Kapitel 58

Die Tage strichen ins Land und Lilitha versteckte sich die erste Zeit ausschließlich in Kadens Gemächern und im Gewächshaus, doch irgendwann nahm der Schmerz in ihrem Herzen so zu, dass sie sich nach Ablenkung sehnte.
Das Armband betrachtete sie mindestens zwanzigmal am Tag, doch es änderte sich nicht. Zum Glück. Die Blumen blieben, wie sie waren und zeigten ihr so, dass es Kaden gut ging. Nur nicht, wo er gerade war, oder ob er vielleicht traurig war. Es ging ihm lediglich körperlich gut. Doch dieses Wissen reichte ihr nicht.
Um ihren Kopf ein wenig klarer zu bekommen, verließ sie das Gewächshaus und wanderte durch die Gärten. Immer darauf bedacht, nur keinen anderen Haremsfrauen über den Weg zu laufen. Dazu war es hoffentlich im Moment zu früh am Morgen. Diese würden wohl gerade im Hamam sein.
Ihr Ziel war so unklar wie ihr Verstand. Wo wollte sie überhaupt hin? Kadens Arme waren das Einzige, was sie sich im Moment wünschte. Sie sehnte sich so sehr nach ihm, dass es schmerzte. Sie wollte, dass er sie in den Arm nahm, sie an sich drückte, ihre Stirn küsste und ihr sagte, es sei alles in Ordnung. Doch die Sorge, die ihr schlaflose Nächte bereitete, verschwand nicht. Ganz im Gegenteil. Sie wurde nur noch angeheizt. Wie oft hatte sie sich in seinem Bett vergraben, bei sich im Gewächshaus oder im Palast, nur um seinen Duft nochmal wahrnehmen zu können?
Tränen traten ihr in die Augen, während sie versuchte, ihren Weg so zu steuern, dass sie dort vorbeikam, wo sonst niemand war. Die Einsamkeit war nicht gut, doch sie wusste, dass sie nicht zu den anderen Haremsfrauen gehen konnte.
Erschöpft ließ sie sich auf einer Bank nieder. Das Essen fiel ihr schwer und der Hunger war auch kaum vorhanden. Außerdem konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten.
Sie keuchte, als sich ein großer Kloß in ihrem Hals verfing und ihr das Atmen schwer machte. Es kam nicht dem Schmerz gleich, den sie gespürt hatte, als ihre Eltern gestorben waren, doch er war dennoch unerträglich. Er war keine Woche weg und doch fühlte es sich an wie Jahrzehnte. Wieso hatte er sie nicht mit sich genommen? Dann könnte sie wenigstens bei ihm sein, egal wie gefährlich es war. Nichts tat so weh wie die Einsamkeit, die sie jetzt spürte.
Schritte erklangen in ihrer Nähe, doch Lilitha ignorierte sie. Sie wollte mit niemandem reden und hoffte, dass es nicht Laura war, die plötzlich hier auftauchte. Sonst würde sich wohl niemand um sie kümmern. Wahrscheinlich nur ein Dienstmädchen, oder einer der Gärtner. So oder so, war es ihr egal. Sie wollte nicht reden, sondern einfach nur zu Kaden!
Die Schritte wurden lauter, deutlicher und Lilitha versuchte mit aller Mühe ihr Schluchzen zurückzuhalten, auch wenn ihr das nur minimal gelang.
»Ein recht kalter Tag, um draußen zu sitzen, oder nicht?«, fragte plötzlich eine weibliche Stimme hinter ihr, die ihr recht bekannt vorkam.
Blinzelnd wischte sie sich hastig die Tränen aus dem Gesicht, um sich umzudrehen und in das helle Licht zu blinzeln, welches hinter der älteren Frau schien.
Als sie erkannte, wer es war, senkte sie sofort den Blick und tat ihre Hände dorthin, wo sie diese sehen konnte, während sie sich an Kadens weitere Worte erinnerte. »Mylady«, grüßte sie, erhob sich und machte einen Knicks, wie es sich ihrer Meinung nach gegenüber der Mutter des Highlords gehörte. Zu ihrem Überraschen lächelte die Frau leicht, wenn auch nicht sonderlich warmherzig.
»Wir hatten noch keine Gelegenheit miteinander zu sprechen«, antwortete sie zurückhaltend und machte eine Geste in Richtung der Bank, um ihr zu deuten, sich wieder zu setzen. »Besonders nach dem Haremstanz«, fügte sie hinzu, als ihr Blick zu Lilithas Hals huschte, an dem noch immer das schwarze Halsband zu sehen war.
