Das Lied der Kreuzung – Ein Garten aus Tränen

Ich weine hemmungslos in meinem Zimmer – so heftig, dass meine Fantasie verrückt spielt und außer Kontrolle gerät. Das Schloss fühlt sich mit meinen Tränen wie ein endloses Meer an. Alles wird überschwemmt, und ich bin so traurig, dass ich es wegen der erdrückenden Trauer nicht mehr im Takt halten kann. Ich ertrinke in meinen eigenen Tränen. Eigentlich redet niemand mit mir, doch Pablo wollte mir etwas vermitteln. Er ist so ein Idiot! Anstatt seine letzte Kraft dafür zu nutzen, sich zu schützen oder eine Lösung zu finden, brauchte er sie, um mit mir Spaß zu haben. Und ich bin ein Idiot, weil ich mal Spaß haben wollte und nicht bemerkt habe, dass das sein letzter Hilfeschrei war.
Er wollte es so. Entweder Hilfe finden oder in seiner Welt sterben. Sonst weiß ich immer alles. Doch obwohl seine Augen meinen ähnelten, habe ich das nicht kommen sehen. Wahrscheinlich wollte er mir auch sagen, dass ich aufhören soll, immer das zu tun, was man von mir verlangt, und stattdessen das zu tun, was ich möchte – wenn ich schon diese Möglichkeiten habe. Er ist so ein Idiot! Aber ich vermisse ihn. Ich ertrinke langsam und versuche mich nicht einmal zu wehren.
Die salzigen Tränen brennen in meinen Augen, vermischen sich mit dem Wasser, das meine Lungen füllt. Es ist ein seltsam friedliches Gefühl, sich dem Tod hinzugeben, dem Schmerz zu entfliehen. Beim Ertrinken denke ich nur:
»Pablo, es tut mir leid, dass ich es nicht erkannt habe. Wo bist du jetzt? Was ist nach dem Tod? Kann ich jetzt gehen? Mich von diesem Schmerz trennen? Was war dein Fluch?«
Die Dunkelheit umhüllt mich, wird dichter und dichter.
Ich spüre, wie mein Körper schwerer wird, wie das Leben langsam aus mir weicht. Vielleicht ist der Tod eine Erlösung – eine Befreiung von all dem Leid. Vielleicht treffe ich Pablo dort wieder, in einer anderen Welt, in der wir frei sein können. Oder vielleicht ist da einfach nur Nichts. Die Vorstellung ist beängstigend, aber auch tröstlich. Ich schließe meine Augen und lasse mich treiben – hinein in die Dunkelheit, hinein in das Unbekannte.
Doch als ich dachte, ich sei tot, spüre ich eine eklige, klebrige Hand … wie die eines Menschen und doch fischig! Dieser Ekel holt mich wieder zurück ins Leben. Ich denke nur: „Iiiihhh!“ und öffne meine Augen. Es ist die sogenannte Familie der Abteilung Nixen.
Mann, wie ich die nicht leiden kann! Fischhaut, Nässe, Algen, diese Farben – wääh, es läuft mir eiskalt den Rücken hinunter. Der Geruch … ich muss fast würgen.
Und das sollen die Meister der Verfügung sein? Wenn die Opfer nur wüssten, wie die wirklich aussehen! Ich frage, was sie hier wollen. Es gibt solche Tage, da treffen sie sich mit dem Tyrannen, um mit ihm in Gruppen zu treiben – mein größter Albtraum, wenn sie mich mit hineinziehen. Dieses „Miteinandertreiben“ ist ein wichtiges Ritual! Ich mag es überhaupt nicht und habe auch nie verstanden, wieso.
Was ich weiß, ist, dass das passiert, seit ich atmen und sehen kann. Und ich weiß auch, dass die Hexenfamilie erklärt, dass man Blumen kreuzen muss, um neue Eigenschaften zu erschaffen. Ich schaue meine Nixen-Familie nur mit Ekel an, ziehe eine Grimasse, um klarzumachen, dass ich heute nicht zu haben bin, verschränke meine Arme und schaue zur Seite. Mann, die kann ich wirklich nicht leiden!
Ich sage: »Hättet ihr mich nicht einfach sterben lassen können?«
Sie antworten jedoch: »Wir entscheiden, wann du stirbst, nicht anders«, und lachen, als wäre es ein Witz gewesen. Als ich sie frage, was sie hier wollen, sagen sie: »Heute sind wir dran. Opfern müssen wir jedes Mal. Wo ist der Tyrann?«
Dann verwandeln sie sich in schön gekleidete, verführerische Frauen und rufen mit süßen Stimmen nach dem Tyrannen. Ich bin nur wütend und sage: »Ich bin raus.«
Ich verpisse mich auf die andere Seite des Schlosses, wo ich das alles nicht mitbekommen muss.
Ja, ich verschanze mich dort und werde eine Welt kreieren, zu der nur ich Zugriff habe – mit dem, was mir gefällt.
