DBdD-Kapitel 6

Die Kutsche hielt, was Zunae leise seufzen ließ. Frische Luft würde ihr gut tun, weshalb sie froh war, endlich aussteigen zu können.
Kalte Luft schlug ihr entgegen und ließ sie erzittern. Um sie herum war es tiefste Nacht und am Himmel waren die Sterne zu sehen. Ein Anblick, der Zunae kurz verharren ließ, während sie tief durchatmete.
Ihr war klar gewesen, dass sie länger reisen würden, doch warum hielten sie? Ein Frösteln ließ sie schaudern und sie wagte einen Blick aus dem Fenster. Finsternis empfing sie. Felswände ragten um sie auf und nur das Schnauben der Pferde war zu hören. Ein unangenehmes Ziehen breitete sich in ihrem Bauch aus.
»Es ist zu dunkel für die Pferde, um sicher weiter zu reisen«, wurde sie widerwillig von Degoni informiert. »Wir werden hier übernachten. Also kein Grund, die Kutsche zu verlassen«, sagte er, da er sie nicht unbedingt in seiner Umgebung haben wollte. Solange sie in der Kutsche blieb, störte er sich kaum an ihr.
Zunae hingegen glaubte, dass er sich eher darum Sorgen machte, dass sie wegrannte. Sie würde sich auf keinen Fall einsperren lassen.
»Ich kann für Licht sorgen, solltet Ihr weiter reisen wollen«, bot sie an, wusste aber nicht, ob die Männer sich generell ausruhen wollten. Die Pferde mussten es vermutlich. Trotzdem wollte sie es angeboten haben.
Degoni verzog den Mund und stieß hörbar die Luft aus. »Tu nichts Dummes«, wies er sie an, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen. Ohne ein weiteres Wort stapfte er zu Yelir, der ein kleines Lagerfeuer vorbereitete. Das Knirschen seiner Stiefel hallte bedrohlich in der Nacht wider.
Aufgrund ihrer Verbindung zu dem Götterdrachen konnte sie ohne Probleme das wenige Licht, das der Mond reflektierte, auffangen und nutzen. Sie sah nicht wie am Tag, aber genug, um zu erkennen, dass es hier wohl einen Platz gab, der für eine Übernachtung genutzt worden war. Oder aber die Männer hatten die Baumstämme und Steinbrocken als Sitzmöglichkeiten um das Feuer verteilt.
Hinter Zunae stieg auch Belle aus, die sich sofort auf den Weg zur Kutsche mit ihrer Schwester machte. Beide waren beleuchtet, denn sonst wäre es Belle gar nicht möglich gewesen, sie zu sehen. Dort gab es auch Verpflegung und eine Medizin für die Königin, die sie holen wollte. Für sie hatte noch immer ihre Königin die höchste Priorität und das würde Zunae bleiben. Selbst in diesem fremden Land.
Dass Yelir sie dabei genau beobachtete, bekam weder Belle, noch Zunae mit.
Yelir verharrte in den Schatten der Bäume. Seinen Blick lauernd auf Zunae gerichtet. Wie gut konnte sie im Dunkeln sehen? Seine Finger zuckten am Dolch. Er würde kein Risiko eingehen.
Während Belle vorsichtig lief und ab und an stolperte, bewegte sich Zunae geschickt zu den Baumstämmen, wo sie sich jedoch nicht niederließ. Stattdessen inspizierte sie den Platz, ohne Degoni im Weg zu sein.
Yelir wurde bewusst, dass sie vermutlich mehr sah, als man ihr zutraute. Sie war nicht wie die Frauen bei ihnen, was er auch nicht erwartet hatte. Trotzdem erwischte er sich manchmal dabei, wie er wartete, dass sie etwas sagte oder tat, das er einordnen konnte. Auch verspürte er das Bedürfnis, ihr die Reise angenehm zu gestalten, da Männer sich in seiner Kultur um die Frauen kümmerten. Aber sie war keine seiner Frauen. Er sollte nicht anfangen, sie zu verhätscheln.
