Kapitel 7 – Die Bestie erwacht
„Riley.“ Ava tritt furchtlos an jenen Paladin heran, der viel Zeit mit Cassandra verbrachte und ihre Mörderin ausfindig machte. „Hab gehört, du hast dem König gute Dienste geleistet. Meinen Glückwunsch zur Verhaftung der Elfe.“
Anders als Ava vergaß Samira den Namen von Cassandras Trainingspartner, obwohl er ständig fiel. Nun aber soll sich dies ändern. Die Prinzessin spricht den Namen bewusst mehrere Male im Stillen aus. So lange, bis sie das Gefühl hat, diesen nicht zu verlieren. Der Paladin trägt einen kurzen, aber schönen Namen.
Obwohl Ava den jungen Mann anspricht, ruhen die himmelblauen Augen auf der Prinzessin. Er wirkt über ihre Anwesenheit überrascht, was sicherlich nicht verwunderlich ist, da sich kaum eine Seele hierher verirrt. Für Geduld ist Ava jedoch nicht bekannt. Sie wedelt bereits vor seinem Gesicht, um sicherlich einen möglichen Schlaganfall auszuschließen.
„Haste Bammel? Dann sei unbesorgt, Samira duldet Privatgespräche während der Arbeit. Sie ist netter, als du glaubst.“
Riley’s Augen weiten sich. Noch immer starrt er Samira an. Der Geist in ihm erwacht und beschämt von Avas offene Art winkt er ab, bevor er die Hand vor der Brust ballt. Mit eingezogenem Kopf geht er in die Knie, was Jared spöttisch pfeifen lässt. Die beiden Zwillinge tun sich schwer mit Anstandsregeln und Respekt. Trotz, dass sie im Dienste der Krone stehen. Es sind ihre Erfolge und Resultate, die viele Adelsleute über ihr mangelhaftes Benehmen wegblicken lassen. Samira hingegen schämt sich gerade für die beiden, da diese über das Verhalten des Paladins lachen. Ava schnauft bereits wie ein wütender Stier und dreht sich mit Schwung um. Ihr messerscharfer Blick reicht zum Glück aus, damit Ruhe einkehrt.
Riley macht keinerlei Anstalten, sich zu erheben oder gar den Kopf zu heben, woraufhin Samira einen Schritt auf ihn zumacht.
„Erhebt Euch doch bitte.“
Ihrem Wunsch wird Gehör geschenkt. Der Paladin blickt wehmütig auf und braucht einige Sekunden, um sich zu sammeln, bevor er sein Herz ausschüttet.
„Den Vorfall von heute Morgen bedaure ich zutiefst. Es war nicht meine Absicht, Eure Gefühlswelt ins Wanken zu bringen. Es freut mich zu sehen, wie schnell Ihr Euch gefangen habt und Stärke beweist.“
„Natürlich fängt sich Samira.“ Savas tritt grinsend heran. „Unterschätzt sie nicht.“
Mit großen Augen blickt Riley zu ihm rüber. Samira ahnt, was ihn so fassungslos macht. Für die fehlende Anrede werden die Zwillinge gern gerügt. Aber bevor es ausartet, gibt Samira Entwarnung.
„Meine Leibgarde braucht mich nicht so förmlich ansprechen.“
Statt diese Entscheidung zu kritisieren, lächelt der Paladin traurig.
„Ihr seid Eurer Schwester in diesem Punkt sehr ähnlich.“
Es mag ein Kompliment sein und doch ist die Wunde frisch. Daher gleitet Samiras Blick an ihm vorbei und bleibt bei der bemalten Tür hängen.
„Sir Riley, was hat Euch in die Bibliothek verschlagen? Dieser Ort wird bedauerlicher Weise nur selten aufgesucht. Euch habe ich hier bislang nicht gesehen.“
Beschämt schlägt er die Augen nieder und kratzt sich verlegen am Kopf.
„Ihr seid aufmerksam, Eure Hoheit. In der Tat verschlägt es mich zum ersten Mal hierher. Ein wenig Recherche über die Zeit vor Eurer Geburt.“
Die Details werden bewusst weggelassen und der fehlende Augenkontakt zeigt ihr, wie unangenehm ihm diese Begegnung scheint. Was er auch nachgeschlagen hat, soll sicherlich nicht an die große Glocke gehangen werden, daher mag Samira das Thema nicht vertiefen und neigt sich respektvoll vor. So angenehm das Gespräch mit ihm auch sein mag, drängt die Zeit.
