DBdD-Kapitel 26

»Halt an«, forderte Yelir, als sie das Dorf verlassen hatten.
Zunae, die neben ihm ritt, blickte irritiert zu ihm und brachte ihr Pferd dazu, stehenzubleiben. Hatte sie vielleicht etwas falsch gemacht? Gleich nach der Verkündung waren sie, mit der Ausrede, Aaron und sie müssten sich ausruhen, aufgebrochen. Allerdings hatte Zunae schon die ganze Zeit das Gefühl gehabt, etwas bedrückte ihn.
Als Yelir ebenfalls hielt und von seinem Pferd stieg, tat sie es ihm gleich. »Zeig mir deine Hände«, forderte er, was Zunae leicht den Mund verziehen ließ. Sie hatte diese eigentlich versteckt, doch ihm war es dennoch aufgefallen. Also zeigte sie widerwillig diese vor. Beide Handflächen hatten nicht nur einfache Schrammen, sondern Blasen und Risse, die einen leichten Blutfilm hinterließen.
Yelir nahm sie sanft in seine Hände. Dabei war er überrascht zärtlich und vorsichtig, was Zunae verwunderte.
»Wie konnte das passieren?«, fragte er, bevor er ein Stück Stoff von seinem Mantelfutter löste, um damit die Wunden zu säubern, so gut es ging.
»Du hast gesagt, keine Magie«, bemerkte Zunae leise und ausweichend. Sie hatte es ernst genommen, da sie nicht wollte, dass die Kette reagierte. »Darum konnte ich meine Hände nicht schützen. Du hast gesehen, wie fragil mein Körper ist«, brummte sie widerwillig. Immerhin war Yelir nicht nur Zeuge der blauen Flecke gewesen, nachdem Degoni sie gewürgt hatte, sondern auch von diversen anderen Zusammenstößen, die alle ihre Spuren hinterlassen hatten.
Yelir stieß die Luft aus. »Das nächste Mal werde ich deutlicher sein«, sagte er, während er sich die Wunden besah und Zunae dann langsam zur Seite, vom Weg runter leitete, bis sie einen nahen Bach erreichten. Das Wasser hier kam direkt aus den Bergen und war sehr klar. Trotzdem wünschte er sich, ein Artefakt dabei zu haben, um es zu reinigen. Gerade, weil er damit ihre Wunden versorgen wollte. Er wusste wie wichtig reines Wasser dafür war.
»Es ist nicht schlimm«, versicherte sie, da sie sich ihre eigene Schwäche nur ungern eingestehen wollte.
»Wenn du Magie genutzt hättest, hättest du Aaron dann leichter besiegen können?«, wollte Yelir wissen, der den Stofffetzen ins Wasser tauchte, bevor er sich erneut Zunaes wunden Händen widmete. Sie verzog nicht einmal das Gesicht, obwohl sie Schmerzen haben musste.




Als er die Wunde reinigte, bemerkte er ein unkontrolliertes Zucken der Hand, auf der das schwarze Mal gewesen war. Davon war jedoch zum Glück nichts mehr zu sehen.
»Ja. Ich bin keine Nahkämpferin«, erklärte sie, denn ihre Fähigkeiten eigneten sich eher dazu, um aus der Ferne zu helfen. »Ich kann Stangenkampf nur, weil Kali darauf bestanden hat, dass ich Selbstverteidigung lerne.«
»Eine gute Entscheidung«, erwiderte Yelir, der die Wunden akribisch reinigte. Er wollte nicht, dass sich diese entzündeten und Zunaes Hände unbrauchbar machten. Dass ihre zarte Haut verletzt war, machte ihn wütend, wenn er auch gleichzeitig das Gefühl genoss, ihre Hände in seinen zu halten. Sie waren so klein und zart. Zerbrechlich und wunderschön. Es war schwer, sie zu sehen und daran zu denken, dass sie eine Waffe hielten. Wie war es ihr gelungen, ihre Haut in all den Jahren so unversehrt zu bewahren? Selbst Kalis Händen hatte man angesehen, dass sie viel mit Waffen umging.
»Ich nehme an, du nutzt deine Magie sonst, um deinen Körper zu verstärken«, spekulierte er, während er seine Arbeit beendete.
»Ja und nein. Ich lege Schutzschilde um meine Hände«, erwiderte sie und schenkte ihm ein dankbares Lächeln. Ihre Hände brannten zwar noch immer, doch nicht so schlimm wie zuvor und mit dem Schmerz nach der Vergiftung konnte es gar nicht konkurrieren. Sie war ähnliches aber schon durch Kalis Übungen gewöhnt.
»Warum nur ein Schild?«, fragte er, als er Zunae langsam zurück zu den Pferden führte, die brav auf sie warteten. Er war neugierig darauf, mehr über sie zu erfahren.
»Da die Magie permanent durch meinen Körper zirkuliert, hat es nicht den gewünschten Effekt. Anders, wenn ich die Magie in Waffen fließen lasse«, erklärte sie, während sie sich zurück auf das Pferd helfen ließ.
Erst, als sie saß, bemerkte sie, dass es Yelirs war und er sich hinter sie schwang und nach den Zügeln griff.
Röte legte sich auf ihre Wangen, als Hitze in ihr aufstieg. Mit ihren Händen die Zügel zu greifen war sicher keine gute Idee, doch Yelir plötzlich so nah bei sich zu spüren, ließ ihren Körper reagieren.
Seine harte Brust an ihrem Rücken und der Arm, der sich um sie legte, damit sie Halt hatte, ließen ein Kribbeln durch ihre Adern rinnen, wie sie es nicht kannte.




