Kapitel 17

Der Tag neigte sich schon dem Ende, als sie es schaffte, den ersten Teil fast fehlerfrei zu tanzen.
Sie wirbelte gerade in einer schwierigen Bewegung herum, als sie blondes Haar sehen konnte. Ganz in ihrer Nähe.
Darüber so erschrocken setzte sie den Schritt falsch, verfing sich in ihrer Kleidung und landete mit einem leisen Aufschrei am Boden. Mit dem Gesicht zuerst.
Sie gab ein schmerzverzerrtes Grummeln von sich, als sie Schritte auf dem Boden vernahm.
»Alles in Ordnung?«, fragte die besorgte Stimme des Highlords, als sie auch schon spürte, wie zwei starke Hände sie auf die Beine zogen, als würde sie nur aus Luft bestehen.
Ein wenig überrumpelt von seiner plötzlichen Anwesenheit stolperte sie beinahe schon wieder nach hinten über ihre eigenen Füße, als er sie auch schon wieder festhielt und zurück in einen sicheren Stand zog.
Sollte sie knien? Aber er hatte sie immerhin hochgezogen. Was wurde jetzt von ihr erwartet?
Er musterte sie ein wenig skeptisch, als er ihr flüchtig über die Wange strich und ein Ahornblatt zu Boden segelte.
Auch wenn ihre Haare und auch ihre Kleider damit voll waren, würde sie sich dem wann anders annehmen müssen. Aber nicht jetzt!
»Mylord«, stammelte sie überrumpelt und senkte den Blick. »Vielen Dank. Ich bin so ungeschickt«, fügte sie hinzu.
»Ja, das bist du wirklich«, sagte er mit einem Schmunzeln in der Stimme, als er sich umdrehte und das Buch vom Boden aufhob. »Was hast du denn hier gemacht? Oder … versucht zu machen?«, fragte er ein wenig verwundert über ihre merkwürdige Darbietung, wenn auch neugierig.
»Tanzen«, antwortete sie und senkte betrübt den Blick. »Aber dafür bin ich wohl nicht geschaffen«, fügte sie ganz leise hinzu. Gott, war das peinlich!
Er begutachtete das Buch neugierig und blätterte es grob durch, um es zu überfliegen.
»Ich denke, man kann alles erlernen, wenn man es denn wirklich möchte«, warf er ein und überreichte ihr das Buch wieder, ehe er ihr mit einem Kopfnicken deutete ihm zu folgen.
Wie auch schon in der Stadt spazierte er über die Wiese, hin zu dem kleinen Pfad, der quer durch die Palastgärten führte.
Sein Tempo war ruhig und nicht so wie sonst, wenn er durch die Flure der Mauern stolzierte.
Das zeigte Lilitha, dass er die Natur ebenfalls mochte und genoss.
Stumm folgte sie ihm, denn hier hatte sie nicht das Recht, so ungezwungen mit ihm zu reden, wie in der Stadt.
Außerdem hielt sie den Kopf gesenkt und wartete darauf, dass er erklären würde, was er wollte.
Eine Weile lief er nur stumm voran, drehte sich jedoch einige Male zu Lilitha um, um sie zu mustern. »Ich wollte dich darum bitten, ob du mir eine entspannende Massage geben kannst«, sagte er nun doch und blickte sie fragend an.
Lilitha blinzelte. »Natürlich, wenn Ihr das wünscht«, erwiderte sie, als wäre es völlig normal. Dabei gehörte sie Chiana und er hatte genug Dienstmädchen, die ihn massieren konnten.
Womöglich hatte ihn der eingeklemmte Nerv von heute Morgen so sehr verschreckt, dass er sich nicht mehr in deren Hände traute. Allerdings glaubte Lilitha das eher weniger.
Als hätte ein solcher Herrscher Angst vor ein paar Dienstmädchen und Gliederschmerzen.
»Nur, wenn du nicht anderweitig beschäftigt sein solltest«, fügte er nun zögerlich hinzu und sah wieder nach vorne, als die Türen des Harems immer näherkamen.
