DAdD-Kapitel 4

Rhana ließ ihren Blick über die weite Wüste wandern.
Die Sonne war gerade dabei, unterzugehen und bald würde es extrem kalt werden. Trotzdem hockte sie auf ihren Lieblingsfelsen und blickte hinaus auf den Sand. Dieser Anblick beruhigte sie immer, doch nicht heute.
Alles, was sie geglaubt hatte, war dabei zu zerbrechen. Irgendwo da draußen könnten ihre Eltern sein. Bei der Aufgabe das Reich zu schützen, waren sie verschwunden.
Eine surreale Vorstellung, die in Rhana widerstreitende Gefühle weckte.
Sollte sie sich der Hoffnung hingeben, sie vielleicht irgendwann zu finden oder sollte sie lieber das tun, was sich ihre Eltern für sie gewünscht hatten? Sollte sie hierbleiben und Händlerin werden, um das Vermächtnis ihres Vaters fortzuführen?
Sie wusste es nicht, denn Rhana konnte nicht einmal sagen, ob die Karawane nicht nur eine Tarnung war. Wenn ihre Eltern wirklich Drachenreiter waren, dann kam das Geld vielleicht sogar wo anders her. Rhana konnte es nicht sagen.
Das alles machte ihr Kopfschmerzen, weshalb sie die Beine an sich heranzog und den Kopf darauflegte.
»Rhana?«, erklang Ruonirs Stimme, der langsam den Felsen hinaufgeklettert kam.
Rhana sah nur kurz auf, bevor sie ihren Kopf wieder zwischen ihren Knien vergrub.
Die Königin hatte darauf bestanden, dass sie schworen, mit niemanden darüber zu sprechen, was vorgefallen war. Nur die Tatsache, dass sie auserwählt wurden, auf eine besondere Schule zu gehen, durfte sie verraten. Dass es sich um die Drachenakademie handelte oder dass ihre Eltern Drachenreiter waren, musste sie für sich behalten. Darum fühlte sie sich wirklich schlecht, denn bisher hatte sie nie etwas vor ihrer Familie verheimlicht.
»Was ist denn los?«, fragte Ruonir, der sich neben sie setzte und hinaus auf den Horizont blickte.
Ruhe umfing sie, die nur durch das Säuseln des Windes und die leise Musik im Hintergrund der Stadt unterbrochen wurde.
»Ich weiß nicht, was ich tun soll«, murmelte Rhana schließlich leise und sah erneut auf. Die Sonne verschwand gerade hinter dem Horizont und tauchte die Wüste in ein rotes Feuer, das Rhana für einen kurzen Moment fesselte.
Ruonir legte seiner Adoptivschwester eine Hand auf die Schulter. »Was ist denn vorgefallen? Du bist schon die ganze Zeit so komisch. Seitdem du von der Königin zurück bist. Hat sie dir etwas getan? Hast du Probleme?« Rhana sah auf und in Ruonirs besorgten Blick. Seine Stirn lag in Falten, während er sie musterte, als würde er sie nach Verletzungen absuchen.




