Adora-Kapitel 9

Langsam blinzeln kam Adora wieder zu sich. Ihr Kopf pochte noch immer unangenehm, doch die Hitze, die sie in ihrem Griff hatte, ließ nach.
Ihr Blick war direkt an die Decke gerichtet, während sie sich fragte, was geschehen war. Warum war sie nicht mehr draußen?
Langsam ließ sie ihren Blick umherwandern und bemerkte schließlich einen jungen Mann, der in ihrer Nähe saß. Er hatte es sich in einem Sessel bequem gemacht, doch seine Arme waren verschränkt, als wäre er ungeduldig. Gleichzeitig hatte er aber auch die Augen geschlossen und war wohl eingeschlafen.
Adora musterte ihn. Seine schwarzen Haare waren offen und fielen ihm unbändig über die Schulter. Allerdings trug er eine Uniform, die der von Prinz Rayan ähnelte. Generell ähnelte er in seinen Zügen den Prinzen.
Adora nahm an, dass er eine Art Bruder oder zumindest naher Verwandter war.
Langsam versuchte Adora sich aufzusetzen, stellte dabei aber fest, dass ihr Kopf einfach zu stark klopfte. Ihr Blick verschwamm, als sie sich gerade hingesetzt hatte.
Mit ihren Bewegungen schien sie den jungen Mann zu wecken, denn er bewegte sich.
Als er seine Augen öffnete, blickte er direkt zu Adora, bevor er sich erhob und streckte. „Du bist wach“, bemerkte er und gähnte. „Wie geht es dir?“, fragte der Mann, der nun zu ihr ans Bett kam.
Adora griff sich an den Kopf. „Besser“, sagte sie zögerlich. „Aber nicht gut.“ Sie wollte ehrlich sein, denn lügen brachte nichts.
„Der Arzt hat dir eigentlich nur noch wenige Tage eingeräumt. Es ist ein Wunder, dass du noch am Leben bist“, bemerkte er, während er sie skeptisch musterte. Dann wandte er sich ab und ging zur Tür. Er öffnete sie und sprach draußen mit jemanden. Wies denjenigen an, Essen zu holen und Prinz Rayan Bescheid zu geben.
„Danke, dass Ihr Euch um mich gekümmert habt“, sagte Adora, die es sehr nett fand. Sie hätte nicht erwartet, dass jemand so Wichtiges wie er, hier auf sie aufpassen würde.
„Mein Bruder hat einen Narren an dir gefressen“, behauptete der Schwarzhaarige, bevor er sich durch die Haare fuhr. „Ich bin übrigens Aaron. Der jüngere Bruder des Prinzen.“
„Euer Bruder hat mir den Namen Adora gegeben“, antwortete sie mit einem leichten Lächeln.
Aaron wirkte überrascht, während er zu ihr kam und sich an ihr Bett setzte. „Er hat ihn Euch gegeben? Ihr wisst Euren eigenen Namen nicht?“, fragte er ungläubig.
Adora lächelte schief. „Leider nicht, nein.“
Er runzelte die Stirn und wollte gerade etwas sagen, als ein Dienstmädchen die Tür öffnete und Essen brachte. Gefolgt wurde sie von Rayan. Er wirkte müde, was wohl daran lag, dass er gearbeitet hatte. Zumindest gab seine Kleidung, die zwar edel, aber nicht prunkvoll war, einen Hinweis darauf.
Nachdem die Dienerin das Essen an Adoras Bett auf einen Nachttisch abgestellt hatte, bedeutete Rayan seinem Bruder, dass er sie allein lassen sollte.
Dieser grummelte, verabschiedete sich von Adora und ging.
Rayan hingegen setzte sich an Adoras Bett und nahm das Tablett, als wolle er sie füttern.
„Wie geht es Euch?“, fragte er, wobei er müde, aber auch besorgt, klang.
„Besser, aber noch nicht wieder gut“, gestand Adora, die beobachtete, wie Rayan ein Stück Fleisch nahm, das er ihr hinhielt.
„Ihr müsst Essen, um wieder zu Kräften zu kommen. Ihr habt mehr als drei Tage geschlafen.“ Sein Stimme war ruhig und rau.
