Kapitel 21
Feline, die Tochter des Wirts, steht die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben und doch lächelt sie, als würde die Sonne das ganze Jahr über strahlen. Eine junge, zierliche Frau mit sanften Zügen. Eine helfende Hand, die ihren Vater überall unterstützt. Aus einem Gespräch mit dem Dorfmädchen erfährt Clive, dass die Frau des Wirts vor einem Jahr verstarb. Nun kümmert sich Feline, um ihre zwei jungen Brüder und um die Bewirtung der Gäste. Ihr Vater steht am Tresen und übernimmt all das Geschäftliche. Die Zubereitung von Speisen widmet sich Feilines Großmutter, die Köchin wird immer wieder als alter Stinkstiefel vom Wirt beschimpft. Wie zwei Streithähne fauchen die beiden sich seit Eintritt in die gemütliche Herberge an.
Ein riesiger Kachelofen sorgt für eine angenehme Wärme in der Gaststube und wird mit Holz befeuert. Auf den farbig glasierten Kacheln befinden sich Allerhand Blumenmuster. Clive schätzt den Nutzen der Gerätschaft, kann sich jedoch wenig mit dem Design anfreunden. Der Ofen überzeugt nicht von der Optik und auch Platztechnisch nimmt dieser zu viel vom Raum in Beschlag. Mit Holz sind die Wänder der Gaststube vertäfelt. Ein optischer Hingucker, doch Clive kennt auch viele andere Vorteile. Allein für die Wärmedämmung und für die Raumakustik greift auch Clive in seinem Eigenheim darauf zurück. In gemütlicher Runde sitzen Clive, Sina und Cuno direkt an einem der wenigen Fenster. Durch das grüne Glas dringt jedoch nur wenig Tageslicht hinein. Feline mag viel Wert auf Ordnung und Sauberkeit legen und doch wirkt der Ort genauso trostlos wie der Rest des Dorfes. Nur drei Gäste befinden sich mit ihnen in der guten Stube. Zwei ältere Herren und ein etwas jüngerer Kerl.
Für die Planung der Route rollt Clive wie gewünscht die Karte über die Tischplatte aus.
„Ich habe nicht vor, länger wie eine Nacht hier zu verweilen. Dieses Dorf wirkt mir nicht geheuer“, gesteht Cuno.
Sein Blick gleitet durch die Umgebung. Wachsam und mit angespannter Haltung. Auch Clive hegt seine Sorgen.
„Wir sollten mit dem Dorfvorsteher reden, irgendetwas stimmt hier nicht“, grübelt er laut.
„Seid Ihr Euch sicher, dass Ihr nur heißes Wasser wünscht?“, spricht Feline Clive freundlich an.
Sie stellt das Tablett mit den drei Holzbechern auf den Tisch und reicht Cuno und Sina ihren Apfelsaft. Der Paladin atmet laut auf und muss sich eine Bemerkung verkneifen. Seine Meinung zu Clives Vorhaben kam bereits nach der Bestellung zur Sprache. Doch Clive wurde durch den Magisterturm verwöhnt. Eine gute Teesorte hilft ihm bei der Stressbewältigung.
Daher antwortet er dem Mädchen freundlich: „Ein Becher warmes Wasser genügt mir völlig.“
Feline streicht sich eine Strähne ihres honigblonden Haares aus dem Gesicht und reicht ihm etwas unsicher den Becher dampfendes Wasser. Sie geduldet sich jedoch und beobachtet, wie Clive aus seinem Koffer eine Teemischung herausfischt. Der Alchemist verfeinert das heiße Wasser mit getrockneten Pfefferminzblättern, dabei blickt die Wirtstochter mit ihren eisblauen Augen neugierig über den Becherrand.
„Darf ich fragen, was Ihr beruflich ausübt?“
„Ich bin ein Alchemist.“
Clive entgeht der Hoffnungsschimmer in den neugierigen Augen des Dorfmädchens nicht. Sie lächelt ihn lieblich zu, bevor sie eilig davon läuft.
