Teedrachengeheimnis (3)

„Herzlich willkommen“, sprach Herr Ti den Mann im braunen Jackett an. Er war vor der Theke stehen geblieben und starrte auf eine Stelle an der Wand. Herr Ti drehte sich um und sah die Lücke, die Eeds Attentat hinterlassen hatte. „Ja, eines der guten Stücke ist mir heute Morgen zu Bruch gegangen. Kann ich Ihnen helfen, oder wollen Sie sich umsehen?“

Der Mann wollte gerade antworten, da wurde die Tür aufgerissen. Scheinbar hatte es jemand besonders eilig, eine Tasse Tee zu trinken. Dabei ging es doch gerade darum, ihn in Ruhe zu genießen. Es waren sogar zwei, die es eilig hatten. Zwei Männer im Partnerlook. Schwarze Herrenanzüge, weinrote Krawatten und Handschuhe. Einer breit und kräftig, der andere schmaler und … immer noch kräftiger als Herr Ti. Sie schoben den Mann im braunen Jackett unsanft beiseite und der Schmale stützte sich auf der Theke ab, auf Augenhöhe mit Herrn Ti. Der Breite stellte sich mit verschränkten Armen neben ihn. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass diese beiden nicht gekommen waren, um Tee bei ihm zu trinken.

Der Schmale sah ihm fest in die Augen „Einen wunderschönen Tag, Herr …“

„Ti“, beantwortete Herr Ti die unausgesprochene Frage.

„Herr Ti, also.“ Der Mann nickte. „Sie wissen es vielleicht noch nicht, aber diese Gegend ist gefährlich. Sehr gefährlich. Aber sie haben Glück.“ Er drückte sich von der Theke hoch und zeigte mit dem Daumen auf seinen gleichgekleideten Begleiter. „Für einen kleinen Unkostenbeitrag können mein Partner und ich Sie vor den Gefahren beschützen.“

Herr Ti war sich nicht sicher, ob er da richtig hörte. So etwas kannte er sonst nur aus dem Fernsehen. Die zwei wollten also Geld von ihm dafür haben, damit niemand vorbeikam und … seinen Laden kaputt machte, oder was? Wahrscheinlich kein anderer als sie selbst. Dass so etwas in der heutigen Zeit und in dieser Stadt passierte, konnte er fast nicht glauben.

„Sie machen einen Scherz, oder?“ Herr Ti lächelte. Einem lächelnden alten Herrn würden die beiden doch bestimmt nichts tun.

„Ich glaube, Herr Ti nimmt uns nicht ernst“, sagte der Schmale. Der andere schien nicht in der Lage zu sein, zu sprechen, er vergrub nur grimmig eine Faust in der freien Hand und ließ die Knöchel knacken.




„Meine Herren, ich nehme Sie vollkommen ernst“, sagte Herr Ti, weiterhin lächelnd. „Sie sehen so aus, als hätten Sie einen langen, anstrengenden Arbeitstag hinter sich.“ Die beiden sahen tatsächlich müde aus. „Wie wäre es, wenn ich Ihnen etwas Tee serviere, vielleicht einen Schwarztee, und wir unterhalten uns dort hinten im Eck weiter?“

Der Ganove rieb sich die Hände, nickte und schlenderte mit seinem Begleiter in die Ecke des Ladens. Dabei musterte er die Ausstattung. Der überlegt sich doch bestimmt gerade, welchen Teil er zuerst kaputt machen würde, damit es Herrn Ti am meisten weh tat.

Dem Herrn im braunen Jackett warf Herr Ti einen entschuldigenden Blick zu. Dann schnappte er sich eine seiner Teedosen (die er sich nach einiger Recherche im Belle-Tee-Forum zugelegt hatte) und entfernte den Deckel. Seine Finger zitterten, denn selbst wenn er immer noch lächelte, bereiteten ihm die beiden doch Sorgen. So hatte er sich das mit dem Teeladen überhaupt nicht vorgestellt, nein, nein. Auf dem Weg zwischen Dose und Teesieb zitterte sein Löffel so stark, dass die Hälfte des Tees hinab rieselte, genau in die Tasse, in der Eed immer noch vor sich hin schlummerte.

„Tut mir leid“, flüsterte er. Er füllte das Sieb und stockte. Aus der Tasse kamen Kaugeräusche. Fraß Eed etwa den Tee? Herr Ti spähte in die Tasse hinein und zog den Kopf wieder zurück. Gerade noch rechtzeitig, um dem kleinen Drachen auszuweichen, der in die Höhe schoss. Er war jetzt pechschwarz, nur seine Ohren glühten immer noch im Goldgelb des Melissentees. Dann sauste er den beiden Männern hinterher, direkt auf den Hinterkopf des stummen Muskelpakets zu.

„Nein, Eed“, rief Herr Ti, doch da war es schon zu spät.

Mit einem dumpfen Schlag trafen sich die beiden Köpfe und der Ganove stolperte. „Hey!“, brummte er mit einer tiefen Stimme, bei der Herr Ti sofort die Flucht ergriffen hätte, wäre er ihm im Dunkel begegnet. Er rieb sich den Kopf und drehte sich um, während Eed ihn einmal umkreiste und dann wieder zur Theke zurückflog. Dort flatterte er in der Luft, hüpfte hin und her und senkte den Kopf. Bereit für einen weiteren Angriff.

Der Ganove suchte den Raum ab und runzelte die Stirn. Dann starrte er Herrn Ti an. Nicht Eed. Den schien er überhaupt nicht zu bemerken. Konnte es sein … dass nur Herr Ti ihn sehen konnte? So musste es sein, denn er versuchte nicht einmal, auszuweichen, als Eed auf seine Stirn zuraste. Klonk! Wieder trafen sich die Köpfe, der Mann wurde von den Füßen gehoben und landete auf seinem Po.




Der schmale Ganove war blass geworden und zeigte mit dem Finger auf Eed. Er sah ihn also? „Heilige Mutter Gottes!“, rief er. „Der Teufel!“ Dann zerrte er seinen Kollegen vom Boden hoch, der verdattert in die Leere blickte. „Komm, wir müssen hier weg!“

So schnell, wie sie erschienen waren, verschwanden sie auch wieder. Herr Ti kratzte sich am Kopf und hoffte, dass sie auch verschwunden blieben.

Nun war er mit dem Mann im braunen Jackett wieder allein. Der zog eine Brille mit runden Gläsern aus einem Etui, schob sie auf seiner Nase zurecht und musterte Eed, der kleine Schwarzteepulverwolken hustete.

„Ist das ein Drache?“

Kommentare

    1. Sind sind nicht alle Mafiosi italienisch? Bzw. sind es überhaupt Mafiosi, wenn sie nicht italienisch sind? 🤔
      Aaaaber, das hätte hier sowas von keinen Unterschied gemacht. Die hätten trotzdem 100 Ave Maria gebetet.

      1. Der Begriff wurde mittlerweile für kriminelle Organisationen ohne italienischen Background übernommen.
        Finde es nur immer lustig, wenn jemand Singular für mehrere Leute verwendet oder andersrum den Plural für eine Person.