DBdD-Kapitel 56

Es war gar nicht so einfach, durch den Schnee zu stapfen. Zunae hatte Mühe damit, versuchte sich aber auch nichts anmerken zu lassen. Immerhin gab sie vor, ein Söldner zu sein. Aus den Nordlanden. Daher sollte sie diesen Schnee gewohnt sein.
Die Soldaten hatten sich von Ehanas Illusion täuschen lassen und ihre Herkunft oder Verschwinden nicht hinterfragt. Das war auch der Grund, warum sie ohne Probleme neben dem Schlitten herlaufen konnte.
Es war das erste Mal, dass sie einen von ihnen sah. Sie wusste zwar, dass die Nordländer im Winter mit Schlitten unterwegs waren, doch dass dies hieß, es gab keine Räder sondern Kufen, wie es Aaron bezeichnet hatte.
Zunae gab sich Mühe, nicht immer wieder dorthin zu sehen, doch dadurch glitt das Gefährt ohne große Probleme durch den Schnee. Zumindest dort, wo genug Schnee lag.
War es sinnvoller Straßen zu bauen, die freigeräumt werden mussten im Winter oder Straßen, die so gelegt waren, dass man im Schnee fahren konnte?
Sie dachte gerade darüber nach, ob beheizte Straßen praktisch wären, damit der Schnee schmolz, als es ein Problem gab.
Die Gruppe kam zum Stehen, als sie den Fluss erreichten, der Kavalare von Ladvaan trennte.
Sie waren noch nicht weit von Kavalare entfernt und Zunae wusste, dass die Dorfbewohner manchmal von diesem Fluss Wasser holten. Daher hatte sie auch nicht damit gerechnet vor einer Brücke zu stehen, die kaum noch zu erkennen war.
Die Seile, die an großen Pfeilern befestigt waren, wurde vom Wasser hin und her gepeitscht und erinnerten an Schlangen. Sie waren das einzige, was noch von der Brücke übrig war. Der komplette Mittelteil fehlte. Es sah aus, als hätte der Fluss diese mit sich gerissen.
»Das muss bei dem Sturm vor zwei Tagen passiert sein«, bemerkte Aaron nachdenklich.
Ein Sturm? Zunae hatte davon nichts mitbekommen und auch keinen Schäden an den Häusern entdeckt. War er vielleicht gar nicht so schlimm gewesen, aber wieso war dann die Brücke zerstört?
Zunae trat näher heran und entdeckte das feine Knistern von Magie.
»Dann nehmen wir einen kleinen Umweg. Flussabwärts gibt es eine weitere Brücke«, bemerkte Magnus, der sich nicht so viel sorgte. Sie würden auch anders ankommen.
»Das ist keine gute Idee. Es könnte ein Hinterhalt sein«, bemerkte Zunae, die sofort alle Blicke auf sich spürte. Seit ihrer kurzen Reise war es das erste Mal, dass sie sprach.
Leroy schnaubte. »Und? Sollen wir schwimmen?«, fragte er in der Art, wie Zunse ihn kennengelernt hatte. Nur, wenn man sich ihm gegenüber bewies, bekam man Respekt.
Aaron versteifte sich, während er sich Mühe gab, Leroy nicht zu tadeln. Er wusste nicht, dass es sich bei diesem vermeintlichen Söldner um ihre Königin handelte und er durfte es auch nicht sagen. Daher hatte er keine Grund, sich einzumischen.
»Nein«, erwiderte Zunae, die sich die Brücke genauer ansah. Dann legte sie ihre Hand auf die letzten Reste der morschen Halterungen.
Der Ring an ihrem Finger glühte auf, was jedoch nur eine Ablenkung war. Sie nutzte kein Artefakt, wie sie die anderen glauben lassen wollte. Es war ihre eigene Magie, die sie in das Holz schickte.
