Adora-Prolog

Da war ein Geräusch. Ein sanftes, fast zärtliches Rauschen.

Licht flackerte und drang durch ihre geschlossenen Lider. Das Zwitschern eines Vogels vermischte sich mit dem Wind zu einer lieblichen Melodie.

Der Duft von Gras drang an ihr Bewusstsein, doch sie regte sich nicht.

Ihr dünner, perlmuttfarbener Arm lag im Gras und ließ sich von den einzelnen Halmen, die im Wind tanzten, streicheln, während die Sonne ihn wirken ließ, als wäre er aus Porzellan.

Ein leises, zufriedenes Seufzen verließ ihre Kehle, denn die Sonne, die immer wieder durch das Blätterdach auf ihr Gesicht fiel, fühlte sich gut an.

Langsam, fast zögerlich schlug sie die Augen auf und blickte auf ein Farbenspiel aus Grün, Braun, Gelb und Rot. Wie wunderschön die Blätter aussahen, die vom Wind bewegt wurden.

Ein stärkerer Luftzug ließ sie rascheln und plötzlich drang Kälte in ihren Körper. Dieser reagierte und Gänsehaut breitete sich aus. Es veranlasste sie dazu, sich zu bewegen.

Langsam hob sie ihren Arm in die Höhe, als würde sie mit den Fingern durch die Farben des Blätterwerks fahren wollen. Als ihr dies nicht gelang, hielt sie ihn, um ihre Augen ein wenig von der Sonne, die nur ab und zu durch die Blätter fiel, zu schützen.

Lange Zeit lag sie da und lauschte auf die Melodie der Natur. Ließ sich vom Duft und der friedlichen Stimmung ganz einnehmen.

Obwohl es Anfang Herbst sein musste, war ihr nicht kalt. Nicht im Moment, obwohl dieser Wind, der sie geweckt hatte, noch immer ein wenig nachklang. Jetzt jedoch schien sie sich daran gewöhnt zu haben.

Was vielleicht daran lag, dass sich ihr Körper irgendwie seltsam anfühlte. Als wäre noch gar nicht alles richtig erwacht und teilweise taub. Ihr Kopf fühlte sich ähnlich an. Es waren nur wenige Brocken, die ihr in den Sinn kamen. Ihre Gedanken kreisten um die Tiere, den Wald und die Ruhe in dieser Gegend.

Dann wurde ihr Geist von einer Frage heimgesucht, die sie nicht beantworten konnte.

Wer war sie?

Die Tatsache, dass sie keine Antwort darauf hatte, sollte Angst bei ihr auslösen, doch es war fast so, als würde sie nichts anderes spüren können als das Leben ihrer Umgebung.

Sie selbst fühlte nichts. Als wäre sie da, aber nicht wirklich anwesend.



Langsam drehte sie ihren Kopf und musterte nun die Bäume, zwischen denen sie lag.

Ihr Körper lag auf einem kleinen Grasstück, das von dichten Brombeersträuchern umgeben war. Hinter diesen bauten sich dicke, alte Bäume auf, die kräftig und voller Leben ihre Äste zu allen Seiten streckten. Obwohl die Blätter bereits in allerlei Farben getaucht waren, sahen sie nicht aus, als würden sie jeden Moment fallen.

Dann war da nach der Duft von Blumen.

Als sie ihren Kopf weiterbewegte, erkannte sie, dass um sie herum Blumen wuchsen, als würden sie den ersten Anzeichen der kalten Jahreszeit trotzen. Sie standen in voller Blüte und neigten sich ab und an im Wind.

Sie betrachtete das Farbenspiel der einzelnen Blüten. Es erfüllte sie mit einer gewissen Ruhe und Zufriedenheit.

Langsam, um die stille Zärtlichkeit der Natur nicht zu stören, drehte sie sich, um mit einer Hand sanft und liebevoll über die Blüte einer Blume streifen zu können.

Diese Berührung hinterließ ein leichtes, sehr angenehmes Kribbeln auf ihrem Finger und schien den Duft der Pflanze nur noch zu intensivieren.

Ein warmherziges Lächeln legte sich auf ihre blutroten, sinnlichen Lippen, während sie sich dem Gefühl der Verbundenheit zur Natur hingab. Sie war glücklich, fühlte sich wohl und sah keinen Grund, aufzustehen.

Warum etwas zerstören, das ihr diese innere Ruhe gab?

Obwohl sie sich an nichts zu erinnern glaubte, hatte sie doch kein schlechtes Gefühl. Es war, als wäre alles um sie herum unwichtig und es zählte nur der Moment.

