Askan-Kapitel 4
Shao zeigte ihr das gesamte Gelände und am Ende brachte er sie in einen Raum. Er wirkte, als hätte irgendwer hektisch alles, was man zum Schlafen brauchte, hergebracht. Es gab ein kleineres Bett, dass schief im Raum stand. Dazu einen Kleiderschrank und einen kleinen Tisch.
»Hier kannst du erst einmal schlafen«, bemerkte Shao, der zufrieden aussah.
Naoki beschwerte sich nicht, denn sie hatte nicht einmal ein Bett erwartet. Wie brachten sie diese Gegenstände überhaupt hierher oder machten sie diese selbst?
»Vielen Dank«, sagte sie mit einem schiefen Lächeln.
Shao trat hinter ihr ein und schloss die Tür, was Naoki zucken ließ. Irgendwie war ihr das unangenehm. Warum tat er das?
Sie wandte sich ihm zu und sah ihn fragend an. »Wie kommt es, dass ein Mensch wie du, hier landest?«, fragte er, wobei sein Blick etwas Lauerndes hatte. Seine Augen hatten ein tiefes, intensives Grün.
»Ich … Das ist kompliziert«, sagte Naoki und senkte den Blick. »Ich würde darüber vorher gern mit Euren Oberhäuptern sprechen«, sagte sie, denn sie konnte Shaos Platz in dieser Gesellschaft nicht einordnen. Bei Seolan und Reolan wusste sie, dass sie etwas zu sagen hatten. Sie wusste immerhin nicht, dass es sich bei Shao um einen Vertrauten von Reolan handelte. Jemand, der dafür bekannt war, Informationen zu sammeln.
»Kompliziert, ja?«, fragte er nach und musterte sie eingängig, bevor er um sie herumschlich. »Wenn du mich fragst, kommst du aus gutem Hause. Vielleicht sogar aus einem adligen«, sagte er, während er jeden Zentimeter der Frau betrachtete. »Deine Kleidung sind zerfetzt und weisen daraufhin, dass du womöglich weggerannt bist. Die Blätter in deinen Haaren sind mir unbekannt. Sie kommen also nicht aus Askan. Daher gehe ich davon aus, dass du von weiter her kommst. Richtig?«, fragte er und schmunzelte, während er auf Naokis Reaktion wartete.
Diese wurde blass, bevor sie ihn verwirrt ansah. »Das kannst du alles anhand dieser Dinge sagen?«, fragte sie überrascht. Sie fühlte sich dumm und unbedeutend, weil sie gehofft hatte, dass man sie nicht so leicht durchschaute. Aber scheinbar war sie ein offenes Buch.
»Natürlich. Ich bin ein Meister darin Informationen zu sammeln und auszuwerten«, verkündete Shao stolz.
»Wirklich?«, fragte Naoki, die hoffte, das Thema vielleicht wechseln zu können. »Ich bin gar nicht gut darin. Würdest du mir vielleicht erklären, wo genau wir hier sind und wie das hier läuft?«, fragte sie, denn jetzt, wo sie darüber nachdachte, fiel ihr auf, dass er kaum wichtige Informationen preisgegeben hatte. Lediglich Dinge, die man selbst herausfinden konnte, wenn man sich etwas auf dem Gelände bewegte.
Shao lachte. »Das wirst du mit Reolan oder Seolan klären müssen«, sagte er gleich, weil er sie durchschaut hatte.
Naoki ließ etwas die Schultern hängen. »Dann beantworte mir wenigstens die Frage, ob hier alle Drachen sind«, bat sie, denn sie war sich damit unsicher.
»Sind es«, sagte er, als wäre das kein Geheimnis.
Naoki seufzte leise. »Gibt es hier nur Männer?«, fragte sie weiter, da er gerade antwortete.
»Ja«, erwiderte er kurz angebunden.
Naoki runzelte die Stirn. Wo waren denn die Frauen? »Lebt ihr immer hier? Oder ist das eine Art … Übungslager?«, wollte sie wissen, doch als sie zu Shao blickte, schwieg dieser. Dazu würde er keine Antworten geben.
Das ließ Naoki leise seufzen. »Danke, für deine Antworten«, murmelte sie und sah sich etwas um. »Gibt es eine Möglichkeit … mich zu waschen?«, fragte sie zögerlich. Dass sie sich umziehen könnte, glaubte sie nicht, doch zumindest wollte sie versuchen, ihre Kleidung und ihren Körper zu waschen.
»Man versucht gerade Kleidung zu finden, die dir passen könnte«, antwortete Shao mit ruhiger Stimme. Er war plötzlich so ganz anders als noch vor wenigen Minuten. Vorher war er aufgedreht, freundlich und für Naoki etwas überfordernd gewesen. Jetzt hingegen war er ruhig, hatte einen analysierenden Blick und stand da wie ein Kammerdiener.
Naoki fühlte sich unter seinen Blicken immer unwohler und trat an das Fenster heran. Dadurch hatte sie einen guten Blick hinaus in den Innenhof. Dort entdeckte sie einen kleineren Drachen, der verletzt am Boden lag. Um ihn herum Männer, die sehr viel Abstand hielten und angeregt miteinander diskutierten.
»Was ist da los?«, fragte Naoki, die nicht glauben konnte, dass niemand diesen Drachen heilen wollte.
Shao, der versucht hatte, sie in diesem Zimmer zu halten, bis das Problem gelöst war, versteifte sich. »Eine unserer Wachen. Er ist zurückgekommen, obwohl er wusste, dass er damit eine Gefahr für uns ist«, sagte er geheimnisvoll.
Naoki verstand kein Wort, da sie nicht wusste, was hier los war. Dennoch drehte sie sich zu Shao. »Warum hilft ihm keiner? Er ist verletzt«, sagte sie entsetzt.
