Mirani-Kapitel 8


~Mirani~
Mir schlug das Herz bis zum Hals und ich befürchtete, es würde jederzeit aus meiner Brust springen.
Mein Blick war auf Asher gerichtet, der mich mürrisch ansah.
Ich spürte noch immer, wie die einzelnen Bilder der Vögel auf mich einschlugen. Ein riesiger Greif, der sich in die Masse an Vögeln stürzte. Er schnappte nach ihnen und scheuchte sie so sehr auf, dass sie in alle Richtungen flohen. Die Panik, die ich von ihnen spürte, pulsierte stoßweise in meinen Knochen, sodass ich den Sinn für meine Umgebung immer wieder verlor. Es war ein ständiges auf und ab, zwischen den Bildern. Welche davon waren Erinnerungen und welche spiegelten die aktuelle Situation wider?
»Es hätte dich vom Schiff reißen können«, knurrte Asher. Seine Worte rissen mich aus den Erinnerungen und zogen meinen Blick zu ihm.
Ich verstand nicht, was er mir sagen wollte, doch seine zerfetzte Kleidung und das Blut, das über seinen Arm rann, zeigten mir das Ausmaß des Geschehens.
War es wirklich so schlimm, dass er verletzt worden war?
Das Schiff schwankte, doch es gelang mir, mich aufrecht zu halten und nicht erneut zu fallen. Erneut packte mich Panik und störte meine Abwehr. Die Eindrücke verschwammen und immer wieder wechselte ich zwischen dem, was die Vögel mir gezeigt hatten und dem, was um mich wirklich geschah. Das war ein Problem meiner Gabe, wenn es um Lebewesen ging. Manchmal hingen die Bilder der Vergangenheit so lange nach, dass ich mich nicht orientieren konnte. In einer so gefährlichen Situation war das ein noch größeres Problem.
»Ist bei euch alles in Ordnung?«, erklang Zahiras Schrei, der mich wieder zurückholte. Sofort richtete ich meinen Blick auf sie. Ich musste ich an irgendwas in meiner Umgebung festhalten, um nicht wieder abzudriften!
Die Frau stemmte sich sichtbar und mit ihrer ganzen Kraft gegen das Steuer, während das Schiff sich leicht schräg legte, sich aber dann wieder stabilisierte. Es schüttelte mich durch, riss mich aber nicht erneut von meinen Füßen. Langsam kam ich damit klar, auch wenn es nicht angenehm war.
»Ja«, schrie Asher zurück, auch wenn ich nicht verstand wieso. Noch immer tropfte Blut von seinem Arm. Ein deutliches Zeichen, dass bei ihm nichts in Ordnung war! Warum log er seine Mutter an?
Ich sah blinzelnd zu ihm und fragte mich, woher die Wunde kam. In dem Moment, als die Vögel mich berührt hatten, hatte ich nichts mehr um mich herum wahrgenommen, daher wusste ich auch nicht, wie er verletzt worden war.
Asher hatte mich doch eindeutig in seine Arme gezogen, oder nicht? Wieso war dann mein Geist nur erfüllt von den Bildern der Vögel? Wo waren seine Gedanken und Gefühle? Sie hätten mir zeigen können, was passiert war.
Waren die Vögel so zahlreich gewesen, dass dafür kein Platz mehr war?
Langsam hob ich den Arm und deutete auf seine Verletzungen. Ich wollte etwas sagen, doch die Worte verließen meine Kehle einfach nicht. Mein Körper war noch nicht bereit dazu.
Asher folgte meiner Deutung, runzelte die Stirn und zuckte dann die Schultern. »Nicht wichtig«, brummte er, bevor er in einer schnellen Bewegung seine Kleidung zerriss, sodass er die Wunden freilegte.
Ich konnte zusehen, wie sich die Haut über den Rissen erneuerte und somit ganz langsam schloss. Er war wirklich ein starker Alpha. Seine Heilkraft war sogar stärker als die meines Bruders. Beeindruckend.
Erneut ging ein Ruck durch das Schiff. Dieses Mal so stark, dass ich mich nicht halten konnte. Ich taumelte vorwärts und versuchte noch, auszuweichen, doch es war zu spät. Ashers harte Brust hielt mich davon ab, völlig zu fallen. Die Wärme drang durch meinen Anzug und Panik packte mich. Bevor seine Vergangenheit auf mich einstürzen konnte, drückte ich mich von ihm ab und navigierte mich irgendwie zu einem Stützpfeiler des Pavillons.
