Askan-Kapitel 12
Aufgeregt trat Naoki nach draußen auf den Hof. Von diesem wusste sie, dass Drachen hier landeten und starteten, weshalb sie sich nach Reolan umsah.
Seolans Drachengestalt kannte sie, doch die von Reolan hatte sie noch nicht gesehen, weshalb sie entsprechend neugierig war. Als sie einen violetten Drachen entdeckte, ging sie darauf zu. Er war verhältnismäßig klein und nicht zu vergleichen mit Seolans Drachengestalt, weshalb sie zuerst dachte, dass sie sich geirrt hatte. Doch der Drache senkte den Kopf. »Steig auf«, forderte Reolans bekannte Stimme, was Naoki in Staunen versetzte.
Schnell lief sie um ihn herum, um auf seinen Hals zu klettern. Es ging schneller und war wesentlich bequemer als bei Seolan, weil Reolan nicht so groß war. »Ich habe dich mir größer vorgestellt«, gestand sie, als sie saß und sich festhielt.
»Drachen können ihre Größe ändern«, erklärte Reolan als wäre nichts dabei.
»Können sie?«, fragte Naoki, doch ihre Frage ging in einem leicht erschrockenen Schrei über, weil Reolan die Flügel ausbreitete und abhob. Dies tat er ohne irgendwelche Schwierigkeiten. Selbst mit der zusätzlichen Last war es für ihn ein Kinderspiel. Trotzdem achtete er darauf, dass Naoki wirklich dortblieb. Seolan hatte ihm zwar erzählt, dass sie eine sehr gute und erfahrene Fliegerin war und er sich deshalb keine Sogen machen brauchte, doch Reolan wollte es lieber selbst sehen. Allerdings spürte er schon jetzt, dass sie fest saß und sich geschmeidig in die Kurven lehnte. Er konnte weder spüren, dass sie zitterte, noch, dass sie drohte zu fallen.
»Sag, wenn du dich unwohl fühlst«, verlangte er.
Naoki beugte sich ein wenig vor, denn sie war verwundert, wie gut sie Reolan hören konnte. Ihr rauschte der Wind um die Ohren, weshalb sie erwartet hatte, dass es schwer werden würde, ihn zu hören.
»Werde ich«, rief sie gegen den Wind an, da sie nicht verstand, wie er das machte.
Naoki konnte sehen, wie Reolans Ohren leicht zuckten. »Du musst nicht schreien«, sagte er belustigt. »Ich höre dich auch so.«
»Oh«, gab Naoki kleinlaut von sich. »Entschuldigung«, murmelte sie und legte sich dann leicht auf seinem Hals, weil er angenehm warm war.
Sie trug zwar eine recht dicke Schicht an Kleidern, doch hier oben war der Wind sehr viel kälter und durch die Schnelligkeit, mit der Reolan unterwegs war, fror sie mehr als gedacht.
Reolan lachte leise und drehte sich im Flug so, dass Naoki nach unten sehen konnte. »Das hier gehört alles zu dem Gebiet des Drachengebirges, wo unser Lager liegt«, erklärte er, was Naoki dazu veranlasste, die dichten Wälder und weiten Felder zu betrachten.
»Hier gibt es ja gar keine Dörfer«, stellte sie fest, bevor sie am Waldrand mehrere zerfallene Ruinen bemerkte.
»Früher gab es hier Dörfer. Aber seit der Seuche sind viele Dörfer und Städte ausgestorben«, erklärte Reolan traurig.
»Ich verstehe«, erwiderte Naoki geknickt. Während sie so in der ersten Dämmerung flogen, hatte sie ein bedrückendes, beklemmendes Gefühl. Als könnte sie dem Land selbst die schwere Zeit ansehen. »Wo fliegen wir hin?«, fragte sie nach, um die Stimmung etwas zu lockern.
»Zu einem Dorf. Ich möchte dort etwas probieren«, antwortete Reolan, was die Stimmung nicht gerade hob. Die Art und Weise, wie er es aussprach, zeigten Naoki, das da mehr dahintersteckte.
»Was wollen wir dort um diese späte Stunde?«, fragte sie zögerlich.
