit, die es so wohl niemals geben würde. Erneut biss der Highlord nach längerer Zeit wieder in seinen Apfel und schmunzelte.
»Und wenn es so einen Moment geben würde, was wäre das dann für ein Schmuckstück?«, fragte er stattdessen und nahm den Tisch wieder ins Visier, auf dem die verschiedensten Schmuckstücke lagen. Lilitha blickte ein wenig verwirrt zu ihm auf und lachte dann. Es war ein Geräusch, das dafür sorgte, dass er nicht anders konnte, als seinen Blick auf sie zu richten. Ihre goldenen Augen funkelten vor Freude.
»Ein Ring«, sagte sie, weil sie ihm eine Antwort schuldete. Doch näher ging sie nicht darauf ein.
»Für eine Ehe?«, fragte er lachend und setzte sich langsam wieder in Bewegung. Es schien schon beinahe ein sarkastisches Lachen zu sein, als würde er nichts von diesem Thema halten. Wieso auch? Ihm lagen alle Frauen zu Füßen, auch ohne eine bindende Ehe, die ihn natürlich aber nicht halten würde. Es war einem jeden gestattet, sich eine Liebhaberin zu nehmen, besonders dem Highlord. Monogamie war in einem Palast selten der Fall.
»Wenn ich mich jemals dazu entscheiden sollte, Schmuck zu tragen«, begann Lilitha und aß den letzten Rest ihres Apfels, ehe sie fortfuhr: »Dann wird das sowieso nur geschehen, weil ich jemanden damit eine Freude machen möchte, nicht weil ich ihn gerne trage«, erklärte sie, als wäre es völlig normal. Sie selbst war kein Freund von Schmuck, da sie fand, dass dieser ihr sowieso nicht stand.
»Und dabei dachte ich immer, Frauen lieben es, sich in Juwelen zu hüllen«, murmelte er lächelnd und senkte den Blick, ehe auch er seinen letzten Rest aß. Seufzend zog er das Tuch wieder zurück in sein Gesicht und bog in eine kleinere Gasse ein.
»Ich bin nicht käuflich«, war alles, was Lilitha dazu zu sagen hatte, ehe sie sich erneut in der Umgebung umsah. Hier gefiel es ihr nicht. Sie hatte gedacht, dass das Viertel der Straßenkinder sie abschrecken würde, doch das war recht harmlos gewesen. Lilitha hatte fest mit einem Zwischenfall gerechnet.
»Jeder hat seinen Preis. Es kommt nur darauf an, in was du rechnest«, warf er ein und bog in eine weitere Straße ein, die wieder ein wenig belebter war. Gleich noch an derselben Ecke betrat er ein offenes Zelt, in dem mehrere Schneider ihre Waren feilboten. Von perlenbestickten Schals bis hin zu Seidenmalereien. Neugierig geworden, blickte sich Lilitha um. Was wollte der Highlord denn hier?
Während die Rothaarige ihren Blick über das Sortiment schweifen ließ, behielt sie ihren Herrn allerdings im Auge. Was nicht hieß, dass sie einen Seidenschal, mit wunderschönen Schmetterlingen, nicht ausgiebig musterte. So einen hatte ihre Mutter getragen und ihr geschenkt. Doch er war abhandengekommen, als sie zu ihrem Großvater gezogen war.
Vorsichtig strich Lilitha über den weichen Stoff und schwelgte kurz in Erinnerungen. Er fühlte sich wunderbar an, als würde ein sanfter Wasserfall über ihre Hand laufen und ihre Haut umspielen. Es fühlte sich so wunderbar auf der Haut an. Doch es war ein sehr empfindliches Gewebe, sodass es schnell kaputtgehen konnte. Vor allem, wenn eine junge Vampirin es trug, die ihre Kräfte noch nicht ganz kontrollieren konnte. Seide war immerhin ein sehr fragiler Stoff und für jemanden der grobmotorisch veranlagt war, konnte das schnell fatale Folgen haben. Daher hatte sie nur ein einziges Mal etwas aus Seide getragen. Das war der Schal ihrer Mutter gewesen.
