Luana – Kapitel 41

Luana lief über die Straßen und betrachtete die beiden Kinder, die der Höllenfürst hiergelassen hatte. Sie wirkten so unschuldig, dass Luana permanent Angst hatte, ihnen würde etwas geschehen. Was sollte sie denn mit ihnen anfangen?
Sie kamen ihr so weltfremd rüber, denn bei vielen normalen Dingen wirkten sie überrascht und neugierig, als hätten sie so etwas noch nie gesehen. Schon allein die Bäckerei von Rebecca war ein kleines Abenteuer gewesen.
Nun hielten beide ein frisches Brötchen in den Händen, das sie neugierig musterte. Sie genossen eindeutig den Geruch, schienen damit aber nicht viel anfangen zu können.
„Papa hat mir davon erzählt“, bemerkte Nadeschda nachdenklich.
„Was esst ihr denn, wenn ihr nicht einmal Brötchen kennt?“, fragte Luana verwirrt. Ob sie wie die Vampire Blut tranken?
„Unsere Rasse ernährt sich von Sternenstaub aus den Gefühlen der Seelen“, erklärte Nikidamus mit überraschend dunkler Stimme, die nicht richtig zu seinem kindlichen Aussehen passen wollte. Das war Luana schon vorher aufgefallen, doch es war immer wieder überraschend.
„Gefühle“, murmelte sie. Irgendwie konnte sie sich das gar nicht vorstellen. Höllendämonen schienen ganz anders als das, was Luana bisher kannte.
„Wie ist das mit den Engeln?“, wollte sie neugierig wissen.
„Sie sind ursprünglich auch für das Leben in der Hölle geboren. Dort gibt es nichts anderes als das, daher essen sie auch Gefühle“, erklärte Nadeschda, die kurz darauf in das Brötchen biss.
Sofort gab sie ein wohliges Seufzen von sich. „Es schmeckt so gut“, sagte sie, wobei der Schwanz mit den schwarzen Schuppen und dem gefährlich scharfen Dreiecksspitze hin und her peitschte. Wahrscheinlich, weil sie so begeistert war.
Luana fand das sehr niedlich. Generell mochte sie Kinder sehr.
Neugierig geworden kostete nun auch Nikidamus und wirkte ähnlich überrascht wie seine Schwester.
„Wie alt seid ihr?“, fragte Luana neugierig geworden.
„Ich bin 117“, lächelte Nikidamus, der seinen grauen Schwanz die ganze Zeit um seine Hüfte geschlungen hatte, wie einen Gürtel. Etwas, das sie auch oft bei Sienna bemerkte. Zumindest dann, wenn sie ihre tierischen Attribute zeigte. Was in letzter Zeit immer häufiger wurde. Als würde sie sich mehr und mehr wohlfühlen.