Mein Herz schlug heftig und mein Atem ging schnell, während ich mich vor den Bildern wappnete, die jedoch nicht kamen. Stattdessen drangen die Worte von Zahira zu mir durch, auch wenn ich nicht alles davon verstand.
Ein Flügel war beschädigt. Eine Notlandung war nötig.
Die Panik, die ich durch die ungewollte Berührung gespürt hatte, wurde bei dem Gedanken, dass wir vielleicht abstürzten, verstärkt. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass etwas in diese Richtung passieren würde und war nicht darauf vorbereitet. Was konnte ich tun?
»Du musst keine Angst haben. Wir bekommen das hin«, versicherte Asher schnell, doch ich wusste nicht, ob ich seinen Worten trauen sollte. Ich hatte keine Ahnung von Luftschiffen und wusste deshalb auch nicht, wie schlimm es wirklich war.
Das Schiff schwankte so stark, dass ich Mühe hatte, mich festzuhalten. Noch immer lähmte mich die Angst und die Konzentration, die ich brauchte, um mich vor den Konsequenzen meiner Gabe zu schützen, brauchte meine restliche Kraft auf.
Allerdings hatte ich keine Zeit mehr, mir darüber Gedanken zu machen.
Ein lautes Krachen ließ das Schiff vibrieren. Holz splitterte und Metall schrie.
Ein unerwarteter Ruck schleuderte mich gegen einen anderen Pavillonpfeiler, an dem ich mich sofort festkrallte.
»Der Flügel gibt auf«, schrie Zahira über das Schiff. Ihre Worte gingen in einem gellenden Kreischen unter, als der Flügel des Sonnenfalters mit einem unnatürlichen Laut zerbarst.
Ich sah, wie einer der libellenartigen Segel davongetragen wurde, bevor das Schiff endgültig kippte. Alles geriet aus dem Gleichgewicht.
Ich hielt die Luft an, während der Wind um meine Ohren sauste und mir meine eigenen Haare ins Gesicht schnitten. Mein Magen drehte sich um, während ich das Gefühl hatte, mein Kopf würde von plötzlichem Druck bersten.
Dann kam der Aufprall.
Schwer und hart. Mein Körper wurde vom Boden gehoben, ohne dass ich mich wehren konnte. Ich konnte nicht sagen, ob wir fielen oder die Welt um uns herum zerbrach.
Wasser spritzte und schwabbte so stark über das Deck, dass eine Welle mich losriss. Ein brutaler Schlag, wie eine Ohrfeige, der ich nicht widerstehen konnte.
Kalte Nässe schlug gegen das Deck und eine Welle brach über uns herein, die das Holz ächzen ließ. Der Sonnenfalter zitterte unter dem Aufprall, während ich über das Deck rutschte und versuchte, Halt zu finden.
Ich wurde gegen die Reling geschleudert, nach der ich instinktiv griff. Meine Finger krallten sich in das nasse Holz, auf dem ich keinen Halt fand.
Asher brüllte etwas, doch sein Ruf ging im Tosen der Wellen unter.
Dann spürte ich, wie er mich griff und zurück auf das Deck zog. Hin zu einem Seil, an dem ich mich sofort festkrallte.
In diesem Moment ging ein neuer Ruck durch das Schiff. Asher verlor den Halt und eine der Wellen riss ihn mit sich. Ich sah nur, wie er über die Reling gerissen wurde und schließlich im Wasser verschwand.
Sofort stolperte ich so gut es ging zur Reling und blickte hinab. Das Schiff schwankte zwar noch, doch der Sturz an sich schien vorbei. Daher konnte ich mich halten und das Wasser absuchen.
Doch ich sah nur Wellen, Strudel und ein paar Algen. Aber keinen Körper. Keinen Kopf, keine Bewegungen. Wo war Asher?
»Verflucht! Er kann nicht schwimmen«, rief Zahira panisch, während sie versuchte, das Schiff gerade zu halten.
Mein Herz setzte für einen Moment aus. Er konnte nicht schwimmen? Dann hatte er in diesem Wasser keine Chance!
