Luana – Kapitel 2


Luana sprang über einen umgekippten Baum, landete sanft auf ihren Pfoten und betrat dann den Bereich, in dem ihr Rudel lebte.
Es war keine Höhle, sondern mittlerweile ein kleines, ansehnliches Dorf, wo die meisten Werwölfe als Menschen lebten. Gleichzeitig waren aber überall auch Wölfe, die entweder etwas zogen, anderweitig halfen oder einfach herumlagen und die Sonne genossen. Sie alle waren Werwölfe und gehörten zu ihrem Rudel. Dieses hatte sich mit der Zeit aus einer einzigen Familie gebildet und im Grunde waren sie irgendwie auch alle verwand. Wenn auch nicht sonderlich nah.
Luana trottete auf die größte Hütte in der Mitte ihres Dorfes zu. Dort residierte ihr Bruder. Die restliche Familie lebte in einer ebenfalls recht großen und geräumigen Hütte in der Nähe.
Als sie der Hütte näherkam, schob jemand die dicken Vorhänge, welche als Tür dienten, zurück und trat hinaus.
Luana wich aus, während sie ihren jüngeren Bruder betrachtete. Er wirkte wieder einmal verärgert, was seine Geste unterstrich, denn er fuhr sich nur auf dieser Art durch die kurzen, blonden Haare, wenn er wirklich sauer war. „Ich halte das immer noch für eine beschissene Idee“, knurrte er wütend, bis er Luana bemerkte. Dieser schenkte er ein aufgesetztes Lächeln. „Ich würde da jetzt nicht reingehen“, flüsterte er ihr entschuldigend zu.
Luana seufzte. Das kannte sie bereits. Wahrscheinlich gab es wieder einmal Unstimmigkeiten. Ihre Brüder Beron und Heron verstanden sich nur in den seltensten Fällen.
Für einen Moment überlegte Luana, ob sie es wirklich lassen sollte, doch es war immerhin wichtig. Daher schlüpfte sie durch den Vorhang in den Vorraum. Sofort roch sie, dass ihre anderen Brüder ebenfalls bei Beron waren.
„Tut mir leid, dein Bruder ist gerade beschäftigt“, merkte Orion an. Er war ein alter Wolf, der bereits graues Fell aufwies. Eigentlich war er immer in seiner Wolfsgestalt anzutreffen, auch jetzt. Er saß als Wächter vor dem Besprechungsraum des Rudelführers.
„Es ist wichtig“, bemerkte Luana knurrend und ließ sich vor ihm nieder. „Bitte gib ihm Bescheid, dass ich mit ihm sprechen muss“, forderte sie entschlossen. Sie würde sich nicht so einfach abwimmeln lassen.
„Ich werde dich rufen lassen, sobald er Zeit hat“, erwiderte Orion mit ruhiger Stimme. Er würde alles versuchen, um sie hier rauszubekommen.
Sie wusste auch, warum. Wenn die Schwester des Alphas hier wartete, warf das kein gutes Bild auf den Alpha.
Luana akzeptierte es und erhob sich. Sie konnte sowieso nichts anderes machen, als auf Orions Worte zu vertrauen. „Ich werde nur mit ihm darüber reden“, knurrte sie entschieden. Ihre Sachen wieder an jemanden weitergeben, der sie dann falsch ihren Bruder vermittelte, wollte sie nicht riskieren.
Sie kannte dieses Spiel bereits. Beron würde sie immer wieder vertrösten, da es sowieso nicht wichtig war. Dem musste sie sich jedoch beugen. Daher trottete sie auch aus der Hütte und ein bisschen über die Wege ihres Dorfes.
Ihr Bruder war vielleicht nicht der beste Bruder, doch ein sehr guter Alpha. Er kümmerte sich darum, dass ihr Rudel alle Vorzüge genießen konnte, die es hier gab. Dazu trieb er viel Handel und brachte auch andere Rudel dazu, Wissen mit ihm zu teilen. Daher kam auch das Wissen über den Bau solcher Häuser. Es hob ihren Lebensstandard. Genau wie die feinen Webereien, die mittlerweile in ihrem Dorf hergestellt wurden. Sie hatten wirklich gute Handwerker. Selbst das Schmieden von Waffen wurde immer besser.
Luana trottete weiter durch die Straßen, bis sie sich dem Friedhof näherte.
Dieser Ort war vielleicht das Herz des Dorfes, denn das Zentrum war der Mutterbaum. Das Wahrzeichen ihrer Kultur.
Jede Knospe, die hier erblühte, stand für ein junges Leben innerhalb ihres Rudels. Jede Blüte war ein ausgewachsener Werwolf und jede glühende Frucht eine Seele, die zurückgekehrt war.
Luana betrachtete die vielen hundert glühenden Früchte. So eine Frucht tauchte nur auf, wenn der tote Körper hier in der Nähe bestattet war. Es war wunderschön und man hatte immer das Gefühl, die Verstorbenen wären irgendwie noch da.
Langsam trat Luana an eine ganz besondere Frucht heran. Sie leuchtete in einem sehr auffälligem Rosa. Es war die Frucht der ersten Alpha ihres Rudels. Luna. Die Frau, von der sie ihren Namen geerbt hatte.
„Ich weiß nicht, was ich tun soll“, flüsterte Luana leise der Frucht zu. „Beron nimmt mich gar nicht richtig wahr. Für ihn existiere ich scheinbar gar nicht.“ Es war so schwierig. Sie liebte ihren Bruder, doch für diesen war sie immer nur ein kleines Kind. Er nahm die Strukturen in ihrem Rudel sehr ernst, denn es war schon seit Generationen so. Luana fragte sich, warum.