»Ihr seid der Herrscher. Wenn Ihr etwas wünscht, werden alle anderen warten«, erklärte Lilitha das Offensichtliche. »Ich habe den Tag frei«, fügte sie hinzu.
»Nur, weil man etwas ausnutzen kann, muss man das doch nicht. Ich will dich nicht aus deinem geregelten Alltag reißen«, erklärte er und betrat den Flur des Harems, der in Richtung seiner Räume führte, um diesen entlangzulaufen.
»Ich habe keinen geregelten Alltag«, sagte sie und zuckte die Schultern. »Und selbst wenn … ich mag es nicht sonderlich, wenn alles in geregelten Bahnen verläuft.«
Der Highlord schmunzelte, jedoch weniger über die Blicke der anderen Haremsdamen, die ihn verfolgten, als mehr über Lilithas Bemerkung.
»Hast du Hunger?«, fragte er, als sie den Hauptteil des Harems verließen und den letzten Flur zu seinen Gemächern beschritten.
»Danke, ich habe erst gegessen, Mylord«, erklärte Lilitha ruhig und lächelte. Noch immer hatte sie den Blick gesenkt, aber ab und an traute sie sich aufzublicken.
Der Highlord war ganz anders, wenn sie allein waren. Das gefiel ihr. Es machte Spaß, mit ihm Zeit zu verbringen. Selbst wenn sie ihn nur massierte.
»Sehr gut«, seufzte er und stieß die Türen auf, um Lilitha eintreten zu lassen und sie hinter ihr wieder zu schließen. »Im Moment geht es mir zwar gut, aber ich gehe stark davon aus, dass ich morgen Muskelkater haben werde. Hast du da was?«, schilderte er ihr, während er bereits begann sich zu entkleiden.
Lilitha musste schmunzeln. »Da muss ich Euch leider enttäuschen, Mylord. Dagegen kann man nichts tun. Aber ich kann ihn sicherlich lindern«, sagte sie und fand die Frage irgendwie niedlich.
»Alles was du hast«, rief er nur, als er sich auch schon ins Bad begab und sie das Wasser plätschern hörte.
Sollte sie ihm helfen? Er hatte sie lediglich um eine Massage gebeten. Doch sie war noch immer ein Dienstmädchen, welches für solche Belange zuständig war.
Das war eine schwierige Frage und Lilitha entschied sich dazu einfach zu warten. Er hatte sie nicht darum gebeten, ihm zu folgen und ihn nackt zu sehen war ihr auch nicht gestattet. Also nutzte sie die Zeit, die Kräuter zusammenzurühren, die ihm helfen würden.
Es dauerte nicht lange, als er auch schon wieder rauskam und sich an den Rand des Bettes setzte.
»Dieser Tanz, den du gemacht hast, ist der für die Feier?«, fragte er nun, während er seine Haare noch halbherzig gegen ein Handtuch rieb.
Lilitha zögerte. »Na ja, ich weiß nicht genau, was das für ein Fest ist. Ich habe einige Frauen darüber reden hören«, sagte sie und zog mehrere glatte Kiesel aus einer ihrer Taschen und legte sie in eine Schüssel mit heißem Wasser.
Der Highlord seufzte nur und verdrehte die Augen, als er aufstand und zu der kleinen Sitzecke ging, um sich eine Birne aus dem Obstkorb zu nehmen, der auf dem Glastisch stand.
»Nur so eine Art Ereignis, das alle paar Monate stattfindet. Damit die Frauen eine Gelegenheit haben, einen anderen Rang zu bekommen«, erklärte er, als wäre er nicht sonderlich begeistert davon und biss in die Frucht. »Aber eigentlich ist es nur ein Vorwand meiner Mutter, damit ich mehr Zeit mit den Haremsdamen verbringe«, fügte er hinzu und trat hinter Lilitha, um ihr über die Schulter zu sehen.
Sie erwärmte die Steine und fügte einige Kräuter hinzu, die sie als Unkraut zwischen den Blumen gefunden hatte. »Vielleicht möchte Eure Mutter nur, dass Ihr nicht so oft allein seid«, riet sie, da sie bemerkt hatte, dass der Highlord nur selten in Begleitung war.
