Kapitel 36

Für Lilitha war es völlig ungewohnt, auf diese Art und Weise zu reiten. Normalerweise hatte sie bisher immer selbst die Zügel in der Hand gehabt und war nicht so eingeklemmt zwischen starken Armen und einer warmen Brust.
Ihr Herz schlug heftig und um sich abzulenken, entschied sie sich dazu, ein leises Gespräch zu beginnen. »Warum tut Ihr das?«, fragte sie flüsternd und achtete nicht auf die Blicke, die ihr zugeworfen wurden. Wirklich jeder blickte sie erstaunt, verwirrt oder seltsam an.
»Wann hätte ich denn sonst die Gelegenheit, dass du mir freiwillig so nahe bist?«, flüsterte er ihr zu und zog die Zügel ein wenig an, als sie sich den Toren näherten.
Lilitha erinnerte sich an diesen Hof und wenn sie sich umdrehen würde, hätte sie vermutlich dieselben schweren Türen gesehen wie in dem Moment, als sie von den Händlern hierhergebracht worden war.
Sonst war der Highlord immer über den Dienstboteneingang gegangen und gekommen. Doch nun, da er offiziell draußen war, konnte er wohl die Haupttore benutzen. Natürlich, es waren immerhin seine Tore, wie es sein Palast und seine Stadt waren.
Schon damals hatte sie sich gefragt, warum er so heimlich den Palast verlassen hatte. Niemand würde ihn aufhalten, wenn er diesen verlassen wollte.
Man öffnete ihnen die Hoftore und sie ritten langsam hinaus auf die offizielle Hauptstraße. Hier war eine ganze Menge los und überall waren Händler und andere Leute unterwegs. Sie alle blickten auf, als sie den Highlord erkannten und mussten noch ein zweites Mal schauen, als sie auch Lilitha bemerkten. Diese senkte den Blick auf die Mähne des Pferdes.
»Da gäbe es für Euch dutzend andere Möglichkeiten«, murmelte sie und wurde ein wenig rot. Sie konnte einige Leute tuscheln hören. Wahrscheinlich wussten diese nicht, wie gut das Gehör von Vampiren war.
»Und die wären?«, fragte er mit einem leisen Lachen und ritt ganz normal weiter, ohne die Bewohner großartig zu beachten. Er war es vermutlich bereits gewohnt, so angestarrt zu werden und die Bewohner waren es gewohnt, ihn ab und an hier vorzufinden.
Doch für Lilitha war alles neu. Ebenso, wie es für das Volk neu war, dass der Highlord überhaupt eine Frau mit sich auf seinem Pferd hatte.
Sie fragte sich wirklich, was die Leute über ihn und sie dachten. Es machte sie nervös.
»Solange Ihr nur kuscheln wollt, habe ich nichts dagegen«, gestand Lilitha widerwillig, doch aufrichtig. Aber wenn er das wusste, sah er sich vielleicht nicht gezwungen, ständig irgendwelche, für sie peinlichen, Aktionen zu veranstalten. Auch wenn Lilitha nicht glaubte, dass er aufhören würde. Er schien es zu genießen, sie so in Rage zu bringen.
»Und wenn ich dich berühre?«, fragte er nun leise durch ihr offenes, rotes Haar.
Nun, da Lilitha offiziell kein Dienstmädchen mehr war, konnte sie herumlaufen, wie sie wollte. Das betraf sowohl ihre Kleidung, als auch ihre Haare oder Aufmachung. Es sei denn, der Highlord befahl etwas anderes.
»Werde ich mich weiterhin dagegen wehren«, erklärte sie leise, als wäre das selbstverständlich.
Wieder lachte er leise, als er das Tempo des Pferdes ein wenig erhöhte. Allerdings nicht schneller, als es in einer so befüllten Stadt angebracht war.
»Also, damit ich das richtig verstanden habe … du magst es, mit mir zu kuscheln«, stellte er mit einem nachdenklichen Ton in der Stimme fest. Dieser Mann hörte wohl nur das, was er wollte.
Lilitha seufzte. »Das ist annehmbar«, sagte sie, auch wenn er recht hatte. Sie mochte es. Wobei sie nicht wusste, ob es speziell an ihm lag oder einfach nur daran, dass er männlich war und gerade zur Verfügung stand.
»Ist es bei deinem Clan üblich, maßlos zu untertreiben?«, fragte er und neigte den Kopf über ihre Schulter, um ihr Profil ansehen zu können.
Dabei hielt er die Zügel hoch, vor Lilitha. »Willst du?«
Lilitha blickte ihn überrascht an. Was meinte er mit der ersten Frage?
