Adora-Kapitel 6

Rayan hatte Adora gerade abgesetzt und sich in sein Schloss zurückgezogen, als der Himmel seine Pforten öffnete und tatsächlich einen heftigen Regenschauer preisgab. Es wurde schlagartig so dunkel und der Regen so dicht, dass man kaum noch etwas sehen konnte.

Rayan stand vor dem Fenster und blickte hinaus. Er sollte vielleicht das nächst Mal mehr aufpassen.

Sein Blick glitt in den Himmel, wo es einmal heftig blitzte, bevor der Donner so heftig kam, dass er glaubte, der Boden würde vibrieren.

Sorge machte sich in Rayan breit. Sollte er vielleicht Maßnahmen ergreifen? Das Unwetter schien wirklich heftig zu werden und er wollte nicht, dass in der Stadt zu viel kaputt ging. Allerdings war es dazu wahrscheinlich schon zu spät.

Er hätte gern geflucht, doch das gehörte sich nicht. Zudem brachte es ihm auch überhaupt nichts.

„Was ist, großer Bruder?“, fragte Aaron, der auf ihn zutrat und ebenfalls aus dem Fenster blickte. Er war schon die ganze Zeit bei ihm, da sie sich ab und zu das Arbeitszimmer teilte. Als Diplomat war Aaron nur selten hier im Schloss, hatte aber trotzdem viel zu schreiben.

„Das kam unerwartet. Es scheint heftig zu werden“, bemerkte Rayan, der seine Besorgnis nicht verstecken konnte. Die Stadt würde nicht untergehen, doch er machte sich Sorgen um den Hafenbereich. Das Wasser würde hoffentlich nichts Wichtiges kaputt machen.

Aaron nickte zustimmend. „Ja, so sieht es aus. Die Jahreszeit ist schon wieder da.“ Auch er klang besorgt, doch auch ergeben. Als wüsste er, dass sie jetzt sowieso nichts mehr tun konnten.

Frustriert seufzte Rayan. „Es kommt jedes Jahr zeitiger. Das ist nicht gut“, murmelte er. Mittlerweile glaubte er sogar, dass es immer schlimmer wurde. Allerdings war es die Natur und kein Angriff. Etwas, was er jederzeit befürchtete. Nicht nur von Rosannas Seite aus. „Sind in der Stadt alle Vorbereitungen schon getroffen?“

Die Frage war eigentlich überflüssig, denn wenn er sich richtig erinnerte, dann hätten die Vorbereitungen für den Unwetterschutz erst in einer Woche beginnen sollen.

Aaron schüttelte wie erwartet den Kopf. „Nein. Sie haben gerade erst angefangen“, gab sein Bruder zu, wobei er entschuldigend klang.



Schon allein, dass sie schon angefangen hatten, zeigte Rayan, wie sehr er sich auf Aaron verlassen konnte. Wahrscheinlich hatte er es vorgezogen, weil die Bewohner von Castapital ihre Sorge geäußert hatten.

„Wie geht es Prinzessin Rosalia?“, wollte Rayan wissen, um das Thema zu wechseln. Jetzt konnte er nichts mehr tun. Er würde warten müssen, bis der Sturm nachließ und dann den Schaden beheben.

Es war ihm lieber, sich auf etwas zu konzentrieren, das er jetzt regeln konnte.

Ob die Prinzessin Angst hatte oder sich Sorgen machte?

„Die Diener waschen sie gerade. Sie ist erschöpfter, als sie zugeben will“, sagte Aaron, der sogar ein wenig belustigt klang.

Rayan wusste, dass sein Bruder ein großer Menschenkenner war. Er glaubte seinen Worten, denn er sah oft Dinge, die ihm entgingen. Zumindest in diesem Bereich.

Eigentlich hätte Aaron der Thronfolger werden sollen und nicht er. Aaron war kampferfahrener und konnte Menschen besser einschätzen. Allerdings wusste Rayan sehr genau, dass man sich dies Position nicht aussuchen konnte, selbst wenn man von einem König gezeugt wurde. Es war nicht sicher, ob die Gene, die einen König ausmachten, erwachten oder gar vererbt worden waren. Angeblich spürte man es bei ihm schon. Rayan war sich da nicht so sicher.

„Dann sollten wir mit dem Essen warten?“, fragte Rayan, der versuchte, seine Gedanken auf seine zukünftige Frau zu richten. Für sein Volk konnte er im Moment nichts tun. Erst, wenn der Sturm vorbei war, konnte er helfen. Er hoffte sehr, dass nicht zu viel kaputt ging.

