DBdD-Kapitel 20

Zunae schlenderte durch den kleinen Innenhof. Er war größer als ihr Zimmer und sie freute sich, etwas frische Luft und Sonne abzubekommen, auch wenn es recht frisch war. Sie spürte die Kälte in ihren Knochen, weshalb sie auch nicht schaukelte, sondern umherlief. So wollte sie sich etwas aufwärmen.
Ihre Finger fuhren unruhig über den Anhänger ihres Artefakts und ihr Blick wanderte umher. Der Innenhof war ruhig. Zu ruhig. Das war sie nicht gewohnt, weshalb ihre Beine vor Bewegungsdrang nur noch mehr kribbelten.
Schließlich ließ sie sich auf der Schaukel nieder und schloss die Augen. Die kleinen, blauen Blumen an ihrem Artefakt schimmerten sanft, als sie die Magie in sie leitete, um Kontakt mit Chiaki aufzunehmen.
Obwohl dieser sich durch die Schatten bewegen konnte und schon einiges gesehen hatte, waren die Informationen, die Zunae von ihm erhielt, jedoch nicht so umfangreich oder hilfreich, wie erwartet. Bisher hatte Chiaki nur viele kleine Dörfer gesehen, die sich vorrangig selbst versorgten.
Zunae brach die Verbindung wieder ab und erhob sich. Wind fuhr ihr durch die Haare und ließ sie leicht schaudern. Sie hätte sich wärmer anziehen sollen.
Ihr Blick wanderte umher. Es gab niemanden, der hier war oder sie sehen könnte und sie wollte sich etwas bewegen.
Zunae legte ihre Hand an ihr Artefakt. Sie schlang die Arme schützend um sich, während sie die Leere des Innenhofes betrachtete. Schließlich blieb ihr Blick an der Schaukel hängen. Zu Hause hätte diese nie stillgestanden. Ob ihre Schwester Kali, die fröhlich geschaukelt wäre, oder eines der Kinder ihrer Diener. Aber hier war alles still.
Mühsam hielt sie die Tränen zurück. Ob es ihr möglich war, sie irgendwann noch einmal zu besuchen?
Ohne, dass sie sich aktiv dazu entschieden hatte, löste sich eine Blume von ihrem Artefakt und segelte zu Boden. Das Licht, das sich ausbreitete, war sanft und viel dezenter, als das von Chiaki. Trotzdem bildete es eine Gestalt. Eine aus Wind und Magie, die nicht für jede Augen sichtbar war.
Zunae erkannte die sanften Umrisse einer Frau, deren wallendes Haar ihren Körper umspielte. Sie besaß keine feste Gestalt und wirkte stattdessen, als hätten sich kleine Windspiele verfestigt, die mit blauen Blitzen durchzuckt waren.




Sie hob die Hand und legte sie an Zunaes Lippen.
Warmer Wind umfing Zunae, die leise seufzte und lächelte. »Ehana«, sagte sie sanft, wenn auch ein wenig verwirrt. Allein das Beschwören dieser sorgte dafür, dass sich ihre innere Unruhe ein wenig verflüchtigte. Auch der Drang, sich zu bewegen, ließ ein wenig nach. »Hast du dir Sorgen gemacht?«, fragte sie leise und lauschte, ob sich vielleicht doch jemand näherte. Sie wollte nicht für verrückt gehalten werden, weil sie Selbstgespräche führte. Zunae wusste zu gut, dass Nymphen des Windes nicht leicht wahrgenommen und erst recht nicht gesehen werden konnten. Nicht, wenn sie es nicht wollten.
Ehana nickte und streichelte Zunaes Wange. Ein Kribbeln breitete sich in ihrem Nacken aus. Nicht aus Angst, sondern aus einer Unruhe heraus, die nicht ihre eigene war. Ehanas Sorge schwebte in der Luft, wie der sanfte Wind, der mit ihren Haaren spielte.
»Ich weiß, was ich tue«, flüsterte Zunae beruhigend, auch wenn ihr unruhiger Herzschlag etwas anderes vermuten lassen konnte.
Ehana nickte erneut. Sie sprach zwar nicht, doch durch den Wind konnte sie ihre Gefühle an Zunae weitergeben und Geräusche erzeugen. Das war auch der Grund, warum die Blätter des Baumes begannen, in einem sanften Ton zu rauschen. Ein Ton, der Zunae beruhigen sollte.
Diese lächelte sanft. »Möchtest du dich mir bei meinen Übungen anschließen?«, fragte sie, denn dann würde sie sich nicht so allein fühlen. Zu Hause hatte sie oft mit ihren Vertrauten oder Schwestern geübt. Die Erinnerung an die kleinen Kämpfe mit Kali ließ sie schmunzeln. Gleichzeitig spürte sie jedoch auch die Schmerzen der blauen Flecke, die durch Kalis unnachgiebige Art oft zurückgeblieben waren. Kali war eine strenge Lehrerin gewesen und hatte nur selten auf Zunaes Verfassung geachtet. Obwohl man sie zu Hause auch oft mit Samthandschuhen angefasst hatte, war Kali doch nie so gewesen. Vermutlich hatte sie deshalb auch so gern mit ihr geübt.
Das Rauschen in den Bäumen wurde zu einem feinen, hellen Windspiel. Eine sanfte Brise umtanzte sie, fuhr ihr durch die Haare, als wolle Ehana sie in eine Umarmung hüllen.
Also begann sie, sich aufzuwärmen, während Ehana an ihrer Seite, ihre Bewegungen nachahmte.