Trotz des Mantels spürte sie die Wärme, die von ihm ausging und den festen Griff, der dafür sorgen würde, dass sie nicht fiel.
»Was ist mit meinem Pferd?«, fragte sie um die Nervosität zu verstecken. Sie war noch nie einem Mann so nah gewesen. Auch nicht Ilan, den sie schmerzlich vermisste. Es fiel ihr zwar leicht, sich hier einzufinden, doch das mag vor allem daran, dass sie Zuhause die Leute auf Abstand gehalten hatte. Zwar hatte sie eine gute Beziehung mit ihrer Familie und einige Rituale, die sie vermisste, doch sie redete sich ein, dass es keinen Grund gab, jemanden zu vermissen.
»Deine Prioritäten überraschen mich«, stellte Yelir fest, der das Pferd dazu bewegte, loszulaufen. Das andere folgte ihnen brav.
»Was meinst du?«, fragte Zunae, die ihm nicht ganz folgen konnte.
»Du fragst überhaupt nicht, was es mit dem Kampf gegen Aaron auf sich hatte«, bemerkte er, weil sie bisher keinerlei Fragen dazu zu haben schien.
Zunae drehte sich ein Stück, um zu Yelir sehen zu können, gab es dann aber auf und sah wieder nach vorn. »Du wirst schon deine Gründe haben, wenn du mich zum Oberhaupt von Kavalare machen willst«, murmelte sie, wobei sie das erste Mal das Gewicht der Verantwortung spürte. Es fühlte sich noch immer so fern an. Nicht richtig greifbar.
»Glaubst du, ich vertraue dir mein Dorf einfach so an?«, fragte er überrascht über so viel Naivität. Das hatte er ihr gar nicht zugetraut.
»Nein. Ich bin mir sicher, du hast deine Gründe. Ob du sie mir verrätst oder dich weiter an meiner Verwirrung erfreust ist deine Sache.« Zunae grummelte leise, denn es war ihr nicht entgangen, wie belustigt er gewesen war.
Yelir, der nicht damit gerechnet hatte, dass sie derartige Dinge sagte, brach in Lachen aus.
Sie war für ihn einfach unbegreiflich. Diese ruhige Gelassenheit, obwohl er sie gerade vor einem Dutzend Menschen zu einem Kampf gezwungen hatte. Kam sie denn nicht auf die Idee, dass er sie blosstellen wollte?
»Und wenn du nicht gewonnen hättest?«, fragte Yelir neugierig. »Wärst du dann immer noch so ruhig?«, fragte er noch immer lachend.
Zunae schnaubte. »Ich glaube nicht, dass du einen Kampf zugelassen hättest, von dem du nicht angenommen hast, ich kann ihn gewinnen. Das wäre ein Gesichtsverlust für die Königsfamilie gewesen«, bemerkte sie, auch wenn sie sich nicht ganz so sicher war. »Und dass du mich nicht töten willst, war mir auch klar.«




