Der Kater danach
Der Morgen begann mit Kopfschmerzen, die in einem Rhythmus pochten, als hätten Trommeln in ihrem Schädel Platz genommen. Truly Prescott zog die Decke über den Kopf, als könnte sie sich vor dem grellen Licht der Sonne verstecken, das durch die Lücken der Vorhänge drang. Ein Vogel zwitscherte draußen, unverschämt fröhlich, als hätte er nichts Besseres zu tun, als ihre Verfassung zu verhöhnen.
›Wunderbar. Genau, was ich gebraucht habe. Ein Tag, der mit einem Orchester im Schädel anfängt.‹
Sie rollte sich auf die Seite, stieß dabei fast die leere Teetasse vom Nachttisch und blinzelte müde auf den Wecker. Acht Uhr dreißig. Viel zu früh, um schon ein funktionierender Mensch zu sein.
Truly hatte nie behauptet, eine Morgenhexe zu sein. Ihre Kräfte liefen ab Mitternacht zur Hochform auf – was vermutlich der Grund war, warum ihr Leben in letzter Zeit aus Chaos bestand. Chaos in ihrem Apartment, Chaos in ihrem Liebesleben, Chaos in ihrer Magie.
Und Chaos stand gerade, barfüßig und mit zerzausten Haaren, mitten in ihrer Küche, als sie es schaffte, aus dem Bett zu stolpern.
Der Wasserkocher pfiff, der Kater – nicht sprichwörtlich, sondern ihr pechschwarzer, übergewichtiger Kater namens Merlin – saß auf der Arbeitsfläche und sah sie an, als hätte er höchstpersönlich das Universum erschaffen.
»Ja, ja, schon gut«, murmelte Truly, während sie die Teetasse spülte. »Ich weiß, du findest, dass ich eine Versagerin bin. Aber wenigstens sehe ich dabei gut aus.«
Merlin blinzelte langsam.
›Das war kein Nein.‹
Der Tee half nur wenig gegen die bleierne Müdigkeit. Ihre Gedanken wanderten zurück zu letzter Nacht, zu dem seltsamen Traum, der sich in ihr Gedächtnis gebrannt hatte: Ein Glas, gefüllt mit roter Flüssigkeit. Ein Tropfen, der über den Rand lief. Linien, die sich wie von selbst zu einem Pentagramm formten.
Sie schüttelte den Kopf. ›Nur ein Traum. Träume haben keine Macht.‹
Doch da irrte sie sich.
Um kurz nach neun klopfte es an der Tür. Laut, bestimmt, kein Nachbar, der sich über ihren Müll beschwerte, sondern jemand, der es ernst meinte. Truly blinzelte, stellte die Tasse ab und schlurfte zur Tür.
Als sie öffnete, stand ein Mann davor, der so gar nicht in den grauen Morgen passte. Hochgewachsen, dunkle Haare, akkurat geschnitten, ein Mantel, der verdächtig nach maßgeschneiderter Polizeiuniform aussah, auch wenn er keinen trug. Er hatte dieses Auftreten, das sofort verriet: Hier kommt jemand, der Befehle gibt, nicht empfängt.
»Truly Prescott?«
Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Kommt drauf an, wer fragt.«
Er zog einen Ausweis hervor, schnell, professionell. »Inspector Daniel Hayes. London Metropolitan Police.«
Ihre Stirn legte sich in Falten. »Und was will die Polizei von mir? Ich schwöre, ich habe dieses Mal keine Katze aus einem Baum teleportiert. Zumindest nicht wissentlich.«
Hayes reagierte nicht auf den Scherz. Seine Augen musterten sie, als wollte er sie auf Stärken und Schwächen prüfen. Dann sagte er knapp: »Gestern Abend gab es einen Todesfall. Eine Frau ist in einer Bar in der Innenstadt gestorben. Vergiftung.«
Truly hob eine Braue. »Und Sie denken, ich war’s? Sehe ich so aus, als könnte ich einen Cocktail vergiften? Ich kann nicht mal einen Bloody Mary richtig mixen.«
»Niemand verdächtigt Sie«, entgegnete Hayes. »Noch nicht.«
Sie blinzelte irritiert. »›Noch nicht‹? Das ist ja beruhigend.«
»Aber«, fuhr er fort, »wir haben Grund zu der Annahme, dass es… ungewöhnliche Umstände bei diesem Fall gibt.«
Das ließ sie stocken. ›Ungewöhnlich? Heißt das…?‹
»Ungewöhnlich?«, wiederholte sie. »Sie meinen sowas wie… keine Ahnung, die Tomaten waren schlecht?«
Hayes blieb ernst. »Das Opfer hatte keinerlei Vorerkrankungen. Das Gift konnte bislang nicht identifiziert werden. Aber auf der Theke, wo der Drink verschüttet wurde, bildete sich… ein Symbol.«
Truly schluckte. Sie wusste sofort, welches Symbol er meinte. Ihr Traum war also keiner gewesen.