Zunae schwankte zwischen einer ruhigen Meditation, um ihre Magie unter Kontrolle zu bringen oder anstrengender, körperlicher Belastung.
Da sie lange im Bett gelegen hatte, entschied sie sich für letzteres. Es gab einige waffenlose Techniken, die Kali ihr beigebracht hatte. Sie waren gut, um den Körper zu stählen und auch im Kampf zu gebrauchen. Am besten übte man sie mit einem Gegner, doch Zunae konnte unmöglich Ehana fragen. Die Windnymphe war nicht gerade die kämpferischste Natur und würde höchstens blocken. Außerdem würde Zunae so vielleicht ihre Anwesenheit verraten. Daher entschied sie sich dazu, Schattenboxen zu betreiben, wie Kali es gern nannte. Statt gegen einen Gegner direkt zu kämpfen, stellte sie sich diesen einfach vor. Das würde reichen, um sie körperlich genug zu erschöpfen, dass ihre innere Unruhe nachließ.
So hoffte sie zumindest.
Mit jedem Schlag klopfte ihr Herz schneller und ihr Atem wurde schwerer. Mit einer schnellen Bewegung wischte sie sich den Schweiß von der Stirn, als sie aus den Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Ein getigerter Kater zwängte sich durch ein schmales Loch in der Steinmauer, schüttelte den Staub aus dem Fell und musterte sie dann aus eisblauen Augen.
Zunae hielt inne, als sie den getigerten Kater bemerkte. »Was machst du denn hier?«, fragte sie verwundert und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Der Kater kam langsam auf sie zu, umrundete sie und ging dann zum Baum, auf den er hinaufkletterte und sich afu einen Ast legte.
Zunae lachte leise, fühlte sich aber plötzlich durch die eisblauen Augen beobachtet. »Sieht aus, als würdest du mir zuschauen wollen«, sagte sie und versuchte den Kater zu ignorieren und sich wieder ihren Übungen zu widmen.
Selbst, wenn er Yelir oder Degoni erzählte, was sie hier tat, würde er die Nymphe nicht sehen. Sie musste nun nur vorsichtiger sein, nicht mit Ehana zu sprechen.
Um nicht ganz so sehr aufzufallen, bewegte sie sich langsamer und vorsichtiger. Außerdem blickte sie immer wieder zu dem Kater, der gemütlich auf dem Ast lag, sie aber die ganze Zeit im Auge behielt.
Ein Kribbeln lief Zunae über den Rücken. Sie verharrte in ihrer Bewegung, bevor ihr Blick auf den Kater glitt. Magie sammelte sich, was Zunae die Luft anhalten ließ. Die Blätter am Baum bebten leicht, als würden unsichtbare Finger sie berühren. Nein. Das konnte nicht sein. Hatte Ehana wirklich vor, ihn vom Ast zu fegen? Was hatte sie davon? Zunae spürte ein Gefühl von Verärgerung in sich aufsteigen und es dauerte einen Moment, bis sie verstand, dass es nicht ihre Verärgerung war. Es war Ehanas, die mittlerweile kampfbereit um den Kater herumflog.