Zögerlich griff sie nach den Zügeln. »Gerne«, murmelte sie, in der Hoffnung, er würde es nicht so machen wie bei dem Apfel. Bei dieser Gelegenheit fiel ihr ein, dass sie kaum etwas gegessen hatte. Sie war viel zu nervös gewesen und sie hatten das Frühstück auch ausfallen lassen.
Vorsichtig ließ er sie die Zügel umschließen und ließ sie los, als sie diese fest in der Hand hatte.
»Reite bis zum Ende der Straße. Sobald du einen großen Hügel siehst, kannst du in den Galopp übergehen und dorthin reiten«, erklärte er leise und nickte einigen Bewohnern lächelnd zu, die ihn begrüßten.
Lilitha nickte und versuchte sich die Gesichter der Leute zu merken, welche den Highlord gegrüßt hatten. Dann sorgte sie mit einem leisen Geräusch dafür, dass das Pferd genau das tat, was sie wollte. Sie musste sich gar nicht so große Mühe geben. Es war nicht so, dass sie mit Tieren sprechen konnte, doch meist verstanden die Tiere instinktiv, was sie von ihnen wollte. Daher trottete das Pferd auch einfach weiter, ohne dass Lilitha es großartig lenken oder aufpassen musste.
»Du magst also nicht nur Pflanzen, sondern auch Tiere«, murmelte er feststellend und legte seine Arme um ihre Taille, als der Hügel in Sicht kam.
»Sie sind ein Teil der Natur«, erklärte Lilitha, als wäre das nicht offensichtlich. Dann ließ sie die Zügel ein wenig lockerer und drückte ihre Fersen leicht in die Seite des Tieres. Dieses wusste sofort, was es tun sollte und wurde schneller.
Es war gut, dass der Highlord sie festhielt, denn dadurch, dass sie ihre Füße nicht in den Steigbügeln hatte, war es schwierig sich auf dem Tier zu halten. Das Pferd wurde immer schneller, je leerer die Straße wurde. Daher verstärkte der Highlord auch seinen Griff um die Rothaarige.
»Du bist wirklich zum Anbeißen«, nuschelte er durch ihre Haare und lachte leise.
»Wieso?«, fragte Lilitha irritiert. »Warum behandelt Ihr mich so, wie Ihr es tut? Was gebe ich Euch, was Euch die anderen nicht geben?«, fragte sie, weil sie einfach nicht mehr wusste, was sie von seinen Aktionen halten sollte.
Sie hatte fast das Gefühl, als wollte er sie verführen. Auf eine sehr verquere Art und Weise.
»Hm«, machte er nur nachdenklich, als würde er es selbst nicht so recht wissen. Das Pferd kam dem Hügel immer näher, als sie die Geschwindigkeit ein wenig runterschraubte, einfach, um noch länger an den Zügeln bleiben zu dürfen. »Du bist anders.«
»Viele sehen das nicht als gut an«, murmelte Lilitha und genoss es, auf dem Rücken eines Pferdes zu sitzen und die frische Luft zu spüren.
Dass der Highlord sie hielt und sie an seine Brust drückte, damit sie nicht herunterfiel, gefiel ihr irgendwie.
»Du sagst das ja so, als müsste mich das interessieren«, lachte er und legte die Stirn auf ihrer Schulter ab, als der Weg menschenleer wurde.
Das irritierte sie noch mehr. Dieser Mann war sehr seltsam und sie wurde einfach nicht schlau aus ihm! »Was wollen wir hier?«, fragte Lilitha, um das Thema zu wechseln. Der Hügel kam immer näher und sie wollte eigentlich nicht, dass dieser Ausflug schon vorbei war.
»Ich dachte, du bist gerne in der Natur«, erklärte er und gab dem Pferd, unabhängig von Lilithas Befehlen, die Sporen, bis das Tier an der Spitze des Hügels zum Stehen kam und der Highlord nun ebenfalls den Kopf hob, um Lilithas Reaktion zu mustern.
Vor der Rothaarigen erstreckten sich weite, bunte Blumenfelder in den verschiedensten Farbtönen und Formen. Sie hatte ihr halbes Leben in dieser Gegend verbracht, aber nie diesen Teil der Stadt gesehen. Sie hatte am anderen Ende bei den Rumtreibern und Sklavenhändlern verbracht. Doch das hier war neu. Es schien ein abgetrennter Bereich zu sein und er war wunderschön. Es gab einen großen See, der die wunderschönen Blumenfelder noch abrundete. Da die Winter hier immer sehr mild waren und es nur wenige Tage Schnee und Kälte gab, blühten viele der Blumen noch immer in voller Pracht, als hätten sie überhaupt nicht mitbekommen, dass sie eigentlich im Winterschlaf sein sollten. Was vermutlich an der Sonne lag, die noch immer eine sehr starke, wärmende Kraft hatte.
Staunend saß Lilitha einfach nur regungslos da, während sie ihren Blick über das kleine Wunder der Natur schweifen ließ.
