Mirinia-Kapitel 24
Kapitel 24
„Ist es wirklich in Ordnung?“, fragte Kira, die Mirinia unschlüssig ansah.
Sie war zur Anführerin der geretteten Königinnen geworden und sprach nun für alle, die sich noch erholten.
„Natürlich. Ihr könnt das Herrenhaus nutzen. Ihr müsst nur aufpassen, wenn ihr ins Dorf wollt“, erklärte Mirinia, die sich darüber freute, dass die meisten von ihnen nicht viel abbekommen hatte. Zumindest nicht körperlich. Seelisch würden wohl alle Narben davontragen, weshalb Mirinia ihnen die Möglichkeit geben wollte, sich sicher zu fühlen. Und das ging am besten, wenn sie hier im Herrenhaus blieben. Zusammen. Lord Rianalis würde es sicherlich nicht wagen, sie alle anzugreifen, solange sie gesammelt mächtig waren. Darum hatte Mirinia ihnen auch angeboten, das Tunnelsystem, das sie alle sehr gut kannten, als ihren neuen Unterschlupf zu nutzen. Sie hatten hier auch ihre Räume und viele von ihnen wussten auch nicht, wohin sie sonst sollten.
Kira neigte in einer dankbaren Geste den Kopf, was bei Mirinia dafür sorgte, dass sie sich unwohl fühlte. Immerhin stand Kira höher, weil sie mächtiger war. Doch im Moment hatte sie sich Mirinia unterworfen und lebte in ihrem Gebiet. Etwas, mit dem Mirinia nicht so ganz umgehen konnte.
Die Tür öffnete sich und beide Frauen wandten den Kopf.
Es war Evel, die eintrat. Sie wirkte weder müde noch angespannt, dabei war sie die letzten zwei Tage sehr beschäftigt. „Wir haben jetzt die letzten Sklavenhändler festgenommen“, erklärte sie mit ruhiger Stimme. „Das Dorf sollte damit wieder sicher sein und von Lord Rianalis ist auch nichts zu sehen.“
Mirinia nickte. Sie wusste sehr genau, wie verärgert Evel gewesen war, als sie erfahren hatte, was vorgefallen war. Gleichzeitig war sie aber auch sehr stolz auf ihre Königin. Mirinia hatte dieses Problem gemeistert, auch, wenn sie wusste, dass Lord Rianalis diese Sache nicht auf sich sitzen lassen würde.
Dazu kam, dass es Mirinia nur gelungen war, weil sie die Unterstützung der anderen Königinnen gehabt hatte. Ohne diese und Cassian hätte sie niemals gewonnen. Darum machte sie sich auch Sorgen um die Zukunft.
Da es allerdings bald Winter wurde und im Dorf noch so viel anstand, entschied sie sich dazu, diese Dinge erst einmal hintenanzustellen. Solange sie hier herrschte, würde sie den Leuten das Leben leichter machen und etwas Gutes bewirken. Vielleicht würde sie sich auch wappnen, doch bis es soweit war, würde sie keine Angst vor der Zukunft zeigen.
„Ich würde dich bitten, dass du mir sagst, was ihr alles braucht“, sagte Mirinia, die sich wieder an Kira wandte. „Bitte bedenkt aber auch unsere aktuelle Lage“, fügte sie hinzu, was Kira ernst nicken ließ.
Mirinia fühlte sich wirklich unwohl dabei, die andere Königin so vertraut anzusprechen, doch diese hatte es sich gewünscht. „Natürlich. Wir werden sparsam sein“, versicherte sie, bevor sie einmal kurz knickste und sich dann zurückzog.
Mirinia wandte sich wieder Evel zu. „Kann ich Dylan dann wieder freilassen?“, fragte sie, denn es war nie geplant gewesen, diesen längere Zeit festzuhalten.
Evel verzog den Mund. Ein deutliches Zeichen, dass sie sich nicht darüber freute. „Wie es Euch beliebt“, sagte sie, um zu zeigen, dass sie sich Mirinias Entscheidung beugen würde.
Diese atmete erleichtert durch, denn sie wusste sehr gut, dass Dylan für das Dorf wichtig war. Ihrer Meinung nach wäre er eine perfekte Verbindung zwischen Königin und Dorf.
Erleichterung durchfuhr Mirinia und sie schenkte Evel ein Lächeln. „Dann tu das bitte“, sagte sie, denn sie würde nicht aufhören, sich als Bewohnerin des Dorfs auszugeben. Das hatte sie auch schon Kira erklärt, die damit einverstanden war.
Evel verneigte sich leicht. „Ich bringe ihn zu Euch“, entschied sie.