Das war überhaupt nicht gut. Sie wollte nicht, dass Ehana den Kater angriff. Es gab auch keinen Grund dafür.
»Sieht aus, als wärst du wieder bei Kräften«, erklang nach einiger Zeit eine belustigte Stimme, die Zunae aus ihren Übungen riss.
Erschrocken wirbelte sie herum und ihr Blick traf auf Yelir, der lässig in der Tür lehnte und sie betrachtete.
Er wusste nicht, wie lange er schon hier stand und sie beobachtete. Ihre Bewegungen hatten ihn in den Bann gezogen. Sie waren geschmeidig, kontrolliert und mit einer Entschlossenheit, die er sich bei seinen eigenen Schülern gewünscht hätte. Er hätte sie unterbrechen können, doch stattdessen hatte er sich an den Türrahmen gelehnt und den Moment genossen. So elegant, wie sie sich schon wieder bewegte, sagte ihm, dass es ihr besser ging. Auch, wenn ihm durchaus auffiel, dass sie erschöpft war. Vermutlich hatte sie es übertrieben, doch Yelir hatte nicht einschreiten wollen. Ihre Verbissenheit erinnerte ihn an die jungen Krieger, die er früher ausgebildet hatte.
Für einen Moment verfinsterte sich sein Blick, als er daran dachte, dass viele von ihnen nach ihrem ersten Kampf nicht lebend zurückgekehrt waren.
»Seid wann bist du hier?«, fragte Zunae, die sich erwischt fühlte. Hatte Degoni nicht gesagt, dass er sie wieder abholen würde?
»Eine Weile«, erwiderte Yelir, der froh war, dass sie ihn aus seinen Gedanken riss. Er löste sich aus seiner Position und schritt langsam auf sie zu. »Ich hätte nicht erwartet, dass du mit deinem zerbrechlichen Körper solche Techniken nutzen würdest«, sagte er, wobei es ihm in den Fingern kitzelte, mit ihr zu kämpfen. Er wollte sehen, ob die Schläge nur so gut aussahen, oder auch Kraft dahinter steckte.
Zunae lächelte leicht. »Ich mache das nur, um meinen Körper aktiv zu halten«, erklärte sie, wobei sie unauffällig versuchte, ihre Magie ins Artefakt zu leiten, damit Ehana zurück in die Blüte kehrte. Diese hatte zwar von dem Kater abgelassen, war aber nun auf Yelir fixiert und Zunae hatte Sorge, dass diese angreifen würde. Für Ehana waren die Nordländer Feinde, obwohl sie wusste, warum Zunae hier war. Nur war Ehana nicht begeistert davon. »Ich nutze eher Magie«, fügte sie hinzu, um Yelirs Aufmerksamkeit zu fesseln, während sie gegen Ehana ankämpfte, die sich weigerte, Zunae allein zurückzulassen.




Zunae hielt den Atem an und glättete ihre Miene, als wäre nichts gewesen. Wenn Yelir nicht genau hinsah, würde er es vielleicht nicht merken.
»Das habe ich bemerkt«, erwiderte Yelir und hob den Kopf. Seine Augen verengten sich, während er die Umgebung mit durchdringendem Blick absuchte. Irgendwas stimmte nicht, doch er konnte es nicht greifen. Wenn sie wirklich mit Magie kämpfte, musste er noch vorsichtiger sein. Ein direkter Angriff war viel leichter zu erkennen, als ein magischer. Außerdem konnte letzterer mehr Schaden anrichten.
Zunae lächelte schief, aber erleichtert, als es ihr gelang, Ehana zurück in das Amulett zu ziehen. Ein kaum hörbarer Seufzer entwich ihr und die Spannung in ihren Schultern ließ nach. Ehana hatte sich zurückgezogen. Im Moment bestand keine Gefahr mehr.
»Ich bin hier, um dich in dein neues Zimmer zu bringen«, erklärte er, wobei er sie nicht aus den Augen ließ. »Da es dir wieder besser geht, gibt es keinen Grund, mein Zimmer zu belagern.«
Zunae blinzelte und trat einen Schritt näher. Ein neues Zimmer? Sie ließ den Blick über Yelir gleiten, allerdings wurde sie aus seiner Mimik nicht schlau. War das vielleicht nur eine provisorische Unterkunft?
»Es tut mir leid, dass ich dein Zimmer so lange in Beschlag genommen habe, aber du hättest mich ruhig schon früher in ein anderes Zimmer bringen können«, sagte sie, da sie ihm keine Umstände machen wollte. Sie hatte sich sowieso gefragt, wo er geschlafen hatte.
Yelir winkte ab. »Jetzt ist es so«, sagte er, da er eigentlich gar nicht wollte, dass sie allein war. Mittlerweile hatte er mit Degoni zwar eine Möglichkeit gefunden, sie zu beobachten und beschützen, doch auf Dauer würde das auch nicht funktionieren.
Daher hatte sich Yelir auch entschieden, ihr noch einmal ein neues Zimmer zu zuweisen. Die kleine Kammer neben seinen war unangemessen und das von Charlet vorbereitete Zimmer ließ Gänsehaut über seinen Körper wandern. Darum hatte er mit Dainte zusammen das Zimmer gereinigt, das beim Bau für die Königin gedacht gewesen war. Es lag neben seinem und besaß eine Verbindungstür. Gleichzeitig auch eine Tür hinaus in einen gemeinsamen Innenhof.
Am Anfang hatte sich Yelir geweigert, sie dort einzuquartieren. Es fühlte sich an, als würde er damit ihre Rolle anerkennen. Doch jetzt, wo er die Tür öffnete, fragte er sich, warum er sich so lange dagegen gesträubt hatte. Er würde Zunae heiraten. Sie würde seine Frau werden. Etwas, was ihn gar nicht mehr so sehr störte, wie noch vor ein paar Wochen. Jetzt, wo er sie kannte, erkannte er auch die positiven Aspekte. Was nicht hieß, dass er ausblenden konnte, dass sie eine Feindin war.