»Gefällt es dir?«, fragte er leise, als er sich im nächsten Moment vom Pferd gleiten ließ und Lilitha eine helfende Hand entgegenstreckte.
Die Rothaarige war jedoch nach wie vor von dem Anblick so hypnotisiert, dass sie gar nicht so recht wusste, ob das überhaupt real war. »Ich wusste nicht, dass hier so schöne Orte existieren«, sagte sie staunend, als wäre das Antwort genug.
Der Anblick fesselte sie so sehr, dass sie die Hand des Highlords noch nicht einmal bemerkte und auch nicht absichtlich abschlug. Sie war zu sehr damit beschäftigt, ihre Umgebung in sich aufzunehmen. Es war einfach wunderbar, wie gut die Blumen noch immer dufteten. Dazu kamen die kleinen Tierchen, die gerade in dieser Jahreszeit aktiv wurden und noch die letzten Tage nutzten, um sich ebenfalls an der Pracht der Blumen zu erfreuen. Sie waren ein Wunder der Natur, an dem sich Lilitha immer wieder erfreuen konnte.
Ihre Geräusche, vermischt mit dem Wind, der durch die Sträucher wehte, bildeten eine Melodie, die zum Träumen einlud.
»Wir können auch reingehen. Du darfst dir ein paar Blumen oder Samen mitnehmen, wenn du möchtest«, bot er ihr an und legte die Hand nun auf ihren Oberschenkel, in der Hoffnung, sie würde ihn bemerken.
Tatsächlich zuckte sie ein wenig zusammen und blickte dann verwundert zu ihm nach unten.
Da er bereits vom Pferd gestiegen war, war er kleiner als sie.
»Rein?«, fragte sie, weil sie nicht ganz wusste, was er meinte. Und was meinte er mit Blumen und Samen mitnehmen?
Erwartungsvoll hob er die Brauen und deutete mit einem Nicken zu den Blumen.
»Rein ins Feld. Ich dachte, dir macht sowas Spaß, mit Pflanzen und dergleichen«, erklärte er und wirkte tatsächlich ein wenig unsicher, als er den Blick abwandte und stattdessen zurück zur Stadt blickte.
Lilitha sah unsicher zu ihm hinab. »Ja, aber habt Ihr nicht etwas zu erledigen?«, fragte sie skeptisch, ehe sie sich in einer eleganten Bewegung vom Pferd gleiten ließ und schließlich sanft neben ihm zum Stehen kam. Natürlich wollte sie die Blumen genießen und das Feld erkunden, aber sie konnte ihn nicht von seinen Pflichten abhalten. Das gehörte sich nicht.
»Das kann warten«, versicherte er ihr und ging langsam auf das Feld zu, welches plötzlich im Stehen viel höher aussah als auf dem Pferd.
Die wilden Sträucher und Blumen reichten Lilitha teilweise schon bis zur Brust.
Langsam folgte Lilitha dem Blonden und hätte sich fast schon wieder eingebildet, er wäre bloß ein gewöhnlicher Vampir, der mit ihr Blumen pflücken wollte.
Doch er war der Highlord. Außerdem war es schon reichlich merkwürdig, einen Vampir in einem Blumenfeld zu sehen. Die meisten Vampire entsprachen dem Klischee und waren alles andere als naturverbunden.
Lilitha strich mit ihrer Hand über die Gräser und genoss den Duft der Blumen. Es fühlte sich so gut an, dass sie sogar ihre Schuhe auszog, um das Gras an ihren nackten Füßen zu spüren.
Der Blonde neben ihr bemerkte diese Geste und lächelte, als er den Blick zu ihrem Gesicht hob, welches mit geschlossenen Augen die Gegend ertastete.
»Dich macht das wirklich glücklich, oder?«, fragte er leise mit derselben Stimme, die er auch immer in der Stadt benutzte. Vollkommen normal, wie ein Bürger, der mit ihr gleichgestellt war.
»Ja. Es entspannt mich sehr«, antwortete Lilitha und hörte auf die Stimme der Natur. Sie spürte das Leben um sich herum förmlich und sie wusste, dass sie akzeptiert wurde.
Eine Blume neben ihr schmiegte sich sanft an ihren Arm und das Gras unter ihren Füßen fühlte sich an wie der bequemste Teppich, den sie je gespürt hatte. Außerdem war die Luft klar und die Sonne schien auf sie nieder. Kein Gefühl von Einengung oder Kontrolle.
»Das sieht man dir an«, stimmte er ihr zu und schlenderte gemütlich weiter durch das hohe Gras. Langsam wurde es immer höher und der Blonde hatte Mühe zu sagen, ob er auf dem Boden lief oder doch auf einer dicken Decke Gras.
»Warum zeigt Ihr mir das?«, fragte sie schließlich, weil sie aus diesem Mann wirklich nicht schlau wurde.