Yelirs Blick wanderte erneut ungewollt zu ihr. Jede Bewegung wirkte kontrolliert, jeder Schritt bewusst gesetzt. Sie verhielt sich nicht wie er es von einer Frau gewohnt war. Kein nervöses Blinzeln und auch keine sichtbare Unsicherheit. Er befeuchtete sich die Lippen. Diese Frau war anders und genau das ließ ihn nicht los.
Ob sie eine Kriegerin war oder nicht, war noch schwer einzuschätzen, doch die Vorstellung, jemanden aus den Südlanden zu besitzen und sich untertan zu machen, lockte ihn sehr. Es würde ihm eine gewisse Genugtuung verschaffen. Er musste nur vorsichtig sein, denn mit ihr hing auch Mishas Wohlergehen zusammen.
Yelir war klar, dass das der einzige Grund war, warum sein Bruder Degoni diese Frau nicht tötete.
Auf dem Weg hierher hatten sie sich leise darüber unterhalten. Degoni fand diese ganze Sache schwachsinnig, aber trotzdem unterstützte er die Entscheidung seines Bruders. Yelir hoffte nur, dass nichts geschah, um seine Meinung zu ändern.
Degoni gefiel es nicht, wie die Frau herumwanderte, weshalb er sich mit einem Knurren zu ihr drehte. Sie hielt inne, aber nicht ansatzweise so erschrocken, wie es Gideon gewohnt war. Immerhin Knurrten und Fauchten nur die Angehörigen der Seelenkatzen und vor deren Magie hatte so gut wie jeder Respekt. Ihre goldenen Augen betrachteten ihn aber lediglich mustern, ohne, dass Zunae ein Zeichen von Furcht zeigte. »Hör auf rumzurennen und setz dich«, forderte er knurrend, wobei sich über seine Haut bereits Fell ausbreitete. Das blieb jedoch in der Dunkelheit verborgen.
Zunae, die eigentlich alles andere wollte, als sich wieder hinsetzen, kam seiner Aufforderung trotzdem nach.
Vorsichtig ließ sie sich auf den Baumstamm nieder und beobachtete Degoni dann dabei, wie er das Feuer entfachte.
Als die knisternde Wärme zu ihr drang und das flackernde Rot des Feuers ihre Augen zum Leuchten brachte, spürte sie plötzlich einen stechenden Schmerz hinter ihren Schläfen.
Unruhig erhob sie sich, doch sie war noch keine zwei Schritte Richtung Kutsche gelaufen, da wurde sie auch schon in ihre Vision gezogen.
Yelir erkannte, wie sie wankte, sich den Kopf hielt und an der Kutsche vorbei Richtung Wald stolperte.
Er gab einen knurrenden Laut von sich, denn er vermutete, dass sie vorhatte, zu fliehen. Also folgte er ihr mit schnellen Schritten. Wie konnte sie es nur wagen?
Als er Zunae erreichte, griff er nach ihrem Arm und nutzte seine Gabe, um ihren Blutfluss zu spüren und ihren Körper dazu zu zwingen, stehenzubleiben.
Sofort erstarrte sie, doch Yelir spürte, wie sich seine Sicht ruckartig änderte.
Stand er gerade noch in einem dunklen Wald, so loderten die Flammen nun um ihn herum..
Obwohl er die Hand in seiner und den Blutkreislauf der Frau spürte, sah er sie doch vor sich auf einem Bett. Bewegungslos, blass und blutbeschmiert, während das Zimmer um ihn herum lichterloh brannte.
Er schnappte nach Luft, als er das Gemälde an der Wand und die Art, wie das Bett aufgebaut war, erkannte.
Es war das Zimmer, das er für sie vorbereitet hatte.
Sein Blick schnellte zur Seite, wo Zunae stand. Er hielt noch immer ihre Hand, doch sie schien dennoch zu flackern. Als wäre sie gar nicht richtig hier.
Die aufgerissenen Augen auf das Bett gerichtet, in dem sie selbst lag.
Yelir verstand nicht, was er hier sah. Was ging hier vor sich? Warum war er hier?
»Zunae«, sprach er sie an, sodass sie ihren Blick zu ihm richtete.
Das Gold ihrer Augen erstrahlte in den Flammen, bevor sich die Umgebung erneut änderte.
