Adora-Kapitel 1

Obwohl die Position, in der sich die junge Frau befand, nicht gerade angenehm war, schwieg sie. Der Mann, der sie irgendwie mit auf das Pferd genommen hatte, hielt sie an sich gedrückt, damit sie nicht fallen konnte, während er das Tier erfahren mit einer Hand zu seinem Bestimmungsort lenkte.
„Ich heiße Nil Ruiz“, sagte er zum wiederholten Male mit ruhiger Stimme, als hätte er es noch nicht aufgegeben, gegen eine Wand zu sprechen. Bisher hatte sie nicht einmal gezuckt. Sie blickte sich nur aus großen, braunen Augen um, die einen ähnlichen Farbton aufwiesen, wie ihre halblangen, welligen Haare, die ständig vom Wind umspielt wurden. „Wie heißt du?“, wollte er erneut wissen, doch er erhielt keine Antwort.
Sie wusste sowieso nicht, wie ihr Name war, was sollte sie ihm also sagen?
Ihr Blick wandert umher, während sie die Veränderung um sich registrierte. Der Wald lichtete sich langsam und sie kamen auf einen Weg, der so oft von Pferden oder Karren benutzt wurde, dass hier kein Gras mehr wuchs und der Boden festgetrampelt war. Ein Anblick, der sie irgendwie traurig machte.
An Bäumen und Sträuchern vorbei, folgten sie dem Weg und passierten einen strahlend blauen See mit einer kleinen Insel darin, der von einem plätscherndem Wasserfall gespeist wurde.
Sie schloss für einen Moment die Augen, denn das Geräusch des Wassers gefiel ihr sehr gut. Es beruhigte sie wieder etwas.
Ein Seufzen erklang. „Mittlerweile glaube ich wirklich, dass du nicht sprechen kannst“, stellte Nil frustriert fest und ließ die Pferde langsamer laufen. Eines ritt er und das andere führte er neben sich an den Zügeln, da es wohl Auslauf brauchte.
Es kam ein Gebäude in Sicht. Ein großes, offenes Gebilde, das mehrere Säulen hatte und ein geziegeltes Dach trug. Dort gab es niedrige Holzwände und überall standen Pferde unter dem Dach. Zudem gab es noch ein weiteres Gebäude aus Stein, das aussah wie eine Scheune für Futter.
Nil hielt genau darauf zu und ließ das Pferd zum Stehen kommen, bevor er sich mit einer schnellen Bewegung von dem Tier schwang. Dann zog er sie ebenfalls hinunter und stellte sie auf ihre nackten Füße. „Kannst du stehen?“, fragte er, da er wohl spürte, dass sie zitterte und keinen wirklich sicheren Stand hatte.
Es war so ungewohnt in dieser Position. Ihre Füße berührten den sandigen Boden, was ihr irgendwie gefiel. Leicht nickte sie, da sie nicht wusste, wie sie ihm sonst mitteilen sollte, dass sie glaubte, dass sie stehen konnte. Ihre Beine zitterten zwar, doch sie würden sie tragen, auch wenn es ungewohnt war.
Nils musterte sie. „Bleib kurz hier, ich hole dir etwas zum Anziehen“, wies er die Frau an, die leicht nach dem Pferd griff und sich mit der Wange dagegen lehnte. Mit der anderen Hand hielt er den Mantel, den Nil ihr gegeben hatte.
Das Tier blieb stehen und zuckte sich nicht, während sie ihre Haut an seinem Fell rieb. Es fühlte sich so unglaublich beruhigend an, dass sie das Gefühl auf der Wiese zurückbekam.
Sie schloss die Augen, während sie versuchte dieses Gefühl festzuhalten. Sie wollte nicht, dass es wieder verging. So war es, als wäre alles andere unwichtig.
„Haltet Ihr es nicht für ein wenig unpassend, so gekleidet hier bei den Pferden zu sein?“, erklang eine belustigte Stimme, die sie erneut aus ihren Gedanken riss.
Eine leicht Verärgerung bahnte sich ihren Weg durch ihren Körper und sorgte dafür, dass sie ihre Augen aufschlug.
Ihr Blick fiel auf einen Mann, der in edle Stoffe gekleidet war, die jedoch seine Muskeln gut zur Geltung brachten. Das Gewand war in den Farben grau und schwarz gehalten, wobei es an den Hosen mit Leder bestückt war. Scheinbar, damit man damit besser ausreiten konnte. Zudem trug er einen langen, schwarzen Mantel, der an den Schultern Fell aufwies. Er war um einiges größer als sie und konnte so auf sie hinabsehen.
Als sie nach oben in sein Gesicht blickte, bemerkte sie dunkle Augen, die so tief schienen, dass sie sich darin wie in einem Meer verlieren konnte. Sie hatten auch ein ähnlich tiefes Blau.
Ein Schauer rann ihren Körper hinab und sie zwang sich dazu, ihren Blick von ihm zu lösen. Stattdessen betrachtete sie das markante Gesicht mit dem leichten Ansatz eines Bartes und der geraden, wenn auch etwas großen Nase.
„Eure Hoheit, Prinz Rayan“, erklang die Stimme von Nils, der irgendwie entschuldigend, überrascht und überfordert zugleich klang. Schnell kam er auf die Frau zu und drückte ihr das Kleid in die Hand, das er von einem Dienstmädchen hatte. „Ich habe sie allein im Wald gefunden“, erklärte er schnell, als befürchte er Ärger.
