Mirinia-Kapitel 4
Kapitel 4
Mirinia leerte den Wein, bevor sie sich erhob. Sie würde später in ihr Zimmer gehen. Noch war genug Zeit, um sich etwas umzusehen. Außerdem musste sie sich mit Evel absprechen. Wenn sie das richtig spürte, dann besaßen die Sklavenhändler magische Waffen. Dieses Risiko konnte sie also nicht eingehen. Aber wie sollte sie es lösen, ohne, dass herauskam, dass sie magisch und eine Königin war? Wenn sie gegen die Männer kämpfte, würde sie Magie einsetzen müssen. Wenn jedoch Evel sich darum kümmerte, würde das zeigen, dass die Königin irgendwie davon erfahren hatte. Das wollte Mirinia vermeiden. Noch wollte sie nicht auffallen.
„Gibt es in dem Dorf etwas, das man sich ansehen sollte?“, fragte sie an den Wirt gerichtet.
Dieser brummte nur. „Sind jein Erholungsjebiet“, bemerkte er abwinkend.
Mirinia zuckte die Schultern. Dann war dem eben so und sie würde sich weiter auf eigene Faust umsehen gehen. Hoffentlich lockte sie die Männer nicht mit sich.
Oder vielleicht doch. Wenn sie so darüber nachdachte, war es vielleicht keine schlechte Idee, wenn die Männer ihr folgten. Dann konnte sie diese zum See locken und Evel konnte sie unschädlich machen, ohne, dass es jemand bemerkte.
Allerdings müsste sie auch das irgendwie erklären. Oder sie hüllte sich in Schweigen.
Was war wohl besser?
Während Mirinia noch nachdachte, hatte sie die Taverne schon verlassen und war auf den Weg, das Dorf wieder Richtung See zu verlassen.
„War aber ein kurzer Stopp“, bemerkte der schwarzhaarige Mann, dem sie auch schon beim ersten Betreten des Dorfes gesehen hatte.
Sie blickte ihn kurz an und überlegte, ob sie dazu etwas sagen sollte. Allerdings entschied sie sich dazu, zu schweigen. Vielleicht würde sie später irgendwann sagen, dass sie eine Meerjungfrau war und die Ausrede nutzen, dass sie Wasser bräuchte. Immerhin gab es auch nicht magische Wesen, die keine Menschen waren.
Als sie einfach kommentarlos weiterlief, stieß er sich ab und folgte ihr. „Was glaubst du, wo du um diese Zeit noch hinkannst?“, fragte er, als würde er sie überreden wollen, zurück ins Dorf zu gehen, weil es bereits dunkel wurde.
Mirinia gefiel es nicht, dass er bei ihr war, denn dann würde sie sich nicht mit Evel verständigen können. Das würde alles nur komplizierter machen.
„Ich will im See eine Runde schwimmen“, erklärte sie deshalb mit einem Lächeln. Damit würde sie eine Einladung an die Sklavenhändler schicken. Sicherlich würden diese sich eine solche Gelegenheit nicht entgehen lassen.
Der Mann, der ihr noch immer folgte, musterte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue. „So allein? Keine gute Idee“, bemerkte er, als würde er irgendwas ahnen.
Mirinia machte das skeptisch. Wusste er von den Sklavenhändlern und wollte sie schützen? Wenn ja, warum?
„Ist der See denn gefährlich?“, fragte Mirinia, die neugierig auf seine Antwort war. Sie wusste immerhin, dass der See an sich keine Gefahr darstellte.
„Es gibt die Legende, dass in diesem Wasser ein Ungeheuer haust“, bemerkte er und zuckte die Schultern, als würde er selbst nicht daran glauben.
Mirinia machte das allerdings neugierig. „Interessant, erzähl mir mehr“, bat sie, denn solche Legenden hatten oft einen wahren Kern. Die Frage war nur, wo dieser lag.
Statt zu antworten, zündete sich der Mann eine Zigarette an und nahm einen Zug, um den Rauch dann genüsslich auszustoßen. Er musste einiges an Geld haben, wenn er so hemmungslos rauchen konnte. Tabak war immerhin nicht billig.
„Für eine reisende Sängerin fragst du ganz schön viel“, bemerkte er schnaubend. „Ich kenn ja nicht mal deinen Namen.“
„Oh“, machte Mirinia ein wenig verlegen. „Man nennt mich Miri“, sagte sie mit einem breiten Grinsen. „Und so Legenden von Monstern lassen sich gut in Liedtexten verarbeiten“, erklärte sie gut gelaunt. Genau darum hatte sie sich diese Tarnung zugelegt. Und, weil sie als Meerjungfrau recht gut singen konnte. Es würde also ein Leichtes sein, Vorstellungen zu geben, wenn sie das sollte.
„Dylan“, antwortete er, als wäre alles andere völlig unwichtig.
Er stieß erneut den Rauch aus und beobachtete ihn einen Moment. Dabei blieb er an ihrer Seite, als wäre er ihr Beschützer. Ob er dafür vielleicht Geld wollte? Möglich war es, er war immerhin ein Magier. Sicherlich bot er seine Dienste nicht einfach so an.
„Freut mich, Dylan“, sagte Mirinia, da sie die einsetzende Stille nicht unbedingt mochte.
