Kapitel 3 – Tief sitzender Groll
Einen Duft voll von Frische und Sinnlichkeit trägt der Wind durch den Königshof. Cassandras Fenster mit den Freesien ist nah. In Sichtweite. Samira muss nur den Kopf heben und schon blicken ihre smaragdgrünen Augen hinauf zu den geöffneten Glastüren. Direkt auf die mit Liebe gepflanzten Blumentöpfe. Gedankenverloren tritt die Prinzessin an den Rand des überdachten Gangs. Ganz nah an die kleine Gartenanlage im Innenhof. An den großen Kirschblütenbaum, wo die beiden Schwestern jedes Jahr aufs Neue Zeit miteinander verbracht haben. Auf einer großen und weichen Decke im hohen Gras. Im Schatten des Baumes konnten sie Stunden an jenen Ort verbringen. Mit dem Zahn der Zeit kamen mehr Pflichten und somit schätzten sie jene gemeinsamen Momente, so kürzer diese auch wurden, dafür aber wertvoller.
Vernebelt durch den starken Blumenduft tritt Samira langsam an den Baum heran. Ihr Gehör spielt ihr nun ebenfalls einen Streich, denn sie meint leise Cassandras Ruf wahrzunehmen. Eine liebliche Stimme, die von den zarten Böen getragen wird und an Kraft verliert. In aller Frühe herrscht bereits viel Betrieb in der kleinen Gartenanlage. Das Personal kümmert sich gewissenhaft um die Pflanzenwelt und doch begrüßen sie die Prinzessin anerkennend und freundlich. Samira erwidert jeden Gruß respektvoll, so wie es Cassandra machen würde. Angekommen an dem schattigen Plätzchen unter dem Baum macht Samira einen kleinen Fund. Mit zittrigen Fingern erfasst sie eine Spielkarte aus dem Set ihrer Schwester. Die Herz-Dame. Ein Blick auf die edle Königin und sie nimmt eine Erinnerung ihrer Schwester wahr. Eine ganz frische Erinnerung. Denn vor wenigen Wochen saß Cassandra genau dort im hohen Gras. Das Kartenblatt hielt sie wie ein Fächer vor ihrem Gesicht, wohinter ihr süßes Puppengesicht sich versteckte. Eine Erinnerung zum Greifen nah. Diesmal nicht tröstend, sondern schmerzerfüllt. Das Herz schreit und wünscht sich die alten Zeiten zurück.
Unbewusst hebt Samira ihren Kopf. Zu ihrem Schutz. Tränen sammeln sich bereits in den Augen. Ein Moment der Schwäche. Eine Maske muss her! Als Königstochter wird Professionalität gewünscht. Trauern kann sie in ihren Gemächern. Die Maske der Gefasstheit sei ihr jedoch nicht gegönnt. Eine Sichtung und sie erhält die des Schreckens. Ihr Herz zieht sich zusammen, als sie einen Schatten am offenen Fenster ausmacht. Eine Gestalt, die auf sie hinabblickt und sich in dem Zimmer ihrer Schwester befindet. Aufgeflogen tritt die Silhouette in den Hintergrund. Ganz langsam.
Das Blut rauscht in den Ohren und das Herz schlägt bis zum Hals. Samira erstarrt zur Salzsäure und vergisst ihre Umgebung. Bis ein älterer Herr an sie herantritt. Ein Gärtner, der sie besorgt durch seine grauen Augen anstarrt.
„Verzeiht, Hoheit. Geht es Euch gut?“
Die Karte der Herz-Dame litt durch Samiras Starre. Erschrocken versteckt Samira die zerdrückte Karte hinter ihrem Rücken und nimmt erst jetzt den Ruf und die bleiernen Schritte wahr.
„Habt Dank für Eure Sorge, aber mir geht es gut. Wirklich.“
Kaum neigt der Gärtner den Kopf und tritt in den Hintergrund, dreht sich Samir um, wo die nächste Überraschung wartet.
Zu wenig Zeit verbringt Samira mit den Rittern und doch führt die Laune des Schicksals den Mann zurück zu ihr, den sie am Grab ihrer Schwester getroffen hat. Der blonde Ritter ist nicht allein und sämtliche Wärme sucht die Prinzessin vergebens in seinem Gesicht. Sein Zorn scheint der Frau zu gelten, die er gegen ihren Willen in die Gartenanlage zerrt. Grob und voller Abscheu. Eine spindeldürre Frau mit ungewöhnlich weißem Haar. Weiß wie frischgefallener Schnee. Der athletische Körperbau spricht für eine Kriegerin. Die Wahl ihrer Kleidung sticht besonders heraus, denn solch eine helle Robe wirkt fremd und auch die vielen Gurtschnallen von der Taille herab sprechen nicht für dieses Königreich. Überall an dem Gürtel hängen Taschen. Gefüllt, wie die klimpernden Geräusche verraten. Die eingewachsenen Edelsteine im Gesicht glitzern im Licht der Sonne. Sicherlich versteckt unter der großen Kapuze der weißen Tunika. Der von Hass und Ekel geplagte Ausdruck in dem wunderschönen Antlitz der Dame ist kaum zu ertragen. Die schmalen Katzenaugen haften auf dem Ritter, bevor er sie wenige Schritte vor Samira gewaltsam zu Boden drückt und sie am Kopf gefangen hält.