Dieses Feld unterschied sich von den wunderschönen, gepflegten Gärten, welche von den Mauern des Harems umschlossen waren. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er dieses Urtümliche der Natur schätzte.
»Ich dachte mir, es würde dir gefallen«, erklärte er nüchtern und zuckte beiläufig die Schultern. Er wankte ein wenig, als er über einen Ast stolperte, der unter dem dichten Gras versteckt lag. Jedoch nicht genug, um Lilithas Leine mitzureißen.
Die Rothaarige schmunzelte bei diesen so ungewohnt unkoordinierten Bewegungen ihres Herrschers. Aber hier würde ihn niemand sehen. Er musste sich nicht verstecken, wie sie feststellte. Er konnte sein, wie er sein wollte.
»Ja, das tut es. Vielen Dank«, nuschelte sie mit einem Grinsen im Gesicht und schlenderte neben ihm her.
Es war zwar schade, dass sie sich nicht allein umsehen konnte und an der Leine laufen musste, doch was hatte sie auch erwartet? Immerhin hatte sie versucht, aus dem Palast zu fliehen. Was auch dafür sorgte, dass sie sich nun über seine Großzügigkeit wunderte.
Eigentlich hatte sie erwartet, dass er sie bestrafte, doch stattdessen belohnte er sie eigentlich mit diesem Anblick.
»Darf ich dich etwas fragen?«, brach er nach einer Weile das Schweigen, als sie inzwischen eingekesselt zwischen hohen Sträuchern und dem Unkraut der Blumen standen.
Jedoch hielt er nicht inne, sondern lief einfach weiter, auch wenn ihm das Laufen sichtlich immer schwerer zu fallen schien. Jeder Schritt, den er setzte, wurde langsamer und versuchte gezielt zu sein, doch das Gestrüpp hatte scheinbar andere Pläne und stellte ihm immer wieder Stolperfallen.
Lilitha lächelte und hob die Hand. Das Kraut bog sich zurück und legte sich so, dass der Highlord plötzlich freie Sicht auf den Boden hatte und nicht ständig irgendwo hängen blieb.
»Was wünscht Ihr zu wissen, Mylord?«
Ein wenig überrascht blinzelte er und hielt kurz inne, um vom Unkraut zu Lilitha zu blicken und wieder zurück. Zögerlich lief er weiter und atmete erleichtert aus, als ihm das Laufen erheblich leichter fiel. »Du sagst immer, dass du kein Interesse an mir hättest. An was für einem Mann hättest du denn Interesse?«, fragte er und musterte sie neugierig, während er auf eine Reaktion und eine Antwort wartete.
Lilitha biss sich auf die Lippen. »Ich habe nicht gesagt, dass ich kein Interesse an Euch habe. Ich habe gesagt, ich möchte keine von vielen sein«, korrigierte sie ihn und schlenderte scheinbar ungerührt weiter. Gleichzeitig aber fragte sie sich, was sie sonst auf diese Frage antworten sollte. Sie kannte außer ihm schließlich so gut wie niemanden.
Natürlich hatte sie in der Zeit auf der Straße einige Jungen kennengelernt. Einige von ihnen waren sogar zu stattlichen, jungen Burschen herangewachsen, doch wirklich Freundschaft geschlossen hatte sie nie mit irgendwelchen normalen Stadtbewohnern.
»Nicht mal in deiner Fantasie?«, fragte er nochmal und schien ihr nicht zu glauben, dass sie keinen bestimmten Typ verfolgte. »Jeder hat doch Fantasien«, fügte er mit einer verführerischen Note hinzu und kam ihr etwas näher.
Lilitha hätte es gar nicht bemerkt, hätte er nicht diesen Ton angeschlagen. Derselbe Ton, mit dem er auch heute Morgen im Bett mit ihr gesprochen hatte. Oder heute Morgen im Bad, als sie ihn gewaschen hatte … und er sie gewaschen hatte. Nicht zu vergessen, als er sie an sich gezogen hatte.
Lilitha senkte den Blick. »Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht«, gestand sie. »Ich denke nicht, dass ich einen speziellen Typen von Mann bevorzuge«, fügte sie hinzu und wusste nicht so recht, was sie sagen sollte. Diese Fragerei war ihr unangenehm. Vor allem, weil sie sich wirklich noch nie Gedanken darüber gemacht hatte.
Wenn sie an ihre Zukunft gedacht hatte, dann hatte diese immer nur aus einem gemütlichen Zuhause mit großem Garten bestanden und nie aus einem Mann.