„Nein, ich denke wir sollten sobald wie möglich Speisen, damit sie sich ausruhen kann“, schlug Aaron vor. Damit zeigte er wieder einmal, dass er die Menschen besser lesen konnte. Wahrscheinlich war diese Idee gut.

Rayan nickte und starrte weiterhin hinaus in den Innenhof.

Kurz herrschte Schweigen, doch schließlich wurde dieses von seinem Bruder unterbrochen. „Wer ist die Frau, die vorhin bei dir war?“, wollte er wissen. Natürlich hatte er Adora bemerkt.

Rayan wusste sofort, wen er meinte. „Sie ist ein Gast von Nil. Mehr oder weniger. Er hat sie draußen im Wald gefunden“, fasste Rayan kurz zusammen. Es war wichtig, dass Aaron die Geschichte kannte, damit er ein wachsames Auge auf sie werfen konnte. Zudem wollte Rayan nicht, dass er glaubte, sie wäre eine Art Gespielin.



„Du solltest vorsichtig sein. Jeder weiß, dass du keinen Harem hast. Prinzessin Rosalia könnte das falsch verstehen“, merkte Aaron besorgt an. Er schien es zumindest richtig zu verstehen, was Rayan beruhigte. Damit war er sich Aarons Rückendeckung sicher.

Rayan schnaubte leise. „Sie ist nur eine junge Frau, die ihr Gedächtnis verloren hat. Niemand, der wichtig ist.“ Dabei konnte er nicht bestreiten, dass sie sehr interessant war.

„Ich verstehe. Trotzdem solltest du vorsichtig sein“, bemerkte Aaron. Er wollte gerade noch etwas sagen, verstummte aber, weil es an der Tür klopfte.

Rayan hob eine Hand, sodass die Wachen an der Tür wussten, dass sie diese öffnen konnten.

Es gab in jedem öffentlichen Raum welche. Da sie hier im offiziellen Salon waren, war er auch nicht verwundert, dass ihn jemand störte.

Es war Nil, der eintrat. Er war nass und sicherlich durch den Regen gelaufen. „Die Stallungen sind gesichert“, erklärte er mit ruhiger Stimme. „Der Sturm sieht stark aus, ist es aber nicht.“

„Das ist beruhigend“, seufzte Rayan. Das nahm ihm zumindest ein wenig Sorge.

„Eure Hoheit, das Essen ist fertig“, erklang eine ruhige, weibliche Stimme.

Rayan hob nur kurz den Blick, um sein Dienstmädchen Lucia zu mustern. Sie war wahrscheinlich hinter Nils durch die Tür geschlüpft.

Ihre schwarzen, kurzen Haare waren unter einer weißen Haube versteckt, wie jedes Dienstmädchen sie trug. Dazu trug sie das einfache Leinenkleid aus schwarzem Stoff mit den weißen Rüschen.

Rayan nickte. „Du kannst Prinzessin Rosalia holen“, sagte Rayan an seinen Bruder gewandt. Dieser neigte den Kopf und verließ den Raum.

„Es wird ein privates Essen?“, fragte Nil höflich. Rayan nickte.

„Ja, ich stelle ihr meinen Hof erst später vor“, sagte Rayan, der nur mit der Prinzessin und seinem Bruder speisen würde. So konnte er sie gleich auch noch ein wenig näher kennenlernen.

„Habt Ihr Adora gesehen?“, wollte Nil wissen, der besorgt klang.

Das überraschte Rayan, denn diese sollte eigentlich bei Nil im Haus sein. Dort hatte er sie abgesetzt. „Ich habe sie vorhin im Innenhof getroffen und dann zu Eurem Haus gebracht“, erklärte er, während er die Stirn runzelte. „Ist sie nicht dort?“



„Nein. Ich habe Cara gefragt, aber sie hat sie nicht ins Haus kommen hören oder gesehen“, sagte Nil, der recht unruhig klang. Er starrte sogar nach draußen.

„Ist sie bei diesem Wetter da draußen?“, fragte Rayan entsetzt, bevor er den Kopf schüttelte. „Nein, das glaube ich nicht.“

Es war nicht gut, wenn er sich in diese Sache jetzt einmischte. Prinzessin Rosalie würde gleich mit ihm speisen. Danach konnte er sich darum kümmern.

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