Lilitha fühlte sich ein wenig unwohl, ließ sich aber langsam zu der älteren Dame nieder. Hoffentlich fragte sie nicht etwas, was Lilitha nicht beantworten konnte.
»Ich möchte nicht unhöflich klingen, aber es schien mir nicht, als würdet Ihr oft die Gesellschaft der Haremsfrauen suchen«, erklärte die Rothaarige kleinlaut und spielte nervös mit dem Ende ihres kirschroten, langen Zopfes.
Die Frau schnaubte beinahe lautlos, in einem abschätzigen Ton. »Ich sehe auch keinen Grund darin, etwas dergleichen zu tun«, erklärte sie, als wäre es offensichtlich. »Doch mein Sohn scheint in letzter Zeit sehr viel an Euch zu liegen«, gab sie zu, wobei Lilitha nicht ganz sagen konnte, ob es ihr missfiel oder sogar gefiel.
Lilithas Hände glitten zu ihrem Armband und sie spielte mit den goldgelben Blüten, die sich daran befanden.. »Gibt es bereits Nachrichten, ob es ihm gut geht?«, wollte sie leise wissen, weil sie nicht wusste, was sie auf die Aussage der älteren Frau sonst sagen sollte. Außerdem war das im Moment alles, was sie interessierte. Was man auch sehr deutlich an ihrer verzweifelten Stimme hörte, die sie nicht einmal mit Mühe zur Ruhe bringen konnte.
Sie konnte deutlich spüren, wie die Frau zu ihrer Rechten sie eindringlich mit niedergeschlagenen Augen musterte und ihr Armband betrachtete. »Nein. Doch er sollte erst jetzt an der Front angekommen sein, wenn ich mich nicht irre«, erklärte sie langsam und hob den Blick seufzend. Die Landschaft war gerade dabei, sich vom Winter zu erholen und spendete Lilitha ein wenig Trost. »Was genau habt ihr für eine Beziehung zueinander?«, fragte sie plötzlich aus dem Nichts und hielt den Blick auf die Weiten des Palasts gerichtet.
»Tut mir leid, Mylady, aber das kann ich Euch leider nicht sagen, denn auch ich habe keine Ahnung, wie ich diese Beziehung beschreiben soll«, erklärte Lilitha höflich und griff zu ihrem Halsband, während auch sie ihren Blick über die Landschaft gleiten ließ, doch sie sah andere Dinge, als die Mutter des Highlords. Dennoch dachte sie über ihre Worte nach. Dieselbe Frage hatte sie sich die letzten Tage ebenfalls oft genug gestellt, doch bisher hatte sie keine Antwort darauf erhalten.
»Mein Sohn ist ein sehr eigensinniger Vampir. Ihm gefällt es, eigene Regeln einzubauen und anderen beim Verzweifeln zuzusehen, während sie versuchen, ihn zu verstehen«, erklang erneut die fast schon melancholische Stimme der Dame, die in Erinnerungen zu schwelgen schien. »Doch ich habe ihn immer verstanden. Aber diesmal … hat er selbst mich überrascht«, murmelte sie nachdenklich und schien selbst recht unschlüssig.
»Er spielt sehr gern mit den Leuten«, stimmte Lilitha ihr leise zu und blickte dann hinauf in den Himmel. Die Morgenröte war dabei, sich langsam immer mehr des Himmels anzueignen. Sie überlegte, ob sie ihre Gedanken aussprechen sollte, oder nicht, da sie die Mutter des Highlords nicht verärgern wollte. »Vielleicht hat er so gehandelt, weil ich nicht mitspielen wollte«, sagte sie dann doch leise und versuchte ihre Gedanken nicht zu sehr zu Kaden wandern zu lassen. Sie vermisste ihn so sehr.
Nun blinzelte die Mutter des Highlords überrascht und wandte Lilitha kurz ihren Blick zu, ehe sie sich zurückdrehte. »Mir ist bewusst, dass mein Sohn sich oft unmöglich verhält. Doch es ist mir neu, dass er sich einer Frau in der Öffentlichkeit … so hingibt«, erklärte sie nun mit einem kurzen Räuspern und spielte offensichtlich auf den Kuss bei der Abschiedsfeier an.
Lilitha konnte nicht anders, als ein wenig zu lächeln und dabei daran zurückzudenken. »Auch ich habe ein solches Verhalten nicht erwartet«, gestand sie ehrlich. »Sein Verhalten ist für mich manchmal wie ein Buch mit sieben Siegeln.«
Sogar die Dame musste nun leicht lächeln. Auch wenn Lilitha nicht wirklich wusste, was der Anlass dafür war. Doch es war ein ehrliches Lächeln. Nicht wie das, was sie aufgesetzt hatte, als sie Lilitha begrüßt hatte.