»Aber du bist doch interessiert an Männern?«, fragte er nun sicherheitshalber nach. Dabei runzelte er ein wenig verunsichert die Stirn und beobachtete Lilitha genau, ohne überhaupt noch auf seinen Weg zu achten. »Ich habe bemerkt, dass Laura anscheinend Gefallen an dir gefunden hat«, fügte er nachdenklich hinzu und schien sich bereits mehr zusammenzureimen als überhaupt vorhanden war.
Lilitha schluckte, als sie an die Berührungen der Mätresse dachte und erschauderte. Sie verglich es mit den Berührungen des Highlords und musste sagen, dass diese ihr weitaus mehr zusagten als die von Laura. »Ich mag es nicht, wenn sie mich berührt«, gestand Lilitha leise.
Der Highlord seufzte ergeben. »Ja, sie weiß nicht, was genug heißt. Ich werde mich darum kümmern, dass sie dich in Zukunft in Ruhe lässt«, versprach er ihr und senkte wieder den Blick auf seine Füße, um nicht doch versehentlich zu stolpern. »Warte mal …«, begann er nun und schien zu überlegen, jedoch ohne anzuhalten. »Versteh ich das richtig? Du hast also Interesse an mir«, stellte er nun selbstgefällig fest und grinste sie von oben herab an.
Lilitha seufzte. Das hatte aber lange gedauert. »Wären wir uns unter anderen Umständen begegnet, hätten wir vielleicht so etwas wie ein Liebespaar werden können«, stimmte sie ungenau zu. »Aber ich bin eine eifersüchtige Person und teile nicht gern, was ich für mein Anrecht halte. Daher würde ich mir nur ständig wehtun, wenn ich es zuließe, dass ich mich in Euch verliebe.«
Das Grinsen des Highlords wurde dezenter, als er den Blick ein wenig senkte und langsam zum Stehen kam.
»Soll das heißen, du würdest lieber allein sterben, als mit dem Mann, den du liebst, nur, weil er sich nicht an dich binden darf?«, fragte er nach und musterte sie.
Wieso ging er überhaupt davon aus, dass sie ihn lieben würde? Nach dem zu urteilen, wie sie ihn kannte, konnte sie dazu nicht wirklich etwas sagen. Nur weil sein Äußeres recht ansprechend war, hieß das noch lange nichts. Zur Liebe gehörte weitaus mehr dazu.
Lilitha seufzte. »Liebe?«, fragte sie und wirkte unschlüssig. »Wenn er in der Lage ist, mir ebenfalls seine Liebe zu schenken, wäre ich vielleicht bereit. Aber das kann man vorher nie sagen«, murmelte sie und hielt ihr Gesicht in die Sonne, die hoch am Himmel stand und mit der Kraft des Winters ihre Haut erwärmte.
Der Highlord trat langsam einen kurzen Schritt auf sie zu, bis er vor ihr stehen blieb und ihr Gesicht in seine Hände fasste.
»Du bist wirklich einzigartig«, murmelte er und schien ihr Gesicht bis ins kleinste Detail zu erkunden. Als hätte er das nicht schon oft genug getan, doch die Natur um sie herum und der Duft der Blumen, der sich mit dem des blonden Mannes vermischte, hatte eine andere Wirkung auf Lilitha als die Mauern des Palasts. Es lud sie dazu ein, alles zu vergessen, was bisher gewesen war. Das Halsband und die Leine. Die Mauern des Palasts und dass er der Highlord war. Dass er sie nicht lieben konnte und dass sie ihn nicht lieben durfte.
Lilitha wusste nicht warum, aber sie stellte sich ein kleines Stück auf die Zehenspitzen, ehe sie ganz vorsichtig, sanft und schnell ihre Lippen auf seine legte und für den Bruchteil einer Sekunde einfach nur genoss.
Wie sich seine Lippen auf ihren anfühlten, der Geschmack, der ihre Sinne in Anspruch nahm und die Gefühle, die er in ihr auslöste.
Sobald sie sich wieder mit den Füßen auf dem Boden befand und auch den Kuss somit beendete, schloss der Highlord blinzelnd die Augen und neigte sich zu ihr nach unten, um den Kuss zu erwidern. Doch im Gegensatz zu Lilithas vorsichtigem Antasten ging er bereits einen Schritt weiter und öffnete den Mund, um mit seiner Zunge über Lilithas Lippen zu streichen. Diese schloss die Augen und genoss es, während auch sie ihre Lippen ein klein wenig öffnete und ganz sanft mit ihrer Zunge gegen seine stieß, um zu sehen, was er tat.
Doch leider war sie noch nie gut darin gewesen ihr Gehirn abzuschalten und so meldete sich dieses fast augenblicklich wieder zu Wort und sagte ihr, dass das hier nicht gut war.
Sie hätte ihm überhaupt nicht den Anreiz dazu geben und schon gar nicht die Lippen öffnen sollen! Natürlich sah er das als Einladung an.