Sie genoss ihn und nahm jede Sekunde in sich auf.

So beobachtete sie eine kleine Biene, die gezielt auf einer großen, roten Blume landete, um dort den Nektar für ihr Volk zu sammeln. Sie schien die junge Frau nicht wahrzunehmen oder sich stören zu lassen. Sie ging ihrer Arbeit nach, als wäre das Wesen, was da zwischen den Blumen lag, Teil der Natur selbst.

Die Sonne sank langsam und es wurde zunehmend dunkler, als ein Geräusch die Melodie der Natur störte. Etwas knackste und schlagartig wurden die Tiere still.

Die Frau zuckte zusammen, regte sich aber nicht, sondern lauschte. Was war das? Es gehörte nicht hierher. War nicht normal. Die Tiere zogen sich zurück, als würden sie sich vor einem Eindringling in Sicherheit bringen wollen.



Das gefiel ihr nicht und doch rührte sie sich nicht. Wenn sie still blieb, würde es vielleicht vergehen. Würde die Disharmonie, die es auslöste, wieder mit sich nehmen.

Still und reglos lag sie da, starrte auf die Blume, die sich nicht verstecken konnte, und wartete.

Das Geräusch kam näher und wurde lauter. Es löste in ihr keine Bilder aus und doch wusste sie, dass es sich um ein Pferd handeln musste. Wie so ein Tier aussah, konnte sie nicht sagen, doch sie wusste einfach, was es war und würde es auch benennen können, sollte sie es sehen. So wie sie Blumen, Bäume und auch Bienen mit Namen nennen konnte, obwohl sie vorher kein Bild von ihnen im Kopf gehabt hatte.

Dann, als das Geräusch so laut war, dass sie glaubte, es wäre hinter ihr, wurde es langsamer und leiser. Das Getrampel der Pferde verstummte. Ein Knarzen und Knarren ertönte. Leise und kaum wahrzunehmen.

Dann ein plumpes Geräusch, als jemand im Gras landete.

„Was für eine Verschwendung. So ein junges Leben“, hörte sie die Stimme eines älteren Mannes, während der Wind ihr durch die Haare fuhr.

Ein Schatten legte sich über sie, der ihr noch die letzten warmen Strahlen der Sonne raubte. Dann spürte sie warme Hände auf ihrer Schulter, bevor jemand sie auf den Rücken drehte.

Das Gesicht, das sie erblickte, war wettergegerbt und mit Falten durchzogen. Dennoch sahen ihr aufgeweckte, blaue Augen entgegen.

Ein überraschter Ausruf verließ die leicht spröden Lippen des Mannes, bevor sich Lachfältchen an seinen Wangen bildeten. „Du lebst, was für ein Glück“, sagte er erleichtert. „Ich dachte schon, ich würde eine Tote melden müssen.“

Er ließ von ihr ab, behielt sie aber im Blick.

Die Frau erwiderte diesen, doch sie regte sich nicht. Er würde gehen, wenn sie still blieb. Dann würde sie sich wieder der Natur zuwenden können. So hoffte sie.

Der ältere Mann, der eine Montur aus Leder trug, die wohl dazu gedacht war, ihm beim Reiten Schutz zu bieten, musterte sie skeptisch. Er wirkte für einen einfachen Reiter jedoch viel zu edel, was wohl an dem Mantel aus dunkelblauem Stoff lag. „Was machst du überhaupt hier? So nackt und allein?“, fragte er, während er sich den Mantel auszog. Er hielt ihn jedoch noch immer im Arm. „Sag mir nicht, du bist überfallen wurden“, gab er wieder besorgt von sich.



Langsam beugte er sich vor, um ihr den Mantel umzulegen. Damit störte er die Luft, die so nicht mehr an ihre Haut dringen konnte. Etwas, was ihr nicht gefiel und gleichzeitig löste der Geruch des Mantels, der den Geruch der Tiere, auf den der Mann ritt, verbreitete, ein sehr vertrautes Gefühl aus.

„Vielleicht bist du doch verletzter, als ich beurteilen kann“, stellte er schließlich fest und fuhr sich durch sein bereits ergrautes, halblanges Haar, das nur notdürftig mit einem dünnen Band gehalten wurde.

Erneut beugte er sich zu ihr hinab, bevor er sie vorsichtig auf seine Arme hob, sie aber so gut festhielt, dass sie nicht fallen würde. „Du solltest zu einem Heiler“, entschied er und machte sich auf den Weg, sie zu seinem Pferd zu bringen. Wer auch immer sie war, sie wirkte nicht gesund.

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