Mirinia presste die Lippen aufeinander. „Gut, ich werde mich fertig machen“, sagte sie widerwillig, bevor sie sich abwandte, um in ihr Zimmer zu gehen. Sie musste sich immerhin verschleiern, wenn sie nicht sofort wollte, dass Dylan sie erkannte.
Auf dem Weg traf sie Kira, die ein wenig nervös aussah. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie.
Kira zuckte zusammen und wandte sich dann Mirinia zu. „Ich … habe eine Frage an Euch“, sagte sie und spielte unsicher mit ihren Fingern.
Mirinia deutete ihr, mitzukommen, da sie nicht so viel Zeit hatte. Evel würde Dylan gleich bringen.
„Um was geht es?“, fragte Mirinia, die ihr Zimmer betrat und sich sofort auf den Schrank zu bewegte.
Kira folgte, sah sich nicht einmal um, sondern hielt den Blick gesenkt. „Es ist so: Als König Rianalis damals hierherkam, hat er das Dorf unter seine Kontrolle gebracht. Das ging so weit, dass sie glaubten, um See wäre ein Monster“, erklärte sie, während Mirinia zuhörte und ihre Haare unter einem Tuch versteckte.
Das Monster im See. Dylan hatte davon gesprochen. „Ich habe davon gehört“, sagte sie deshalb, während sie ihren Schleier befestigte.
Kira schluckte und sah noch immer unruhig zu Mirinia. „Eigentlich stimmte das nicht, doch er brachte die Dorfbewohner dazu … ihre Kinder zu opfern. Das sind die Männer und Frauen, die Rianalis von sich aus folgen.“
Mirinia erstarrte in ihrer Bewegung, bevor sie sich entsetzt zu Kira wandte. „Er hat die Kinder, die man ihm opferte, aufgenommen und ausgebildet?“, fragte sie entsetzt, weil sie sich nicht sicher war, ob sie Kira richtig verstanden hatte.
Kira nickte betreten. „Ja. Sie können nichts dafür, dass sie für ihn arbeiten“, erklärte sie unruhig. Fast so, als würde sie für diese Partei ergreifen.
Mirinia rieb sich das Kinn. War Dylan auch einer von ihnen? Vermutlich. Das würde seine Andeutungen erklären. „Was schlägst du vor?“, fragte sie, denn sie hatte bisher noch nicht entschieden, was sie mit den Männern und Frauen im Kerker machte.
Kira schluckte. „Ich kenne sie alle … einige von ihnen habe ich aufgenommen“, erklärte sie und senkte den Kopf. „Für mich sind sie wie meine Kinder, auch wenn sie einige … Verfehlungen haben“, sagte sie, wobei ihre Stimme voller Liebe und Hoffnung war.
„Dann werde ich sie deiner Obhut überlassen, wenn du das möchtest. Mir ist nur wichtig, dass sie keine Gefahr darstellen“, erwiderte Mirinia, die sehr froh darüber war, diese Aufgabe abzugeben. Sie wusste, dass sie dazu zu sanft war.
Kira hob ruckartig den Kopf. In ihrem Gesicht spiegelte sich Erleichterung und Hoffnung. „Seid Ihr Euch da sicher?“
„Natürlich. Du kennst sie und ich vertraue dir“, erwiderte Mirinia mit einem Lächeln, das man jedoch nicht sehen konnte. Aber es erreichte ihre Augen und gab Kira Mut.
Sie strahlte bis über beide Ohren und verneigte sich dann tief. „Ich habe selten eine so sanfte Königin gesehen“, sagte sie, wobei nicht nur Bewunderung, sondern auch Hoffnung in ihrer Stimme mitschwang. Mirinia verstand das nicht und spürte, dass diese Sache sie überforderte.
Darum winkte sie auch ab. Sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte.
„Ich schätze die Menschen dieses Dorfes“, sagte sie sanft. „Trotz ihrer Lage haben sie nie aufgehört zu kämpfen“, erklärte sie und deutete Kira an, ihr zu folgen. Sie konnte dabei sein, wenn sie Dylan traf. „Einer von ihnen hat mich sogar vor den Sklavenhändlern beschützt und sich selbst in Gefahr gebracht“, erklärte sie, wobei sie gar nicht genau wusste, wie tief Dylan in dieser Sache drinsteckte. Wenn er eines dieser Kinder war, das entführt wurde … Wusste er es oder sah er Lord Rianalis vielleicht sogar als seinen Vater?
Das machte Mirinia Sorgen, denn darüber hatte sie nicht nachgedacht. Vielleicht war Dylan auch nicht erfreut darüber, dass Lord Rianalis gefallen war.
Aber so war es nun einmal und sie mussten damit leben.
