DBdD-Kapitel 54

Zunae fühlte sich reichlich unwohl, als sie Kavalare erreichte.
Hinter ihr ritten fünf Soldaten in einer Rüstung, die sie viel zu gut vom Schlachtfeld kannte. Einfache, blaue Hemden und Hosen, über denen eine Rüstung getragen wurde, die ein dunkles Bronze hatte. Jede von ihnen trug das goldene Emblem der Seelenkatze. Das Zeichen der Raenacs.
Zunae passte nicht hinein. Sie stach in ihrem dicken Wintermantel mit den Pelz hervor.
Bisher war es ihr gelungen, diesen Fakt auszublenden, weil sie darüber nachgedacht hatte, was Yelir ihr erzählt hatte. Er war die Karawane untersuchen und hatte dabei festgestellt, dass jeder, der mit ihnen gegangen war, gestorben war. Selbst Fürst Dravar.
Es schmerzte Zunae, denn sie kannte ihn, auch wenn es nicht so gut war. Jemanden zu verlieren, mit dem man wenigstens einmal gesprochen hatte, war bereits anders, als wäre er gänzlich unbekannt. Zudem wusste Zunae nun, dass Fürst Dravar ein Artefakt benutzen konnte. Wie einige weitere seiner Soldaten. Das hieß ihre Gegner waren stärker als angenommen. Ob sie auch solche Artefakte benutzte wie die Banditen, die Kavalare angegriffen hatte?
Einer der Soldaten schloss zu Zunae auf. »Lady«, sagte er vorsichtig und räusperte sich. »Was ist Euer Wunsch, während wir hier sind?«, fragte er.
Andras war der Anführer dieses kleinen Trupps. Ein Mann, der Yelir nah stand. Sie waren keine Freunde, doch Andras respektierte Yelir sehr. Und da sein König in guten Tönten von Zunae gesprochen hatte, war er gewillt, sich um sie zu kümmern und sogar ihre Anweisungen entgegenzunehmen. Auch, wenn ihre Sicherheit immer Priorität haben würde.
»Bitte patrouilliert um die Häuser herum. Gern in einem größeren Radius. Es ist wichtig, dass wir nicht wieder überrascht werden«, sagte sie, da sie sich Sorgen um potentielle Angriffe machte. Es war zwar bisher nicht wieder dazu gekommen und Yelir hatte schon Soldaten abgestellt, um Kavalare zu schützen, doch mehr war sicher immer besser.
»Sehr wohl, Lady«, erwiderte Andras, auch wenn er kaum glaubte, dass jemand das Dorf angreifen würde, wenn so viele Soldaten unterwegs waren.
»Und ein paar werden die Karawane begleiten, die Aaron anführt. Sie soll die erwirtschafteten Waren in das nächste Dorf bringen. Ich gehe davon aus, dass auch diese von Banditen angegriffen werden.«
Andras nickte, auch wenn er ihren Entscheidungen nur bedingt folgen konnte. Seine Aufgabe war es, auf sie aufzupassen und nicht, sich um das Banditenproblem zu kümmern.
Zunae schwang sich von ihrem Pferd und reichte die Zügel Leroy, der sofort angerannt kam. »Willkommen zurück«, sagte er mit einem Lächeln. Er hatte etwas an Gewicht zugenommen, doch seine Haut war noch immer wettergegerbt.
»Geht es allen gut?«, fragte Zunae, die sich besonders Sorgen darüber machte, dass die Bewohner Angst hatten, weil sie sich nicht sicher fühlten.
»Alle gehen mit viel Kraft ihren Aufgaben nach«, erwiderte Leroy, der das Pferd leicht tätschelte und dann zu den Ställen brachte, wo es versorgt werden würde.
Zunae fiel ein Stein vom Herzen. Sie war froh, dass es keine Probleme gab. Vielleicht lag es wirklich daran, dass sie alle mit Krieg aufgewachsen waren. Das konnte auch nicht spurlos an den Frauen vorbei gehen.
»Ich werde mich jetzt mit Aaron in mein Arbeitszimmer zurückziehen«, erklärte Zunae an Andras gewandt.
