Mirani-Kapitel 46

~Asher~
Es fühlte sich seltsam an, Mutter zu folgen. Immer wieder blickte sie sich um, während sie uns durch Gassen und Wege der Stadt führte, die ich so nie genutzt hatte. Außerdem fühlte ich mich ständig beobachtet, was dazu führte, dass ich Mirani fester an mich drückte und sie mit meiner Aura umgab, um sie zu schützen.
»Du musst deine Aura ein wenig dämpfen«, flüsterte Mutter, als sie sich zum wiederholten Male umsah. Ihre Stimme hatte etwas Eindringliches, das mich nur nervöser machte.
Unruhig atmete ich ein, bevor ich es versuchte. Da ich meine Aura selbst nicht direkt wahrnahm, konnte ich auch nicht sagen, ob ich sie sehr stark nutzte oder nicht. Darüber hatte ich mir bisher nie Gedanken gemacht, denn Rashids Aura hatte meine immer überlagert.
Jetzt versuchte ich sie aber, um nicht zu sehr aufzufallen, zu unterdrücken.
Ich bemerkte erst, dass es mir gelang, als Mutter leise seufzte. »Was war da los?«, fragte ich angespannt.
Ein Rakshasa in unserem Anwesen. Das konnte kein Zufall sein.
»Das …«, setzte Mutter an und sah sich erneut um. Damit machte sie mich wirklich unruhig, weshalb ich auch anfing, mich auf die Umgebung zu konzentrieren.
Ich spürte Präsenzen, die mich jedoch nicht sofort alarmierten. Es waren Bewohner der Dämmerwüste. Vermutlich sogar Händler. Darunter Betas, die ich schon einmal bei Versammlungen meiner Familie wahrgenommen hatte. Sie lebten hier, also sollte es nicht ungewöhnlich sein, dass sie in der Stadt waren. Doch dann bemerkte ich, dass sie uns folgten.
»Ich kann da jetzt nicht drüber reden«, flüsterte Mutter, die mir deutete, ihr schnell in eine Gasse zu folgen. »Aber ich erkläre dir alles, versprochen.«
Nervös blickte sie von einer Seite zur anderen, bevor sie eine Tür öffnete, die ich so gar nicht wahrgenommen hatte.
Mit einer schnellen Bewegung zog sie mich und Mirani hinein, bevor sie die Tür schloss.
Statt jedoch in diesem Haus zu bleiben, durchquerte sie dieses nur und öffnete ein Fenster.
Ich verstand nicht, was das alles sollte, folgte ihr jedoch stumm.
So verloren wir langsam aber beständig unsere Verfolger, liefen jedoch gefühlt mehrmals durch die gesamte Stadt.
Wie lange sollte das noch so gehen? Mirani musste sich ausruhen. Es war sicher nicht gut, dass ich sie die ganze Zeit herumtrug.




»Soll ich unsere Verfolger nicht einfach außer Gefecht setzen?«, knurrte ich ungeduldig. So langsam ging mir das alles auf die Nerven.
Mutter zischte mich an. »Du weißt doch gar nicht, wer sie sind. Überschätze dich nicht«, warnte sie tadelnd, wie sie es schon so oft getan hatte.
Ich konnte nur innerlich die Augen verdrehen. Woher wusste sie, dass ich keine Chance hatte? Ich war ein Alpha und so langsam begann ich zu begreifen, was das hieß.
Der Kampf mit den Rakshasa hatte mich geschwächt, doch ich spürte dennoch nicht das Gefühl gleich zusammenzubrechen. Dabei wusste ich, dass Rashid immer eine lange Pause gebraucht hatte, nachdem er gegen Rakshasa oder Ähnliches gekämpft hatte.
Mein Blick wanderte zu Mirani, während ich Mutter folgte. Vermutlich würde es anders aussehen, wenn dieses Wesen auch mich erwischt hätte. Ich verstand noch immer nicht, was es war, doch dass Mirani derart erschöpft war, hieß nichts Gutes. Sie sollte nicht so erschöpft sein. Nicht, wo sie doch noch immer die Aura eines Alphas ausstrahlte.
Überrascht über meine Gedanken wäre ich fast stehengeblieben.
Ich hatte bis jetzt nicht darüber nachgedacht, doch wenn ich sie ansah, erkannte ich sie sofort als gleichgestellt an. Ihre Aura streifte meine Sinne und umspielte sie auf eine Art, wie ich sie vorher nicht wahrgenommen hatte.
Es war, als hätte der Kampf gegen die Rakshasa etwas in meinem Inneren erwachen lassen, das mir die Welt jetzt in einem anderen Licht präsentierte.
Meine Gedanken wanderten zu Mirani, die sich ein wenig in meinen Armen bewegte. Ob sie mitbekam, was hier passierte? Dass wir auf der Flucht waren?
Ich wollte sie nicht unnötig besorgen, weshalb ich Mutter nicht widersprach. Eigentlich war ich mir sicher, dass ich alles, was uns gerade verfolgte, auslöschen konnte, doch ich wollte Mirani nicht in Gefahr bringen. Ihr Schutz war im Moment mein oberstes Gebot. Darum hoffte ich auch sehr, dass Mutter nichts Dummes tat. Würde sie Mirani irgendwie in Gefahr bringen, würde ich nicht zögern und sie angreifen. Ob sie sich dieser Möglichkeit bewusst war?
Ich hatte mich nie für die Politik unserer Familie interessiert und tat es auch jetzt nicht. Aber sollte es mir helfen, mit Mirani zusammen sein zu können, würde ich gegen Rashid antreten und den Posten des Alphas erkämpfen.