Plötzlich standen sie wieder im Wald. Es war dunkel und doch erkannte er, dass Zunae ihn noch immer anstarrte.
Im nächsten Moment wurde ihr Gesicht so weiß, dass es Kreide Konkurrenz machte. Er spürte das Zittern, das durch ihren Körper ging, und instinktiv löste er die Verbindung, mit der er sie bewegungsunfähig gemacht hatte. Nur ein Blinzeln später gaben ihre Beine nach und sie sackte in sich zusammen.
Fluchend fing Yelir sie auf und ging mit ihr zusammen zu Boden, während er versuchte herauszufinden, was gerade geschehen war.
Der zitternde, schwitzende Körper in seinen Armen war schwächer, als er angenommen hatte.
Yelir schloss seine Finger um ihren Oberarm. Nicht fest, aber so, dass sie ihm nicht entkommen konnte. Sein Blick wanderte über ihr Gesicht. Es war viel zu blass. Sein Magen zog sich zusammen. War sie angegriffen worden oder vielleicht krank?
Weil ihm keine Wahl blieb, hob er sie hoch und trug sie in Richtung Kutsche. Die Dienstmädchen wussten sicher, was er tun konnte.
Sie so zu sehen, bereitete ihm Unbehagen und Sorge machte sich in ihm breit. Was, wenn man ihnen eine kranke Königin geschickt hatte, die eh nicht mehr lange zu leben hatte?
»Sag mir nicht, du hast sie umgehauen«, bemerkte Degoni entsetzt, als er Yelir mit Zunae im Arm bemerkte. Während er sich bemühte, sich zu beherrschen, machte Yelir sowas?
Dieser schüttelte jedoch den Kopf. »Nein. Es ist nicht meine Schuld«, bemerkte er angespannt. Er würde sie zur Rede stellen müssen. Die Bilder ergaben für ihn keinen Sinn.
Degoni musterte ihn und hob lediglich die Augenbraue, schwieg aber.
Yelir ging auf die Kutsche zu, wo sofort Belle angerannt kam. Sie wirkte blass und entsetzt. »Du«, sagte Yelir ernst und deutete dann auf die Kutsche. »Einsteigen«, befahl er, denn er wollte Antworten.
Allerdings war es ein Problem, dass sie ein junges Mädchen war. Alles in Yelir sträubte sich dagegen, sie noch mehr zu verängstigen.
Belle überraschte ihn jedoch, denn sie straffte die Schultern, nickte und stieg ein.
So jung und doch so voller Kampfeswillen. Yelir kam nicht umhin, ihre Stärke zur Kenntnis zu nehmen.
Er folgte und setzte Zunae vorsichtig auf den gepolsterten Sitz. Vermutlich saß sie nicht sonderlich bequem, doch anders ging es im Moment nicht.
»Was ist mit ihr los?«, fragte Yelir und deutete mit dem Kinn auf Zunae, während er Belle fixierte.
Diese wusste nicht so ganz, was sie tun sollte. Sie blickte von Yelir zu Zunae und wünschte sich, sie könnte ihrer Königin helfen.
»Ich weiß nicht. Was ist denn passiert?«, fragte sie schließlich mit leiser Stimme, auch wenn sie die Anzeichen durchaus kannte. Belle war klar, dass eine Vision sie gepackt hatte, doch so schlimm war es noch nie gewesen. Sie sah aus, als wäre sie eine Leiche und würde sich ihr Brustkorb nicht heben und senken, hätte Belle geglaubt, sie wäre tot.
»Sie ist in den Wald gelaufen und als ich sie angefasst habe, ist sie umgekippt«, gab Yelir zähneknirschend von sich. Er weigerte sich zu glauben, dass er sie mit seiner Gabe angegriffen hatte. Das war nicht sein Ziel gewesen. Er hatte sie nur vom Wegrennen abhalten wollen.
Belle wusste sehr gut, dass es Zunae oft nicht gut ging, wenn sie in einer Vision war und dabei berührt wurde. Das verwirrte sie, was zu Reaktionen führen konnte, die gefährlich waren. Yelir konnte froh sein, dass Zunae ihn nicht angegriffen hatte. Allerdings wusste Belle auch nicht, warum sie zusammengebrochen war und so erschöpft aussah.