Seitdem sie das erste Mal in Aarons Haus eingeschlafen war, hatte er ihr ein kleines Zimmer vorbereitet, in dem sie ungestört arbeiten konnte. Es gab sogar eine kleine gepolsterte Ruhebank zum Schlafen.
Zunae wusste nicht, wie er das organisiert hatte, aber sie freute sich über diese kleine Aufmerksamkeit. Es zeige ihr wie sehr sie geschätzt wurde.
Zunae schlenderte durch das Dorf. Obwohl es keine direkten Wege gab, waren doch einige Passagen vom Schnee befreit, sodass diese zumindest recht passierbare Bereiche bildeten. Trotzdem war der Boden schlammig oder gefroren, sodass es nicht leicht war, sich zu bewegen.
Gepflasterte Straße stand als nächstes auf ihrer Liste, doch damit konnte sie erst im Frühjahr beginnen, wenn der Schnee verschwunden war.
Sie sah sich um und schmunzelte. Inder hellen Schneelandschaft strahlten die Gewächshäuser nur noch mehr. Jedes von ihnen war klein, doch durch die Lichter im Inneren schimmerten sie wie kleine Diamanten. Das wirklich interessante waren jedoch die Gewächse, die sie darin entdeckt.
In einem wurde Weizen angebaut, der schon wieder so weit gewachsen war, dass man die grünen Zweige von normalem Gras unterscheiden konnte. In dem Gewächshaus ein Haus weiter konnte Zunae die Blumen von Kartoffelpflanzen entdecken. Dann Tomaten und Beete. Als hätte sich jede Familie auf eine Sache beschränkt.
»Lady Zunae«, grüßte Aaron, der ihr aus seinem Haus entgegengeilt kam. Zunae, die schon die ganze Zeit strahlte, wandte sich zu ihm um.
»Aaron. Es ist so schön wieder hier zu sein«, sagte sie, denn bisher hatte das Gefühl von Gefahr, das sie erwartet hatte, überhaupt nicht zugeschlagen. Im Gegenteil. Es fühlte sich geradezu idyllisch an.
»Kommt herein, es ist kalt draußen«, bat er und reichte ihr die Hand. Sein Blick huschte nur kurz zu Andras, der ihn eingängig musterte. Beide waren sich nur flüchtig bekannt, weshalb sie sich nicht richtig einzuschätzen wussten. Allerdings hatte Yelir Andras versichert, dass man Aaron vertrauen konnte. Also würde er das tun. Vorerst. Trotzdem würde er ihn im Blick behalten. So gut es eben ging.
Manchmal fragte sich Andras, wie sich Yelir das dachte. Er sollte auf Zunae aufpassen, sich aber auch nicht zu sehr in ihre Angelegenheiten einmischen. Dass sie mit politischen Dingen beschäftigt war, wusste Andras. Das hieß vermutlich auch, dass es einige Geheimnisse gab, die er nicht wissen durfte. Damit musste er ihr Freiraum gebe und sie auch allein lassen. Eine schwierige Situation.
Als sie mit Aaron in das kleine Haus verschwand, konnte er nichts anderes tun, als davor zu warten. Er hoffte, dass sich im Inneren niemand Gefährliches befand.
Dort erwartete Zunae eine angenehme Wärme, obwohl Aaron gerade erst die Fenster wieder schloss. Er hatte durchgelüftet, damit es nicht zu sehr nach Feuer und Rauch roch. Obwohl er den Kamin erneuert hatte, war der Rauch auf Dauer doch nicht so angenehm, da der Abzug noch nicht so richtig funktionierte. »Danke, dass ich hier arbeiten darf«, lächelte Zunae, die das Zimmer in Aarons Haus sehr zu schätzen wusste. Da das Haus so klein war, ahnte Zunae auch, was Aaron dafür hatte aufgeben müssen.
»So ist es doch viel besser«, erwiderte dieser unruhig. Er hatte eine Frage an sie, wusste aber nicht, wo er ansetzen sollte oder wie sie reagieren würde. Das ließ ihn angespannt und unruhig werden, weshalb er kaum still stehen konnte.