So wichtig war sie mir in den letzten Wochen geworden, was ich selbst noch nicht ganz glauben konnte.
»Hier entlang«, murmelte Mutter und schob ein Tuch vor einer Höhle in der Wand der Klippen zur Seite.
Es erinnerte mich sehr an das Lagerhaus der Karawane, die Beidou gehörte. War das hier auch ein Lagerraum?
Wir wurden von zwei Männern empfangen, die uns sofort den Weg versperrten. Ich erkannte Schwerter an ihrer Seite und ihre Aura, weshalb ich mich sofort für einen Angriff fertig machte. Meine Arme waren angespannt, doch ich hielt meine Aura zurück. Mutter hatte mich hergebracht, weshalb ich sie beobachtete, die Männer jedoch nicht aus den Augen ließ.
Ihre Muskeln und die Narben auf ihren Körpern zeigten mir, dass sie kampferfahren waren. Allerdings spürte ich nicht direkt, welchen Rang sie inne hatten.
Sie musterten uns, wobei ihre Blicke für meinen Geschmack zu lange auf Mirani verweilten. Allerdings traten sie schließlich zur Seite und ließen uns durch.
Mutter setzte sich in Bewegung, aber da ich nicht direkt folgte, sah sie zu mir zurück. »Asher, komm schon«, drängte sie leise, aber eindringlich.
Ich verengte meine Augen, weil ich nicht genau wusste, ob ich ihr trauen konnte.
Die beiden Männer warfen mir noch einmal einen Blick zu, den ich nicht ganz einordnen konnte. Waren sie überrascht, wo sie jetzt meinen Namen hörten? Warum?
Ich entschied mich dazu, noch keinen Kampf anzufangen. Immerhin wusste ich noch immer nicht, wohin mich Mutter brachte. Da sie schon so viel Wert darauf gelegt hatte, die Verfolger abzuhängen, konnte ich ihr vielleicht vertrauen.
»Wohin gehen wir?«, fragte ich, als wir zu einer Wand kamen, die voller Kisten war.
Auch hier gab es Werwölfe, doch sie sahen ehrlich gesagt nicht aus, als wären sie Teil einer Handelskarawane, denn sie waren bis an die Zähne bewaffnet.
»Das wirst du gleich sehen«, erwiderte sie. Einer der Männer trat vor und schob einen Stapel an Kisten zurück. Dahinter verbarg sich ein Durchgang, der in Dunkelheit getaucht war.
In mir sträubte sich etwas, ihr zu folgen, doch ich tat es trotzdem. Dunkelheit machte mir keine Angst und solange ich mit einem Angriff rechnete, würde ich Mirani verteidigen können. Da war ich mir sicher. Nichts hier war so gefährlich wie die Horde Rakshasa, die uns in der Wüste überfallen hatte.




Die Gänge, durch die Mutter uns führte, waren verschachtelt und so unübersichtlich, dass ich mich nur an dem Geruch orientieren konnte, den Mirani und ich hinterließen. So würde ich wieder hinausfinden, was für andere vermutlich nicht so leicht sein würde.
Außerdem warnte mich Mutter auch ständig, dass ich nur in ihre Fußsspuren treten sollte. Ein Hinweis darauf, dass hier überall Fallen waren.
Aber warum? Warum sollte man einen Ort unter der Dämmerwüste derart schützen?
Hing das mit der Legende zusammen, dass die jetzige Hauptstadt auf eine alte, vergangene Stadt gebaut worden war? Führte mich Mutter dorthin? In die Altstadt?
Ich konnte es mir nicht so ganz vorstellen. Alles, was damit zusammenhing, war in den letzten Jahren verloren gegangen. Ich glaubte, dass Vater es vernichtet hatte, weil er nicht gerade stolz auf seine Vergangenheit war. Mir gegenüber hatte er jedoch nie etwas gesagt und selbst Mutter hatte bisher immer geschwiegen.
Schließlich erkannte ich einen leichten Lichtschein, der immer näherkam. Es waren keine Fackeln, denn das Licht war nicht rötlich, schien aber ähnlich wie eine Flamme zu pulsieren.
Noch während ich mich fragte, was blaues Licht erschaffen konnte, traten wir in eine Art Höhle.
Mein Atem blieb weg, als ich die kleinen, eckigen Häuser sah, die in seltsamer Art in diese Höhle gebaut worden waren.
Einige gingen bis zur Decke hinauf und wirkten wie Stützpfeiler, während andere eher klein und unscheinbar aussahen.
Überall gab es bläuliches Licht, doch ich konnte dessen Ursprung nicht ausmachen.
Außerdem war es gespenstig leise hier. Ich sah niemanden, doch die Tücher, die zum Trocknen aufgehängt waren und der Duft nach Datteln zeigten deutlich, dass hier jemand lebte.
Ein Klacken ertönte, das mich sofort dazu veranlasste, Mirani fester an mich zu drücken und alle meine Sinne zu schärfen.
Eine Aura schwappte auf mich zu. Vorsichtig, nicht aggressiv, aber mächtig.
Dann trat ein Mann hinter einem Haus hervor. Seinen Körper schwer auf einen Stock gestützt, humpelte er auf uns zu. Sein Bein schleifte er hinter sich her und sein Arm wirkte ebenfalls recht verdreht. Außerdem zierten einige lange Narben sein Gesicht, in dem ein Auge fehlte.




Was mich jedoch überraschte, war sein Alter. Er wirkte, als wäre er kaum älter als Mutter. Das lockige Haar war schwarz und sah überraschend gepflegt aus.
»Meine Sonne«, sagte der Mann mit einem strahlenden Lächeln. »Endlich bist du zu mir zurückgekehrt.«

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