Wenn sie die Augen schloss und sich ganz fest konzentrierte, konnte sie sich sogar noch an den Geruch ihrer Mutter erinnern.
»Kann ich Euch helfen?«, fragte nun eine vorsichtige Stimme, die neben Lilitha auftauchte. Sie zuckte erschrocken zusammen und fuhr zu der Frau herum, die sie angesprochen hatte. Ihr hellblondes, fast weißes Haar fiel ihr zuerst auf. Sie kamen noch mehr zur Geltung durch ihre sonnengebräunte Haut, genauso wie ihre eisblauen Augen. »Wenn es Euch gefällt, könnt Ihr es anprobieren«, schlug diese vor und lächelte einladend, als sie das Kleid, welches Lilitha sich angesehen hatte, von der Halterung nahm, um es zu präsentieren. Lilitha wurde ein wenig rot um die Nase.
»Ich bin nur Begleitung, ich denke nicht, dass ich mir dieses Kleid leisten kann«, sagte sie schüchtern und ließ ihre Augen den Laden absuchen, doch von ihrem Gebieter war keine Spur mehr. Wo war er hin?
Lachend machte die Frau eine wegwerfende Handbewegung und schüttelte den Kopf.
»Probieren ist bei uns umsonst. Es wird Euch also nichts kosten«, erklärte sie und hielt verlockend das Kleid vor Lilithas Nase. Diese musterte es und wusste nicht so genau, wie die Verkäuferin sie dazu gebracht hatte, doch am Ende stand sie vor einem Spiegel, in einen Traum aus schwarz-roter Seide gehüllt, der sanft an ihr hinab glitt und sich anfühlte wie sanftes Wasser.
»Ihr habt eine schöne Haut und wunderbares Haar«, bemerkte die Frau, die Lilitha nachdenklich musterte. Zwar war es offensichtlich, dass diese ihr nur schmeichelte, in der Hoffnung etwas verkaufen zu können, doch hatte es doch etwas Schönes, so umgarnt zu werden. »In einiger Zeit wird auch Euer Körper dafür geschaffen sein, ein solches Kleid zu tragen«, fügte sie hinzu, weil sie bemerkt hatte, dass der Körper der Rothaarigen gerade dabei war, zu dem einer Frau zu werden. Und wahrscheinlich war Lilitha in Jahren gesehen sowieso älter als die Frau vor ihr.
Sie musterte Lilitha aus allen erdenklichen Perspektiven und trat letztlich von hinten an das kleine Podest, auf dem sie stand und raffte das Kleid an den Seiten ein wenig zusammen, damit es besser an ihren Rundungen lag. Vorsichtig stach sie einige Sicherheitsnadeln hinein, die sie an ihrem Hemd trug und zog es am Saum nochmal zurecht.
»Wenn Ihr möchtet, kann ich es Euch binnen zehn Minuten anpassen«, schlug sie vor und schien bereits passende Fäden auszusuchen.
»Es ist wirklich wunderschön, aber ich sagte bereits, dass ich es mir nicht leisten kann«, erklärte Lilitha ein wenig kleinlaut. Sie fühlte sich schlecht, weil sie der Verkäuferin Hoffnung gemacht hatte und weil sie das Kleid wirklich wunderschön fand.
Lilitha zuckte leicht zusammen, als der Vorhang zur Seite gezogen wurde und sie den Highlord im Spiegel hinter sich auftauchen sah. Empört trat die Schneiderin auf ihn zu und blickte ihn wütend an.
»Habt Ihr etwa keinen Anstand? Das Mädchen hätte nackt sein können!«, rief sie aus und schubste den sichtlich überforderten Mann raus, um die Vorhänge wieder zuzuziehen. Lilitha schluckte. Hatte diese Frau ihn wirklich gerade rausgeworfen?




























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