»Das sieht ihm ähnlich, ja«, stimmte sie ihr seufzend zu und rang ein wenig mit ihren Fingern. »Er ist mein Sohn und ich liebe ihn, ganz egal wer oder was er ist. Auch wenn er manchmal denkt, dass ich ihn zu obsessiv bedränge, so will ich nur das Beste für ihn«, begann die Frau langsam. »Ich habe Kadens Vater nie geliebt und das weiß er auch. Er hält aus diesem Grund nicht viel von Ehen. Doch nur, weil ich keine Liebe im vorigen Highlord gefunden habe, heißt das nicht, dass diese nicht existiert. Auch wenn er nichts davon wissen will. Ich will, dass er glücklich ist und sollte er dieses Glück wirklich in Euch gefunden haben, dann möchte ich mich auch davon vergewissern, dass diese echt ist.«
»Ich weiß nicht, ob es Liebe ist«, erklärte Lilitha ein wenig geknickt. »Ich habe noch nie etwas Ähnliches gespürt, um es mit Gewissheit sagen zu können, aber ich weiß, dass er mir wichtig ist und ich ihn sehr vermisse«, murmelte sie leise und senkte etwas den Blick, um ein Blatt zu beobachten, das sanft zu Boden glitt. »Ob er mehr für mich empfindet, oder ob es nur seine Neugier ist, kann wohl nur er Euch beantworten.«
Ein leises Lachen, welches die Mutter des Highlords versuchte zu unterdrücken, drang an Lilithas Ohren. »Ich denke, er weiß noch nicht mal selbst, was genau er empfindet«, gestand sie fast schon entschuldigend und überschlug ihre Beine. »Doch ich weiß es. So hat er sich noch nie verhalten. Nicht mal seiner ersten Favoritin gegenüber.«
Lilitha horchte auf und warf ihr einen verstohlenen Blick zu. »Ich dachte anfangs, dass es daran läge, dass ich noch ein Kind war. Vampirische Beschützerinstinkte sind sehr stark«, murmelte sie, lehnte sich ein Stück auf der Bank zurück und entspannte sich ein wenig. Es war gar nicht so schlecht, mit dieser Dame zu sprechen. Zumindest wesentlich angenehmer, als die Gesellschaft der anderen Haremsdamen.
»Anfangs vielleicht. Doch darum geht es schon lange nicht mehr. Immerhin ist es dir leicht anzusehen, dass du deine Reife bereits erreicht hast«, erklärte sie und schielte dabei flüchtig zu ihren Rundungen, die sich in den letzten Monaten entwickelt hatten.
Lilitha wurde ein wenig rot um die Nase, da es ihr noch immer unangenehm war, so darauf angesprochen zu werden. »Ich weiß nicht, um was es ihm geht«, murmelte sie und wünschte sich nur noch mehr, dass er jetzt hier wäre. Sie wollte ihn spüren, hören und riechen. Sie vermisste ihn so schrecklich! Sie schluckte schwer, als sie an ihre letzte Nacht zurückdenken musste, in der sie sich ihm aus einem emotionalen Impuls heraus hingegeben hatte. Als er ihr erzählt hatte, er müsse gehen, hatte sie nicht geahnt, dass die Trennung so schmerzhaft sein würde.
»Um was geht es dir denn?«, fragte sie nun sanft, doch Lilitha war nicht dumm. Sie konnte die prüfende Note deutlich heraushören, als wurde sie einem Verhör unterzogen, ohne es zu merken.
»Ich weiß nicht«, antwortete sie wahrheitsgemäß. Um was ging es ihr? Sie wollte geliebt werden. Wollte jemanden, in dessen Gegenwart sie sich wohlfühlte. »Aber im Grunde geht es ja nicht darum, was ich möchte, sondern was er möchte. Solange er mich will, werde ich an seiner Seite sein, aber wenn er das Interesse an mir verliert, werde ich ihn bitten mich gehen zu lassen. Ich möchte nicht so enden wie Chiana und am Ende noch jemandem wehtun, weil ich den Schmerz nicht ertrage.« Ein wenig betrübt senkte Lilitha die Lider bei diesem Gedanken. Sollte er wirklich irgendwann das Interesse an ihr verlieren, und früher oder später würde es so sein, würde sie es nicht ertragen können, ihn mit einer anderen zu sehen. So wie Chiana ihn nun mit Lilitha sehen musste. Sie wollte lieber nicht wissen, wie sich das anfühlen würde. Auch wenn sie einen kleinen Vorgeschmack bekommen hatte, als er Chiana vor ihren Augen verführt hatte.