Zunae, die ihren Mantel ablegte und sich dann an dem kleinen Schreibtisch niederließ, entging das nicht. »Stimmt etwas nicht?«, fragte sie vorsichtig. Sie wollte Aaron nicht drängen, hatte aber das Gefühl, dass es wichtig war.
»Es ist …«, setzte Aaron unruhig an, während er ihren Blick mied. »Als Ihr uns beschützt habt«, sagte er, doch auch da ließ er den Satz offen, weil er einfach nicht wusste, wie er es formulieren sollte.
Zunae blickte ihn einfach nur abwartend an, denn sie hatte keine Ahnung, was er sagen wollte. Hatte er vielleicht doch Angst?
Aaron rang mit sich und entschied sich dann dazu, einfach auszusprechen, was ihm auf der Seele lag, auch wenn es vielleicht albern war. »An dem Tag … da war … eine Gestalt neben Euch«, bemerkte er unruhig, denn er ging davon aus, dass sie ihn für verrückt hielt. Wie viele andere das taten.
Zunaes Augen wurden groß, während sie sich fragte, ob es sein konnte, dass er Ehana gesehen hatte.
»Was meinst du?«, fragte sie vorsichtig und versuchte nicht so sehr zu zeigen, dass sie eine Ahnung hatte.
Aaron fuhr sich unruhig durch seine Haare. »Eine Gestalt aus … Magie, schätze ich. Sie sah aus wie eine junge Frau.«
Zunae biss sich auf die Lippen. Was sollte sie dazu sagen? Die Wahrheit? Dann würde sie Aaron aber von ihren Vertrauten ezählen müssen. Aber wenn er sie sowieso gesehen hatte …
»Ehana ist eine Wassernymphe«, erwiderte Zunae schließlich und sorgte so dafür, dass Aaron in seinen Bewegungen abrupt innehielt und sich zu Zunae drehte.
»Ehana«, sagte er atemlos, denn allein, dass dieses Wesen einen Namen hatte, sagte ihm, dass es keine Einbildung gewesen sein konnte. »Eine Wassernymphe …« War es das, was er sehen konnte? Nymphen? Aber wieso.
»Genau genommen ist sie meine Vertraute. Ich habe sie gerufen, um für mich anzugreifen, weil ich es nicht konnte«, erklärte Zunae, die Aarons Reaktion genau beobachtete.
Sie vertraute ihm, doch diese Dinge wusste nicht einmal Yelir. Deshalb musste sie vorsichtig sein.
Aaron, der mit so viel Informationen überfordert war, da er etwas ganz anderes erwartet hatte, ließ sich auf der gepolsterten Bank Zunae gegenüber fallen. »Ihr besitzt die Fähigkeit, Vertraute zu rufen?«, fragte er vorsichtig, da er angenommen hatte, dass ihre Gab ein Schild war.
Zunae hob ihre Hand und legte sie auf die silberne Kette mit den blauen Blumen. »Das ist die Gabe meines Artefaktes. Meine eigene ist Magie.«
Magie.
Eine Gabe einfach nur als Magie zu bezeichnen, war schwierig. Es war ein sehr weitläufiger Begriff und Aaron konnte sich kaum vorstellen, was er darunter zu verstehen hatte.
»Und diese … Wassernymphe ist eine Eurer Vertrauten?«, fragte Aaron vorsichtig.
Zunae erhob sich und schritt auf die Fenster zu, bevor sie die Vorhänge schloss. Dabei entdeckte sie Andras, der am Haus Wache hielt. Er sollte auf keinen Fall bemerken, was hier vor sich ging.
Aaron beobachtete Zunae genau und spannte sich an. Er wusste nicht, was sie vorhatte, weshalb er ein wenig nervös war.