»Sie hat mir ein Angebot gemacht«, gab Rhana widerwillig zu, denn während Lewin völlig begeistert von der Aussicht war, auf die Schule zu gehen, machte sie sich eher Sorgen. Sie wollte ihre Familie nicht zurücklassen, aber nur so konnte sie herausfinden, was wirklich mit ihren leiblichen Eltern war.
Außerdem reizte es sie, mit Drachen in Kontakt zu kommen.
Drachenreiter.
Das klang verheißungsvoll, aber auch gefährlich.
Ruonier stieß die Luft aus. »Erzähl mal«, forderte er, als er merkte, dass Rhana von sich aus nicht sehr viel mehr dazu sagte.
Diese wusste gar nicht genau, was sie ihm eigentlich anvertrauen durfte und was nicht. Also entschied sie sich, so wenig wie möglich zu sagen, um nicht lügen zu müssen.
»Die Königin hat Lewin und mich als würdig erachtet zu den Aufnahmeprüfungen für eine … besondere Schule anzutreten«, erklärte sie, denn das hatte Königin Suna ebenfalls deutlich gemacht. Es würde Prüfungen geben und davor hatte sie Angst. »Mehr darf ich dir leider nicht sagen«, fügte Rhana hinzu, als sie bemerkte, wie Ruonir Luft holte, um nachzufragen.
Unwillig verzog dieser den Mund. »Das ist doch Mist«, bemerkte er ein wenig beleidigt, gab aber nicht Rhana die Schuld. »Kannst du mir dann wenigstens sagen, warum du unschlüssig bist? Das klingt doch nach einer guten Sache.«
So betrachtet und mit den wenigen Informationen, die Ruonir hatte, hatte er natürlich recht. Eine schulische Ausbildung war nie zu verachten.
»Ich mache mir Sorgen um die Aufnahmeprüfung«, gestand Rhana. Immerhin wusste sie nicht einmal, ob diese gefährlich war oder nicht.
Ruonir machte nur eine wegwerfende Handbewegung. »Versuch es und wenn du es nicht schaffst, dann ist das halt so«, meinte er, was Rhana leise lachen ließ. Manchmal war er wirklich naiv und leichtsinnig. Was aber vermutlich daran lag, dass Ruonir sicher nicht einmal ahnte, dass es hier um Drachen ging.
»Ich meine: Was ist das Schlimmste, was passieren kann? Dass du durchfällst?«, fragte er und am liebsten hätte Rhana ihn korrigiert. Allerdings wusste sie selbst nicht, ob es wirklich gefährlich war oder sie das nur glaubte. Drachenreiter dienten den Göttertieren, die sich in den Bergen niedergelassen hatten. Zumindest war es das, was Königin Suna gesagt hatte. Hieß das, dass sie in die Schlacht ziehen musste, wenn es nötig war?




Macht oder Kampferfahrung ist nicht alles, was zählt, hatte sie behauptet. Hieß das vielleicht auch, dass es Aufgaben gab, die weniger gefährlich waren? War es überhaupt gefährlich?
»Ich bin nicht sicher, ob das alles ist«, gestand sie leise. Aber wenn sie es aus Ruonirs Perspektive betrachtete, hatte er eigentlich recht. Sie konnte es versuchen und wenn sie merkte, dass die Tests zu schwer waren, konnte sie aufhören. Immerhin konnte sie sich nicht vorstellen, dass bei den Eignungstests wirklich eine akute Gefahr bestand. Vermutlich machte sie sich einfach zu viele Sorgen.
»Was heißt, du bist nicht sicher?«, fragte Ruonir mit einem skeptischen Stirnrunzeln und starrte Rhana weiter an, die mittlerweile wieder hinaus auf die Schwärze der Wüste blickte.
Die Sonne war untergegangen und der kalte Wind kam zu ihnen. Nur noch die Lichter der Stadt in ihren Rücken sorgten dafür, dass sie zumindest ein bisschen was sehen konnten.
»Wenn ich dort angenommen werde … Werde ich Savrana eine lange Zeit verlassen müssen«, gestand sie, denn die Drachenakademie lag nicht hier in der Nähe. Sie lag tief im Gebirge und sicherlich würde es auch nicht einfach sein, einfach so zurück nach Hause zu kehren.
Ruonir stieß die Luft aus und schwieg einen Moment. Dieses Schweigen zeigte Rhana, dass er darüber nachdachte und nicht sonderlich erfreut war. »Wir kommen hier auch allein klar. Für dich wäre das eine perfekte Gelegenheit, weiteres Wissen und Erfahrungen zu sammeln. Eine Chance, die du vielleicht nur einmal im Leben hast. Normalerweise kommt man eher selten aus Savrana raus, wenn man hier aufgewachsen ist«, bemerkte er irgendwann, was Rhana nachdenklich machte.
Aus Savrana raus und die Welt sehen? Neue Dinge lernen?
Das alles wäre ihr in der Schule möglich, aber bisher hatte sie nie den Drang gespürt, mehr als die Wüste zu erkunden. Lag das daran, dass sie gar nicht mehr kannte? Dass für sie der Horizont der Wüste, das was sie sehen konnte, das weiteste war, was sie sich vorstellen konnte?
Rhana erhob sich langsam, denn sie sollten zurückkehren, bevor es noch kälter wurde. Selbst die Musik in den Straßen war verstummt, was hieß, dass auch bald die Feuer, die als Wegbeleuchtung und Wärmequellen dienten, gelöscht werden würden.




»Vielleicht hast du recht«, murmelte sie, bevor sie sich langsam an den Abstieg machte.
Ruonir folgte ihr langsam, doch Rhanas Gedanken kreisten noch immer um die Frage, ob sie das Angebot annehmen sollte, oder nicht.

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