»Ich bin nicht allein«, schnaubte er und wandte sich von ihr ab, um wahllos durch den Raum zu laufen.
Lilitha bemerkte, dass das wohl ein wunder Punkt war, den sie getroffen hatte, doch sie war sich nicht sicher, ob es klug war, darin zu bohren.
Er war schließlich immer noch der Highlord und sie nur eine Kammerzofe.
Also wechselte sie das Thema. »Vielleicht führe ich den Tanz auf, wenn ich es schaffe, nicht ständig hinzufallen. Aber im Grunde ist es Zeitverschwendung. Ich sehe darin keinen Sinn. Es wäre aber lustig … Irgendwie.«
Ein wenig in Gedanken verloren, rührte sie langsam, in gleichmäßigen Bewegungen die Kräuter und sah zu, wie sich einzelne Partikel von den Strängen lösten. Sie hasste es, so ungeschickt zu sein.
»Zeitverschwendung?«, wiederholte er, als könne er nicht ganz nachvollziehen, was sie damit meinte.
»Ja. Im Grunde habe ich ja nichts davon. Also, wenn ich ihn aufführe. Wahrscheinlich würde ich mich nur lächerlich machen. Und selbst wenn nicht … was sollte es für mich für einen Nutzen haben?«, fragte sie und meinte es durchaus ernst.
»Du könntest eine neue Stellung bekommen. Im Grunde kannst du nur gewinnen, da es nur bergauf geht. Zumindest in deinem Fall«, erklärte er und biss erneut in die grüne Frucht, während er ihren Rücken musterte.
Lilitha konnte spüren, wie sich sein dunkler Blick in ihren Nacken bohrte, jedoch verstand sie nicht wirklich, worauf er hinaus wollte.
An sich konnte es ihm doch gleich sein, welche Stellung sie hatte oder besser gesagt konnte er diese doch gleich ändern, wenn ihm danach sein sollte.
»Und dann habe ich eine andere Stellung und hätte im Grunde immer noch nichts davon«, sagte sie und deutete dann aufs Bett. »Würdet Ihr Euch bitte hinlegen? Dann kann ich Euch besser massieren«, sagte die Rothaarige und lächelte, als wäre alles in bester Ordnung. Sie war einfach ein kleiner, naiver Sonnenschein. Als hätte sie in ihrem Leben noch nie etwas Böses gesehen. Doch der Highlord wusste, dass dem nicht so war.
Dennoch folgte er ihrer Deutung, ohne den bohrenden Blick von ihr abzuwenden und klemmte die Birne zwischen seine Zähne, um sich auf den Bauch zu legen.
Sobald er sich in eine gemütliche Position begeben hatte, nahm er die Arme nach vorne, um die Birne abzubeißen und sie wieder in die Hand zu nehmen.
»Du hättest mehr Privilegien und müsstest nicht mehr Chiana hinterherrennen«, warf er mit vollem Mund ein und wartete darauf, dass sie anfing.
Wie immer setzte sie sich auf seine Oberschenkel, doch statt ihrer Finger spürte er etwas Glattes und Warmes. Wahrscheinlich die Steine.
»Ich helfe anderen Leuten gern. Und Dienstmädchen zu sein, ist keine Schande. Man ist den Herrschern näher, als die meisten anderen«, erklärte sie ruhig, während der Raum von einem angenehmen Duft erfüllt wurde.
Der Highlord hatte die Augen geschlossen und schmunzelte, obwohl er noch immer auf einem Stück Birne kaute.
»Ihr wollt Eurem Herrscher nahe sein?«, fragte er fast schon aufreizend und zuckte kurz die Augenbrauen.
»Ich habe die Hochachtung vor Euch in die Wiege gelegt bekommen«, erwiderte sie nüchtern. »Gute Herrscher sind selten und man sollte sich angemessen um sie kümmern. Nur verstehen die meisten Leute nicht, dass es sich dabei nicht nur um das körperliche, sondern auch das seelische Wohlbefinden handelt«, erklärte sie und massierte mit den Steinen eine Stelle geduldiger und ein wenig fester. »Und indem Ihr mir erlaubt, Euch zu massieren, tue ich für Euch, was ich kann. Warum also sollte ich mir mehr Privilegien wünschen? Macht korrumpiert.«
»Hm«, brummte der Highlord unter ihr nur.