Mirinia betrat den Thronsaal und ließ sich auf ihrem Thron nieder. Kira nahm eine Position neben ihr ein, was Mirinia überraschte. Eine Königin, die einer anderen so zur Seite stand, sah man nicht oft. Sie kannte das nur von Lady Morigana und Priska. Es fühlte sich gewöhnungsbedürftig, aber nicht seltsam an.
Kaum saß sie, öffnete sich auch schon die Tür und Evel führte Dylan hinein.
Dieser war gefesselt und blickte Mirinia böse an. Als sein Blick jedoch auf Kira fiel, weiteten sich seine Augen.
Mirinia sah aus dem Augenwinkel, dass Kira einen Schritt nach vorn machte, sich dann jedoch fing. Sie flüsterte Dylans Namen.
Anspannung packte Mirinia. Sie kannten sich also wirklich. Das machte die Sache schwieriger.
„Mutter“, flüsterte Dylan, der sie eingängig musterte. Dann weiteten sich seine Augen noch mehr und Mirinia war sich sicher, dass er Kiras Hals fixierte.
„Lord Rianalis wurde zurückgedrängt. Die Königinnen sind frei und er ist geflohen“, erklärte Mirinia mit erhobener Stimme und Selbstsicherheit.
Durch ihre kleine Maskerade fühlte sie sich viel wohler, denn so konnte sie die Rolle der Königin spielen, ohne ihr eigentliches Selbst zu leugnen.
Auf Dylans Gesicht tauchten so viele Emotionen auf, dass Mirinia kaum wusste, was er fühlte.
Was sie jedoch sah, waren die Tränen, die in seine Augen traten, bevor er den Blick senkte. Er wirkte erleichtert. Etwas, was bei Mirinia ebenfalls für Erleichterung sorgte.
Sie hatte ihn also nicht falsch eingeschätzt. Das war gut.
„Das Dorf ist frei“, sagte Mirinia, die Dylan gar nicht zu Wort kommen ließ und ihn nun fixierte. Es hing alles davon ab, was er gleich sagte und das machte Mirinia Angst. Die Vorstellung, Dylan falsch eingeschätzt zu haben und vielleicht zu verlieren, ließ ihren Körper zittern. Trotzdem zeigte sie es kaum. „Was wirst du jetzt tun?“
Dylan hob seinen Blick und sah Mirinia fest in die Augen. „Nur, weil Ihr König Rianalis vertrieben habt, heißt das nicht, dass dieses Dorf sicher ist“, sagte er ernst. „Er wird zurückkehren.“
Da hatte er recht, doch das beantwortete Mirinias Frage nicht. „Was wirst du jetzt tun“, wiederholte sie die Frage also und versuchte Kira nicht zu beachten. Diese war angespannt. Zudem fiel Mirinia auch auf, dass Dylan es mied, sie anzusehen. Er hielt seinen Blick starr auf sie gerichtet und ballte nun die Fäuste.
„Was auch immer ich tun kann, um dieses Dorf und seine Leite zu beschützen.“
Mirinia hörte Kira neben sich leise ausatmen und auch sie selbst spürte, wie die Anspannung von ihr abfiel.
„In diesem Fall möchte ich, dass du mein Sprachrohr zum Dorf und ihren Bewohnern wirst. Dir vertrauen sie.“
Es war eine einfache Art, ihn im Auge zu behalten und gleichzeitig konnte er damit tun, was er wollte.
Dylan schien das jedoch nicht so zu sehen. Er ballte die Hand zur Faust. „Ich werde mich Euch nicht unterwerfen. Ich werde nie wieder einem König oder einer Königin dienen.“
Mirinia blickte ihn überrascht an, musste aber unter ihrem Schleier jedoch lächeln. „Das sollst du such nicht. Du sollst lediglich die Bedürfnisse der Bewohner an mich weitergeben“, erklärte sie sanft, behielt aber die Macht in ihrer Stimme bei. Sie wollte ihn nicht die Gelegenheit gaben, herauszufinden, dass sie Miri die Meerjungfrau war. Das hatte Zeit.
Dylan schien noch immer nicht überzeugt, als Kiras Stimme erklang. Sie war sanft und zärtlich. Wie eine Mutter, die mit ihrem Kind sprach. „Dylan. Sieh nicht immer nur das Negative. Sieh das Positive“, sagte sie, was Mirinia dazu veranlasste, Dylan genau im Blick zu behalten.
Er rang mit sich, schien aber seine Gedanken einen anderen Weg einschlagen zu lassen. Sie konnte sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete, während er abwägt.
Schließlich stieß er die Luft aus. „Gut. Aber erwartet nicht zu viel“, gab er sich schließlich geschlagen.
Etwas, das Mirinia lächeln ließ. So wollte sie es haben. Das war ein guter Schritt in die richtige Richtung.




























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