„Drei Tage?“, fragte Adora überrascht. Das war wirklich lange, doch sie fühlte sich nicht so ausgeruht, wie es wohl hätte sein sollen. War es überhaupt normal, so lange zu schlafen?
Sie nahm mit den Fingern das Stück Fleisch, um es sich zwischen die Lippen zu führen. Irgendwie ließ es sie schaudern, wenn sie daran dachte, dass dieses Tier einmal gelebt hatte, doch nun war es bereits tot und konnte auch verwertet werden. Dennoch ehrte sie das Leben, das hier beendet wurde. Würde sie sich jemals damit anfreunden können?
Das Fleisch war gut gewürzt und schmeckte faszinierend gut. Damit hatte sie definitiv nicht gerechnet.
Adora genoss es, kaute aber langsam. Sie wusste nicht, wie ihr Körper darauf reagierte.
Sie hatte zwar bei Cara schon etwas gegessen, doch es fühlte sich nicht so vertraut an, wie es sein sollte.
Rayan musterte sie neugierig. „Ja. Meine Ärzte sagten mir, Ihr würdet wohl nicht wieder erwachen.“
Adora leckte ihren Finger ab, während sie nachdenklich zum Fenster starrte. Ob das angemessen war oder nicht, interessierte sie nicht sonderlich. „Wurde ich angegriffen?“, fragte sie zögerlich, denn sie wusste nicht, was vorgefallen war.
„Das hätte ich gern von Euch erfahren“, meinte Rayan, der irgendwie enttäuscht klang. Scheinbar hatte er gehofft, dass sie ihm sagen konnte, was geschehen war.
Adora starrte wieder zum Fenster hinaus und versuchte krampfhaft sich an irgendwas zu erinnern, schüttelte aber dann schließlich den Kopf. Auch, weil das Pochen in ihrer Schläfe zunahm. „Leider erinnere ich mich an nichts, was passiert ist. Ich weiß nur noch, dass ich im Regen stand, weil er sich so gut auf meiner Haut angefühlt hat“, erzählte sie zögerlich. Sie wusste nicht einmal, ob das überhaupt stimmte. Vielleicht war es auch nur ein Traum gewesen.
Rayan fuhr ihr plötzlich mit der Hand über ihr Gesicht und strich ihr so die Haare weg, bevor er seine Hand an ihre Stirn legte. „Gut, Euer Fieber scheint weg“, wechselte er das Thema, bevor er sie direkt ansah. „Da Ihr scheinbar nichts mit Euch anzufangen wisst, möchte ich, dass Ihr einer meiner Hofdamen werdet“, sagte er unvermittelt, was Adora überraschte.
Tat er das, weil er dachte, sie wäre aus Langeweile hinaus gegangen? Vielleicht war sie das wirklich, doch Adora konnte es nicht mehr genau sagen. Was hatte sie dort draußen gewollt?
„Eure Hofdame?“, fragte sie irritiert. „Was macht eine solche Hofdame?“, wollte sie wissen. Der Begriff sagte ihr zwar etwas, doch sie verstand nicht ganz, was er von ihr erwartete.
„Im Grunde mich begleiten“, meinte Rayan schulterzuckend. „Du begleitest mich bei meiner Arbeit und sorgst dafür, dass alle Diener das tun, was sie sollen, ohne mich zu stören.“
„Ich weiß nicht, ob ich das kann“, gestand Adora unschlüssig. Immerhin wusste sie nicht, was er sich wünschte oder wie es normalerweise gehandhabt wurde.
Rayan winkte ab, als wäre das nur ein kleines Problem. „Du wirst mich mit meiner aktuellen Hofdame begleiten. Sie wird dir alles zeigen“, versicherte er beruhigend.
Adora zögerte noch immer, doch da seine Nähe ihr irgendwie gefiel, nickte sie zustimmend. Zu verlieren hatte sie nichts und vielleicht fand sie so auch eine Aufgabe, die ihr etwas gab. Sie wusste zwar noch nicht was, doch ihr war, als würde sie nach etwas suchen.
„Wie Ihr wünscht, Eure Hoheit“, sagte sie schließlich, da es das Protokoll so verlangte. Woher sie das wusste, konnte sie nicht sagen, aber es war ein Gefühl.