Doch ehe ihr Gehirn reagieren konnte, legte er seine Lippen erneut auf ihre, ließ seine Zunge in ihren Mund hineingleiten und strich auffordernd über ihre. Allein an seinen Bewegungen und an seinen Händen, die in der Zwischenzeit zu ihrer Taille hinabgeglitten waren, konnte sie erkennen, dass er mehr wollte … alles.
So wie er sie dicht an seinen Körper zog und langsam mit ihr ins Gras sank, hätte sie am liebsten alles vergessen, doch ihr Kopf ließ sie nicht ruhen. Auch wenn seine Berührungen drauf und dran waren, ihre Gedanken abzuschalten, noch war es nicht der Fall. Das war auch der Grund, warum ein leises: »Nein«, über ihre Lippen glitt, als er sich von ihr löste. Schluckend hielt er über ihr inne und öffnete langsam die Augen, um sie zu mustern.
Dabei hielt Lilitha die Augen geschlossen, da sie den braunen Blick bereits spüren konnte. Ihn so unmittelbar vor ihrem Gesicht schweben zu sehen, wollte sie lieber nicht riskieren.
Sie konnte es ja kaum ertragen, wenn er ihr so nahe war. Geschweige denn sie so musterte, nachdem was sie eben getan hatten.
»Wieso?«, hauchte er fast schon atemlos und Lilitha konnte dank ihres Gehörs deutlich vernehmen, wie sein Herz schneller schlug.
»Weil …«, stammelte sie. Was sollte sie sagen? Weil sie sich damit nicht wohlfühlte? Weil es nicht in Ordnung war? Weil sie nicht wollte, dass er glaubte, dass sie so einfach zu haben war? Dass sie sich ihm immer wieder hingeben würde? Sie wusste es nicht recht.
»Hier im Gras sieht uns niemand«, versicherte er ihr flüsternd, fast schon lautlos, während er sich wieder zu ihr hinabsenkte, um ihren Hals zu küssen.
Bevor Lilitha ihm überhaupt widersprechen konnte, spürte sie die warmen Sonnenstrahlen an ihren Beinen, als sie bemerkte, wie der Highlord ihr das Kleid über die Knie schob. Dabei fuhren seine Finger geradezu schmeichelnd über ihre zarte, helle, cremefarbene Haut. Lilitha schnappte nach Luft und entschied sich dazu, sich für einige Zeit seinen Berührungen hinzugeben. Sie hatte es selbst gesagt. Kuscheln war in Ordnung, doch sie würde ihm nicht ihre Unschuld geben. Nicht einmal hier im hohen Gras, wo sie sich sicher und beschützt fühlte.
Sie konnte nur hoffen, dass er sich nichts unerlaubt nehmen würde. Auch wenn sie es ihm nicht zutraute und er eigentlich schon oft genug Gelegenheit dazu gehabt hätte, so konnte sie ihn doch nicht so recht einschätzen. Sie wusste nicht, ob er trunken vor Lust noch der Vernunft lauschen würde. Doch dafür fühlte es sich einfach zu gut an, als dass sie es unterbrechen wollte.
Wie seine Hände über ihre nackten Beine strichen. Sein Herz über ihrem pulsierte. Und seine Lippen, die ihre wiederfanden. Es fühlte sich richtig an, obwohl es das keinesfalls war.
Seine Küsse wurden länger und intensiver, als sich sein Körper auf ihren legte und kein Fünkchen Freiraum mehr zwischen ihnen zuließ. Das sorgte dafür, dass sie alles an ihm spüren konnte.
Ihr Körper fühlte sich warm und empfindlich an, während er ihn mit sanften Berührungen streichelte. Seine Lippen küssten sanft über ihre Mundwinkel und ihr Kinn, ihren Hals hinab, bis er leicht an ihrem Hals knabberte. Lilitha keuchte auf und hob ihrerseits die Arme, um mit ihren Fingern ganz vorsichtig sein Gesicht zu streicheln.
Wenn sie es sich recht überlegte, hatte sie ihn noch nie so berührt. Langsam ließ sie ihre Finger über seine Wangen fahren und nahm jedes Detail in sich auf.
Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren, doch die markanten Züge, die seine Erscheinung ausmachten, wollte sie sich keineswegs entgehen lassen. Auch wenn sie es nicht gewusst hatte, so war die Versuchung, ihn zu berühren, doch immer zum Greifen nahe. Dennoch hatte sie sich nicht getraut.
Doch nun schienen die gewöhnlichen Regeln nicht zu gelten. Weder die des Palasts, noch die, die sie sich selbst auferlegt hatte.
Ihre Wangen glühten und sie überkam eine Hitzewelle, die sie in ihrem hochgeschlossenen Kleid fast schon ersticken ließ.
