Askan-Kapitel 6
Naoki wachte auf, als sich ein Schatten über sie legte, weil sich Reolan zu ihr beugte. Kaum hatte sie die Augen blinzelnd aufgeschlagen, erblickte sie sein Schmunzeln und er stellte sich wieder richtig hin. »Seolan hat mir erzählt, was du getan hast«, bemerkte er, wobei sie glaubte Anerkennung in seiner Stimme zu hören. Er war zu den Sehern geflogen, um sich zu vergewissern, dass sie wirklich die Gesuchte war, dabei hätte er einfach nur abwarten müssen. Dass sie Kario wirklich geheilt hatte, war ein Wunder. Reolan hatte nicht damit gerechnet, dass es wirklich möglich war, aber Naoki hatte ihn eines Besseren belehrt. Sie war eine faszinierende Frau. So eine gab es in seinem Gebiet nicht. Generell hatte er noch nicht von Menschen gehört, die Magie in diesem Ausmaß beherrschten. In Askan lebten zwar auch vereinzelte Magier, doch deren Magie beschränkte sich auf ein einzelnes Element und ein paar Taschenspielertricks. Naoki hingegen besaß eine Magie, welche denen der Drachen ähnlich war.
Naoki streckte sich etwas und stand dann langsam auf. Sie fühlte sich ausgeruht und voller Tatendrang. »Seht es als Gegenleistung, dass ich hierbleiben darf«, sagte sie mit einem Lächeln und hoffte, dass sie mit ihren Heilfähigkeiten ihren Aufenthalt hier irgendwie finanzieren konnte. Sie wollte andere nicht ausnutzen. Erst recht nicht, wenn sie ihr Schutz boten. Obwohl Naoki nicht davon ausging, dass die Leute, die sie jagten, auf einem anderen Kontinent nach ihr suchten. Soweit sie wusste, war Askan von einem magischen Nebel umgeben, der es unmöglich machte, mit den Schiffen oder mit Drachen die Insel zu erreichen.
Reolan hob eine Augenbraue, da er geglaubt hatte, ihr wäre mittlerweile bewusst geworden, dass sie hier sowieso nicht wieder wegkommen würde. Aber da hatte er sich wohl getäuscht.
»Nun. Wenn du wirklich deinen Aufenthalt hier bezahlen willst …« und deinen Weg in die Freiheit erkaufen … »dann habe ich eine Aufgabe für dich«, sagte er mit ruhiger Stimme, während er sie genau fixierte.
Naoki strahlte, weil sie davon ausging, dass er sie brauchte, um andere zu heilen. »Ich helfe, wenn ich kann«, erwiderte sie voller Tatendrang und unwissend, dass er vorhatte, sie in ernsthafte Gefahr zu bringen.
Aufgrund der Begeisterung verzog Reolan ein wenig das Gesicht. »Ich sollte mich womöglich deutlicher ausdrücken: Die Aufgabe kann gefährlich werden«, sagte er und wartete, ob sie ihn verstand.
Naoki legte jedoch nur fragend den Kopf schief. Als Drachenreiterin hatte sie so einiges erlebt, das nicht ganz ungefährlich gewesen war. Daher kam sie damit klar. Was nicht hieß, dass sie eine Ahnung hatte, was genau er von ihr wollte.
Reolan fuhr sich durch seine Haare und seufzte leise. »Pass auf. Ich brauche dich, um … eine Seuche einzudämmen und den Verursacher zu finden.«
»Eine Seuche?«, fragte sie, statt darauf einzugehen, dass es für sie gefährlich werden könnte. Wenn sie dabei helfen konnte, Menschenleben zu retten, war sie dabei. Egal, in welche Gefahr sie sich dafür begeben musste.
Reolan rieb sich den Hinterkopf. »Ich weiß, du bist noch nicht einmal einen ganzen Tag hier, aber … wir sind uns sicher, dass du die Auserwählte bist, welche die Seher prophezeit haben«, sagte er, wobei er sich Mühe gab, die richtigen Worte zu finden.
Naoki blickte ihn ungläubig an. Mit Drachen konnte sie leben. Damit war sie aufgewachsen, aber plötzlich irgendein Kind einer Prophezeiung zu sein, klang seltsam.
»Ich bin sicher, dass Ihr Euch irrt. Ich bin sicherlich nichts Besonderes«, winkte sie überfordert lachend ab. Es reichte schon, dass sie in ihrer Heimat dafür verfolgt wurde, weil sie angeblich die Königin getötet hatte. Sie brauchte nicht auch noch ein anderes Reich, dass ihr solche schweren Lasten auf die Schultern legte.
Vielleicht war sie auch einfach nur in einer Art bizarren Traum gefangen und morgen, wenn sie aufwachte, war alles wieder normal?