„Ich verstehe, Sir Riley. Dann will ich hoffen, dass Eure Recherche erfolgreich war. Ich mag Euch nicht länger stören. Bitte entschuldigt mich nun.“
Der erste Schritt auf die Türflügel ist gemacht, da streckt ihr Gegenüber den Arm aus und versperrt ihr somit den Zugang. Voller Entschlossenheit, die sofort ins Wanken gerät, als sich beide in die Augen schauen. Mit angehaltenem Atem tritt er eilig von ihr fort und gerät sogar ins Straucheln. Noch ehe sie ihm behilflich werden kann, fängt er sein Gleichgewicht.
„Bitte nennt mich nur einfach Riley, Eure Hoheit. Meine Beförderung zum Paladin ist noch frisch und die Anrede lässt mich älter fühlen.“
Samira fühlt mit ihm. Ihr ergeht es ähnlich. Obwohl die Adelstitel seit Geburt genannt werden, fühlt es sich immer befremdlich an. Daher genießt sie es, dass die Zwillinge sie gewöhnlich behandeln.
„Einverstanden, sofern Ihr mich ebenfalls nur mit Samira ansprecht.“
Ihre Forderung lässt ihn ungläubig blinzeln.
„Ihr beliebt zu scherzen? Ich würde mir nie anmaßen, Euch mit mir auf eine Ebene zu setzen.“
Gefrustet bläst Samira die Wangen auf und schimpft leise: „Aber bei meiner Schwester habt Ihr eine Ausnahme gemacht?“
Ihr Konter bringt ihn erneut ins Wanken und er ringt um die passenden Worte. „Eure Schwester war mehr eine Kameradin und benahm sich wie ein Paladin statt wie Prinzessin.“
Ava brummt erzürnt und schlägt die Fäuste gegeneinander. „Er will unbedingt sterben!“
Ihr Zähnefletschen ruft Panik in Riley hervor. Der Schweiß perlt bereits von seiner Stirn.
„Das war keine Beleidigung, das versichere ich euch allen. Cassandra war der hellste Stern unter den Paladinen. Alle haben zu ihr aufgeschaut, aber sie war mehr eine Kameradin wie …ich traue es mich gar nicht auszusprechen.“
Mit verschränkten Armen versichert Samira ihm: „Tja, Sir Riley. Ich dulde keine Sonderbehandlungen und fühle mich extrem gekränkt. Unser Deal ist geplatzt. Gewöhnt Euch besser daran, Sir Riley. An das Gefühl, Euch wie ein alter Mann zu fühlen.“
Es war abzusehen, dass sie die Zwillinge mit solch einem Verhalten amüsiert. Die beiden kugeln sich vor Lachen im Hintergrund, während der stolze Krieger vor Scham im Boden versinken könnte und die Flucht bevorzugt.
„Verzeiht die Störung, Eure Hoheit. Ich halte Euch nicht länger auf.“
Kaum spricht er zu Ende, eilt er davon, als müsse er um sein Leben rennen.
Jared und Savas mögen die Prinzessin mit Lob überschütten, aber Samira fühlt sich noch immer vom Ausgang gekränkt. Ava schüttelt ebenfalls ungläubig den Kopf.
„Der Typ hat einen Stock im Hintern!“
„Sir Riley verhält sich in der Tat seltsam. Würde ich es nicht besser wissen, würde ich nicht glauben, dass er bei Cassy lockerer aufgetreten ist.“
„Vielleicht steht er einfach nur auf dich, Samira“, mutmaßt Jared.
„Besser nicht“, tönt es von Savas, „die halbe Portion hat niemals eine Chance bei Samira. Da wäre ich doch sicherlich ein besserer Fang.“
Ava dreht sich bellend um. „Untersteht euch! Samira steht eine Ehe mit einem waschechten Prinzen zu und keinem Halunken.“
Doch Jared fühlt sich mehr geschmeichelt und fordert sein Glück heraus. Er bewegt sich schnell und listig wie eine Schlange, die Ava geschickt umgeht, um anschließend um Samira zu tanzen.