Zulange hielt sich Cuno zurück und Clive hatte Hoffnung, er bliebe dabei. Doch kaum befindet sich die Wirtstochter außer Hörweite, beschwert sich der Paladin bei ihm: „Hättest du dir nicht einfach einen Apfelsaft bringen lassen können?“
„Ich trinke gerne Tee“, rechtfertigt sich Clive unbeeindruckt.
Er bemerkt, wie Sina ihn nachdenklich betrachtet, also schenkt er der Fee ein Lächeln, womit sie nur wenig anzufangen scheint. Schnell senkt sie den Blick und nippt an ihrem Becher Apfelsaft.
Während der Ziehzeit des Tees gehen die beiden Männer die Route durch. Cuno überrascht den Alchemisten über sein umfangreiches Wissen über die Nachbarstädte und -dörfer. Ihre Planung wird jedoch unterbrochen, Feline macht Anstalten, sich neben Clive zu setzen. Also rutscht der Alchemist auf der Holzbank zur Seite und lässt sie neben sich Platz nehmen. So nah, dass er ihre vielen Sommersprossen aus nächster Nähe betrachten kann. Für ihre Gesellschaft erntet die Wirtstochter einen argwöhnischen Blick von Clives Begleitschutz.
Mit ihrem süßen Lächeln blickt sie den Paladin an und empfiehlt: „Unser Früchtebrot schmeckt hervorragend. Hättet Ihr gerne welches?“
Sina schüttelt ihren Kopf, während Cuno zögert. Er wirkt etwas erschlagen mit der Tatsache, dass es hier Früchtebrot gibt.
„Oh, ich liebe Früchtebrot. Wärt ihr mir böse, wenn ich welches esse?“, fragt der Paladin seine Begleiter.
„Das geht schon klar…“ Versichert Clive ihm amüsiert und blickt rüber zu Sina, die ihm schlagartig in die Augen blickt. „…Bist du sicher, Sina? Sonst bist du doch immer so eine Naschkatze.“
Verlegen blickt die Fee weg, woraufhin Clive beschließt: „Ich nehme auch etwas vom Früchtebrot.“
„Okay, schön“, freut sich Feline.
Da sich die Wirtstochter nicht erhebt, hebt Cuno eine Augenbraue.
„Sonst noch was?“
Feline dreht sich zu Clive und fragt ihn: „Womit beschäftigt sich ein Alchemist?“
„Es gibt viele Bereiche. Warum fragt Ihr?“
„Heilt ihr Krankheiten? Oder was für Wunder vollbringt Ihr?“
Es überrascht Clive, dass genau sein Gebiet angesprochen wird. Das zeigt ihm, dass ihr hier ein medizinischer Notstand herrscht.
„Kann ich irgendwo helfen? Ich kenne mich mit der Heilkunde gut aus.“
„Katharina die Tochter des Pferdebauers hustet sehr schlimm, es wird einfach nicht besser. Ich mache mir Sorgen um sie.“
„Ich kann mir Katharina gerne ansehen.“
Damit bringt er Feline zum Strahlen, glücklich nickt sie.
„Gut, ich bezahle Euch mit dem Früchtebrot. Einverstanden?“
„Einverstanden.“ Lässt sich Clive darauf ein und möchte diese Gelegenheit nutzen. „Feline, weißt du, wo der Dorfvorsteher zu finden ist?“
„Ihr sucht Albert? Um diese Uhrzeit sollte er auf seinem Hof zu finden sein. Es ist nicht schwer zu finden, ihm gehört das größte Grundstück hier. Seine Gänse sind sehr gesellig, lustige Zeitgenossen. Sie verfolgen einen bis zum Grundstück und schnattern ununterbrochen“, berichtet die Wirtstochter aufgeregt.
„Was gibt es über das Dorf zu wissen?“, klinkt sich Cuno ins Gespräch ein.
Felines gute Laune schwindet, etwas trübe blickt sie zu ihm auf.
„Nun ja, vor und hinter uns liegen dunkle Zeiten. Das Glück ist nicht auf unserer Seite, denn dieses Örtchen kämpft mit starken Erntebußen. Wir hoffen auf ein Wunder, viele Leute sind krank hier. Es ist nicht mehr schön.“
„Wir versuchen zu helfen“, möchte Clive sie aufmuntern.