Plötzlich nistete sich ein kleiner, lästiger Gedanke in ihrer hinteren Gehirnhälfte ein, den sie am liebsten ignoriert hätte. Der Highlord hatte noch andere Termine, wie sie erfahren hatte und als sie die Augen öffnete, um hinauf zum Himmel zu blicken, erkannte sie die Sonne, die bereits ein Stück tiefer stand. Und das, obwohl er nicht mal seinen Rundgang gemacht hatte.
Er war der Herrscher einer ganzen Dynastie und sie konnte es nicht vor sich selbst rechtfertigen, wenn er wegen ihr sein Volk vernachlässigte. Selbst, wenn es sich so gut anfühlte, wie gerade eben.
Lilitha zwang sich dazu, Luft zu holen. »Mylord«, setzte sie ein wenig keuchend an. »Eure Termine«, murmelte sie schon fast widerwillig. Kurz ließ er von ihrem Hals ab und leckte flüchtig über dieselbe Stelle, was ihr einen überraschend angenehmen Schauer verpasste.
Mit wenigen Bewegungen rutschte er wieder zu ihr hoch, wobei sein Körper über ihren rieb und hielt vor ihren Lippen kurz inne.
»Du kannst mich Kaden nennen«, hauchte er mit heißem Atem an ihre Lippen und begann erneut sie zu küssen und sie weiterhin zu streicheln, als hätte er sie nicht gehört.
»Kaden«, murmelte sie, als würde sie den Namen ausprobieren wollen und dem Blonden rann ein angenehmer Schauer über den Rücken.
Lilitha schluckte leicht. »Das kann ich nicht tun, Mylord«, sagte sie stammelnd.
Widerwillig schob sie sein Gesicht von ihrem, um wieder zu Atem zu kommen und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Das ging zu weit. Alles hier ging bereits zu weit.
Doch komischerweise blieb ihr nur ein Gedanke im Kopf hängen. Chiana hatte ihn nie bei seinem richtigen Namen genannt. Lilitha wusste nicht einmal, ob sie ihn überhaupt kannte. Sie konnte nur noch nicht sagen, ob das gut oder schlecht war.
Mit einem schweren Seufzen stützte er sich ein wenig über ihr ab, um sie anzusehen und ihr mit einer Hand durch das Haar zu streichen. »Wieso? Ich hab es dir doch erlaubt«, erklärte er leise und schien mit den Gedanken woanders zu sein.
»D… Das gehört sich einfach nicht«, murmelte sie leise, mit ein wenig Widerwillen in der Stimme und versuchte wieder zu Atem zu kommen.
Sie würde ihn niemals Kaden nennen, wenn jemand sie dabei hören könnte. Das war einfach nicht mit ihrem Verhaltenskodex vereinbar, den ihre Eltern ihr mitgegeben hatten.
Wieder strich er ihr sanft durch ihr rotes Haar und küsste sie flüchtig auf den Wangenknochen.
»Aber wir sind doch allein hier«, versicherte er ihr leise, mit leicht rauer Stimme und ließ seine Finger über ihre Wange zu ihrem Kinn gleiten, um es wieder geradeaus zu richten. Somit war sie gezwungen, ihn anzusehen, wenn sie nicht gerade die Augen schloss. Doch da hatte er schon ihren Blick eingefangen.
Sie versank in seinen warmen, braunen Augen, die sie so gern hatte und die sie vollkommen zu durchschauen schienen. Manchmal hatte Lilitha das Gefühl, dass er damit ihren Körper auf eine Art und Weise manipulierte, wie es ihm nicht hätte möglich sein sollen.
»Nur wenn wir allein sind«, hauchte sie ganz leise und fast schon widerwillig. Sie würde sich wirklich dazu zwingen müssen, ihn bei seinem Namen zu nennen. Es fühlte sich einfach nicht richtig an.
Er schmunzelte leicht und senkte die Lider auf ihre noch feuchten Lippen und stieß mit seiner Nasenspitze gegen ihre. »Also?«, fragte er leise und schlug erwartungsvoll die Augen wieder auf, um ihren goldenen Blick zu fangen.
Sie waren allein und er wollte scheinbar unbedingt, dass sie ihn beim Namen nannte. Doch alles in ihrem Körper sprach dagegen, sich überhaupt an eine solche Anrede zu gewöhnen. Dennoch blieb sein Blick abwartend auf ihr liegen und er schien auch keine Anstalten zu machen, sich von ihr runter zu bewegen.
Es fühlte sich falsch an und es kostete sie Kraft, auch wenn sie sich fragte, wieso. Es war eigentlich nichts dabei, ihn bei seinem Namen zu nennen. Dennoch fühlte es sich nicht nichtig an. »K… Kaden«, stammelte sie und wurde rot um die Nase. Diese Intimität mit einem Mann war ihr völlig fremd und dadurch, dass sie seinen Namen nutzte, schien es noch intimer zu werden.