Naoki hoffte so sehr, dass es ihr möglich war, ihr altes Leben zurückzubekommen, doch gleichzeitig wusste sie, dass es nicht möglich war. Sie wollte sich nur einfach der Realität und den Schmerzen in ihrem Herzen nicht stellen. Ihre neue Umgebung und die neuen Leute halfen ihr, denn so musste sie nicht nachdenken … musste nicht akzeptieren.
Reolan schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln. Die Seher hatten ihn gewarnt, dass er nicht zu vorschnell sein durfte, doch am liebsten würde er sofort mit ihr losfliegen und die Gefahr, die Askan bedrohte, auslöschen. Jedoch ermahnte er sich, dass sie ein Mensch war und damit nicht so viel Ausdauer besaß, wie ein Drache. Es fiel ihm jedoch schwer, menschlich zu denken, da er schon seit vielen Jahrhunderten hier mit seinen Artgenossen lebte und Menschen mehr etwas waren, das er aus der Ferne betrachtete.
Daher wusste er auch nicht genau, wie er mit ihr umgehen sollte. Trotzdem versuchte er es, wenn auch überfordert. »Möchtest du … etwas essen?«, fragte er, denn er dachte daran, dass sie Kraft brauchen würde. Dabei fiel ihm ein, dass er weder wusste, wie viel Menschen aßen, noch wie oft. Er als Drache brauchte eine ganze Menge an Nahrung. Sie war jedoch kleiner und zierlicher. Vielleicht brauchte sie weniger und seltener?
Überrascht über den Themenwechsel nickte Naoki. Sie hatte Hunger, doch ihr Körper war es gewohnt, längere Zeit ohne Essen auszukommen. Daher hatte sie es bisher eher ignoriert. Was aber auch daran lag, dass sie selten wirklich darauf hörte, was ihr Körper wollte. Wenn es um ihre eigene Gesundheit ging, war sie regelrecht blind.
»Gut, dann komm erstmal mit«, wies er sie an und führte sie wieder aus dem Garten heraus.
Naoki bereute es schon in dem Moment, wo sie das dichte Gestein unter ihren nackten Füßen spürte, und seufzte leise. Sie hatte es schon immer gehasst, in Gebäuden zu sein. Verglichen damit, war der Stein angenehmer, doch am liebsten hätte sie immer pure Erde unter ihren Füßen. Oder Gras.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte Reolan, der ihr Seufzen nicht einordnen konnte. Es fiel ihm generell schwer, herauszufinden, was er tun und sagen sollte. Eigentlich hatte er gehofft, dass Shao und Seolan ihm diese Arbeit abnahmen, doch dadurch, dass Naoki Kario geheilt hatte, passte Seolan nun auf diesen auf und Shao war dabei, Informationen über Naoki zu finden. »Woher kommst du eigentlich?«, wollte Reolan wissen. Seolan hatte gesagt, dass sie Vendir erwähnt hatte, doch an den weiteren Ort konnte er sich nicht erinnern.
»Aus Vendir. Genau genommen aus Teretris«, sagte Naoki, da sie keinen Grund sah, es geheim zu halten. Wenn sie wirklich in Askan waren, dann würden vermutlich die Drachen auch nicht von hier wegkommen. Der Nebel war immerhin eine Blockade.
Nur wusste Naoki nicht, dass die Drachen von dieser Seite aus, den Nebel durchaus passieren konnten. Es war nicht üblich und die meisten Drachen hüteten sich davor, doch gerade Shao war dafür bekannt, Ausflüge außerhalb des Nebels zu unternehmen, um die Drachen über alles zu informieren.
»Aus dem Königreich Iranis?«, fragte Reolan, der darüber auf dem Laufenden war, dass es einen Kampf zwischen dem Königreich Iranis und Beafir gegeben hatte.
Naoki zuckte und nickte leicht. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er Bescheid wusste.
»Ja«, stimmte Naoki kleinlaut zu.
Reolan gab diese Reaktion zu denken, doch er verwarf die Fragen, die er dazu hatte, gleich wieder. Er musste sie immerhin nicht an ihrem ersten Tag hier gleich so überfordern. Daher entschied er, dass sie es ruhiger angingen.
Er nahm sogar mit Seolan in dessen Gedanken Kontakt auf und gab ihn Anweisungen, dass Naoki für heute nichts großartiges mehr tun sollte, sofern kein akuter Notstand eintraf. In den nächsten Tagen würde er testen, was sie so alles beherrschte und sie für einen Kampf bereit machen.
Reolan hatte nicht vor, sie allein kämpfen zu lassen, doch sie war ein wichtiger Punkt im Kampf gegen die Seuche. Wie wichtig, würde sich erst noch zeigen.
Jetzt würde er sie erst einmal mit den Gepflogenheiten hier vertraut machen und dafür sorgen, dass sie es so gemütlich hatte, wie möglich.






























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