Dieses füllte sich damit und aus dem Stamm brachen feine Triebe, die schnell zu langen Verbindungen zwischen den Seiten heranwuchsen und dabei immer dicker wurden.
Schweigen breitete sich aus, als in wenigen Minuten eine provisorische Brücke über den Fluss entstanden war.
Leroy rieb sich die Augen. »Das ist das erste Mal, dass ich eine derartige Magie sehe«, gab er fasziniert zu, was bei Zunae für Unruhe sorgte.
Würde er die Magie wiedererkennen, sollte sie gezwungen sein, sie zum Schutz von Kavalare zu verwenden? War es überhaupt wichtig, dass er es nicht wusste?
In Zunaes Kopf machte sich plötzlich ein stechender Schmerz breit, was sie keuchen ließ.
Nein. Das konnte sie jetzt nicht gebrauchen.
Ihre Hand wanderte in die Tasche ihrer Uniform, öffnete die kleine Dose und förderte eine Pille zu Tage, die sie sich einwarf. Zum Glück hatte sie Aidina um Nachschub gebeten, auch wenn die Schatulle sehr klein war. Sie hatte nicht nachgefragt, was mit den anderen passiert war, aber ihre Sorge geäußert, sie solle vorsichtiger sein.
Das Gefühl der aufkommenden Vision wurde sofort unterdrückt, auch wenn ihr Kopf sie anfühlte wie Watte.
Solange sie mit Chiaki verschmolzen war, konnte eine Vision ihr unglaubliche Schmerzen zufügen. Und das war es nicht wert. Auch wenn sie potentiell gewarnt hätte. Zunae hoffte, dass es nichts war, was mit ihrer Reise zu tun hatte. Als sie allerdings die Brücke überquerten und weiter liefen, blieb das ungute Gefühl. Die innere Unruhe und der Gedanke daran, was für eine Vision das gewesen war. Hoffentlich hatte sie keinen Fehler begangen diese sofort zu unterbinden.
Die ganze Reise per machte sich Zunae Gedanken, sodass sie zusammenschreckte, als eine innere Stimme ihr zuflüsterte, dass Gefahr drohte.
Sofort blieb sie stehen, denn Chiakis Instinkten vertraute sie mehr als ihren.
Sie lauschte und konnte ein Knistern in einem nahen Busch ausmachen. »Aaron«, sagte sie und zog in einer fließenden Bewegung das Schwert, das sie bei sich hatte.
Die Klinge funkelte bläulich, da es sich nicht um Metall, sondern Magie handelte. Es war das einzige Schwert, dass sie hatte auftreiben können und bis gerade eben hatte sie noch gehofft, es nicht kurzen zu müssen. Allerdings hatte Chiaki Alarm geschlagen, weshalb sie nicht nur von einem Tier ausging. Dabei hatten sie ihr Ziel fast erreicht. Ladvaran war nicht mehr weit.
Aaron tat es ihr gleich und zog kampfbereit sein Schwert. Sein Blick war auf die Richtung gerichtet, auf die auch Zunae starrten. Das Problem war nur, dass sie von Büschen umgeben waren.
Ein Luftzug warnte Zunae, deren Instinkte viel geschärfter waren. Sofort wirbelte sie herum und blockte einen Angriff mit einer Keule. Sie hatte so viel Wucht, dass der Boden unter Zunaes Beinen knirschte und sie beim Versuch zu blocken, nach hinten rutschte.
Ein Keuchen verließ ihre Kehle, als ihr Körper unter der Wucht erzitterte. Dann erkannte sie den Angreifer. Er trug die selben angenutzten Kleider, wie auch die Banditen, die damals Kavalare angegriffen hatten. Auch das Mundtuch, das bei den anderen so verbreitet gewesen war.
Panik ergriff Zunae, die in der Bewegung erstarrte. »Nae«, erklang Chiakis knurrende Stimme in ihrem Inneren. »Reiß dich zusammen«, fauchte er, bevor er die Kontrolle über ihren Körper übernahm und dafür sorgte, dass sie mit einem Sprung nach hinten auswich, als erneut die Keule auf sie niedersauste.