„Für dich erobere ich ein Königreich und halte als Prinz um deine Hand an, Samira. Was hältst du von dem Gedanken?“
Statt die Sache ernst zu nehmen, bricht die Prinzessin in Gelächter aus und schüttelt sich. Eine nicht erhoffte Reaktion für den Gauner. Seine Augenbrauen treffen sich fast bei seinem fragenden Blick, aber Samira muss kurz nach Luft schnappen, bevor sie Klartext spricht: „Du bist nicht in der Lage, dich an eine einzige Frau zu binden. Einen untreuen Prinzen will ich mir nicht anlachen.“
Doch Jared zuckt lässig mit den Schultern und kontert wie immer selbstbewusst: „Einem untreuen, aber gutaussehenden Prinzen.“
Wohl wahr. Und doch schüttelt sich Samira bei dem Gedanken.
„Nein danke.“
Auch Ava muss ihr Senf dazugeben und spricht eine ernstgemeinte Warnung aus: „Bevor du die Grenzen passierst und Dummheiten baust, gerätst du in meine Fänge. Ein paar Schläge und ich schleife dich zum Thron zurück, wo du um Gnade betteln darfst.“
Eine schaurige Vorstellung. Ava macht in diesem Punkt keine Scherze und verliert in solchen Momenten ihre Menschlichkeit. Bei Verrat ist sie wie ausgewechselt und ihr Kopf macht dicht. Eine gnadenlose Jägerin, die erst zur Ruhe kommen würde, wenn sie ihre Beute überwältigt hat. Furchtlosigkeit oder Todesmut, was Jared auch antreibt, Samira kann nur für sein Wohl beten, als er sich Ava gegenüber behauptet: „Der Gedanke macht dich doch sicherlich nur eifersüchtig, Ava. Kannst gerne zugeben, dass du eine Auge für mich hast.“
Zuerst folgt die Blöße in Form vom feuerroten Wangen und einer unheilvollen Stille, bis die Frontkämpferin mit einem Faustschlag ausholt. Zu offensichtlich für Jared, der lachend ausweicht. Doch das Grinsen vergeht ihm in dem Moment, als ihre Hand sein Wams erwischt und sie ihn mit Schwung durch die Luft wirft. Avas Kriegsschrei erschüttert Samiras Geist. Aus Furcht vor der Kriegerin weicht sie zurück. Ihr Körper presst sich gegen die Flügeltür. Der Schrecken ist groß, als die Prinzessin umgerissen und durch den kleinen Türspalt in die Bibliothek geschoben wird. Ein Schulterblick und sie bekommt Savas‘ freches Grinsen zu sehen.
Er legt den Zeigefinger vor den Mund, bevor er ihr verspricht: „Sei unbesorgt, Samira. Ich kläre das kurz, konzentriere du dich auf deine königlichen Pflichten.“
„Ich halte das für keine gute Idee“, verkündet sie ihren Zweifel.
Aber Savas wendet sich zum Gehen ab und ruft mit offenen Armen: „Ava-Schätzchen, beruhige dich doch bitte.“
Samira ahnte, dass er die Situation verschlimmert. Die beiden Zwillinge haben wenig Feingefühl. Nun gilt Avas Zorn ihm und wenn Jared schlau ist, hat er bereits das Weite gesucht. Um Mord und Totschlag zu verhindern, liegt es an ihr–das weiß der Verstand, nur protestiert das wildschlagende Herz. Drei tiefe Atemzüge später und sie findet den Mut, die Tür aufzureißen, um den Namen ihrer Freundin laut und deutlich zu brüllen. Die Bestie dreht sich tatsächlich mit rotglühenden Augen um. Instinktiv schreckt Samira zurück und das Herz schreit, die Türe schnell zu schließen und zu verbarrikadieren, aber dann hätte die Prinzessin rein gar nichts erreicht und wäre am Ende nichts weiter als eine feige Ratte. Daher zwingt sie sich zum Augenkontakt und spürt plötzlich jemand, der die Finger mit ihrer rechten Hand verbindet.