Sie wusste nicht, ob es auf ihre Bemerkung oder Bewegung bezogen war, doch anscheinend hatte er etwas anderes erwartet.
»Sie korrumpiert nur, wenn du es zulässt«, korrigierte er sie und biss erneut in die Birne.
»Wenn man mit ihr allein gelassen wird, dann kann man sich dagegen wehren, wie man will. Man hat keine Chance«, erklärte Lilitha, mit einem endgültigen Klang in den Worten.
Nun schwieg sie und konzentrierte sich ganz darauf, den Highlord zu massieren.
»Ihr solltet Euer Training nicht übertreiben. Das kann zu Muskelüberstrapazierung führen. An manchen Stellen seid Ihr wirklich nah dran.«
Der Blonde zuckte kurz zusammen, als Lilitha eine empfindliche Stelle massieren wollte.
»Was?«, fragte er verständnislos und versuchte sich ein wenig anders zu positionieren, wobei Lilitha Mühe hatte, nicht von ihm runterzufallen.
Schließlich bewegte er sich so ungünstig, dass einer der Steine von seinem Rücken rutschte und klappernd zu Boden fiel. Lilitha, die sich bewegt hatte, gleich mit einem Aufschrei hinterher, ehe sie mit dem Gesicht den wunderschönen, weichen Teppich küsste.
Der Highlord setzte sich auf, als er auch schon zu Lilitha auf den Boden kam.
»Tut mir leid, hast du dich verletzt?«, fragte er bestürzt, als hätte er sie eine Steinklippe runtergeschubst.
Ohne, dass Lilitha antwortete, griff er unter ihren Körper, um sie umzudrehen und sie vorsichtig aufzusetzen.
Sie kam nicht umhin zu bemerken, wie seine Augen prüfend über ihren Körper wanderten und wohl nach etwaigen Verletzungen suchten.
»Mir geht es gut«, flüsterte Lilitha und klang ein wenig orientierungslos. »Ich habe nur nicht mit einer Bewegung des Untergrunds gerechnet«, gestand sie leise und wurde ein wenig rot. Dabei senkte sie ihren Blick, denn es war ihr peinlich und sie wollte nicht in seine Augen sehen.
Der Highlord lachte lediglich leise, als er ihr plötzlich hochhalf und auf das Bett navigierte.
»Ich habe es wohl wirklich ein wenig zu weit getrieben«, murmelte er gestehend und versuchte mit der Hand an sein Kreuz zu kommen, das den Schmerz ausstrahlte.
Ein wenig abwesend blickte er zu der angebissenen Birne, die er auf dem Bett hatte liegen lassen und griff letztlich nach dieser.
»Habe ich Euch wehgetan?«, fragte sie leise, weil sie seine Bewegung bemerkt hatte und gern wissen wollte, warum er sich plötzlich bewegt hatte. Wahrscheinlich hatte sie eine schmerzhafte Stelle erwischt. Dabei wollte sie ihm doch helfen zu entspannen und ihm nicht noch mehr Schmerzen bereiten.
Der Highlord schien ihre Mimik und ihren Ton bemerkt zu haben, als er ihr auch schon ein aufmunterndes Lächeln schenkte.
»Es geht schon«, versicherte er ihr und tätschelte ihr den Kopf, ehe er ihr auffordernd die Birne entgegenhielt.
Lilitha nahm diese entgegen und biss dankend hinein.
»Ich bin leider nicht in der Lage, Euren Muskelkater wegzukneten. Aber wenn Ihr wünscht, kann ich Euch morgen früh noch einmal eine Massage anbieten. Ihr solltet aber lieber kein Training mehr machen, solange ihr diese Schmerzen spürt. Das ist eine Warnung Eures Körpers. Wenn Ihr es ignoriert, verliert Ihr im schlimmsten Falle die Muskeln, die Ihr versucht aufzubauen, wieder«, erklärte sie und biss danach noch einmal in die Birne. Sie mochte Obst unglaublich gern. Dieses abzulehnen, war schon immer recht schwierig für sie gewesen.