Es war im Grunde genau das, was sie vermeiden wollte. Und dennoch hatte er sie irgendwie dazu gebracht, innerhalb von einem Tag einen solchen Wandel in ihren Gedanken zu erzeugen.
Sie senkte unweigerlich den Blick vor Scham, als sich ein Grinsen auf seinen Lippen ausbreitete. Lippen, die zum Küssen einluden und von denen sie am liebsten gar nicht mehr ablassen würde.
Sie würde wirklich gern wissen, wie es sich bei anderen Männern anfühlte. Wenn es sich bereits beim Highlord, den sie nicht liebte, so spektakulär anfühlte, wie würde es erst bei jemandem sein, dem sie ihr Herz schenken würde?
Langsam legten sich seine Lippen auf ihre und gaben ihr einen kurzen, aber intensiven Kuss, ehe er sich wieder über ihren Hals beugte, um an ihrem Ohrläppchen zu knabbern. Ihr Körper fühlte sich wunderbar warm an und jede seiner Berührungen jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Gleichzeitig hatte sie das Gefühl, in seinen Händen wegzuschmelzen.
»Mylord, Eure Termine«, zwang sie sich zu wiederholen. Es war ein Vorwand, das hier zu beenden, auch wenn es ihr gefiel. Das konnte nicht so bleiben!
Mit einem unwilligen Laut löste er sich von ihrem Ohr und gab Lilitha noch einen Kuss auf die Lippen, ehe er sich seufzend aufsetzte, um in den Himmel zu blicken. Leise fluchend richtete er sich wieder auf und klopfte seine Sachen ab, um anschließend kurz auf die Rothaarige hinabzublicken, die noch immer wie versteinert im hohen Gras lag.
Ein wenig unbehaglich wand sie sich und zog beschämt ihr Kleid wieder nach unten, das unter den zahlreichen Berührungen fast schon bis zur Mitte ihrer Oberschenkel gerutscht war. Schmunzelnd reichte er ihr eine Hand, damit sie aufstehen konnte.
Lilitha war kurz versucht, sie zu ignorieren, weil es sich nicht gehörte, dass der Highlord ihr aufhalf, doch sie hatten schon genug Zeit verschwendet. Also ließ sie sich aufhelfen und danach wurde sie von Kaden in Richtung des Pferdes geschoben und spielend leicht hinaufgehoben.
Lilitha schnappte kurz nach Luft, doch da saß sie schon auf dem Tier, das bis gerade eben noch seelenruhig gegrast hatte. Kaden schwang sich hinter sie und drückte sie wieder an seine Brust.
»Wir haben keine Zeit mehr für einen Ritt durch die Stadt, am besten wir gehen direkt zum Architekten und dann zurück zum Palast«, erklärte er und griff nach den Zügeln, um dem Pferd zu deuten, den kurzen Weg zurück in die Stadt zu traben. »Du hast da was im Haar«, lachte Kaden leise und deutete mit dem Kinn auf ihren Kopf.
Noch immer mit geröteten Wangen griff sich Lilitha in ihre Haare und spürte erst jetzt die zahlreichen Grashalme, Blütenblätter und Stöckchen, die sich wohl während ihrem Gerangel im Gras, in ihrem Haar verfangen hatten. Nach dem Gesichtsausdruck des Blonden zu urteilen, sah sie gerade aus, als hätte sie sich stundenlang im Feld vergnügt.
Lilitha wurde nur noch röter. »Das ist doch nicht wahr«, jammerte sie und versuchte sich die Zweige und Blätter aus ihren Haaren zu kämmen. So würde sie nur dafür sorgen, dass man ein falsches Bild von ihr erhielt und wahrscheinlich würde sie auch noch dafür sorgen, dass man schlecht über Kaden sprach.
Als sie seinen Namen dachte, wurde sie nur noch röter im Gesicht. Niemals hätte sie daran gedacht, dass sie den Highlord mit Namen ansprechen würde. Selbst, wenn es nur in ihren Gedanken war.
Als sie die Stadt erreichten, hatte sie sich zumindest so weit von dem unerwünschten Haarschmuck befreit, dass sie nicht mehr wirkte, als wäre sie gerade aus einem Techtelmechtel im Feld gekommen. Auch wenn das nicht ganz so weit von der Wahrheit entfernt war, wie sie es gern hätte.
Leider würde sie sich wirklich nur selbst anlügen, wenn sie behaupten würde, sie hätte nichts getan, was dieses Feld nicht auch verlassen könnte. Doch dem war nicht so.
Sie sollte sich keinesfalls an diesen Zustand gewöhnen, auch wenn ihr etwas sagte, dass das nicht das letzte Mal sein würde, dass sie so berührt wurde.




























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