Ein Blick zur Seite und Cassandra lächelt ihr lieblich zu. Sie zieht ihre Schwester in Richtung ihrer tobenden Beschützerin. Die Totgeglaubte kommt zwar wie gerufen und doch hat Samira nicht so schnell mit einem Wiedersehen gerechnet. Der Zustand ihrer Schwester ist bedenklich. Die Augenringe sind größer und die Wangen eingefallen. Die Sorge um Cassy wächst. Und doch bewegt sich Samiras Körper steif und langsam. Ava erwacht zum Glück aus ihrem Tobsuchtanfall und seufzt reuevoll. Auch sie schenkt Cassandra keinerlei Beachtung, was den Verdacht verstärkt, dass die große Schwester bislang nur von Samira wahrgenommen werden kann.
Wenige Schritte vor Ava entfernt stoppt Samira und ehe sie sich versieht, hält sie eine dampfende Tasse von Annas Beruhigungstee in der Hand. Die Verwunderung lässt Samira starren und gibt ihr das Gefühl, einen wichtigen Moment übersprungen zu haben. Ein Zeitspanne, die in Vergessenheit geriet. Avas Schulter hingegen sinken hinab und sichtlich verwirrt nimmt sie die hochgehaltene Tasse dankend entgegen.
„Samira?“ Savas tritt skeptisch heran. „Wo hattest du das Geschirr versteckt?“
Das wüsste die Prinzessin ebenfalls gern. Hilfesuchend schaut sie zur Seite, wo ihre Schwester stehen sollte. Aber Cassandra ist fort. Daher muss sie improvisieren und setzt sich die Maske einer grinsenden Hofnärrin auf, um sich kurz zu verbeugen.
„Ein kleiner Zaubertrick. Wie findest du ihn?“
Savas zu überzeugen ist keine Kunst. Er schluckt die Lüge und klatscht begeistert in die Hände. Es ist sein Bruder, der nicht gerade überzeugt blickt und sich stillschweigend im Hintergrund hält. Avas Nerven liegen blank, sie schätzt die Geste mit dem Tee und gönnt sich einen großen Schluck.
„Köstlich. Sicherlich Annas Kreation.“
„In der Tat. Anna hat wahrlich ein Talent, das gefördert werden sollte.“
Ihre Beschützerin nickt zustimmend, bevor sie reuevoll den Kopf senkt.
„Ich habe Euch Ärger bereitet. Mal wieder. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie sehr mich meine Schwäche demütigt. Ich nehme jede Strafe für mein Verhalten in Kauf.“
In all den Dienstjahren hat Ava noch nicht begriffen, dass Samira sie so akzeptiert, wie sie ist. Die Prinzessin belächelt die ewigen Entschuldigungen und legt ihre Hand kumpelhaft auf die Schulter ihrer Freundin.
„Du hast dich beruhigt und das ist alles, was zählt. Ich müsste eher den Zwillingen die Ohren lang ziehen.“
„Klar, wir sind immer schuld!“, folgt Jareds Beschwerde.
Eine Diskussion wäre nur vergeudete Zeit, daher führt Samira Ava in die Bibliothek. Eine Räumlichkeit mit der höchsten Decke im Schloss. Drei Etagen voller Wissen und unterhaltsamen Geschichten. Ganz oben befindet sich der kleinste, aber schönste Bereich. Dort verbrachten beide Prinzessinnen viel Zeit an einem großen, kreisrunden Fenster, wo das Sonnenlicht das bunte Glas die gesamte Etage in Farbe taucht.
Die gesamte Bibliothek ist hell eingerichtet, wodurch die goldenen Ornamente noch besser zur Geltung kommen. Vorbei an den stützenden Marmorsäulen und langen Regalen führt Samira die Schwertkämpferin zu einen der langen Tische. Die beiden Zwillinge wenden sich von diesem Bild schnell ab und wandern zwischen den Regalen. Sicherlich auf der Suche nach Beschäftigung gegen ihre Langeweile. Samira hingegen macht sich auf, die vielen Fenster zu öffnen, um das schöne Wetter nach innen einzuladen und die stickige Luft zu vertreiben, bevor sie sich mit den Nachforschungen auseinandersetzt.






























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