DBdD-Kapitel 16

Yelir verließ leise das Zimmer, als klar war, dass Zunae schlief und nicht mehr von Krämpfen oder Schmerzen gepeinigt wurde.
Er selbst fühlte sich erschöpft und ausgelaugt, wusste aber, dass er noch nicht schlafen gehen konnte. Da Zunae in seinem Bett lag, würde er sich mit der gepolsterten Bank begnügen. So konnte er kontrollieren, wie es ihr ging. Sobald sie jedoch wieder wach war, würde er in sein Arbeitszimmer umziehen, um sie nicht zu stören.
Er lief durch die Flure und eine Treppe hinab, die in die Kerker führte.
Ein modriger Geruch, feuchte Luft und beklemmende Enge umfingen Yelir. Die Gänge hier waren bewusst so eng gebaut, damit die Flüchtenden nicht einfach ausweichen konnten. Außerdem gab es überall Fallen, die durch magische Artefakte erschaffen wurden. Hier unten gab es kein Entkommen. Es war das Herzstück der Burg, doch ein sehr unangenehmer Platz. Yelir mied ihn und war recht froh, dass Degoni die meisten Verhöre übernahm.
Heute aber wollte er sich versichern, dass Degoni auch an die Informationen kam, die sie brauchten. Allein, wenn er daran dachte, dass jemand versuchte, ihn heimtückisch zu töten und dabei Zunae erwischt hatte, die unschuldig gewesen war, ließ ihn wütend werden.
Als er die Zelle erreichte, trat Degoni gerade heraus und wischte sich die Hände ab.
Überrascht sah er auf, denn er hatte nicht damit gerechnet, dass Yelir hierherkommen würde.
»Dainte hat mir erzählt, was es mit dem Gift auf sich hatte«, bemerkte Degoni, der den blutigen Lappen einfach zurück in die Zelle warf. Seine Hände waren zwar nur bedingt sauber, doch mehr konnte er hier erst einmal nicht tun.
»Was hast du herausgefunden?«, knurrte Yelir, der immer noch wütend war. Wie hatte Ryan ihn so verraten können? Er hatte sogar die Küchenjungen auf seine Seite gezogen!
»Wie es scheint, ging das Anstacheln der Küchenjungen auf Ryan zurück«, erklärte Degoni mit verzogenem Mund. Ryan war ein Kampfveteran und hatte damit den Respekt der Jungen gehabt, die gern Krieger werden wollten. So wie viele Jungen in ihrem Gebiet. »Er hat ihm eingeredet, dass wenn sie dich töten und dann die südländische Königin dafür beschuldigen, würde der Krieg erneut losgehen«, seufzte Degoni, dem nicht gefiel, in welche Richtung das alles ging.
Yelir schnaubte leise. Er hätte erwartet, dass die Angriffe Zunae galten, doch das er das Ziel war, machte es nur noch perfider. Ihm wurde klar, dass er nicht einmal mehr seinen eigenen Leuten vertrauen konnte. Das war jedoch nur ein Teil seiner Sorge. »Aber nicht einmal Ryan kann sein Artefakt einfach so weitergeben«, bemerkte er, denn es war offensichtlich, dass der Junge dieses von Ryan erhalten haben musste. Allein die Vorstellung, jeder konnte einfach so ein gefährliches Artefakt nutzen, machte Yelir nervös.
»Er hat dem Jungen erzählt, es wäre eines, das seinem ähnlich ist. Es war also nicht sein eigenes und er konnte es problemlos nutzen.« Das waren die Informationen, die er bekommen hatte, doch so richtig schlüssig waren sie Degoni nicht. Niemand konnte entscheiden, wer ein Artefakt nutzen konnte. Das Artefakt selbst musste seinen Besitzer als würdig erachten. Ausnahmen waren nur diejenigen, die im Blut der Göttertiere geboren wurden. So wie Lacrews Kinder und deren Kindeskinder. Doch der Junge war definitiv nicht vom selben Blut wie Degoni oder Yelir.
»Ein Artefakt, das offensichtlich einfach so genutzt werden kann«, murmelte Yelir gedankenverloren. »Aber woher hat er das?«, fragte er, wobei er daran dachte, ob vielleicht jemand Kopien herstellen konnte. Es war nicht nur seltsam, dass der Junge es nutzte, sondern auch, dass es Ryans so ähnlich war. Eigentlich gab es keine zwei gleichen Artefakte.
»Das weiß vermutlich nur Ryan«, erwiderte Degoni, was Yelir seufzen ließ.
»Ich hätte ihn nicht töten sollen«, brummte er, hatte aber seiner Wut über diesen Verrat freien Lauf gelassen.
»Zumindest ist jetzt die Gefahr gebannt«, erwiderte Degoni, der sich nicht so viele Gedanken machte. Sie hatten das Artefakt und konnten es untersuchen. Vielleicht waren ihre Befürchtungen auch völlig grundlos.