Mit einem müden Lächeln nickt Feline ihm zu, bevor sie ihm verspricht: „Euer Pferd ist auf jeden Fall in guten Händen. Katharinas Bruder Johann wird sich gut um das Tier kümmern.“
„Da bin ich mir sicher“, erwidert Clive freundlich.
Feline blickt zu Cuno rüber und entdeckt Mina.
„Ihr habt da einen Vogel sitzen …“ Sie tippt sich an die Schulter, Cuno schwenkt den Kopf zur Vogeldame, die sich freudig gegen seine Wange drückt.
„Ich kann Euch helfen, indem ich den Vogel einfange und ihn draußen aussetze.“
„Nein!“ Sinas erste Worte seit dem Mord an den beiden Jägern. „Der Vogel gehört zu uns.“
Die Fee klingt etwas panisch, als wolle Feline einem Kind die liebste Puppe entwenden.
Feline blinzelt überrascht. „Verzeiht, aber Tiere sind hier nicht erlaubt.“
„Bitte macht eine Ausnahme“, fleht Sina besorgt.
Die Wirtstochter sieht zu Cuno, der versucht den Vogel von seiner Wange fernzuschieben. Doch das Tier betrachtet dies als Spiel und sobald es auf Abstand geschoben wird, nähert sich die Vogeldame ihm wieder glücklich.
„Ist das auch für Euch in Ordnung?“, spricht das Dorfmädchen den Paladin an.
Cuno schnaubt erschöpft und streichelt zum Ende den Vogel. „Ja, irgendwie schon.“
Das Mädchen nickt ihm zu und lässt sie somit allein, nun genießt Clive in aller Ruhe seinen Pfefferminztee. Dabei bemerkt er erneut Sinas Blick auf sich ruhen.
„Wie schmeckt dein Apfelsaft?“, spricht er sie an.
„Ist okay“, antwortet sie wenig begeistert.
„Die Apfelernte ist in Mitleidenschaft geraten, das schmecke ich heraus, Clive“, äußert sich Cuno dazu.
„Kannst du da etwas machen, Sina?“, interessiert es den Alchemisten.
Die Fee wollte ihm antworten, doch Cuno ist schneller und ermahnt sie: „Nicht hier.“
Ein Blick zu den Gästen zeigt, wie misstrauisch sie beäugt werden.
Die Tür wird aufgestoßen und ein geschätzt zehnjähriger Junge eilt herein. Sein Blick schweift umher, woraufhin der Wirt ihn anspricht. Das Kind ignoriert den Mann und läuft gezielt zu ihren Tisch. Dreck schmückt seine Wangen und auch seine Hände sehen aus, als hätte er mit den Händen im Acker gegraben.
„Die Herren…“ Der Junge stoppt und entdeckt Sina, woraufhin er seinen Kopf kurz neigt. „…und die Dame, entschuldigt die Störung. Eine Rebecca schickt mich, sie sagt, ich würde einen Cuno hier finden.“
Der Paladin schürzt die Lippe, bevor er den Kopf hebt. „Das bin ich. Was möchte Rebecca?“
„Ihr sollt die Dame …“ Bei dem Wort schnaubt Clive Beschützer spöttisch. „…am Friedhof treffen. Ihr sollt Euch bitte beeilen, es wäre dringend. Der Friedhof befindet sich an der Kapelle.“
Clive bemerkt die mörderischen Blicke vom Zweiertisch, die ihrem Gespräch mit gespitzten Ohren lauschen.
„Danke, Junge. Lass mich raten, Rebecca fordert, dass ich dich bezahle“, ahnt der Paladin.
Der Junge nickt ihm zu. „Die Dame hat mir eine Goldmünze versprochen.“
„Eine Goldmünze?“, wiederholt Cuno erbost.