Shaos Gesichtsausdruck blieb ruhig. »Weil seine Verletzung ansteckend ist. Wir warten auf Seolan oder Reolan, dann wird er getötet«, sagte er ungerührt. »Indem er hier gelandet ist, bringt er uns alle in Gefahr. Das ist nicht zu verzeihen.«
Naoki spürte, wie ihr bei Shaos Worten kalt wurde. »Ihr wollt ihn töten?«, fragte sie atemlos und trat auf Shao zu. »Bitte lass mich versuchen, ihn zu heilen«, bat sie eindringlich.
Shao schnaubte. »Ich sagte bereits, dass seine Verletzung ansteckend ist. Du wirst dich nur anstecken, wenn du ihn berührst.«
»Ich muss ihn nicht berühren«, sagte sie schnell, weil sie nicht aufgeben wollte. Nicht, solange jemand verletzt war.
In ihrer Heimat war ihre Gabe nicht gerade geschätzt, doch das interessierte sie im Moment nicht. Sie wollte einfach nur helfen.
»Das ist egal«, sagte Shao angespannt.
Naoki schüttelte den Kopf. »Bitte, lass es mich versuchen. Wenn ich mich infiziere, könnt ihr …« Sie brach ab, denn die Worte wollten nicht aus ihrem Mund.
»Dich ebenfalls töten?«, erklang eine belustigte Stimme und Naoki fuhr herum. Sie hatte überhaupt nicht bemerkt, dass die Tür aufgegangen war. Dort stand Seolan im Rahmen gelehnt und starrte sie an. Er hatte die Zeit genutzt, sich anzukleiden, da ihm durchaus klar war, dass es gegenüber einer Frau unangebracht war, nackt durch die Festung zu laufen.
»Ich …«, stammelte Naoki unschlüssig. »Ich möchte nur helfen.« Der Drang dazu war überraschend groß. Sie kannte das nur von Drachen. Wenn diese verletzt waren, nutzte sie ihre Kräfte ohne Probleme. Ging es jedoch um Magier, kam sie ins Zögern.
Seolan musterte Naoki noch einmal eingängig. »Gut, versuch es. Aber wenn du dich ansteckst, werde ich dich ohne zweiten Gedanken grillen«, sagte er, als wäre nichts dabei. Er wollte jedoch damit nur ihre Intentionen testen. Immerhin konnte sie auch nur große Reden schwingen.
Naoki ballte die Hand zur Faust. »Ja. Verstanden. Ich möchte es trotzdem versuchen.«
Seolan konnte nicht verhindern, dass man ihm seine Überraschung ansah. Er hatte angenommen, sie würde es doch nicht tun wollen, wenn ihr Tod in Aussicht stand, aber da hatte er sie wohl unterschätzt. Nur wusste er nicht, was er nun machen sollte. Eigentlich war es zu gefährlich, doch er hatte es vorgeschlagen.
»Gut, dann komm«, sagte er, wobei er sich umwandte und darauf wartete, dass sie folgte. Eigentlich hatte er vorgehabt, langsam zu laufen, doch Naoki rannte fast hinaus und er musste sich beeilen, ihr zu folgen.
Ungeniert drängte sie sich durch die Menge an Männern. Diese waren so überrascht, dass keiner auf den Gedanken kam, sie aufzuhalten.
Zwei Armlängen vor dem verletzten Drachen blieb sie stehen. Seolan traute sich nicht einmal so nah an ihn heran.
Naoki musterte das verletzte Wesen. Er hatte nicht nur eine einfache Fleischwunde. Diese war an den Rändern schwarz und diese Schwärze breitete sich langsam, aber sichtbar, über seinen ganzen Körper aus.
Naoki atmete tief durch, bevor sie die Augen schloss und sich nur auf den verletzten Drachen konzentrierte. Sie streckte ihre Hände in seine Richtung, während unter ihr der Boden begann leicht zu glühen. Einige Steinchen erhoben sich in die Luft, während sich Magie sammelte.
»Oh Mutter Erde«, flüsterte sie leise, was das Glühen intensivierte. »Schenk mir deine Kraft. Leg dein Leben in meine Hände, auf dass die Welt erstrahlt.« Um sie herum sammelte sich die Magie zu sanften, kleinen Lichtpunkten, was sie wirken ließ, als wäre sie von Glühwürmchen umgeben, die langsam in die Richtung ihrer Hände flossen. »Sanftes, reines Licht der Sterne. Strahle auf uns herab und sei die Quelle meiner Macht.« Das Leuchten ging auf den Drachen über und wurde so stark, dass es ihn einhüllte.
Naoki spürte, wie die Kraft ihren Körper verließ und zu ihrem Patienten überging, doch sie kannte diese Prozedur, weshalb sie sich keine Sorgen machte. Sie selbst zog die Kraft aus dem Boden. Was hier nicht besonders leicht war, da eine dicke Steinschicht sie vom Mutterboden trennte. Stein war nicht so ergiebig wie Pflanzen.
Der Zauber würde also ihre eigene Kraft ziehen. Etwas, von der sie im Moment nicht sonderlich viel hatte, weil sie noch keine Zeit gehabt hatte, sich zu erholen. Ob sie das wohl nachholen konnte? Shao hatte gesagt, dass es hier auch Landwirtschaft gab. Dort würde sie sich umsehen, sobald sie die Heilung geschafft hatte.
Das Licht nahm ab und Naoki zog ihre Magie zurück. Sichtbar wurde ein Drache, der ruhig atmete. Die Wunde war verschwunden und auch die Schwärze war weg. Generell war nicht einmal ein Kratzer zurückgeblieben.
Zufrieden lächelnd sank Naoki erschöpft zu Boden. Sie hatte es geschafft.



























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