Mirinia-Kapitel 16

Kapitel 16

„Miri“, erklang Dylans drängende Stimme. „Komm schon, nicht schlapp machen, Miri“, sprach er auf die junge Frau im Bett ein, während er ihre Hand hielt.

Mühsam schlug Mirinia ihre Augen auf, doch zuerst sah sie nicht sonderlich viel. Ihr Blick war verschwommen und machte ihr Kopfschmerzen.

Als Dylan erneut ihren Namen sagte, stöhnte sie leise, weil seine Stimme ihre Schmerzen nur verstärkte.

Erleichtert atmete der Magier aus.

„Bei allen Göttern“, flüsterte er. „Was hast du dir nur dabei gedacht?“, fragte er und hielt ihre Hand weiterhin fest.

Mirinia ließ ihren Blick umherwandern. Sie spürte, wie schwach sie war und, dass ihr Körper sehr stark abgenommen hatten. „Wie geht es Ava?“, brachte sie mit heißerer Stimme hervor. Ihr Hals schmerzte, doch sie musste wissen, was mit Ava war.

„Sie lebt“, sagte Dylan, dessen Stimme sanft wurde. „Du hast all ihre Wunden geheilt.“

Mirinia atmete erleichtert aus, schloss die Augen und lächelte. „Das freut mich zu hören“, flüsterte sie. Ava hatte überlebt. Was für ein Glück.

„Aber dafür hast du dich ganz schön übernommen“, bemerkte er zähneknirschend. „Außerdem hast du nie ein Wort darüber verloren, dass du Magie beherrschst.“ Zuerst glaubte Mirinia, dass es ein Vorwurf war, doch sie hörte nichts dergleichen in seiner Stimme.

„Meine Magie ist schwach“, flüsterte sie. „Ich konnte nicht genügend Sternenstaub aus der Umgebung ziehen, um Ava zu helfen, also habe ich ihn aus mir selbst gezogen“, erklärte sie und hustete.

Dylan half ihr dabei, sich aufzusetzen, damit sie besser Luft bekam. „Dummes Mädchen“, tadelte er sie. „Das ist verdammt nochmal gefährlich. Du hättest dabei draufgehen können. Sie dich doch nur an.“

Mirinia blickte an sich hinab und bemerkte, dass sie in ein einfaches Leinenkleid gehüllt war. Darunter lag ein Körper, der kaum mehr als Haut und Knochen war, was vermutlich auch dafür sorgte, dass ihr jede Bewegung schwerfiel.

„Das wird wieder“, murmelte Mirinia, die sich am liebsten zu Evel und Cassian zurückziehen wollte. Auf einmal fühlte sie sich sehr verletzlich. Wäre Dylan nicht hier, hätte sie vermutlich sogar Angst.

„Was kann ich für dich tun?“, fragte er und setzte sich von seinem Stuhl zu ihr aufs Bett. Vermutlich, um sie davon abzuhalten, aufzustehen.



„Essen und Ruhe ist alles, was ich brauche“, murmelte sie erschöpft.

Dylan nickte und strich ihr die verschwitzten, rosafarbenen Haare aus dem Gesicht. „Ich werde dir Fischsuppe bringen“, bot er an. „Sean hat gesagt, er macht dir welche, sobald du wach bist.“

Mirinia nickte schwach. „Ist sonst noch jemand verletzt?“, fragte sie besorgt. Die Frage, woher sie nun Mehl bekommen sollten, war eine ganz andere. Darum konnte sie sich erst kümmern, wenn sie wieder normal agieren konnte.

„Micas ist sogar zur Königin gegangen, um dort nach einem Heiler zu fragen“, erklärte Dylan plötzlich, was bei Mirinia ein flaues Gefühl im Magen hinterließ. Ihr Mund wurde ganz trocken.

„Was hat sie gesagt?“, fragte sie, auch, wenn sie die Antwort kannte.

„Micas sagte der Magier hätte ihn nicht durchgelassen, würde sich aber um einen Heiler bemühen. Zumindest glaubt er das“, erklärte Dylan, wobei Mirinia spürte, dass er zitterte. „Er meinte, der Magier hätte gesagt, wir sollen dich hinbringen, aber …“ Dylan schüttelte den Kopf. Ihm war anzusehen, dass er die Idee nicht mochte.

Sie legte ihm beruhigend eine Hand auf die Hand. „Ich bin sicher, sie werden helfen“, sagte sie, wobei sie hoffte, dass Dylan über seinen Schatten springen und sie hinbringen würde. So wäre ihr am besten geholfen.

Dann konnte sie sich auch bei Cassian und Evel entschuldigen. Sie wusste, dass sie diesen Sorgen bereitet hatte. Trotzdem war sie auch stolz, dass Cassian dennoch weiter mitspielte.

„Also willst du, dass ich dich hinbringe?“, fragte Dylan angespannt.

Mirinia dachte einen Moment darüber nach, bevor sie nickte. „Ja. Das wird wohl das Beste sein. Dann falle ich dem Dorf nicht zur Last“, bemerkte sie mit einem entschuldigenden Lächeln.

Dylan schnaubte frustriert. „Du hast Ava gerettet. Du bist eine Heldin, keine Last“, knurrte er, bevor er sich erhob und dann den Raum verließ.

Mirinia konnte nicht anders, als ihm einfach hinterherzuschauen. Wo wollte er hin? Warum ließ er sie allein?

Obwohl sie es mit aller Kraft versuchte, war ihr Körper so schwach, dass sie kaum ein Bein aus dem Bett bekam. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit und sie atmete schwer, als es ihr endlich gelungen war, sich halbwegs so zu drehen, dass sie aufstehen könnte. Allerdings verstand sie selbst, dass ihre Beine nicht die Kraft hatten, sie zu tragen.