Aber der Junge reagiert gelassen auf Cunos Zorn und bleibt freundlich. „Ja, der Herr.“
Grimmig holt Cuno die versprochene Goldmünze hervor und drückt sie dem Kind in die Hand. Glücklich betrachtet dieses den runden Taler. Nun kommt Feline mit dem duftenden Früchtebrot, Cuno nimmt sich schlechtgelaunt eine Scheibe, die ihm kurz darauf vom Jungen aus der Hand gerissen wird.
„Oh, Früchtebrot. Ich liebe Früchtebrot. Ich danke Euch.“ Der Junge beißt glücklich hinein. „Hmmm, ist das lecker. Einen schönen Tag noch die Herren und die Dame.“
Mit vollen Mund und dem warmen Brot läuft er zur Ausgangstür. Feline lächelt daraufhin glücklich.
„Sehr nett von Euch“, richtet sie ihre Worte an Cuno.
„Ja, sehr nett“, brummt der Paladin.
Feline wünscht ihnen einen guten Hunger und lässt sie allein, Cunos beleidigter Blick bringt Clive zum Lächeln.
Die Wirtstochter hat drei Stücke von dem Früchtebrot serviert, also reicht Clive seinem neuen Beschützer seine Scheibe.
„Hier, gönne es dem Jungen.“ Nachdem sein Begleiter das Stück entgegengenommen hat, hält der Alchemist die letzte Scheibe zu Sina, die verwundert aufblickt. „Probiere mal, Sina. Es schmeckt sicherlich sehr schmackhaft.“
Zögernd nimmt die Fee die gesüßte Brotscheibe entgegen und bricht diese in zwei Hälften, um den Alchemisten die andere Hälfte zu reichen. Vielleicht ein Friedensangebot. Obwohl Clive sie bislang als sehr soziale Persönlichkeit eingestuft hat. Jemand, der beobachtet, hilft und mitdenkt. Eine Seele voll von Empathie. Und doch lässt sie sich sehr schwer lesen. Ihre Handlungen überraschen ihn immer aufs Neue. So wie in diesem Moment. Eine Geste, die für gewöhnlich sein Herz wärmen würde. Doch noch liegt der bittere Geschmack von Verrat auf der Zunge. Daher nimmt Clive zögerlich das Brotstück entgegen. Höflich gedankt wie es sich für eine gute Erziehung gehört. Für Sina anscheinend eine selbstverständliche Geste. Kaum geteilt, wendet sie sich von ihm ab, um ihre Hälfte nun mit Mina zu teilen. Cuno scheint dies nicht ganz geheuer zu sein, sicherlich weil die Fee ihm dadurch sehr nah ist. Bislang mied er die Nähe zu ihr.
„Könntest du den Vogel nicht einfach auf deine Schulter nehmen?“, fragt der Paladin sie hoffnungsvoll.
Die Mundwinkel fallen hinab und ein Funken Zorn spiegelt sich in Sinas Augen wieder. „Sie will aber bei dir sein und das werde ich akzeptieren.“
„Nun gut.“ Cuno lässt den Kopf kurz hängen, um schließlich eine Bitte auszusprechen. „Aber lasst euch bitte Zeit. Rebecca soll warten!“
Trotz all der Neckereien zwischen den beiden Freunden hält Clive solch Entscheidung für unbedacht. Rebecca fordert Eile. Sicherlich aufgrund einem wichtigen Anliegen.
„Sicher? Es könnte wichtig sein“, entgegnet Clive nachdenklich.
Aber Cuno duldet keine Widerworte. „Mir egal, sie hat zu Warten!“
Vielleicht sollte Clive dem Paladin besser vertrauen. Er kennt Rebecca länger und auch auf Clive machte sie einen ungeduldigen Eindruck. Er kann sich daher gut vorstellen, dass es hier darum gehen könne, dass Rebecca langes Warten hasst und somit den Vorgang beschleunigen mag. Hätte Rebecca nach Clive gerufen, dann wäre der Alchemist in Eile aufgebrochen. Doch bewusst rief sie nach einem Paladin und will daher auf Cunos Urteilsvermögen bauen. Ein Fehler? Das wird sich noch zeigen.


































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