Sie bemerkte zwar den unnachgiebigen Blick, mit dem er sie besah, während sie in das Fruchtfleisch biss, doch sie versuchte es nicht zu beachten.
»Ich werde morgen sowieso den ganzen Tag nur rumsitzen und Audienzen entgegennehmen«, meinte er seufzend, als würde er sich lieber mit anderen Dingen beschäftigen.
Lilitha erinnerte sich daran, wie er auch schon in der Stadt darüber gesprochen hatte und auch jetzt wirkte er dabei sichtlich genervt.
»Reden ist nicht Eure Stärke?«, fragte Lilitha vorsichtig, immerhin war das eine sehr delikate Sache. »Ihr könnt doch jemand anderen als Mittelsmann nutzen. Meine Eltern haben mir erzählt, dass Euer Vorgänger das auch sehr häufig getan hat. So bekam er die wirklich wichtigen Teile gefiltert und ohne unnötigen Ärger der Bevölkerung zu hören.«
Erneut versuchte der Highlord an seinen Rücken zu greifen, unterließ dieses Vorhaben jedoch schnell wieder.
»Mein Vater hatte immer andere Sachen im Kopf. Er blieb am liebsten innerhalb der Mauern bei seinem Harem. Grund genug für meine Mutter, dass sie mich bittet es anders zu machen. Sie möchte, dass ich volksnah bin und vor allem Präsenz zeige. Die Leute sollen wissen, dass sich der Highlord persönlich ihren Problemen annimmt. Eine andere Art, sich die Loyalität der Adligen zu sichern«, erklärte er schon fast ironisch und lehnte sich nach hinten, bis er mit dem Rücken auf der Matratze lag. »Das Problem dabei ist nicht, dass ich nicht gut reden kann, sondern die belanglosen Dinge, über die sie plärren und die ich höchstwahrscheinlich sowieso nicht ändern kann.«
»Dreht Euch um, ich massiere Euch noch ein bisschen, vielleicht hilft das«, bot Lilitha unvermittelt an, da sie seine Bewegung bemerkt hatte und dieses Mal nicht ignorieren wollte.
Verwundert drehte sich der Highlord um und kurz darauf spürte er ihr Gewicht wieder auf sich.
»Eure Mutter ist eine weise Frau. Dennoch ist es für Eure Nerven vielleicht wichtiger, dass ihr jemanden habt, der vorher abklärt, ob die Leute mit den Belangen zu Euch durch dürfen, oder nicht. Dann könnten sie ihre Probleme vorab schildern und ihr könntet vorher eine Zusammenfassung erhalten. So, dass ihr vielleicht schon Antworten auf die Probleme suchen könnt«, schlug sie vor und drückte ihren Finger auf eine verspannte Stelle. »Aber ich habe nicht das Recht, darüber zu urteilen. Ich weiß ja nicht, wie Ihr es handhabt.«
Der Gebieter gab statt einer Antwort jedoch nur ein gedämpftes: »Was?«, von sich, als würde er sich nur noch auf ihre Berührung konzentrieren. Eine Weile später seufzte er jedoch leise, aber dennoch zufrieden. »Das hört sich nach einer guten Idee an. Nur müsste ich da erst jemanden finden. Ich weiß nicht, ob Sergej für sowas die Nerven hätte«, murmelte er abwesend, als hätte Lilitha seinen Verstand in andere Sphären wandern lassen.
»Euer Harem bietet Euch sehr viel Potenzial. Warum nutzt Ihr dieses nicht?«, fragte sie stattdessen, auch wenn sie sich ein wenig unsicher fühlte. Sie hatte nicht erwartet, dass er ihr überhaupt zuhören würde. Noch, dass er ihre Idee gut aufnehmen würde.
Nachdenklich runzelte er die Stirn bei ihren Worten.