Als alle Vorhänge geschlossen waren, stellte sich Zunae in die Mitte des Raumes. Ein wenig Nervosität machte sich in ihr breit, denn sie sorgte sich, dass das Nutzen von Magie doch mit Schmerzen einherging. Sie konnte ein Flüstern davon spüren, weshalb sie zitternd einatmete. Die Kette war weg und sie würde auch niemanden verletzen. Es gab keinen Grund, mit Schmerzen zu rechnen.
Langsam lenkte sie ihre Magie in das Artefakt, von dem sich eine blaue Blüte löste und sanft zu Boden schwebte.
Aaron machte große Augen, als er beobachtete, wie die Blume am Boden landete und dann leuchtete. Das Leuchten breitete sich aus und formte die Gestalt einer Frau. Die Frau, die Aaron am Tag des Angriffes gesehen hatte.
»Das ist sie«, flüsterte Aaron, der kaum glauben konnte, dass dieses Wesen echt und keine Illusion war.
Ehana wandte sich an Aaron, bevor sie einen leichten Knicks vollführte.
Ihr Körper schimmerte und bewegte sich wie Wasser, das durch Magie in Form gehalten wurde. Gleichzeitig ahnte Aaron, dass andere sie nicht sehen würden.
»Ehana ist nur eine meiner Vertrauten«, erwiderte Zunae, der eine Idee kam. Da sie Aaron jetzt schon eingeweiht hatte, gab es keinen Grund, mit weiteren Fähigkeiten hinter dem Berg zu halten. Wenn sie es richtig anstellte, war sie sogar in der Lage, die Karawane zu begleiten. Das wäre besser als sie nur den Soldaten anzuvertrauen. Besonders, wenn die Banditen so gefährlich waren, dass sie Artefaktträger außer gefecht setzen konnten.
»Wie viele habt Ihr?«, fragte Aaron, dessen Neugier geweckt war. Er hatte die Artefakte der Südländer schon im Krieg gesehen, doch nie viel darüber erfahren. Jetzt hatte er die Möglichkeit.
»Das … ist nicht so wichtig«, erwiderte Zunae, die nicht so gern darüber sprach. »Wichtig ist Ehanas Fähigkeit«, sagte sie und nickte der Nymphe zu. Sie konnte nicht nur ihre Magie steuern. Das, was sie eigentlich hilfreich machte, war eine andere Fähigkeit.
Ehana ließ sich elegant neben Aaron nieder, bevor sich ihre Gestalt zu ändern begann. Die Farbe des Wassers änderte sich und wurde fest, bis neben Aaron ein fast perfektes Abbild von Zunae sah.
Aaron schnappte nach Luft und sprang auf.
»Das ist«, setzte Aaron an und blickte zwischen beiden hin und her. Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Zwei Zunaes? Aber wieso?
»So kann ich den Wachen vormachen, hier zu sein«, lachte Zunae leise, was Aaron sofort misstrauisch machte.
»Ihr solltet hier sein«, sagte er, weil er sofort eine Ahnung hatte, was sie damit wollte. »Es ist zu gefährlich, wenn Ihr uns begleitet.«
Zunae lachte leise. »Vergiss nicht, dass ich in der Lage bin, Magie anzuwenden. Als Abkömmling des Göttertieres bin ich praktischer als jeder Artefaktträger.«
Aaron ballte seine Hand zur Faust. »Es geht nicht darum, dass Ihr nicht stark oder praktisch dabei zu haben seid. Es geht um Eure Sicherheit. Wenn Ihr erneut verletzt werdet … wie soll ich das Yelir erklären? Wer wird dann Kavalare verwalten?«, platzte es aus ihm heraus, denn die Vorstellung, dass sie erneut verletzt werden könnte, sorgte für innere Kälte.
Zunae fixierte seinen Blick. »Wenn ich nicht in der Lage bin, Kavalare zu schützen, seine Wirtschaft zu schützen, wie bin ich dann in der Lage, mich als Verwalterin dieses Ortes zu bezeichnen?«, fragte sie, denn sie pokerte darauf, dass die Nordländer Stärke noch immer vorzogen. Sie wollte ihre Stärke demonstrieren, obwohl sie das bereits getan hatte. Aber dieses Mal richtig. Mit allem, was sie war.
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