Yelir führte sie durch die Flure und blieb schließlich stehen.
Zunae hatte die Orientierung schon wieder verloren und wusste daher nicht, dass sie in der Nähe ihrer alten Kammer waren, als Yelir eine Tür öffnete.
Licht fiel durch die hohen Fenster, die fast eine komplette Seite einnahm. Zwischen ihnen eine Glastür, die hinaus in einen kleinen Garten führte.
In der Mitte des Zimmers stand ein Bett. Zunae erkannte auch ihre Truhen, die bereits im Raum waren.
Ansonsten war die Einrichtung spärlich. Ein Schrank für Kleidung und ein Tisch mit Stühlen.
»Du kannst diesen Raum gestalten, wie auch immer du möchtest«, sagte Yelir, der sie damit ebenfalls beschäftigen wollte. Sie sollte sich nicht fragen, was er die ganze Zeit machte, denn er wollte nicht, dass sie herausfand, dass er noch immer ein Heer hatte. Sie könnte es falsch auffassen und davon ausgehen, dass sie den Frieden nicht wollten. Allerdings gab es in letzter Zeit sehr viele Probleme innerhalb seines Reiches, die er angehen musste. Darunter Probleme mit Räubern und Wegelagerern.
»Das Badezimmer befindet sich auf der anderen Seite des Ganges«, sagte Yelir, der sich fragte, wie lange sie brauchen würde, um zu verstehe, dass die Tür in der Nähe ihres Bettes zu seinem Zimmer führte und sie das Bad zusammen nutzten.
»Es ist ein schönes Zimmer«, sagte sie und trat ein.
Sie ließ die Fingerspitzen über die raue Wand einer Nische gleiten. Der Raum war nicht einfach nur viereckig. Die kleinen Einbuchtungen warfen sanfte Schatten und gaben dem Raum etwas Geheimnisvolles. Fast wie ein Rückzugsort.
Yelir fiel es schwer, ihre Worte zu glauben. Der Raum war zwar groß, doch die Einrichtung alt und abgenutzt. Er hatte sich zwar Mühe gegeben, sie sauber zu machen, doch man sah dennoch das Alter. »Wenn du Hilfe brauchst, sag bescheid«, sagte er und hoffte, dass sie sein Angebot annahm. Es fühlte sich falsch an, diese Dinge ihr zu überlassen. Allein die Vorstellung, dass sie das Bett oder den Schrank verschob, machte ihn Sorgen. Das sollte sie doch lieber den Männern überlassen.
Ein Lächeln breitete sich auf Zunaes Gesicht aus und sie wandte sich mit einem Funkeln in den Augen zu ihm um. »Danke«, hauchte sie, während ihre Finger kribbelten. Endlich konnte sie ihren Raum nach ihren Wünschen und Vorstellungen einrichten.



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