Die junge Frau hingegen ließ sich seine Worte durch den Kopf gehen. Er war ein Prinz. Irgendwie löste dieses Wort Ehrfurcht in ihr aus, doch sie wusste nicht warum. Was war ein Prinz?
Rayan begann, sie mit einem anderen Blick zu mustern. „Wurde sie verletzt?“, fragte er, während er sogar ein wenig um sie herumging. Als würde er sie mit seinem Blick untersuchen. Dass er allerdings über sie sprach, als wäre sie nicht da, störte die Frau durchaus. Gleichzeitig wusste sie jedoch nicht, ob sie ihm antworten würde.
„Sie spricht nicht, Eure Hoheit“, informierte Nil entschuldigend. „Ich weiß weder ihren Namen noch, warum sie dort im Wald war.“
Rayan gab ein nachdenkliches Geräusch von sich, was ihn jedoch nicht weniger elegant und erhaben wirken ließ.
„Wie heißt du?“, fragte der Prinz nun ganz direkt, erhielt aber keine Antwort. Stattdessen bohrte sich ihr brauner Blick förmlich in seinen. „Gut“, entschied er schließlich. „Wenn du keinen Namen hast, dann nenne ich dich Adora“, sagte er ernst, während er sie genau betrachtete.
Adora.
Sie ließ sich diesen Namen durch den Kopf gehen und fragte sich, warum er ihr einen Namen gab. Wie war ihr richtiger und wieso war es ihm so wichtig?
„A-do-ra“, brachte sie hervor, wobei sie ihre Lippen vorsichtig bewegte. Die Klarheit ihrer Stimme, die so sanft und melodisch war, wie der Wind im Wald, überraschte sie selbst. Es war das erste Mal, dass sie sich selbst hörte.
Auch die beiden Männer wirkten überrascht. Ob nun deshalb, weil sie gesprochen hatte oder weil ihre Stimme sie überraschte.
„Genau. Du heißt jetzt Adora“, stimmte Rayan zufrieden zu. Sein Blick dabei weiterhin genau auf sie gerichtet.
„Nun, zumindest muss ich jetzt nicht mehr du da zu dir sagen“, meinte Nil recht nüchtern, bevor er ihr eine Hand auf die Schulter legte. „Zieh dich jetzt an, damit wir dich zu einem Heiler bringen können“, wies er sie an, blickte aber fragend zu Rayan. Dieser nickte zustimmend.
Adora sah nicht zu den beiden Männern, sondern ließ einfach den Mantel, der ihr über den Schultern hing, los, sodass er zu Boden gleiten konnte.
Sie verstand nicht, warum die beiden plötzlich große Augen machten. Stattdessen zog sie sich ganz ungeniert das Kleid über, wobei sich der Stoff auf ihrer Haut nicht gerade sanft anfühlte. Er war rau und kratzte etwas.
„Was für eine makellose Haut“, brachte Rayan hervor, bevor er sich räusperte. „Wenn du dich nicht mehr an deinen Namen erinnerst, dann weißt du sicher nicht einmal mehr, wo du herkommst, oder?“, wollte der Prinz wissen.
Adora verstand ihn nicht ganz. Wo sie herkam? Bevor sie im Wald gewesen war? Nein, das wusste sie nicht. Musste man denn irgendwo herkommen?
„Sie hat so feine Haut, eine zierliche Statur und ihre Haare sind so seidig, dass sie unmöglich eine Bäuerin sein kann“, sagte Nil nachdenklich.
Rayan trat auf Adora zu und hob die Hand.
Ohne sich zu bewegen blieb Adora stehen, als er sanft durch ihre Haare fuhr. „Sie sind tatsächlich seidig“, stellte er fest, während er sie immer wieder durch seine Finger gleiten ließ.
„Sie sieht aus wie eine Puppe“, bemerkte Nil leise, was bei Adora die Frage aufkommen ließ, ob sie das vielleicht sogar war. Sie hatte das Gefühl anders zu sein als diese Männer.
Obwohl sie einige Dinge zu Wissen schien, war sie in manchen Belangen aber völlig ahnungslos. So verstand sie nicht, was die Berührungen des Prinzen bei ihr anrichteten. Es war ein ganz seltsames Gefühl, das ihren Körper heimsuchte. Immer dann, wenn er unabsichtlich mit seinem Fingerknöchel ihre Wange berührte, während er ihre Strähne drehte und ihr durch die Haare fuhr.
Er schien das Gefühl, das ihre Haare auf seiner Haut hinterließ zu mögen.
„Nun. Solange wir nicht wissen, woher sie kommt, sollte sie erst einmal bei dir unterkommen“, entschied der Prinz. „Du hast eine Tochter in ihrem Alter.“
„Wie Ihr wünscht, Eure Hoheit“, erwiderte Nil, der allerdings nicht klang, als wäre er damit zufrieden.
Adora verstand nicht wirklich, was gerade vor sich ging. Sie wollte sich eigentlich nur wieder auf die Wiese legen und die Natur an ihrem Körper spüren.


































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