Fragend blickte Luana zu Nadeschda. „Ich bin erst einhundert geworden“, sagte sie zufrieden. Ob das wegen ihres Alters oder dem Brötchen war, konnte Luana jedoch nicht genau sagen.
„Ich nehme an, dass einhundert für euch noch sehr jung ist?“, fragte sie, denn von Amon und Sienna hatte sie erfahren, dass Itaris und Vampire erst ab einhundert als erwachsen gelten. Eine Zeit, in der sie begannen, sich körperlich rasant zu entwickeln, bis sie vollständig ausgewachsen waren.
Etwas, was Luana nicht kannte. Bei ihnen war man mit etwa fünfundzwanzig voll ausgewachsen.
Werwölfe wurden zwar such mehrere Jahrhunderte als, doch Luana konnte sich trotzdem nicht vorstellen, wie es war, so lange jung zu bleiben. Ob die Kindheit in der Hölle schön war? Beide wirkte auf sie sehr unbedarft, wenn auch recht schlau.
„Bei uns in der Hölle gibt es vieles nicht, was hier scheinbar normal ist“, bemerkte Nadeschda, die stehengeblieben war, um eine Blume zu betrachten.
„Wie sieht es denn bei euch aus?“, wollte Luana wissen.
Daraufhin begann Nadeschda von ihrem Zuhause zu erzählen. Von einer endlosen Wüste aus rotem Sand, die ständig im Zwielicht lag. Eine rote Sonne und ein roter Himmel waren alles, was für Licht sorgte.
Es klang trostlos und eintönig.
Beide Kinder schien das aber nicht zu stören, weil sie es so gewohnt waren. Zudem hatte Nikidamus gleich zu Anfang gesagt, dass es ihm hier zu hell war.
Gemeinsam mit den Kindern schlenderte sie weiter durch die Stadt.
Amon war gleich nach ihrem Auftauchen verschwunden, denn er wollte den Freund aufsuchen, dem er vertraute.
Sienna war gar nicht erfreut gewesen, doch sie hatte ihn nicht aufgehalten. Stattdessen hatte sie versichert, dass sie ihn in zwei Tagen abholen würde. Mit Ragnar als Leibwache.
Am liebsten wäre Luana ebenfalls mitgegangen, doch sie musste auf die beiden Kinder aufpassen.
Daher hoffte sie sehr, dass alles gut ging.
Zwei Tage war sehr kurz gefasst. Allerdings war dies der Zeitpunkt, an dem sie losgehen würde.
Ragnar als Wolf konnte mit einem passenden Zauber sehr leicht über den Schnee laufen. Das war etwas, was mittlerweile alle Werwölfe, die Magie besaßen, beherrschten.
Es hatte sich generell viel getan. Mittlerweile waren selbst die, die als Sklaven aufgewachsen waren, ein bisschen selbstständiger geworden. Amon musste ihnen zwar noch immer viel sagen, dich die Eigeninitiative wuchs. So sehr, dass bereits gefragt wurde, welche Art von Herrschaftsstruktur angebracht war. Eigentlich fand Luana das bisherige System ganz gut, doch auf Dauer würde es wohl nichts werden. Zudem hatte sich rings um Sienna ein eigenartiger Kult gebildet. Sie wurde auf eine Art und Weise verehrt, die Luana so noch nie gesehen hatte. Überall wo sie war, hielten die Bewohner inne, um sie zu grüßen, sie nach ihrem Befinden zu fragen oder ihr etwas anzubieten. Als wäre sie eine Art Gott.




Vielleicht lag es an der Tatsache, dass sie diese Eiswüste fruchtbar gemacht hatte oder einfach an ihrer natürlichen Ausstrahlung. Zudem hatte sie auch immer ein offenes Ohr für alle.
Dass man sie als Oberhaupt dieses Dorfes handelte, wusste sie jedoch nicht. Oder sie wollte es nicht sehen. Das war schwer zu sagen. Luana hoffte, dass sie nicht allzu geschockt auf diese Nachricht reagieren würde. Womöglich würde sie sogar ablehnen. Luana würde es verstehen und der Rest der Bevölkerung sicher auch.
„Was ist das Weiße dort?“, fragte Nadeschda neugierig. Sie waren in der Nähe des Tores, das heute offenstand. So konnten die Kinder hinaus in den Schnee sehen.
Überrascht folgte Luana ihrem Deut. „Das ist Schnee“, sagte sie, da sie angenommen hatte, dass es in der Hölle zumindest so etwas gab. Da schien sie sich aber geirrt zu haben.
„Was ist das?“, fragte Nadeschda weiter.
Luana bot an, es ihr zu zeigen.
Gemeinsam gingen sie hinaus. Dort erkundeten die Kinder die neue Landschaft und wenig später waren sie in eine wilde Schneeballschlacht verwickelt, die immer mehr Leute anzog, bis das halbe Dorf in der Pause zusammenspielte.
Etwas, was Luanas Herz auf eine Art und Weise wärmte, wie es noch nie der Fall gewesen war. Hier fühlte sie sich geboren uns glücklich. Sie würde bis zum letzten Atemzug für dieses kleine Paradies kämpfen.

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