Die Farben meiner Gefangenschaft

Die schweren, schmiedeeisernen Tore des Schlosses knarren leise, als ich sie hinter mir zuziehe. Schwarz, Rot und Flammen – die Farben meiner Gefangenschaft.
Die Renaissance-Architektur wirkt hier, in dieser düsteren Atmosphäre, wie ein Hohn. Meine Finger gleiten über die kalten Steine, während ich mich auf den Weg zum magischen Portal mache. Ein Seufzer entweicht meinen Lippen. Ich hasse diesen Ort.

In meinem Kopf male ich die Welt in Pastellfarben aus, versuche, die Schwere des Schlosses zu übertünchen. Zarte Rosatöne überziehen die Mauern, ein sanftes Lila lässt die Flammen erblassen. Doch der Tyrann, dessen Schatten über allem liegt, wischt diese Farben immer wieder fort. Angst und Feuerlicht kehren zurück.

Heute ist Schultag. Ein Lichtblick in meiner endlosen Isolation.

Das Portal flackert, ein Strudel aus Farben, der mich in eine andere Welt zieht. Mit einem Ruck finde ich mich vor den glitzernden Türmen der Zauberschule wieder. Hier ist alles anders: bunt, freundlich und voller Leben. Magische Pflanzen ranken an den Wänden, Tische schweben in der Luft, und die Klassenzimmer scheinen voller Wissen zu pulsieren. Es ist wie ein fröhliches Internat, und ich trage sogar eine coole Uniform. Ich atme tief durch. Hier kann ich Jemea sein, das Mädchen mit den rosa Locken und den rosa Augen, die von einer besseren Welt träumt.

Martina steht am Rande des Schulhofs, ihre Augen huschen über mich. Sie ist immer da, beobachtet mich, als wäre ich ein seltenes Insekt unter einem Mikroskop. Eine komische Freundin – trotzdem versuche ich, freundlich zu sein. Sonst bin ich einsam.

„Jemea“, sagt sie mit einem süßlichen Lächeln. Was ihre wahren Absichten wohl verbergen? „Du kommst gerade richtig, der Unterricht beginnt gleich.“ Ich nicke und folge ihr ins Innere der Schule. Die lebhaften Korridore sind voller Schüler, die eifrig diskutieren und lachen. Für einen Moment vergesse ich meinen Fluch, den Tyrannen, mein miserables Leben und die Dunkelheit, die mich zu Hause umgibt.

Im Unterricht lerne ich Zaubersprüche und Tränke, doch meine Gedanken sind woanders. Das ist meine einzige freie Zeit, meiner Fantasie freien Lauf zu lassen. Ich kann ungestört träumen. Der Unterricht ist mir nicht wichtig, ich weiß das alles schon, meine Noten sind brillant. Ich bin sogar im Schülerrat. Das Beste daran – ich kann es nicht mal erklären: Ich kam zur Schule, und das ganze Wissen war schon da, in meinem Kopf. Als hätte ich schon einmal gelebt.



Nach dem Unterricht sitze ich alleine in der Bibliothek. Um mich herum stapeln sich Bücher über Magie und alte Prophezeiungen. Ich schlage ein vergilbtes Buch auf und lese von einem Mädchen, das in Ketten geboren wurde und in Lüge aufwuchs. Ihr Herz war voller Magie, doch gebunden von Angst und Fluch. Ein Bote aus einer anderen Welt sollte ihre Fesseln berühren, doch die Wahl lag in ihren Händen: Bleibt sie in der Dunkelheit, oder ruft sie nach Freiheit?

„Ich wünschte, ich wäre das Mädchen“, murmele ich vor mich hin. Plötzlich spüre ich einen kalten, doch bekannten Hauch im Nacken. Ich drehe mich um und sehe Martina, die mich mit ihrem seltsamen Lächeln betrachtet. „Was liest du denn da so Spannendes, Jemea?“, fragt sie mit einer Stimme, die so süß ist wie Gift. Ich stehe abrupt auf, das alte Buch fällt zu Boden. „Es ist spät, Martina“, sage ich mit einer Stimme, die fester klingt, als ich mich fühle. „Ich muss nach Hause.“ Mein Herz rast, und ich spüre, wie die Angst in mir aufsteigt. Ich weiß, was mich erwartet. Der Tyrann. Er wird mich empfangen, mich in seinen Bann ziehen, und ich werde mich nicht wehren können.

Martinas Augen funkeln, aber sie sagt nichts, während ich das Buch schnell wieder aufhebe und in meinen Rucksack stopfe. „Soll ich dich begleiten?“, fragt sie dann, ihre Stimme wieder honigsüß. „Nein, danke“, entgegne ich schnell. „Ich brauche heute etwas Zeit für mich.“ Ich wende mich ab und eile aus der Bibliothek. Der lange Korridor scheint endlos, und ich habe das Gefühl, Martinas Augen im Rücken zu spüren. Endlich erreiche ich das Portal, das mich zurück zu meinem Schloss bringen wird. Ein letzter Blick zurück – und ich sehe Martina, die immer noch im Eingang der Bibliothek steht und mich beobachtet. Ein Schauer läuft mir über den Rücken.