»Ein Pentagramm«, murmelte sie, mehr zu sich selbst.
Sein Blick wurde scharf. »Woher wissen Sie das?«
Sie brauchte einen Moment, um ihre Gesichtszüge unter Kontrolle zu bringen. »Weil das das einzige Symbol ist, das in jeder zweiten Horrorserie vorkommt. Ich rate einfach gerne.«
Hayes wirkte nicht überzeugt. Aber er bohrte auch nicht weiter nach. Stattdessen streckte er ihr eine Visitenkarte entgegen. »Ich möchte, dass Sie sich den Tatort ansehen. Unoffiziell. Sie sind… wie soll ich sagen… in Kreisen unterwegs, in denen man auf Dinge stößt, die außerhalb unserer normalen Zuständigkeit liegen.«
»Ach, Kreise. Nett formuliert. Ich bevorzuge das Wort Hexenzirkel.«
Er blinzelte, und für einen kurzen Moment zuckte seine Mundwinkel, als hätte er Humor. Doch dann war er wieder ganz Polizist.
»Heute Abend, 20 Uhr. Die Bar Indigo. Und versuchen Sie, pünktlich zu sein.«
Er drehte sich um, ohne eine Antwort abzuwarten, und verschwand im Treppenhaus.
Truly stand in der Tür, die Karte in der Hand, und starrte ihm nach. Dann sah sie zu Merlin, der noch immer auf der Arbeitsfläche saß und sie anstarrte.
»Ich weiß, was du denkst«, sagte sie. »Das ist eine schlechte Idee.«
Merlin schwieg.
»Aber«, seufzte sie, »wann hatte ich je eine gute?«
Sie knallte die Tür zu, und während sie sich gegen das Holz lehnte, wusste sie: Dieser Tag würde alles verändern.
Den Rest des Vormittags verbrachte sie damit, hektisch ihre Küche aufzuräumen – ein Akt reiner Verdrängung. Während sie Teebeutel entsorgte und Krümel vom Tisch wischte, hämmerte in ihrem Kopf nur ein Gedanke: ›Ein Mord. Ein Symbol. Und ich soll da rein.‹
Um die Mittagszeit griff sie schließlich zum Telefon, wählte die Nummer, die auf der Visitenkarte stand.
»Hayes«, meldete sich die Stimme, kühl, sachlich.
»Hier ist Prescott«, sagte sie. »Nur, dass Sie es wissen: Ich komme heute Abend. Aber nur, weil ich wissen will, ob die Bloody Mary wirklich so schlecht war.«
Ein kurzes Schweigen am anderen Ende. Dann: »20 Uhr. Seien Sie vorsichtig, Miss Prescott.«
Das Klicken der aufgelegten Leitung hallte in ihrem Ohr nach.
Truly sah auf ihre Uhr. Noch acht Stunden, bis sie in eine Bar zurückkehren würde, die sich längst in ein Verbrechen verwandelt hatte.
Und während der Nachmittag langsam verging, wusste sie tief in sich: Der Albtraum aus ihrem Traum hatte begonnen, Wirklichkeit zu werden.






























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