„Verzeiht die Störung, Prinzessin Samira. Aber ich hielt es für angemessen Euch die Frau vorzustellen, die Eure Schwester auf dem Gewissen hat.“
Worte, die nur ganz langsam in Samira einsickern, und den Mund zum Entsetzen öffnen. Samiras Herz leidet erneut so stark, dass ihr Körper bebt. Ungläubig betrachtet sie die jungaussehende Dame genauer, was ihr Gegenüber sich zu Nutze macht, und die langen Elfenohren freilegt. Die erste Begegnung mit dem mysteriösen Volk aus den Wäldern weit hinter der Grenze hat sich Samira anders vorgestellt. Anmutig und von sagenhafter Schönheit sind die feinen Züge des Elfenvolkes. Die Haut hell und die Aura voller Energie. Um das fremde Geschöpf knistert und funkelt die Natur. Fast blendend und doch wirkt der Geist vergiftet. Gefühlt mit Kälte der Blick, den sie Samira entgegen schmettert. Die schmalen Lippen zu einem dünnen Strich gepresst und doch tritt die Luft heraus. Es klingt wie das Zischen einer Schlange. Gefährlich und unheilvoll.
„Thorbens jüngstes Küken!“ Ein höhnisches Lachen dringt aus der Kehle der Elfe. Voller Bosheit und Verachtung. „Schutzlos und nichtsahnend! Wie schön. Das weckt Erinnerungen.“
Ein Faustschlag donnert wie der Hammer eines Richters hinab und befördert das fremde Geschöpf in den Dreck. Samira weicht erschüttert zurück. Entsetzt über den Gewaltakt. Aber die Elfe lacht, als hätte der Ritter sie mit Samthandschuhen angefasst. Als sei sie solch ein Verhalten gewohnt. Mit Würde hievt sich die Elfe auf die Beine und streckt den Rücken durch. Das selbstgefällige Grinsen nimmt eine Spur Wahnsinn an. Samiras Dasein löst etwas in ihrem Gegenüber aus. Eine tiefe Finsternis. Ein Abgrund ohne Entkommen. Ein entscheidendes Detail wurde dabei genannt, woraufhin die Prinzessin mit Sorge zurückkommt.
„Bitte sagt mir, hegt Ihr persönlichen Groll gegenüber meinen Vater?“
Ertappt zuckt das mysteriöse Geschöpf zusammen. Nur kurz entgleiten ihr die Gesichtszüge und ihre Augen weiten sich, als spiele sich vor ihr eine längst vergrabene Erinnerung ab. Wachsender Zorn bohrt sich durch die Augen. Direkt in Samiras Herz. Panik keimt in der Prinzessin auf, was der Ritter bemerken zu scheint, denn er reißt die Elfe ein Stück fern von ihr.
„König Thorben.“ Aus dem Mund der Elfe klingt seine Herrschaft verachtungsvoll, dabei liebt das Volk den Herrscher des Reiches. „Alle glauben, ihn zu kennen. Aber über seine Schandtaten verliert keiner ein Wort.“
„Schandtaten?“ Samira blinzelt verwirrt und glaubt, die Elfe verwechselt ihren Vater mit einem anderen Mann. „Wovon spricht Ihr?“
„Über seine starke Abneigung gegenüber meinen Volk. Über seine Taten auswärts seines Königreiches…“
„Genug!“ Der Ritter greift ein und drängt die Elfe in den Hintergrund. „Verzeiht, Prinzessin. Meine Absicht war es nicht, dass die Worte dieser Mörderin Euren Geist verwirren. Ich wollte Euch nur einen Blick auf den Täter erhaschen lassen und hatte große Hoffnung, dass Euer Kummer Reue in dieser Frau auslöst.“
„Reue?“, zischt die Elfe und lacht erheitert, „Ich bereue nur, dass ich gestoppt wurde, bevor ich mir das jüngste Küken schnappen konnte.“
Bitterkeit breitet sich im Mund aus. Der Geschmack von Galle. Samira schluckt schwer. Ihr Herz erträgt die Situation nicht länger. Kummer fließt in Form von Tränen heraus und das Unverständnis lässt sich nicht mehr verdauen, sondern bricht qualvoll heraus.
„Cassandra war ein herzensguter Mensch. Ihr mögt Differenzen mit meinem Vater haben und doch verstehe ich nicht, wieso meine Schwester darunter leiden musste! Ich empfinde das als höchst ungerecht!“
Am Ende zittert ihre Stimme und Samira vergreift sich im Ton. Gekränkt und noch immer in tiefer Trauer. Die Arme zittern und Zorn quillt hinauf. Diesen Gefühlen freien Lauf zu lassen und einfach irgendwo draufzuhauen wäre nur eine kurze Lösung. Ein Fehltritt, den sie sich nicht erlauben mag. Aber bevor sie sich vergisst, stürmt sie davon. Hastig und ungeschickt. Der Kopf ist voll mit Emotionen und der Geist müde. Noch ehe sie begreift, wohin ihre Füße sie getragen haben, schmeißt sie sich wie in alten Zeiten auf Cassandras Bett. Das größte Kissen drückt die Prinzessin fest an ihre Brust und sie versteckt ihr tränennasses Gesicht im weichen Stoff. Zarte Windzüge streicheln über ihren Rücken hinauf zum Schopf. Es erinnert fast an Cassandras Trosteinheiten, die sie gerade jetzt dringend gebrauchen könne. Der Sturm der Gefühle lichtet sich, dank des starken Dufts ihrer Schwester, der zum Glück noch nicht verschwunden ist und hoffentlich bis in die Ewigkeit bestehen bleibt.




























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