Sie bewegte sich fließend und ihr Schwert war eine perfekte Verlängerung ihres Armes, als es auf den Banditen niedersauste. Blut spritzte, als das Schwert den Arm des Mannes abtrennte, der mit der Keule zusammen zu Boden krachte.
Zunae sah zu, wie sich ihr Körper bewegte, während sie spürte, dass Chiaki bereit war zu kämpfen. Sie selbst spürte die Angst, die ihr Herz heftig schlagen ließ, während sie auf die Schmerzen wartete. Immerhin hatte sie einen Nordländer verletzt. Doch sie blieben aus.
Der Mann schrie nicht, was Zunae jedoch nicht wahrnahm. Sie war zu sehr mit ihren eigenen Gefühlen beschäftigt, um klar zu denken. Wäre Chiaki nicht, hätten die Angreifer sie schon längst verletzt.
Dann erklang ein Schrei, der Zunae wachrüttelte. Es war Leroy, der mit einer Keule in die Seite getroffen wurde.
Sie wirbelte herum, bevor sie ihr Hand ausstreckte und die Magie durch die Luft sausen ließ. Etwas, das Chiaki in ihren Körper nicht tun konnte.
Der Boden bebte und es schossen dicke Wurzeln durch den Schnee, die auf den Banditen einschlug. So, dass er von Leroy ablassen musste.
Zunae ermahnte sich dazu, ihn nicht zu töten. Sie brauchte jemanden, den sie befragen konnte.
»Leroy, Magnus. Zieht euch auf den Karren zurück«, wies Zunae an, erhielt aber nicht sofort eine Antwort. Leroy, weil er sich mühsam vom Boden hochkämpfen musste und Magnus, weil er mit einem großen Hammer die Banditen angriff.
Zunae knurrte leise, weil sie die beiden nicht schützen konnte, wenn sie zu weit voneinander entfernt waren. Außerdem hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Irgendwas kribbelte in ihren Nacken. Es war ein sehr unangenehmes Gefühl. Sie spürte die Gefahr.
Ihre Magie floss durch den Boden und riss die Umstehenden Angreifer von den Füßen, während Zunae selbst zu Leroy eilte, um ihn hoch zu helfen. Blut floss aus seinem Mund, was ihr zeigte, dass er Heilung brauchte. Allerdings war er Nordländer genug, um sich seine Schmerzen nicht ansehen zu lassen.
Während es Zunae gelang, Leroy Richtung Schlitten zu bringen, hielt sich Aaron sehr gut. Sein Schwert, umhüllt mit Flammen, hielt die Angreifer auf Abstand, auch wenn es immer mehr wurden.
Nur ein leises Sirren in der Luft warnte Zunae und es gelang ihr, zusammen mit Leroy, dem Pfeil auszuweichen. Als dieser jedoch in den Boden neben ihnen einschlug, gab es ein Knistern, bevor sich eine Ladung Blitze entlud und um sich peitschte.
In einem Instinkt wandte sich Zunae schützend über Leroy, der nur ein einfacher Bauer war. Vielleicht war er im Kampf ausgebildet, doch er besaß kein Artefakt und konnte sich nicht schützen.
Die Blitze schlugen in ihrem Rücken ein und zerstörten einen Teil ihrer Kleidung, legten aber nicht genug frei, damit man erkennen konnte, dass sie weiblich war.
Obwohl die Verschmelzung mit Chiaki ihr ein anderes Aussehen verlieh, blieb sie doch eine Frau. Etwas, was sie vermutlich sofort verraten hätte.
Weitere Pfeile folgten, die Zunae keine andere Wahl ließen. Sie riss ihre Hand nach oben und in wenigen Sekunden waren sich von einem Schutzschild umgeben, mit dem sie schon einmal Kavalare beschützt hatte.