Als ich das Portal durchschreite, finde ich mich in meinem Zimmer wieder. Die flackernden Schatten tanzen an den Wänden, und das Feuer im Kamin knistert unheilvoll. Ich fühle mich gefangen, umgeben von der Dunkelheit, die mich schon immer beherrscht. Ich werfe meinen Rucksack auf das Bett und gehe zum Fenster. Draußen sehe ich den finsteren Wald, der mein Schloss umgibt. Keine Sterne, kein Mond, nur eine undurchdringliche Schwärze. Ich seufze. Wie lange noch werde ich hier gefangen sein?



Plötzlich höre ich ein leises Klopfen an der Tür. Der Tyrann… Der Fluch, der Bund, der seit meiner Geburt auf mir lastet, nimmt mir jede Möglichkeit, ihm zu widersprechen. Er hat die Wahrheit so geschickt verschleiert. Das Schloss, in dem er mich gefangen hält, ist voller Luxus und Pracht. Er gibt mir alles, was ich mir nur wünschen kann, und redet mir ein, dass ich doch alles habe. Gleichzeitig erinnert er mich immer wieder daran, dass ich ihm alles verdanke. Sein gutaussehendes Gesicht, seine charmante Art – alles nur Fassade. Darunter verbirgt sich ein Monster, das sich an meiner Angst und meinem Leid nährt.

„Lass mich in Ruhe“, sage ich ihm mit fester Stimme. „Ich gehöre dir nicht.“

Der Tyrann lacht. „Du gehörst mir mehr, als du dir vorstellen kannst. Du bist an mich gebunden, durch Blut und Magie.“ Er wendet sich mir zu, seine Augen durchdringen mich. „Komm zu mir, Jemea“, sagt er. „Du weißt, dass du mir gehorchen musst.“

Ich spüre, wie der Fluch in mir erwacht, wie er meinen Willen lähmt. Meine Beine bewegen sich wie von selbst in seine Richtung. Ich will nicht, aber ich kann nicht anders. Der Tyrann nimmt meine Hand und zieht mich an sich. Seine Berührung ist wie Eis, sie brennt auf meiner Haut. „Du bist mein, Jemea“, flüstert er mir ins Ohr. „Für immer.“

Tränen laufen mir über das Gesicht. Ich bin gefangen, verloren in der Dunkelheit. Doch tief in meinem Inneren, ganz leise, flackert noch ein Funke Hoffnung. Meine Fantasie – es einfach auszublenden, was geschehen wird. Meine einzige Hoffnung. Vielleicht ist noch nicht alles verloren. Vielleicht gibt es doch noch einen Weg, dem Fluch zu entkommen.

Die Kälte des Schlosses kriecht unter meine Haut, obwohl die Sonne draußen längst ihren Zenit überschritten hat. Ich liege in meinem Bett, unfähig, mich zu bewegen. Jeder Muskel schmerzt, jede Zelle meines Körpers scheint leergesaugt. Es ist, als hätte man mir nicht nur meine körperliche Kraft, sondern auch meine magische Energie geraubt.

Die Erinnerungen an das, was geschehen ist, brechen über mich herein wie eine Flut. Der Tyrann. Seine Berührungen, seine Worte, seine Macht. Ich versuche, die Bilder zu verdrängen, aber sie sind zu lebendig, zu schmerzhaft. Tränen laufen mir über das Gesicht, vermischen sich mit dem kalten Schweiß auf meiner Stirn.



Tränen ergießen sich über mein Gesicht, während ich die Bilder der vergangenen Nacht Revue passieren lasse. Der sexuelle Missbrauch, die Entwürdigung – alles so präsent, als würde es gerade wieder geschehen. Wie ist es nur möglich, solche Dinge zu tun? Dinge, die eigentlich nicht möglich sein sollten. Es ist die Magie, die alles ermöglicht. Sie lässt uns erschaffen, zerstören, verändern, wie es uns gefällt. Eine verdammte Gabe, die in den falschen Händen zur Waffe wird.

Ich weine hemmungslos, mein Körper zittert. Meine Augen schweifen über meinen Körper, entdecken die Verletzungen, die Narben, die Beulen. Ein geekeltes Gesicht spiegelt sich in meinem Inneren wider. Schnell sammle ich meine letzten Kräfte und heile mich mit Magie. Die Wunden verschwinden, doch die Narben bleiben – tief eingebrannt in meine Seele.

Niemand darf davon erfahren. Vor allem nicht Martina. Sie würde es gegen mich verwenden, mich verachten, mich auslachen. Ich muss stark sein, muss meine Schwäche verbergen.

Meine Augen wandern zu den Wänden meines Zimmers. Dort hängen die Porträts meiner Vorfahren, der Götter, mit denen sie einen Bund geschlossen haben: Nixen, Teufel, Harpyien, Schlangen, Stiermänner und mehr. Ihre Augen scheinen mich zu verfolgen, mich zu verurteilen. Sie wissen, was geschehen ist, sie kennen meine Schande.

„Ich hasse euch!“, schreie ich sie an, meine Stimme überschlägt sich. „Ihr habt mich gefesselt! Ihr habt mich dem Tyrannen ausgeliefert!“

Die Stille kehrt zurück, schwer und erdrückend. Ich schließe die Augen, versuche, die Zeit zu beschleunigen. Ich will nur noch zurück zur Schule, zurück in den Alltag, zurück in ein Leben, das sich normal anfühlt.

Ich rede mir ein, dass alles gut wird, dass ich mich daran gewöhnt habe, dass ich stark bin. Ich lasse mich in den Schlaf fallen, in der Hoffnung, dass die Zeit schneller vergeht, dass ich bald wieder frei sein werde. Zumindest für ein paar Stunden.

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