»Habt Ihr Eure Magie in ihrer Gegenwart benutzt?«, fragte Belle, denn sie hatten sich bereits eine Ausrede für ihren Zustand zurechtgelegt. Von ihren Visionen konnten sie aus verschiedenen Gründen nicht erzählen. Die Gefahr bestand, dass sie missbraucht wurde. Daher durfte niemand erfahren, was Zunaes Gabe war. Belle würde nicht zulassen, dass jemand sie drängte.
»Was wäre, wenn ja?«, wollte Yelir ungeduldig wissen.
Belle sah ihn wütend an, hielt sich aber zurück. Einen Streit anzufangen würde niemandem helfen. Zudem war er ein König eines anderen Reiches und vermutlich bald Zunaes Ehemann. »Sie reagiert sehr empfindlich auf Magie aller Art«, erwiderte sie. Was nicht einmal gelogen war. »Sie hat sich durch die lange Reise schon nicht wohlgefühlt.«
Yelir knurrte. »Ihr habt uns eine kranke Prinzessin gegeben?«, fauchte er, wobei er sogar ein wenig laut wurde. Für ihn war dieser Verrat unvorstellbar. Was sollte er denn mit ihr anfangen, wenn sie ihm jederzeit wegsterben konnte? War es zu spät, sie auszutauschen?
Belle sah ihn wütend an. »Sie ist nicht krank«, rief sie zurück und erhob sich sogar, bevor sie sich bewusst wurde, mit wem sie sprach. Ihre Wut ging mit ihr durch, doch sie schaffte es, sich zu zügeln. Wäre es nicht für ihre Königin, hätte sie sich niemals mit einem Nordländer eingelassen. Sie waren gefährlich!
Ein Zittern ging durch ihren Körper, bevor sie sich langsam wieder niederließ. Dabei versuchte sie das Zittern ihres Körpers zu unterdrücken. Belle war nicht dumm genug zu glauben, dass sie gegen ihn gewinnen könnte. Trotzdem würde sie ihre Königin nicht ans Messer liefern! »Ihre Gabe fordert nur permanent viel ihrer Kraft«, flüsterte sie und blickte besorgt zu Zunae. Sie regte sich nicht, obwohl sie so laut geworden war.
»Ihre Gabe«, bemerkte Yelir, der sich fragte, ob die Bilder damit zusammenhingen. Sie gingen ihm einfach nicht aus dem Kopf. Dieses Feuer. Das Bett. Ihre unbewegte Gestalt. »Was weißt du darüber?«, fragte er, versuchte aber, seine Stimme zu dämpfen. Unter anderem, weil er sie nicht noch mehr ängstigen wollte, aber auch, weil er nicht wollte, dass andere mithörten.
»Nur, dass sie ihren Körper sehr belastet«, erwiderte Belle, was gelogen war. Allerdings stand es ihr nicht zu, ein Geheimnis ihrer Königin auszuplaudern. Daher würde sie lügen und so tun, als wüsste sie nichts.
Yelir stieß frustriert die Luft aus. »Gut, du kannst jetzt gehen«, sagte er, da er entschieden hatte, dass dieses Mädchen nicht der richtige Ansprechpartner war. Außerdem ertrug er es nicht zu sehen, wie sie zitternd vor ihm saß. Ihre Blässe sprach Bände, auch wenn sie sich Mühe gab, es zu verstecken.
Belle sah zu Zunae und wurde nur noch blasser. »Aber … ich muss mich um sie kümmern«, brachte sie hervor. Sie wollte nicht gehen und Zunae zurücklassen.
»Das wird nicht nötig sein«, erwiderte Yelir mit Nachdruck. Er würde sich selbst darum kümmern und sichergehen, dass sie ihm auch erzählte, was er wissen wollte. Im Notfall mit Gewalt. Auch, wenn er nicht wusste, ob das so einfach sein würde. Schon auf dem Schlachtfeld war es immer eine Überwindung, die weiblichen Krieger zu verletzen. Wie sollte er es dann erst bei einer Frau, die sowieso schon wirkte wie eine zerbrechliche Puppe?
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