Für einen Moment dachte Mirinia darüber nach, ob sie Heilmagie einsetzen sollte, doch sie entschied sich dagegen. Stattdessen lehnte sie sich zur Seite an die Wand, bevor sie die Augen schloss. Sie war wirklich erschöpft.

„Dich kann man aber auch nicht allein lassen“, tadelte Dylan, der ins Zimmer kam. Ihm folgte ein angenehmer Geruch nach frischer Fischsuppe.

Überrascht schlug Mirinia ihre Augen auf und blickte zu Dylan, der mit einer Suppe in der Hand ins Zimmer kam.

Hatte er ihr diese geholt? „Das riecht wunderbar“, sagte sie dankbar, dass er ihr Essen brachte. Sie wusste, dass die Dorfbewohner nicht viel hatten und vermutlich bereits überlegten, wie sie ohne Mühle weiter machen sollten, doch man hatte dennoch etwas für sie gekocht.

Diese Geste trieb ihr die Tränen in die Augen, was Dylan scheinbar falsch verstand. Er kam besorgt auf sie zu und stellte die Suppe zur Seite. „Hast du dich verletzt?“, fragte er besorgt, bevor er ihr Gesicht in seine Hände nahm, um sie eingängig zu mustern. Er strich ihr sogar sanft die Tränen weg, die sich aus ihren Augen lösten.

Mirinia versuchte leicht den Kopf zu schütteln, doch es gelang ihr nicht wirklich. „Nein“, hauchte sie also und senkte die Lider. Warum hatte sie geglaubt, dass Dylan sie allein lassen würde? Seit dem Moment, in dem sie das Dorf betreten hatte, war er an ihrer Seite.

Dylan griff nach der Suppe. „Gut, dass du schon sitzt“, bemerkte er schmunzelnd, bevor er ihr den Löffel hinhielt, als wolle er sie füttern.

Mirinia blickte ihn überrascht an, öffnete dann aber brav ihren Mund.

Die Wärme, die sich auf ihrer Zunge ausbreitete, ließ sie leise und zufrieden seufzen. Zudem schmeckte die Suppe wirklich gut. Ihr wurde klar, dass sie ganz frisch zubereitete war. Eine Tatsache, die ihr das Herz wärmte.

„Schmeckts?“, fragte Dylan belustigt, wobei er sie die ganze Zeit beobachtete. Als wolle er sichergehen, dass sie sich auch nicht verschluckte oder ähnliches.

„Sag ihnen danke von mir. Die Suppe ist echt lecker“, bemerkte sie, bevor sie den Mund auffordernd öffnete.

Dylan gab ihr sofort einen neuen Löffel. „Du bist also eine Heilerin“, stellte er wie beiläufig fest.

Mirinia schluckte. „Und du ein Magier“, erwiderte sie, obwohl sie das schon die ganze Zeit gewusst hatte.



„Was verschlägt dich hierher?“, fragte er, wobei er ihr weiterhin Suppe reichte.

„Das ist … kompliziert“, erwiderte Mirinia ausweichend.

Dylan verdrehte die Augen. „Ist es das nicht immer?“, fragte er nüchtern, während Mirinia kaute und dann schluckte.

„Ich bin ziemlich schwach“, erklärte sie ausweichend. „Und damit passe ich nirgends wirklich rein.“

Sie hoffte, dass Dylan es verstand. Immerhin ging es ihm wohl ähnlich. Er war immerhin auch ein recht schwacher Magier. Wobei seine Leistung bei der Mühle nicht zu verachten gewesen war.

Dylan schnaubte erneut. „Schwach? Das sah mir nicht so aus. Hast du eine Ahnung wie viel Sternenstaub du bei der Heilung abgegeben hast?“, fragte er, wobei er sie ungläubig anblickte.

Mirinia schüttelte leicht den Kopf und zeigte dann auf sich. „Das hier sollte nicht passieren. Es zeigt deutlich meine Schwäche.“

„Also meiner Meinung nach zeigt es deine Stärke“, erwiderte Dylan, der ihre Ansichten wohl nicht teilte. „Kein Heiler hätte sich dazu herabgelassen für einen Imp so weit zu gehen.“

Mirinia knurrte. „Sie ist ein Mädchen, das noch am Anfang ihres Lebens steht. Ihr Leben ist einiges wert“, beharrte sie, wobei sie sich beleidigt fühlte. Immerhin war auch sie eine Heilerin und spürte den Drang zu helfen. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass andere Heiler nur zugesehen hätten. Das war für sie undenkbar. Gleichzeitig hatte sie jedoch auch ein leises Gefühl, eine Stimme, sie ihr zuflüsterte, dass Dylan vielleicht recht haben könnte. Imps standen nicht gerade hoch im Kurs bei den magischen Wesen. Dabei machten sie den Großteil der Bevölkerung aus.

Dylan hob abwehrend die Hände. „Du weißt genau, was ich meine“, sagte er, um sie zu beruhigen.

Mirinia stieß die Luft aus. „Ja“, murmelte sie, denn leider sahen die meisten magischen Wesen auf die Imps hinab. Dabei waren sie beide von den gleichen Göttern geschaffen und Königinnen herrschten nicht nur über die mit Magie. Ihre Aufgabe war es sowohl Imps als auch magische Wesen zu leiten. Auch die Natur sollten sie schützen, nur vergaßen viele von ihnen oft, was alles dazugehörte, eine Königin zu sein. „Für mich ist es selbstverständlich, auf andere zu achten, die schwächer sind als ich.“



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