Die Erinnerungen bohrten sich in Zunaes Gefühle und hinterließen eine Kälte, die sich durch ihre Knochen fraß. Ihr Atem ging schneller, während sich Chiaki in ihrem Inneren regte. »Die Kette ist nicht mehr da«, ermahnte er sie, weil er sie noch nie derartig ängstlich gesehen hatte. Der Vorfall war einfach noch zu frisch und lähmte ihr Denken.
»Das kann nicht sein«, hauchte Leroy, der das Schild zwar nicht sehen, seinen Effekt aber beobachten konnte. Wie konnte die Magie, die dieser seltsame Söldner wirkte, genauso sein wie die ihrer Königin? Und warum hatte er seine Gegenwart nie hinterfragt?
»Auf den Schlitten«, orderte Zunae erneut, die nur langsam wieder Herr der Lage war. Warum waren das so viele Banditen und warum sprach keiner von ihnen? Sie hörte sie lediglich murmeln und manchmal schreien, wenn Aaron sie verletzte, doch niemand brachte ihre Bedingungen vor.
Magnus schlug dem Mann vor sich den Kopf ein, bevor er sich an Leroy wandte, um ihm zu helfen, auf den Schlitten zu klettern. Im Gegensatz zu diesem hatte Magnus schon einige Schlachten geschlagen, doch noch nie hatte er so vielen Artefaktträgern gegenübergestanden. Selbst im Krieg waren sie die Elite der Königshäuser gewesen und die eigentliche Schlacht war immer unter ihnen ausgetragen worden. Keine Seite hatte sich die Hände damit beschmutzt, artefaktlose Krieger mit Magie zu bekämpfen. Aber diese Banditen … »Wie kann es sein, dass so viele Artefakte unterwegs sind?«, fragte Aaron keuchend, dem es sichtlich schwerfiel, sein Schwert lange Zeit zu benutzen. Obwohl er der Auserwählte seiner Waffe war, besaß er doch nicht die nötige Ausdauer, um im Kampf damit lange Standzuhalten. Die Bewegungen erschöpften ihn viel zu schnell, weshalb sein Kampfstil nicht unbedingt effektiv war.
Zunae stieß ein Keuchen aus, als ein Gewitter an Blitzen durch ihren Körper schoss. In dem Moment, indem ein riesiger Hammer, viel größer als der von Magnus, auf das Schild niederraste und Blitze hineinschickte.
»Sie haben herausgefunden, wie sie das Schild zerstören können«, brachte Zunae überrascht hervor, die damit gerechnet hatte, erst einmal sicher zu sein.
Ein zweiter Hieb folgte, der ihren Körper ächzen ließ. Wie war das möglich? Sie mussten das Schild beim letzten Mal analysiert haben. Aber wie? Zunae konnte sich darauf keinen Reim machen, da folgte ein erneuter Schlag und das Schild bekam die ersten Risse.
Zunae hatte gehofft, mit dem Schild genug Zeit zu gewinnen, um einen Zauber vorzubereiten. Ehana konnte sie nicht rufen, denn diese war im Dorf. Mit Chiaki war sie bereits verschmolzen und so konnte auch er nicht viel tun. Einen weiteren Vertrauten zu rufen, würde ihre Kraft so sehr erschöpfen, dass sie sich selbst kaum noch verteidigen konnte. Sie würde damit also ein hohes Risiko eingehen. Allerdings war sie auch keine Nahkämpferin. Ihre Magie gab ihr zwar viele Vorteile, doch war trotzdem eher darauf ausgelegt, andere zu unterstützen. Nur mussten dieser auch damit umgehen können. Es würde nichts bringen, Aaron zu verzaubern, wenn dieser nichts damit anzufangen wusste. Nur würde ihr das viel leichter fallen.
Während sie den Banditen auf sich zustürmen sah, kreisten ihre Gedanken.
Was sollte sie nur tun?
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