»Liebst du ihn: Ja oder nein?«, fragte sie nun und blickte Lilitha geradewegs an. Ihre eisgrauen Augen waren fest auf sie gerichtet und hielten sie förmlich gefangen, bis sie ihre Antwort bekommen würde.
Lilitha hingegen wusste nicht, was sie sagen sollte. Am liebsten hätte sie sich erhoben, und wäre gegangen, doch das hier war Kadens Mutter und keine Frau aus dem Harem, der sie so vielleicht entgehen konnte. Also würde sie antworten müssen, doch wahrscheinlich würde ihr die Antwort nicht gefallen.
»Ich denke schon«, flüsterte Lilitha schließlich und hatte sichtlich Mühe diese Worte hervorzubringen. Sie sorgten nur dafür, dass sie sich etwas eingestand, dass sie versuchte seit Tagen zu leugnen. Sie hatte sich in Kaden verliebt und das machte ihr Angst. Sie hatte gutgetan damit, seine Befehle als Ausrede gegenüber ihrem Gewissen zu benutzen. Dass er sie ständig bei sich haben wollte, oder sie küsste, wenn ihm danach war. Er hatte es ihr so leicht gemacht, ihm zu verfallen. Doch nun lag es an ihr, sich dem klar zu werden.
Stumm erhob sich die Dame neben ihr und strich ihr elegantes, wenn auch schlichtes Kleid zurecht, ohne Lilitha anzusehen. »Ich möchte heute Abend mit dir speisen. Wäre das in Ordnung?«, fragte sie plötzlich, was Lilitha sichtlich überrascht blinzeln ließ.
»Ja, natürlich, Mylady«, antwortete sie und grübelte, warum die Dame überhaupt fragte. Sie hätte es doch befehlen können. Aber so hatte das Ganze etwas Vertrauteres. Nur wusste Lilitha nicht, ob es gut war, wenn sie so viel Zeit mit dieser Frau verbrachte. Obwohl …, sie war Kadens Mutter, vielleicht war es doch gut sie kennenzulernen.
Ob sie Chiana auch zu sich zum Essen gebeten hatte? Nein! Wieso fragte sie sich das überhaupt? Immerhin war Chiana die Favoritin gewesen. Lilitha war lediglich … sie wusste nicht, was sie war.
Die ältere Dame nickte ihr mit einem angedeuteten Lächeln zu und verabschiedete sich von ihr, indem sie Lilitha leicht an der Schulter berührte. »Bleibt lieber nicht zu lange draußen. Es ist zwar schon Frühling, aber die Nächte sind doch noch sehr kalt. Vermutlich erwarten wir sogar noch einmal Schnee«, erklärte sie überraschend sanft und drehte sich um, um zurück zum Palast zu gehen.
Lilitha blicke ihr lange hinterher, ehe auch sie sich erhob. Die Dame hatte recht, es wurde wirklich kalt. Die Rothaarige fröstelte zwar noch nicht, dennoch konnte sie es an den Blumen erkennen. Das war nicht gut, denn Vampire waren nicht unbedingt sehr kälteresistent. Hoffentlich zog Kaden daraus keinen Nachteil.
Argwöhnisch kniff sie die Augen zusammen, als ihre Gedanken wieder einmal unbewusst zu Kaden gewandert waren. Ob er wohl auch so oft an sie dachte, wie sie an ihn? Irgendwie hoffte sie es. Doch vermutlich hatte er andere Sachen, mit denen er sich beschäftigen musste.
In Gedanken verloren, schlenderte Lilitha zurück in Richtung Hof, um vielleicht noch ein wenig Zeit in den Räumen des Highlords verbringen zu können. Ungern wollte sie sich in ihrem Zimmer für das Abendmahl herrichten, denn dann würde sie auf dem Weg dorthin den Haremsfrauen kaum ausweichen können.
Doch sie würde sich herrichten, denn sie wollte Kadens Mutter nicht aus Versehen beleidigen. Und solange sie nicht genau wusste, was diese beleidigend fand und was nicht, würde sie sich an die Etikette halten müssen. Da sie dies sonst nie tat, würde es den anderen Haremsfrauen sicher auffallen.



























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