Askan-Kapitel 8

»Ist es normal, dass Frauen diese Geräusche von sich geben?«, fragte Kario, der aus seiner Quarantäne entlassen war und sich eigentlich nur bei dieser seltsamen Magierin bedanken wollte, die ihn gerettet hatte.
Allerdings hatte Seolan ihn darauf hingewiesen, dass sie schlief und ihn nicht ins Zimmer gelassen.
»Sie weint, du Trottel«, bemerkte Shao, der unter dem Fenster von Naokis Zimmer stand und Wache hielt.
»Sollte sie sich nicht ausruhen?«, fragte Kario unschlüssig. Er war einer der jüngeren Drachen und doch schon alt genug, um nicht mehr so empathisch gegenüber dem menschlichen Geschlecht zu sein.
Für Drachen besaßen Menschen die Lebensspanne einer Fliege. Sie waren so kurz und vergänglich, dass es oft schwer war, nachzuvollziehen, wieso sie so emotional waren.
»Etwas scheint sie zu quälen«, bemerkte Shao besorgt. Er hatte nicht sonderlich viel herausfinden können, da er erst nach seiner Rückkehr nach Askan erfahren hatte, wo genau sie hergekommen war.
»Was meinst du damit?«, fragte Kario, was Shao leise seufzen ließ. Dadurch, dass er die Menschen viel beobachtete und ihnen zuhörte, verstand er sie besser als die meisten anderen Drachen hier.
Reolan und Seolan, die ebenfalls recht häufig mit Menschen zu tun hatten, waren eine Ausnahme. Vielleicht waren beide deshalb so erpicht darauf, Zeit mit Naoki zu verbringen.
Shao verstand die Anziehung, die von ihr ausging. Nicht nur als interessantes Studienobjekt. Auch ihre Reize als Frau sprachen ihn an. Wenn ein Drache sich nicht direkt dazu entschied, sich unter die Menschen zu mischen, kam man hier nicht mehr in Kontakt mit dem weiblichen Geschlecht. Es gab keine Drachenfrauen mehr. Schon seit vielen Jahrhunderten. Was dazu führte, dass ihre Art langsam ausstarb.
Reolan war sich sicher, dass sie auf anderen Kontinenten vielleicht noch welche finden konnten, doch dazu mussten sie dafür sorgen, dass ihr Gebiet wieder sicher wurde.
Irgendwas stimmte mit dem Land nicht, denn jedes Drachenweibchen, das hierherkam, wurde unweigerlich krank und starb. Shao glaubte, dass es etwas mit der Seuche zu tun hatte, die um sich schlug. Sie befiel nicht nur die Menschen, sondern auch die Drachen. Zumindest, wenn diese infizierten Menschen zu nahe kamen.




Schon seit Jahrhunderten versuchten sie, diese einzudämmen und herauszufinden, wie sie diese ausrotten konnten.
Es gab noch einen letzten Schritt, den sie noch nicht gegangen waren, doch bisher sträubte sich jeder Drache davor, die Menschheit, die sie beschützen sollten, auszulöschen.
Niemand konnte genau sagen, ob dieses Massaker die Seuche auch wirklich bekämpfte oder nicht.
»Keiner weiß, was sie gemacht hat, bevor sie hierhergekommen ist«, meinte Shao, der über Karios Frage die Augen verdrehte. »Sie wird eine Familie oder so haben und sie sicher vermissen.« Es war eine Vermutung, die Shao damit aufstellte, doch in seinen Augen das Wahrscheinlichste. Obwohl er nicht verstand, warum sie nicht gefragt hatte, ob man sie irgendwohin bringen konnte. Das wäre, zumindest in seinen Augen, eine nachvollziehbare Reaktion gewesen. Stattdessen hatte sie auf ihn eher getrieben, vielleicht sogar gehetzt, gewirkt.
Shao ahnte nicht, dass Naoki ganz froh war, hier Schutz gefunden zu haben und gar nicht zurück wollte. Ihm kam es nicht einmal in den Sinn. Wenn er von seiner Familie getrennt werden würde, würde er alles daransetzen, zurückzukehren und Menschen hatten einen ähnlich starken Familiensinn wie Drachen.
»Also fühlt sie sich allein? Glaubst du, sie würde sich beruhigen, wenn wir uns zu ihr legen?«, fragte er. Immerhin hatten sie das früher immer mit den Kindern gemacht. Wenn diese in der Nacht das Angst bekommen hatten, war es ihnen erlaubt gewesen, sich an einen Erwachsenen zu kuscheln.
Shao schnaubte leise. »Sie ist eine Frau. Sie wird nicht wollen, dass du dich zu ihr legst«, bemerkte er frustriert über das Unverständnis seines Artgenossen. Wobei er es Kario auch nicht übelnehmen konnte. Dieser hatte seine eigene Mutter bei der Geburt verloren und war noch zu jung gewesen, um sich an andere Frauen zu erinnern. Daher hatte Kario kein richtiges Bewusstsein, was Geschlechter betraf. Für ihn war nichts dabei, sich zu einer Frau zu legen.
»Wieso das denn? Wenn man traurig ist, sollte man nicht alleine sein«, behauptete Kario von sich überzeugt.
Wenn Shao nicht aufpasste, würde er versuchen, sich in ihr Zimmer zu schleichen. Seine Drachengestalt war sehr klein. Gerade so groß wie die einer Katze. Das gab ihm einige Vorteile. So kam er leichter an schwierige Orte und galt daher als jemand, der überall einbrechen konnte, ohne bemerkt zu werden.




Shao seufzte frustriert. »Gut. Versuch es. Sag aber nicht, ich hätte dich nicht gewarnt«, brummte er schließlich und gab es ajf. Kario von irgendwas abzuhalten, war sowieso vergeben.
»Das heißt, ich darf zu ihr?«, fragte er aufgeregt nach. Am liebsten wäre er sofort los, doch er wollte Shaos Erlaubnis abwarten. Dieser war für ihn ein Vorbild und auch, wenn ihr Verhältnis brüderlich war, sah Kario zu Shao auf.
»Mach doch, was du willst«, brummte er. »Aber ich habe dich gewarnt.« Shao wusste, dass Frauen sehr impulsiv sein konnten. Es würde ihn nicht wundern, wenn sie ihn anschrie oder sogar schlug, wenn Kario ihr zu nahe kam.
Dieser gab nur einen erfreuten Laut von sich, bevor er sich im Rumdrehen in einen kleinen, schwarzen Drachen verwandelte, der flink die Wand hinaufkletterte und durch das leicht geöffnete Fenster schlüpfte.
Shao sah ihm hinterher und seufzte. Wenn das gutging.

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