Der tödliche Toast

Die Musik dröhnte wie ein Herzschlag durch die Wände der Bar „Eclipse“. Die Tanzfläche war überfüllt, Lichter flackerten in grellen Farben, und überall erhoben sich Gläser. Es war kurz vor Mitternacht, und die Menge wartete nur auf den Countdown, um das neue Jahr willkommen zu heißen.

Doch Truly wusste, dass dieses Glas kein Beginn, sondern ein Ende sein sollte.

Sie stand am Rand des Raumes, das Haar unter einer Kapuze verborgen, den Blick über die Menge schweifend. Hayes war irgendwo zwischen den Gästen, unauffällig, aber bereit. Er hatte ihr nur einen knappen Blick zugeworfen, bevor sie sich trennten: »Finden Sie es. Und stoppen Sie es.«

Ihre Haut prickelte. Magie lag in der Luft, dichter als Rauch, schwerer als Alkohol. Sie konnte es in jedem Atemzug schmecken.

Hinter dem Tresen bewegte sich eine Frau, elegant, mit einem Lächeln, das zu makellos war. Ihre Bewegungen waren zu ruhig, zu kontrolliert für den Trubel einer Bar. Sie mischte Drinks mit einer Präzision, die fast rituell wirkte.

Truly trat näher, drängte sich durch die Menge. Sie sah, wie die Frau ein Tablett voller Gläser füllte – Cocktails, die im schwarzen Licht funkelten. Auf jedem schwamm ein grünes Kräuterblatt.

Beifuß.

›Verdammt.‹

Die Frau hob das Tablett, lächelte breit. »Mitternachtstoast!« rief sie, und die Menge jubelte.

Truly spürte, wie ihr Herz raste. Wenn jeder hier nur einen Schluck nahm, würde es Dutzende Opfer geben. Ein Ritual, das groß genug war, um jedes Siegel zu brechen.

Sie drängte sich nach vorn, griff nach einem Glas – und sah sofort die Symbole, die im Salzrand verborgen waren. Runen, fein eingeritzt, kaum sichtbar. Jede einzelne war ein Faden in einem Netz.

»Nicht trinken!«, rief sie, doch die Musik übertönte ihre Stimme.

Die Frau hinter dem Tablett sah sie an. Ihre Augen waren schwarz. Kein Weiß mehr, nur Dunkelheit.

»Zu spät«, flüsterte sie, so leise, dass nur Truly es hörte. »Das Blut ist schon gebunden.«

Truly riss das Glas hoch, schleuderte es zu Boden. Es zersprang, die Flüssigkeit spritzte über die Fliesen. Ein Schrei gellte, als die Symbole im Salz aufleuchteten – das Muster brach für einen Moment auseinander.

Die Frau fauchte, ihre Züge verzerrten sich, wurden kantiger, fremder. »Du wagst es?«



»Ich wage immer«, keuchte Truly und griff in ihre Tasche. Ihr Talisman – Eisenkraut, Salz, Silberdraht. Sie schleuderte ihn in die Luft, murmelte Worte, die ihre Großmutter ihr eingebrannt hatte.

Ein Kreis aus Licht flackerte kurz um die Menge, wie eine Schutzbarriere. Einige Gäste taumelten zurück, andere bemerkten nichts, dachten, es sei Teil der Show.

Die Frau trat vor, hob die Hände, und ein schwarzer Nebel quoll aus den Gläsern. Er kroch über den Boden, kroch an Beinen hoch, suchte Münder, suchte Kehlen.

Truly spürte, wie ihr die Zeit entglitt. ›Wenn ich das nicht jetzt breche, ist alles verloren.‹

Sie griff nach einem Glas, das noch ganz war, hob es an die Lippen – und trank.

Das Gift brannte durch ihre Kehle, heiß, metallisch. Ihr Herz stolperte, ihre Beine gaben fast nach. Doch sie zwang sich, die Augen offen zu halten, zwang sich, die Worte zu flüstern: »Per sanguinem ligare … per sanguinem solvere …«

Die Symbole im Salzrand begannen zu glühen. Der Nebel stockte, wand sich zurück, als hätte er Angst.

Die Frau schrie, ihre Hände krampften, und für einen Moment fiel die schwarze Dunkelheit aus ihren Augen.

»Nein!«, fauchte sie. »Du weißt nicht, was du tust!«

»Vielleicht nicht«, keuchte Truly, »aber ich weiß, was ich verhindern muss.«

Sie schleuderte das Glas zu Boden. Es zerbarst, und mit ihm brach das Netz. Der Nebel zersplitterte, zerfiel zu Rauch, der in der Luft verpuffte.

Die Gäste jubelten im nächsten Moment, weil die Uhr Mitternacht schlug. Sie stießen an, küssten sich, schrien, als wäre alles normal. Niemand ahnte, wie knapp sie eben dem Tod entgangen waren.

Doch Truly stand zitternd im Kreis der Scherben, die Knie weich, das Herz ein einziger Schlag zu viel.

Die Frau mit den schwarzen Augen war verschwunden. Nur ein kalter Luftzug blieb zurück, ein Flüstern, das in ihrem Kopf hallte: „Es ist erst der Anfang.“

Hayes war plötzlich da, packte sie am Arm, zog sie näher. »Was haben Sie getan?«

»Gerettet, was zu retten war«, flüsterte sie, die Kehle rau.

Sein Blick war voller Fragen, voller Wut – und doch war da auch etwas anderes, etwas, das sie beide nicht benennen konnten.

Die Menge zählte Sekunden in ein neues Jahr. Truly wusste, dass sie soeben nur Zeit gewonnen hatte.



Denn der Zirkel war noch da. Und er würde nicht ruhen.

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