Yelir erinnerte sich an ihre Visionen und fragte sich, ob diese sie wirklich gewarnt hätten, wenn er geplant hätte, sie in einen Hinterhalt zu locken.
»Und was ist, wenn ich dich ausnutzen will?«, fragte er, denn das war ein Punkt, den er nicht abstreiten konnte.
Zunae wurde ruhig, doch sie versteifte sich nicht, stattdessen dachte sie über seine Frage nach.
»Ich lasse mich nicht zu Dingen zwingen, die ich nicht möchte. Aber ich sehe kein Problem darin, zu beweisen, dass ich in der Lage bin, mich um ein Dorf und seine Bewohner zu kümmern«, erklärte sie schließlich mit ruhiger Stimme und bedachte jedes Wort, dass sie sagte. »Es freut mich, dass du mir diese Gelegenheit gibst, mich zu beweisen. Ich war jahrelang Königin über ein riesiges Gebiet. Es würde mir schwerfallen, nichts mehr zu tun zu haben«, erklärte sie, was Yelir aus irgendeinem Grund frustrierte.
Sie stellte es so hin, als wäre sie dankbar, dass er seine Arbeit auf sie ablud, was er absolut nicht verstand. Allerdings machten ihre Worte ihn nachdenklich.
Er musste sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass sie anderes gewöhnt war. Ihm war nie in den Sinn gekommen, dass sie sich vielleicht langweilen würde.
»Ich bin zwar noch nicht deine Frau, aber eine Region nach einem Krieg wieder aufzubauen, kostet viel Kraft. Ich bin froh zu helfen, wo ich helfen kann. Außerdem glaube ich, dass du noch immer viel Augenmerk auf das Heer legst.«
Yelir versteifte sich, doch er hörte keine Anklage in ihren Worten, obwohl er diese verdient hätte. Er sollte sich auf Frieden, nicht auf erneuten Krieg vorbereiten. Aber nur so konnte er die kriegerischen Lords und Fürsten zufriedenstellen.
»Ich bin mir nicht sicher, ob du naiv bist, oder versuchst, mich zu manipulieren«, brachte er schließlich hervor. Seitdem sie die Halskette trug, konnte er sie einfach nicht mehr als Gefahr sehen. Dafür sah er das wilde Feuer in ihren Augen, hörte die scharfe Intelligenz in ihren Worten und die sanfte Empathie in ihren Handlungen. Sie war auf so viele Arten faszinierend, dass Yelir sie am liebsten die ganze Zeit um sich hätte und ihre Reaktionen beobachten würde. Ihre Gefühle wirkten so strahlend wie ein Juwel und dennoch war da etwas, das ihn beunruhigt.




Als wäre da etwas, das sie vor ihm verbarg.
Es sollte ihn beunruhigen, doch das tat es nicht. Stattdessen machte er sich eher Sorgen um sie. Was, wenn sie sich von jedem so ausnutzen ließ wie von ihm.
»Bist nicht eher du derjenige, der mich manipulieren kann?«, fragte sie und fuhr mit ihren Fingern über den Anhänger der Kette, der sie dazu zwang, die Wahrheit zu sagen. Bisher hatte es sie noch nicht gestört, da sie eigentlich immer die Wahrheit sagte und nichts zu verbergen hatte, doch es gab Dinge, die sie nicht sagen wollte. Darum musste sie aufpassen, dass er diese Themen nicht ansprach.
Yelir schnaubte leise. »Ich hätte dich nicht gezwungen zu kämpfen, wenn du nicht gewollt hättest«, verteidigte er sich, während sie über die Trampelpfade ritten, welche die Dörfer der Nordlande verbanden. Richtige Straßen hatte Zunae hier noch nicht gesehen, weshalb sie sich fragte, ob es solche hier überhaupt gab.
Die Nordlande waren nicht so wild wie sie angenommen hatte, doch das Dorf, das sie heute besucht hatte, war rudimentär aufgebaut. Allerdings war es auch nur ein Dorf und keine Stadt. Zunae wusste aber, dass es mindestens noch eine Hafenstadt gab. Vereven war selbst in den Südlanden ein Begriff, weshalb sie hoffte, diese auch irgendwann besuchen zu können.
»Ich wollte aber und jetzt bin ich verantwortlich für das Dorf«, bemerkte sie, wobei ihr diese Tatsache gute Laune machte, obwohl sie nicht genau wusste, warum. »Kannst du mir etwas darüber erzählen?«
»Ich habe Aaron gebeten für deinen nächsten Besuch alles vorzubereiten, was du gebrauchen könntest«, erklärte Yelir, der eigentlich nicht wirklich darüber sprechen wollte. Es fiel ihm schwer zu verstehen, wie Zunae dachte und er wollte nicht riskieren, den falschen Eindruck zu machen. Er gab es nur ungern zu, aber schon ihre Kutsche und die Schätze, die sie mitgebracht hatte, sorgten dafür, dass er sich unzureichend fühlte. Dass er glaubte, die Nordlande wären nicht weit entwickelt.
Er war gespannt, was Zunae mit der Macht, die er in ihre Hände legte, machen würde. Allerdings machte er sich auch etwas Sorgen darüber, wie Degoni und vor allem sein Vater reagierten. Ihnen hatte er nichts von seinem Plan erzählt, sie zu testen. Vermutlich würden beide nicht begeistert sein, doch so war es am einfachsten herauszufinden, was Zunae plante.



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