Als die Werwölfe damals hierhergekommen waren, hatten sie die Ketten ihrer Vergangenheit ablegen wollen und trotzdem hielten sie an diesem Konzept fest. Der stärkste Wolf im Rudel war der Alpha und Anführer. Ihm widersprach man nicht und jeder Wolf, der sich ihnen anschließen wollte, musste von ihm akzeptiert werden.
Luana trat von dem Baum zurück und blickte hinauf zu ihrem Mond, der langsam weniger sichtbar wurde, da es hell um sie herum wurde. Der Planet Yama, der hier als Mond zu sehen war, war wunderschön. Wie die Wesen dort wohl lebten? Auch in Rudeln? Gab es dort überhaupt noch Werwölfe?
Ob Ragnar das wusste? Kam er vielleicht sogar von Yama?
Luana versuchte sich daran zu erinnern, was sie über ihre Vergangenheit wusste. Damals lebten die Werwölfe zusammen mit den Lycanern unter der Herrschaft der Vampire. Irgendwann waren Werwölfe und Lycaner geflohen und auf den Planeten Lucia ausgewandert.
Sie ließ ihren Blick über den Himmel wandern, doch sie konnte Lucia einfach nicht erkennen. Vielleicht, wenn es dunkler war, doch Lucia strahlte nicht so stark wie Yama, was sehr schade war.
Luana seufzte. Das Leben in Lucia war angeblich für die Werwölfe auch nicht so angenehm gewesen, weshalb sie durch Hilfe zu diesem Planeten hier gekommen waren. Drei Familien, die als Grundgerüst für die heutigen Rudel galten. Nur leider waren es mittlerweile viel mehr Familien. Mit der Zeit waren weitere Werwölfe gekommen und irgendwann auch Vampire. Daraufhin hatte man die Portale zu den anderen Welten zerstört, um das zu verhindern. Vampire waren hier nicht willkommen und wurden, sobald sie doch irgendwie hier landeten, vernichtet.
Luana seufzte erneut. Sie interessierte sich sehr für die Geschichte ihrer Rasse, hatte aber das Gefühl, dass Werwölfe einfach nicht aus den Fehlern der Vergangenheit lernten. Warum war es nicht möglich, diese ganzen Regeln neu zu definieren? Weniger streng zu handhaben?
Vielleicht war sie in diesem Punkt ein wenig eigensinnig und egoistisch, aber sie sah es nicht ein, dass sie als Schwester des Alphas mit einem Alpha aus einem anderen Rudel verheiratet werden musste. Das war doch Quatsch. Sie wollte ihren Mann selbst wählen.
Luana schüttelte leicht den Kopf. Weil sie nicht mehr damit rechnete, dass ihr Bruder sie aufsuchen oder jemanden nach ihr schicken würde, kehrte sie in ihr Elternhaus zurück, um dort ein paar Nahrungsmittel zu holen. Ragnar war sicherlich hungrig und würde ihr als Dank vielleicht von den anderen Planeten erzählen. Sie wollte wissen, wie es dort war.
Gedankenverloren sammelte sie ein bisschen Essen zusammen und packte dieses ein. Es gab vorrangig Trockenfleisch, da dieses sich am längsten hielt. Ansonsten gab es immer eine Gruppe, die frisches Fleisch besorgen sollte. Das wollte sie jedoch nicht mitnehmen. Die Vorräte waren aufgeteilt.
Ob sie irgendwo her auch neue Kleider bekommen würde, ohne dass es auffiel? Luana konnte es nicht sagen. Vielleicht sollte sie sich einfach Stoff kaufen und selbst schneidern. Es musste nichts Kompliziertes sein, doch sie wollte, dass Ragnar seinen Körper bedeckte.
Als weibliches Mitglied des Rudels lernte man im Grunde alles irgendwie und doch nichts richtig. Sie kannte sich mit der Heilung aus, konnte kochen, nähen, strichen und schneidern. Sogar weben konnte sie. Allerdings nur so weit, wie es wichtig war. Etwas richtig lernen durfte sie nie, auch wenn sie immer Heilerin werden wollte.
Sie überlegte, was sie Ragnar schneidern konnte.
Bei der Erinnerung an seinen Körper wurde Luana ein wenig rot um ihre Nase. Er war ein sehr muskulöser Mann. Zudem zeigte sein Körper eindeutige Zeichen eines geübten Kämpfers. Er hatte einige Narben und das war bei Werwölfen sehr kompliziert. Es mussten sehr schwere Verletzungen gewesen sein, die er überlebt hatte. Hatte er vielleicht sogar eine Kampfausbildung?
Auch bei ihnen gab es Kampfausbildungen, doch diese waren lediglich dazu da, um das Rudel gegen ein anderes zu verteidigen. Viele junge Wölfe wollten diese Ausbildung auch nutzen, um dem Alpha den Rang streitig zu machen. Das sorgte immer wieder für Unmut im Rudel.
Gerade jungen und starken Wölfen fiel es schwer, sich dem Alpha zu beugen. Allerdings war ihre Kultur auch so aufgebaut, dass diese nicht einfach gehen und ihr eigenes Rudel gründen konnten. Aus Angst vor dem Alpha und einem Krieg mit dem ehemaligen Rudel, traute sich niemand, ihnen zu folgen.
Langsam machte sich Luana mit ihrem Gepäck auf den Rückweg in den Wald. Wenn Beron sie sehen wollte, würde jemand sie finden. Es gab immerhin nicht viele Stellen, an denen sie sein konnte. So war es hier Brauch, weshalb sie sich keine Sorgen darum machte, den Termin vielleicht zu verpassen.


































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