„Gut. Dann erholt Euch. Ich schicke meine Hofdame zu Euch, die Euch schon einmal ein paar Dinge erklären wird.“
Adora nahm noch ein Stückchen Fleisch vom Teller und kaute nachdenklich darauf herum. „Warum gerade ich?“, fragte sie vorsichtig. Sie ging davon aus, dass der Prinz genug Frauen hatte, die dafür in Frage kamen. Da sie sehr viel bei ihm sein würde, war das sicher auch eine große Ehre und viele würden sich das wohl wünschen. Adora wusste jedoch nicht so genau, was sie davon halten sollte. Ihr ging das ein wenig zu schnell, da sie den Prinzen noch gar nicht kannte und er sie auch nicht. Warum vertraute er ihr so sehr, dass er ihr diese Aufgabe gab?
Rayan zuckte die Schultern, als wüsste er die Antwort auch nicht. „Weil mir danach ist“, antwortete er lediglich.
Adora blickte kurz zu ihm, konnte aber nicht sagen, ob da noch mehr dahintersteckte. Vielleicht war ihm wirklich gerade einfach danach. Er als Prinz konnte sich das wohl leisten.
Wenn es gelogen wäre, hätte sie das sicherlich gefühlt. Irgendwie hatte sie ein Gespür dafür.
Vertraute er ihr so sehr oder wollte er sie so einfach im Auge behalten? Vielleicht wollte er sie auch einfach nur beschäftigen. Hatte er keine Angst, dass sie ihn überfiel?
Rayan erhob sich und seufzte leise. „Esst bitte ordentlich. Ich muss mich jetzt um die Hochzeitsvorbereitungen kümmern“, sagte er und fuhr sich irgendwie frustriert durch die Haare.
Warum wirkte er so angespannt und traurig, wenn er von einer Hochzeit sprach? Sollte das nicht ein freudiger Moment sein? Zumindest stellte Adora sich das so vor.
Sie hielt in ihrer Bewegung inne, da sie eigentlich wieder Richtung Fenster hatte sehen wollen, während sie aß. „Ihr werdet heiraten?“, fragte sie überrascht, denn davon hatte sie bisher nichts gehört.
„Ja, Prinzessin Rosalia De Luca“, stimmte er zu, wobei er nicht ganz so begeistert, aber auch nicht so abgeneigt klang, wie Adora es erwartet hatte. Seine ersten Worte hatten eher darauf hingedeutet, dass er gar nicht heiraten wollte. Lag es an der Hochzeit oder an der Frau, mit der er sich vermählte? Die Heirat war mit Sicherheit politisch.
Adora schenkte ihm ein Lächeln, um ihn aufzumuntern. „Das freut mich für Euch. Eine Frau kann eine große Stütze sein. Ihr braucht jede Unterstützung, die Ihr bekommen könnt.“ Sie versuchte es positiv zu sehen, damit er vielleicht neuen Mut schöpfte und nicht mehr ganz so erschöpft bei der Vorstellung einer Heirat war. Irgendwie war es ihr wichtig, ihn aufzumuntern.
Adora wusste nicht genau warum, doch der Prinz wirkte erschöpft und ausgelaugt. Als hätte er in den letzten Tagen viel gearbeitet. Das gefiel ihr nicht sonderlich, doch sie konnte nicht sagen, warum. Bisher waren das die einzigen Gefühle, die sie so wirklich zuordnen konnte.
Rayan lachte rau. „Oder sie macht mir noch mehr Arbeit. Das werden wir sehen. Es ist eine rein politische Hochzeit.“ Er betonte es sehr deutlich und Adora fragte sich, warum.
Sie war nicht davon ausgegangen, dass ein Prinz aufgrund von Liebe heiraten würde. Das war nicht einmal in den unteren Schichten üblich. Warum also betonte er es so? Damit sie wusste, dass er keine Gefühle für die Prinzessin hatte? Aber warum sollte ihn das interessieren?
„Wir sehen uns, sobald Ihr wieder kräftig genug seid“, entschied Rayan, bevor er den Raum verließ.
Adora blieb nachdenklich zurück, kaute auf dem Fleisch herum und blickte zum Fenster hinaus.






























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