Kapitel 20
Sankt Sanapee ein kleines Dorf umgeben von Kuhweiden und Feldern. Nur selten verirren sich Kutschen, Reisende oder Pilger hierher. Es ist ein friedliches Dorf, sofern sich kein Außenstehender einmischt. Die Leute Vorort sorgen füreinander und doch wirkt die Atmosphäre trostlos. Fast leere Straßen finden sie vor und wenn ein Mensch umherwandert, dann mit einem traurigen oder grimmigen Gesichtsausdruck.
Unterwegs durch die Felder ist Clive der katastrophale Zustand nicht entgangen. Der nährhaltige Boden ist wie im Wald ausgetrocknet. Die Leute auf den Straßen wirken unterernährt und selbst der Himmel lässt diesen Ort noch grauer wirken, denn die Himmelsschafe sind dicht und lassen keinen Sonnenstrahl durch. Ein Blick in den Horizont zeigt, dass die Wolken nicht mal ansatzweise dunkel genug sind, um Regen anzukündigen.
Sina verhält sich seit dem Vorfall im Wald distanziert und mit ihrem unglücklichen Blick könnte man meinen, sie sei Teil des Dorfes. Zum Glück sitzt die Vogeldame Mina auf ihren Schultern und lässt sich streicheln, damit spendet das Tier der Fee Trost und Halt.
„Mann! Was stimmt denn nicht mit den Leuten? Da kriegt man ja richtig schlechte Laune“, meldet sich Rebecca lautstark.
Mit vorwurfsvollem Blick dreht sich Clive zu ihr. „Dieser Ort leidet Hunger!“
„Woher willst du das wissen?“
Bislang bewies sie sich als helles Köpfchen, daher fürchtet er einen Test. Doch es klingt, als spreche mehr die Neugierde aus Rebecca. Er hört keinen Spott heraus. Die Unterernährung sollte ihr doch eigentlich ins Auge gesprungen sein. Daher kommt er auf die andere Beobachtung zurück.
„Die Felder sind ausgetrocknet.“
Ihre Augen weiten sich und ihr Kopf fährt herum. „Oh wirklich?“
Rebecca springt augenblicklich aus der Kutsche, um einen Blick auf die Weiden zu erhaschen. Das Gras dort ist gelb gefärbt und in einem schlechten Zustand. Fast, als würde es bei der noch so kleinsten Berührung zerfallen. Viele Stellen sind kahl, nichts deutet mehr auf eine saftige, grüne Wiese hin.
Genervt von der stürmischen Art bläst Cuno die Wangen auf, um seiner Kindheitsfreundin im nächsten Moment zurufen: „Würdest du bitte in der Kutsche bleiben, Rebecca.“
Die Neckereien zwischen den beiden Freunden endet selbst jetzt nicht. Denn Rebecca kann hält ohne Anstrengung locker mit dem Transportmittel zu Fuß mit. Mit einem provozierenden Lächeln läuft sie neben dem Kutscher.
„Ich sehe mich nur etwas um, Cuno. Kommt euch nur zu Gute und keine Angst, ich haue schon nicht ab. Aber das öde Gespräch mit dem Dorfältesten kann ich mir schenken. Übrigens werden wir beobachtet, zwischen den Häusern huschen einige Gestalten herum. Also bis später.“
Kaum angekündigt tritt Rebecca zur Seite und taucht hinter einem Strauch unter. Wütend ruft Cuno ihren Namen, doch von Rebecca fehlt nun jede Spur. Mit hochrotem Kopf blickt der Paladin nach vorne, fokussiert sich auf sein Ziel – das Gemeindehaus.
Ein taktisch kluger Zug, um der bedrückenden Atmosphäre zu entkommen. Clive würde ebenfalls gern von der Kutsche abspringen und sich mit seiner Arbeit ablenken. Unbehagen quält ihn und die angespannte Stille lässt sich kaum aushalten. Daher wählt er das Gespräch. Bewusst wählt er Cuno, denn Sina wirkt, als brauche sie noch etwas Abstand und Ruhe.
„Mach dir keine Sorgen um Rebecca, sie kommt sicherlich zurecht.“
Ein Aufmunterungsversuch, der beim Paladin für wenig Eindruck sorgt. Cuno betrachtet ihn mit hochgezogener Augenbraue, grimmig als hätte Clive ihn zutiefst beleidigt.
„Sie wird Ärger machen, dafür ist sie bekannt“, setzt der Paladin an und nach einem kurzen Augenrollen fügt er noch etwas hinzu, „Und als ob ich mir um sie Sorgen würde!“
Clive kann nicht anders, als diese Tatsache der Verleugnung zu belächeln, woraufhin der Ausdruck in Cunos Augen dunkler wird.
„Grins nicht so!“, brummt der Beschützer genervt.
Bevor das Gemeindehaus erreicht wird, mag Clive sich der Planung widmen.
„Wie gehen wir gleich vor?“
„Am Gemeindehaus werden wir jemanden treffen, der uns weiterhelfen kann. Wir müssen mit dem Dorfvorsteher reden. Mal sehen, wie sie die Güter annehmen. Ob sie es bei einem Dank belassen oder glauben, uns überfallen zu können. Ich hatte nicht vor, lange zu bleiben. Die Route gehen wir im Gasthaus durch.“
Noch immer sieht Cuno nur das Schlechte in den Leuten. Vielleicht verschuldet durch seine Berufung. Als Paladin bekam er sicherlich viel Leid und Gehässigkeit zu sehen. Doch Clive hat Hoffnung, dass die Reise ihm auch andere Seiten vor Augen halten kann.
