Die Tür, die nicht existiert
In den Tagen nach dem Vorfall im Archiv war nichts mehr wie zuvor. Riley schlief schlecht. Immer wieder wurde sie nachts wach, schweißgebadet, überzeugt davon, Schritte auf dem Flur vor ihrem Zimmer gehört zu haben. Doch wenn sie die Tür öffnete, war da nichts. Nur der stille, dunkle Gang, in dem die Notbeleuchtung ein fahles Licht warf. Izzy dagegen war besessener denn je. Sie hatte den Text von Dr. Langston mehrfach durchgearbeitet, Passagen markiert und begonnen, sie in ein Notizbuch zu übertragen. Ihre Energie war ansteckend – oder erschöpfend. Riley konnte es nicht mehr unterscheiden. Etwas in ihr wollte die Finger davon lassen. Doch etwas anderes… zog sie an. Wie ein Sog. An einem verregneten Donnerstagabend traf sich der Club erneut. Diesmal nicht in einem offiziellen Raum, sondern in einem alten Wartungskeller unter dem naturwissenschaftlichen Gebäude. Izzy hatte davon gehört – angeblich war der Raum schon seit Jahrzehnten unbenutzt. Aber der Schlüssel lag noch immer im Büro des Hausmeisters, ungesichert in einer Schublade, wie geschaffen für eine „zufällige Ausleihe“. Ben öffnete die schwere Metalltür. Der Geruch war abgestanden, feucht. Staub wirbelte auf, als sie die Treppe hinabstiegen. Ihre Schritte hallten. Die Luft wurde mit jedem Meter dicker. Riley fühlte, wie sich eine Gänsehaut auf ihren Armen bildete – ohne erkennbaren Grund.
„Das hier ist nicht auf dem aktuellen Lageplan“, murmelte Mia, während sie mit der Taschenlampe an einer Wand entlangstrich. „Kein Eingang. Keine Registrierung. Nichts.“ Der Raum war größer, als sie erwartet hatten. Alte Kessel standen entlang der Wand, rostige Rohre zogen sich wie Adern durch die Decke. Und dann war da… die Tür. Sie war aus Holz, aber nicht wie die anderen hier unten. Sie war alt, viel älter, mit seltsamen Gravuren entlang des Rahmens. Niemand hatte sie gesehen, als sie hereingekommen waren – als hätte sie sich erst gezeigt, als sie tief genug in den Raum vorgedrungen waren. „Das war eben noch nicht da“, sagte Riley leise. Izzy ging näher. „Oder wir haben sie nicht bemerkt. Vielleicht ist sie… geschützt.“ Ben verzog das Gesicht. „Geschützt? Als in – magisch?“ Izzy nickte. „Dr. Langston hat in seinen Aufzeichnungen von Schwellen gesprochen. Von Orten, an denen die Wirklichkeit durchlässig wird. Ich glaube, das ist so ein Ort.“ Riley trat näher. Die Gravuren waren nicht lesbar, keine Sprache, die sie kannte. Aber sie fühlte, wie ihr Herz schneller schlug. Als hätte ihr Körper längst erkannt, was ihr Verstand zu leugnen versuchte. „Wir machen sie nicht auf“, sagte Mia entschlossen. Doch da bewegte sich die Klinke. Langsam. Knarzend. Kein Wind, kein Ruck. Die Klinke senkte sich, als würde eine unsichtbare Hand sie öffnen. Und dann –
Knarrend schwang die Tür einen Spalt auf. Dunkelheit dahinter. Tiefer als bloß Abwesenheit von Licht. Es war, als blicke man in einen Schlund, der das Licht verschluckte. Ein kalter Windstoß wehte ihnen entgegen, roch nach Moder und etwas, das Riley nicht benennen konnte. Verfall. Etwas Altem. Etwas, das nicht hierher gehörte. Ben hob die Taschenlampe und richtete sie in den Spalt. Nichts. Kein Raum, kein Gang – nur Dunkelheit. Dann hörten sie das erste Geräusch. Ein Kratzen. Als würde etwas mit langen, harten Nägeln über Stein fahren. Langsam, bedächtig. Es kam näher. „Tür zu“, flüsterte Riley. Doch Izzy stand wie hypnotisiert da. Ihre Augen weiteten sich. „Sie flüstern wieder…“, sagte sie. „Aber diesmal ist es nicht dieselbe Stimme.“ Mia trat vor und packte Izzy am Arm. „Weg da!“ Riley stürmte vor, stieß mit voller Kraft gegen die Tür. Sie schwang zu – und im gleichen Moment hörten sie einen Aufprall auf der anderen Seite. Etwas hatte versucht, hindurchzukommen. Und war gegen das Holz geprallt. Stille. Dann begann etwas an der Tür zu kratzen. Von innen. Schnell flohen sie zurück in den Gang, verriegelten die Tür zur Wartungsebene. Keiner sagte ein Wort, bis sie wieder an der Oberfläche waren. Der Regen hatte aufgehört. Doch der Himmel war seltsam grau, schwer. Als hätte sich die Welt verändert. Später, in ihrem Zimmer, lag Riley wach. Sie starrte an die Decke, während draußen die Nacht über den Campus kroch. In der Ecke ihres Zimmers lag das Notizbuch, in das Izzy die Symbole aus Langstons Manuskript übertragen hatte. Die Seiten schienen zu vibrieren, obwohl kein Windhauch durch das Fenster drang. Und dann hörte sie es wieder. Das Kratzen. Diesmal nicht weit weg. Sondern direkt an ihrer Zimmertür.



































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