Was konnte ich tun?
Panisch blickte ich auf das Schiff und rannte zu dem Seil, an dem ich mich vorhin festgehalten hatte. Schnell löste ich es und schlang es mir um den Arm. So könnte es gehen. Trotzdem musste ich vorsichtig sein, sonst würden wir beide untergehen.
So gerüstet rannte ich zurück und schwang mich über die Reling. Wenn er wirklich nicht schwimmen konnte, durfte ich keine Zeit verlieren.
Das eiskalte Wasser schnitt mir wie Dolche in die Haut und durchtränkte meinen Anzug, während der Aufprall mir den Atem raubte. Doch dafür war keine Zeit.
Hier ging es um Leben und Tod. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn Asher hier unterging und ertrank, obwohl er mich auf dem Schiff so gut beschützt hatte.
Mein Blick wanderte umher, doch ich sah nichts. Darum holte ich tief Luft und tauchte unter. Wenn ich ihn nicht sehen konnte, musste ich ihn spüren.
Der Sog des Wassers zog mich in die Tiefe. Strampelnd kämpfte ich mich durch das Wasser und versuchte etwas zu entdecken.
Irgendwo in meiner Nähe war seine Aura. Ich war nah dran.
Da. Ein dunkler Umriss!
Das war er! Asher!
Sein Körper trieb schwer und leblos unter der Oberfläche, was mir zeigte, dass er bereits das Bewusstsein verloren hatte. Das war gar nicht gut.
Mit schnellen Bewegungen näherte ich mich ihm, während er langsam nach unten gezogen wurde.
Meine Instinkte rangen in mir. Ich konnte ihn nicht berühren, aber das wäre sein Ende.
Ich nutzte das Seil um meinen Arm, um ihn nach oben zu drücken, doch selbst, als er aus dem Wasser war, reagierte er nicht.
Fluchend versuchte ich, das Seil um ihn zu legen, ohne ihn zu oft zu berühren. Dabei wurden wir von den Wellen immer weiter hin und her geschleudert, doch ich machte meine Sache gut. Keine Bilder stürzten auf mich ein, was mich etwas erleichterte.
Allerdings waren wir noch nicht sicher.
Hektisch sah ich mich um. Das Schiff war weit entfernt und die Strömung sehr stark. Sie trieb mich vom Schiff weg, in Richtung einer nahen Insel.
Der Nebel, der sie umgab, beruhigte meine Sinne. Wir befanden uns noch immer auf den Gewässern der Aethelhain-Inseln. In meinem Zuhause. Das war gut. Das würde mir helfen.
Ich konnte nicht sagen, ob es die schlauste Idee war, doch ich nutzte die Strömung und zog Asher hinter mir her. Er brauchte festen Boden und Luft. Die Insel war nah genug, um sie zu erreichen, bevor es zu spät war.
Ich strampelte mit aller Kraft, hielt uns oben und brachte uns irgendwie vorwärts.
Als ich mich der Insel weiter näherte, spürte ich bereits etwas Ungewöhnliches im Nebel. Er fühlte sich nicht an wie sonst, doch ich konnte mir keine Gedanken darum machen. Wir hatten keine Alternative.
Meine Füße berührten endlich Boden und ich zog uns schleppend an Land. Doch in dem Moment, in dem ich die Insel betrat, spürte ich ein heftiges Zittern im Nebel.
Diese Insel war nicht bewohnt. Zumindest nicht von Werwölfen.
Ich spürte sie, bevor ich sie sah. Die Luft war schwer und der Nebel kribbelte ungewöhnlich, als würde er mich warnen wollen. Ein leises, flüsterndes Zischen wie Seide auf Stein. Schatten, die sich zwischen den dichten Bäumen bewegten. Tapsende Geräusche, als knorrige Wurzeln brachen.
Etwas näherte sich. Etwas Gefährliches, und ich wusste leider zu genau, was es war.
Ich erkannte die verformten Klauen, die gebückten Haltungen und vor allem die Aura, die mir einen eiskalten Schauer über den Rücken wandern ließ. Es gab nur ein Wesen auf den Aethelhain-Inseln, das eine derart dunkle und bedrohliche Aura ausstrahlte.
Die Rakshasa.




























Kommentare