„Ich möchte mich nach Erkrankten erkundigen, vielleicht kann ich helfen“, gesteht Clive.
„Wir können es versuchen, aber meist sind die Leute sehr abergläubisch und lassen sich nicht von einem Alchemisten helfen“, erinnert Cuno ihn an die Tatsachen.
„Es mögen nicht viele Leute sein und doch gibt es immer welche, die auf ein Wunder warten.“
Da spricht die Erfahrung aus ihm und hält ihm die Dankbarkeit vieler Angehöriger vor Augen. Erinnerungen, die Clives Herz wärmen. Doch Cuno spielt den Skeptiker, obwohl er selbst Zeuge davon wurde. Obwohl er von seinem Grafen geschickt wurde und selbst auf Rettung der Grafentochter hoffte. Der Paladin mag seine Gedanken hüten, aber Clive sieht die Zweifel in seinem starren Blick.
Das Gemeindehaus befindet sich nahe der Schmiede, im Zentrum des Dorfes. Auffällig lang und besonders gepflegt. Umrandet von vielen prachtvollen Pflanzenbehältern. Korbgeflechte an den Laternen, bis hin zu glatten Mauerstücken mit dem Einsatz von Pflanzenwannen. Eine Gartenanlage rund um das Haus, das systematisch und mit Struktur angelegt wurde. Aber die Dürre forderte viele Opfer. Hängende Köpfe oder gähnende Leere lassen sich in den Pflanzengefäßen finden. Mit Ankunft der Kutsche legen der Schmied und seine Söhne ihr Arbeitswerkzeuge nieder. Misstrauisch beäugen sie die Fremden. Nach einer kurzen Absprache mit seinen Söhnen schreitet er entschlossen auf die nun stillgelegte Kutsche zu.
Der breitgeschulterte Mann nähert sich genau Clive, der sich durch den grimmigen Blick des Mannes doch etwas eingeschüchtert fühlt.
„Wer seid ihr und was wollt ihr hier?“
Rau und kalt ist die Stimme des Handwerkers. Gnadenlos und bedrohlich wie der Hammer, den der Kerl schwingt.
Cuno kommt dem Alchemisten zuvor. „Wisst Ihr, wo der Dorfvorsteher zu finden ist?“
Er klingt gefasst und unbeeindruckt von der unfreundlichen Begrüßung.
„Warum?“, brummt der Schmied alles andere als einladend.
Der kräftige Mann mustert den Paladin skeptisch und belächelt das Gesamtpaket.
„Feine Kleidung hat der Herr.“
„Paladin Cuno, im Dienste von Graf Bylom.“
„Was verschlägt einen Paladin hierher?“
„Wir sind auf Durchreise und suchen einen Ort zum Übernachten“, antwortet Cuno ihm unbeeindruckt.
„Die Herberge Am Pferdehof befindet sich einige Straßen weiter, dort werdet ihr fündig“, informiert der Schmied sie und glaubt damit, dass Gespräch beendet zu haben.
„Haltet doch bitte ein. Habt …“
Der Ruf bleibt Clive im Halse stecken, als sich der Schmied schnaufend umdreht. Als sei er verärgert länger von seiner eigentlichen Arbeit abgehalten zu werden. Sein kalter Blick verschlägt Clive kurz die Sprache.
„Was gibt es denn noch?“, giftet der Schmied.
Der Alchemist strafft sich und blickt entschlossen auf. „Habt ihr Erkrankte, Verwundete oder Leute, die ärztliche Hilfe brauchen. Ich bin …“
„Lasst mich raten, dein albernes Auftreten gleicht einem Mann der Wissenschaft.“, fällt der Kerl ihm ins Wort.
Spöttisch betont er Mann der Wissenschaft und rollt mit den Augen. Ein vertrautes Verhaltensmuster. Nur die wenigsten Alchemisten können den Zorn hinunterschlucken und Professionalität wahren. Dabei gehört dies zur Ausbildung und sollte während der Reise nun umgesetzt werden.
„Das bin ich, ein Alchemist.“
„Zum Kuckuck mit euch Alchemisten!“, schnaubt der Schmied verärgert und nimmt Abstand.
Ein derber Rückschlag, von dem sich Clive nicht entmutigen lassen mag. Taten müssen sprechen. Sich darüber zu ärgern würde nichts an der Situation ändern. Und doch beobachtet Clive, wie der Mann zurück in die Schmiede geht. Auch seine Söhne belächeln die Besucher amüsiert. Ihre Haltung gegenüber der Wissenschaft könnte für großen Ärger sorgen. Ihnen vorerst aus dem Weg zu gehen wäre der taktisch klügere Weg.
„Und nun?“, erkundigt sich Cuno ungeduldig.
„Gehen wir erst mal in die Herberge und sichern uns einen Platz für die Nacht. Danach sehen wir uns hier mal um“, beschließt Clive.
Der Paladin nickt ihm zu und kehrt mit ihm zurück zur Kutsche.
Eine Sache beschäftigt Clive dennoch. Cuno Ehrlichkeit lernte er zu schätzen, daher hinterfragt Clive leise: „Sehe ich wirklich so lächerlich aus?“
Mit dieser Frage wirkt der Paladin überrumpelt und bringt nur leise hervor: „Ich enthalte mich.“


































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