»Du meinst die Gelehrten?«, fragte er nach, wenn auch eher skeptisch. »Eigentlich ist es schon ein unausgesprochenes Gesetz, dass der Harem von allem abgeschieden ist, außer von den Eunuchen.«
Lilitha hielt kurz in ihren Bewegungen inne, was der Highlord als Zeichen nahm, dass sie nachdachte. Dann massierte sie weiter. »Ja, das ist verständlich. Es wäre zu einfach, Euch zu schaden. Aber die Haremsfrauen sind doch sicher nicht die einzigen Gelehrten, die Ihr habt. Sie könnten Euch zumindest bei einer Lösung behilflich sein.«
»Niemanden, dem ich das anvertrauen würde«, murmelte er leise und richtete seine Arme nach hinten, um sie parallel neben seinen Körper zu legen. »Gäbe es eine Stufe, auf der du gerne wärst? Die Gelehrten zum Beispiel?«, fragte er nun in einem ungeschickten Zusammenhang, um das Thema zu wechseln.
»Ich weiß nicht«, murmelte Lilitha nachdenklich und ging somit darauf ein. Sie hatte nichts dagegen, wenn er über etwas anderes sprechen wollte. »Ich habe nicht das Gefühl, dass ich irgendwo hineinpassen würde, oder mich behaupten könnte. Überall scheint man nur um Eure Aufmerksamkeit zu buhlen. Was ich verstehen kann, es hat etwas sehr Entspannendes in Eurer Nähe zu sein«, erklärte sie nachdenklich und begann seine Arme zu massieren.
»Und wenn du frei wählen könntest? Ich denke nicht, dass sie meine Aufmerksamkeit wirklich wollen. Sie wollen nur den Platz neben mir, um später den Platz meiner Mutter einzunehmen«, korrigierte er und stöhnte leise vor Schmerzen auf, als Lilitha eine weitere empfindliche Stelle fand.
Lilitha lachte leise. »Wenn ich wählen könnte, hätte ich gerne einen Rang, bei dem es mir erlaubt wäre, einen kleinen Kräutergarten zu besitzen und alle möglichen Kräutermischungen herzustellen. Meine Mutter kannte eine Mischung für unglaublich leckere Kräuterplätzchen«, erklärte sie mit einem Lächeln, da sie wusste, dass es nicht die Antwort war, die er haben wollte.
»Welchem Clan gehörst du eigentlich an?«, fragte er nun neugierig, da sie wie so oft schon von ihrer Mutter sprach.
Sie schien Lilitha viel beigebracht zu haben und die Tatsache, dass sie Kräuterkundlerin war, machte ihre Herkunft nur noch rätselhafter.
»Verzeiht, Mylord. Meine Mutter ließ mich versprechen, niemals darüber zu sprechen«, entschuldigte sie sich leise.
Sein Körper versteifte sich augenblicklich, als er sie vorsichtig von seinem Rücken neben sich schob und sich aufsetzte, um sie misstrauisch zu mustern.
»Wieso nicht?«, fragte er und Lilitha konnte spüren, wie er sie bis ins kleinste Detail musterte.
Angespannt ließ Lilitha den Blick hilfesuchend über die Umgebung wandern. Sie hätte vielleicht doch lieber einfach etwas erfinden sollen.
»Die Gaben unserer Familie sind … vielfältig. Meine Mutter hatte immer Angst, dass sie in die falschen Hände geraten könnten. Sie sagt, zwischen heilen und töten läge nur ein schmaler Grat«, versuchte sie mit zitternder Stimme zu erklären.
Doch sobald sie eine Pause einlegte, nahm der Highlord ihr Gesicht am Kinn in seine Hand und zwang sie somit, ihm in die Augen zu sehen.
»Welche Gabe?«, fragte er nun und verengte seine braunen Augen ein wenig, als würde er ihr kein bisschen trauen.
Sie konnte keinerlei Zusammenhang mehr zu dem Mann in der Stadt erkennen, mit dem sie spazieren gewesen war.
Lilitha senkte die Lider ein Stückchen. »Kräuter sind nicht nur heilende Medizin. Eine Berührung kann nicht nur Schmerzen nehmen. In der richtigen Kombination ist es möglich, eine Menge anzurichten.«
Sie bemerkte, wie er ihrem Gesicht immer näherkam, bis er nur noch eine winzige Bewegung von ihr entfernt war.