Ich spreche einen Spruch aus und schicke mich ans andere Ende des Schlosses. Sofort spüre ich, wie sich die Umgebung verändert. Die düsteren Mauern weichen pastellfarbenen Wänden, die mit Blumenranken und verspielten Mustern verziert sind. Der muffige Geruch von Algen und Fisch wird von einem süßen Duft nach Kräutern und Rosen überdeckt.
Ich stehe also in der Bibliothek der Hexen. Mist, ausgerechnet hier – aber besser als in dem Raum, in dem die Nixen ihr Treiben veranstalten. Die Bibliothek ist vollgestopft mit Büchern! Ich weiß, was in den meisten steht, obwohl ich sie nie gelesen habe. Die Hexen und Magier sind die Köpfe unserer Familie. Sie wissen alles, jede Abteilung, und dokumentieren alles. Sie sind nicht die Stärksten, aber im Wissen sind sie uns einige Schritte voraus. Einige Hexen sind keine Geister oder Divinitäten, sondern Menschen wie ich … mit einer, wie man so schön sagt, gekreuzten Hybrid-Identität. Ich hasse meine Herkunft und meine Familie.
Ich beschließe, mich stattdessen ein bisschen umzusehen. Mehr Wissen schadet ja nicht, oder? Ich zaubere mir eine Blumenwiese und lege mich dorthin, um ein Buch zu lesen – den ganzen Abend lang, bis ich sogar einschlafe.
Am nächsten Morgen wache ich auf der Blumenwiese auf, die Buchseiten an meine Wange gepresst. Die Sonne scheint durch die hohen Fenster der Bibliothek und wirft warme Lichtflecken auf den bunten Teppich aus Blüten. Ich schlage das Buch wieder auf. Es ist ein dickes, ledergebundenes Werk mit dem Titel „Die Chroniken der Verborgenen“.
Darin steht:
„Das wahre Wissen erkennt den Geist – nicht nur den Verstand.
Denn Verstand reicht nicht, wenn die Seele schweigt.“
Ich muss an Pablos Augen und sein Lächeln denken. „Wusste ich’s doch“, sage ich mir selbst. Da ist mehr, als alle mir weismachen wollen. Pablo ist nicht einfach nur eine Illusion. Er ist echt – auf seine Art. Und ich muss herausfinden, was es damit auf sich hat, dass er starb.
Ich stehe auf und blicke mich in der Bibliothek um. Die Regale scheinen sich endlos in die Höhe zu erstrecken, gefüllt mit unzähligen Folianten. Ich spüre einen plötzlichen Drang, mehr über Pablos eigens geschaffene Welt zu erfahren – über die Chilbi und die Monster, die nur ich sehen konnte. Ich beginne, wie von einem unsichtbaren Faden gezogen, durch die Gänge zu wandern, meine Finger über die staubigen Buchrücken gleiten lassend.
Plötzlich entdecke ich ein kleines, unscheinbares Buch, das fast zwischen zwei größeren Werken versteckt ist. Es ist in schlichtes, graues Leinen gebunden und trägt keinen Titel. Neugierig ziehe ich es heraus. Als ich es öffne, entdecke ich, dass die Seiten leer sind. Verwirrt blättere ich weiter, bis ich auf eine einzelne Seite stoße, auf der mit zitternder Hand geschrieben steht:
„Die Wahrheit wirst du nie erfahren.“
Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Diese Worte scheinen direkt an mich gerichtet zu sein. Ist das ein Hinweis? Eine Art Botschaft? Es fühlt sich wie eine Drohung an. Oder ist es nur ein weiterer Trick des Tyrannen, um mich zu verwirren? Ich weiß es nicht – aber ich weiß, dass ich diesem Rätsel auf den Grund gehen muss. Denn ich weiß ja alles … oder etwa nicht?
Ein Lied ging mir durch den Kopf:
Im Garten, wo der Abend weint,
stand Rot, das nach dem Dunkel scheint.
Und Weiß, so bleich wie toter Schnee,
verlor sich sacht im Nebelweh.
Ein Wind, so leise, trug den Staub,
von Herz zu Herz, von Laub zu Laub.
Kein Lied erklang, kein Vogel sang,
nur Erde sog den Atem lang.
Rot gab sein Blut, Weiß gab sein Licht,
und beide sah’n ein letztes Nichts.
Im Morgengrau, wo Schatten blüh’n,
begann das Rosa still zu glüh’n.
Nicht rot, nicht weiß – ein leises Leid,
ein Erbstück aus Unendlichkeit.
Zwei Seelen mischten sich zu Eins,
doch keiner kehrt je heim ins Seins.
Ich fühlte mich betroffen und merkte, welch Abscheuliches dieses Lied verbarg. Das Familienritual war mehr als nur ein „Miteinandertreiben“.

































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