»Das wirst du sehen, wenn wir da sind«, erwiderte Reolan, der Naoki nicht schon jetzt mit Einzelheiten belasten wollte. Sie sollte den Flug noch etwas genießen, bevor sie an die Arbeit musste. Er hoffte sehr, dass er mit dieser Entscheidung keinen Fehler begangen hatte. Allerdings war das der einzige Weg, der ihm und Seolan eingefallen war. Zum Glück hatten sie ein Dorf gefunden, das freiwillig ihre Kranken zur Verfügung stellte. Sollte es nicht funktionieren, würde er die Kranken auslöschen müssen, um die Verbreitung der Seuche zu verhindern.
Es war nicht so, dass ihm ein Leben nichts bedeutete. Jedes Leben war in seinen Augen wichtig, doch als König musste er Entscheidungen treffen, die andere vielleicht schwer nachvollziehen konnte. Während Seolan für die Menschen eintrat, trat er für die Drachen ein. Sie versuchten beide Seiten zu betrachten und für beide das Beste herauszuholen.
Es war schon vor vielen Jahren gewesen, als sie sich darüber geeinigt hatten, dass Infizierte, ob Drache oder Mensch, ausgelöscht werden mussten, bevor sie die Krankheit verbreiten konnten.
Allerdings hatte Seolan sich für die Drachen eingesetzt, als er Naoki gebeten hatte, die Heilung bei Kario zu versuchen. Daher war es jetzt an Reolan, die Schuld zurückzugeben, indem er es bei den Menschen versuchte.
Reolan und Seolan hatten eine ganz ähnliche Aufgabe, doch nur, indem sie diese unterteilten, waren sie in der Lage, beide Seiten zur Gänze zu bedenken. Als König der Menschen hatte es Seolan jedoch weitaus schwerer.
Reolan flog auch über das große Schloss, das dieser als Menschenkönig bewohnte. Jeden Tag verbrachte er mehrere Stunden dort und hörte sich die Sorgen und Nöte an. Zumindest dann, wenn die Menschen ihren Weg bis zu ihm schafften. Mittlerweile war die Anzahl der Menschen so geschrumpft, dass es keine größeren Städte mehr gab. Nur noch Dörfer, die teilweise mehrere Tagesmärsche voneinander entfernt lagen.
Für die Seuchenbekämpfung war das gut, doch für alles andere eher schlecht. Da halfen auch die recht gut ausgebauten Straßen nichts, da niemand sie mehr pflegte.
Naoki staunte, als sie eben jene Straße entlangflogen. Sie war mit quadratischen Steinen gebaut und so breit, dass zwei Kutschen ohne Probleme vorbeikamen. Allerdings waren viele der Brücken und auch ganze Straßenabschnitte so zerfallen, dass Steine fehlten, Straßenabschnitte eingesunken oder völlig überwuchert waren.
Die Lichtverhältnisse verschlechterten sich, sodass Naoki bald nur noch Schwärze unter sich wahrnehmen konnte. Es machte sie traurig, da es ihr das Gefühl gab, dass alles Leben verschluckt worden war. Nirgendwo waren Feuer, die auf eine Ansammlung von Menschen hindeutete.
Traurig von dem Anblick wandte Naoki ihren Blick hinauf in den Sternenhimmel. Es war Halbmond und die Sterne waren sehr gut zu sehen.
Für einen Moment fühlte sich Naoki frei und schwerelos, als würde der Sternenhimmel ihr dabei helfen, ihre Gedanken zu sortieren.
Noch nie hatte sie Angst vor der Dunkelheit oder Nacht verspürt. Ihr war bewusst, dass in dieser Zeit viele wilde Tiere ihre Beute jagten, doch das war Teil der Natur und machte ihr keine Angst. Auch mit den Gruselgeschichten der Bewohner in ihrem Dorf kam sie nicht klar. Vor Gespenstern und Schatten brauchte man keine Angst zu haben und alle andere hielt sie für Geschwätz. Wenn es wirklich möglich war, dass Tode wiederauferstanden und jagten, würden sicherlich mehr Menschen darüber sprechen.
Wie unrecht sie hatte und dass sie bald eines besseren belehrt werden würde, ahnte Naoki zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
































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