»Das schon«, murmelte Yelir, der gedanklich noch immer bei Zunae war. Diese hatte unglaublich starke Magie, was ihm Sorgen bereitete. Was hatte sie bisher mit dieser angestellt? Hatte sie diese vielleicht verwendet, ohne, dass jemand es bemerkt hatte? Warum war sie nicht auf dem Schlachtfeld, wenn sie so stark war?
Yelir verstand nicht, wieso er sie nicht kannte. Er hätte sie im Kampf sehen müssen. Sie war gefährlich. Er hatte es am eigenen Leib erfahren. Wenn es hart auf hart kam, würde er gegen ihre Magie nicht ankommen.
»Wo bist du gedanklich?«, fragte Degoni, der Yelir langsam hinaus aus dem Kerker folgte.
»Charlet hat vielleicht recht«, bemerkte er, was Degoni durchaus überraschte.
»Auf was genau spielst du an?«, fragte er, denn er konnte die Verbindung nicht schlagen. Charlet hatte nichts darüber gesagt, dass von innerhalb Gefahr drohte. Sondern von der Prinzessin. Wie kam Yelir also ausgerechnet jetzt darauf?
»Die Magie von Zunae ist überraschend stark«, erklärte er, während er an seinen Kampf mit ihrer Magie zurückdachte.
Degoni schnaubte. »Fällt mir schwer, das zu glauben«, erwiderte er abwinkend.
Yelir konnte ihn verstehen. Hätte er es nicht selbst gespürt, wäre er seiner Meinung. Sie war einfach zerbrechlich. Vielleicht stand sie deshalb nicht auf einem Schlachtfeld. Aber wie hatte sie dann ihre Magie bisher genutzt?
Yelir fuhr sich durch die Haare. Die Vorstellung, sie würde ihm einen Erben schenken, war auf einmal gar nicht mehr so erschreckend. Ein Kind könnte unglaublich mächtig sein, wenn es richtig erzogen wurde und lernte, wie es die Magie zu nutzen hatte. Allerdings lag dies noch in weiter Zukunft. Erst einmal musste die Hochzeit stattfinden, ohne gestört zu werden.
»Degoni. Entlasse alle Angestellten, bei denen du auch nur die Vermutung hast, dass sie etwas gegen die Hochzeit haben könnten«, wies er an, was Degoni dazu brachte, stehenzubleiben und leise zu fluchen.
»Hast du das Vertrauen verloren?«, fragte er, verstand aber, woher die Sorge kam. Ryan hatte mit Yelir Seite an Seite auf dem Schlachtfeld gekämpft und nun versucht, ihn zu töten. Weil er keinen Frieden wollte. Wie dumm, aber real.
»Nein, das nicht. Aber ich möchte diese Hochzeit und diesen Frieden, solange die Nordlande noch nicht völlig im Niedergang sind«, erwiderte er, denn im Gegensatz zu vielen anderen hatte er ein Gefühl für ihre aktuelle Lage.
Sie hatten sich die letzten Jahre so sehr im Krieg verrannt, dass kaum noch etwas übrig war, um normal zu leben.
Während sie früher Gebiete erobert hatten, die ihnen erneut Geld durch Steuern gaben, hatten sie jetzt das Problem, dass auf ihrer Seite des Gebirges alles erobert war. Es gab nichts mehr, woher sie Geld bekommen konnten, solange sie nicht in die Südlande eindrangen oder mit den Schiffen zu anderen Kontinenten aufbrachen.
Das war Lacrews Ziel gewesen, doch die gut ausgestatteten Schiffe waren nie zurückgekehrt. Das war ihre letzte Hoffnung gewesen und nun gab es keinen anderen Weg mehr.
»So sparen wir wenigstens Geld«, murmelte Degoni zu sich.
Er kannte die genauen Zahlen nicht, doch auch ihm war bewusst, dass es nicht mehr so war, wie zu seiner Kindheit. Viele Gegenstände, die Geld brachten, waren aus der Burg verschwunden, um zumindest das Wichtigste zu kaufen. Doch es war nicht mehr viel da, wenn sie nicht den Harem anfassen wollten. Etwas, worauf Yelir sehr achtete, denn es stand in seiner Verantwortung, all die Frauen zu versorgen, die keine Männer mehr hatten. Yelir hatte den Harem seines Vaters nie als Quelle für potentielle Frauen gesehen. Er war eher eine Art Waisenhaus, wo Frauen gemeinsam ihre Kinder aufziehen konnten. Er hatte sich darum zu kümmern. Trotzdem wurde erwartet, dass er irgendwann eine Zweitfrau aus dem Harem wählte, so wie Lacrew nach dem Tod von Rachel Charlet aus dem Harem gewählt hatte.
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