»Sieh mich an«, befahl er.
Im selben Moment schlug sie ehrfürchtig die Lider auf, um in seine braunen Augen zu blicken, während sie seinen Atem auf ihrer Haut spürte. »Deine … Gabe«, wiederholte er nochmals eindringlicher.
Lilitha schluckte und griff mit ihrer Hand nach den Resten der Birne, welche noch in Reichweite auf einem Teller lagen.
Sie nahm diese auf die flache Hand und wandte den Blick nicht vom Gesicht des Highlords ab.
Die Birne auf ihrer Hand schien zu zerfallen und wurde zu Erde, ehe aus diesem kleinen Häufchen Erde ein Keim wuchs, bis er etwa die Größe eines Gänseblümchens hatte.
Sie schluckte als sie sah, wie der Highlord zu ihrer Hand schielte und das kleine Naturschauspiel beobachtete. Seine kantigen Gesichtszüge klärten sich, als er auch noch seine Finger von Lilithas Gesicht löste.
Eine Weile musterte er nur nachdenklich ihre Hand, aus der der kleine Spross feine Wurzeln schlug.
»Du kannst Leben schenken«, hauchte er ungläubig und schien nicht recht zu glauben, was er vor sich sah.
»Es ist nicht so leicht«, sagte sie und wandte sich vor Nervosität. »Stellt Euch vor, Ihr hättet eines dieser Samenkörner verschluckt«, sagte sie und ließ den Satz offen. Ob er selbst in der Lage war, weiterzudenken? War ihm klar, dass sie ihn mit einer Berührung töten könnte? Es sprach gegen ihre Natur, so etwas zu tun, doch das hieß nicht, dass man sie nicht dazu zwingen könnte.
»Soll das heißen, du kannst das nur bei Pflanzen und nicht bei anderen Lebewesen?«, fragte er mit einem leichten Schlucken und blickte sie fragend an.
Lilitha runzelte die Stirn. »Ich kann zumindest keine Toten zum Leben erwecken. Diese Gabe habe ich zum Glück nie besessen. Aber ich kann Kräutern eine stärkere Wirkung geben. Sind Heilpflanzen zu alt, kann ich ihnen wieder Leben einhauchen. Also ja. Es scheint wohl nur bei Pflanzen zu gehen«, sagte sie langsam. Irgendwie fühlte sie sich dazu verpflichtet, ihm zu antworten. Immerhin war er ihr Gebieter.
Dieser wandte den Blick nun wieder ab und stand auf, um einige Male langsam im Raum auf und ab zu laufen.
Nachdenklich tippte er sich gegen die Unterlippe, bis er in seinen Bewegungen innehielt und wieder zu Lilitha blickte.
»Danke, du kannst dich für heute zurückziehen. Ich will dich nicht weiter in Anspruch nehmen an deinem freien Tag«, erklärte er ein wenig zerstreut und drehte sich zu der gegenüberliegenden Sitzecke mit dem Obst.
Lilitha ließ den Kopf hängen. Wahrscheinlich wollte er sie einfach nur nicht mehr in seiner Nähe haben.
Auch ihre Schultern sackten etwas nach vorn. Vielleicht wollte er sie gar nicht wiedersehen. Möglicherweise hatte er Angst bekommen, was sie tun könnte.
Träge erhob sich Lilitha. »Wie Ihr wünscht, Mylord«, erwiderte sie matt und drehte sich der Tür zu.
Den Birnensetzling noch immer vorsichtig in ihrer Hand.
Es wurde dunkel draußen. Vielleicht sollte sie noch schnell in den Garten und den Baum einpflanzen, bevor sie sich hinlegte?
Der Gedanke zu sehen, wie die anderen Bewohner auf einen Baum reagierten, der plötzlich über Nacht gewachsen war, erheiterte sie. Schaffte es aber nicht, ihre Traurigkeit zu überdecken.





























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