„Wie kommt jemand wie du, in diese Gegend?“, fragte er, was Mirinia die Stirn runzeln ließ.
„Ich bin auf reisen“, wiederholte sie, wofür sie von Dylan nur einen skeptischen Blick bekam.
Erneut blies er den Rauch in ihre Richtung, was sie husten ließ. „Vergiss es“, meinte er schließlich.
Seine Art machte Mirinia ganz verrückt, denn sie hatte ständig das Gefühl, dass er wusste, was sie war. Aber warum sollte er sie dann hier dulden?
Sie war vermutlich einfach zu paranoid und sollte sich ein wenig mehr entspannen. Sonst passierte es ihr noch, dass sie sich wirklich verriet.
„Die Legende um das Monster im See ist schon alt“, erklärte Dylan plötzlich, als hätte er für sich entschieden, dass er das Thema wechseln wollte. „Damals, als es in dieser Gegend noch andere Wesen gegeben hatte, soll im See ein Biest gelebt haben, das so groß war, dass es unser Dorf einfach so verschlingen oder niederreißen konnte. Die Menschen hatten Angst und haben, um es zu besänftigen, alles Mögliche geopfert“, erklärte er, wobei er zum Schluss doch irgendwie abweisend klang.
Mirinia runzelte die Stirn. „Ich hoffe, du meinst damit Nahrungsmittel und Tiere“, bemerkte sie vorsichtig, worauf er schnaubte.
„Du bist ja vielleicht naiv“, bemerkte er herablassend, sprach es jedoch nicht aus.
Trotzdem reichte es, dass Mirinia ein Schauer über den Rücken lief. Sie wurde blass, erinnerte sich jedoch daran, dass in dem See nichts gewesen war.
„Ich komme aus einer Gegend, wo so etwas undenkbar wäre“, sagte sie, wobei sie gedanklich hinzufügte, dass es zumindest früher so gewesen war. Wie es jetzt war, konnte sie nicht sagen, denn als sie als Königin erwacht war, hatte man sie fortgeschickt. Ab dem Zeitpunkt war sie in Gefahr gewesen. Bei ihnen lebten Königinnen nicht gerade sicher. Das war die Art, wie ihre Königin sich die Herrschaft sicherte. Sie schaffte potentielle Konkurrentinnen einfach aus dem Weg. Was Morigana zwar offiziell missbilligte, doch insgeheim duldete. Viel zu oft hatte diese weggesehen.
„Schwer zu glauben, wo doch alle Königinnen nur an ihr eigenes Wohl denken“, bemerkte Dylan resigniert und pessimistisch.
Mirinia presste die Lippen zusammen, denn ihr erster Reflex war es, ihm zuzustimmen. Das konnte sie jedoch nicht tun, denn sie war die Königin, die über dieses Dorf herrschte. Stattdessen ließ sie ihren Blick über das Gelände schweifen und entdeckte eine Windmühle mit kaputtem Flügel.
„Oh, was ist das dort hinten?“, fragte sie und deutete auf die Mühle. Dabei stellte sie sich absichtlich ein wenig dümmer als sie war. Sie wusste, dass es sich um die Windmühle handelte, welche das Korn mahlte, das auf den Feldern in der Nähe wuchs. Fast jedes Dorf hatte einen solchen Hof.
Dylan folgte ihrem Blick, bevor er die Augenbraue hob. „Eine Windmühle“, sagte er nüchtern. Mirinia hatte kurz das Gefühl, dass er ihr lediglich mit seinen Worten sämtliche Intelligenz absprach, doch sie nahm es hin. Besser so als weiter bei dem Thema zu bleiben.
„Kann man sich das ansehen?“, fragte sie.
Erneut erhielt sie diesen abschätzigen Blick seitens Dylan. „Du bist eine Reisende. Hast du das nicht schon viele hundert Mal gesehen?“, fragte er, wobei seine Stimme lauernd klang.
Mirinia wurde ihr Fehler bewusst, doch sie hatte auch schon eine Ausrede parat. „Ja, aber es gibt so viele verschiedene Bauarten. Das ist wirklich faszinierend“, sagte sie und zog aus ihrer Tasche einen Block. „Ich möchte es skizzieren“, fügte sie hinzu, wobei sie versuchte, aufgeregt zu klingen.
Mirinia war zwar aufgeregt, doch aus anderen Gründen.
Wenn das Problem wirklich an der Mühle startete, könnten sie das beheben, indem sie diese reparierten und Weizen von außerhalb zukauften. Dann könnte sich das Dorf selbst ernähren.
Vielleicht konnte es Mirinia auch so machen, dass sie am Anfang alles an Brot und Brötchen aufkaufte, das die Bäckerin produzieren konnte und sie es kostenlos an die Dorfbewohner verteilten.
Wobei Mirinia nicht wusste, wie viel Geld hier überhaupt im Umlauf war. Sie wollte nicht zu sehr in die Wirtschaft eingreifen, doch irgendwie musste sie dafür sorgen, dass neues Geld in Umlauf kam, ohne dafür zu sorgen, dass dieses an Wert verlor.
Sie brauchten nicht nur eine Wirtschaft innerhalb des Dorfes, sondern mussten auch konkurrenzfähig sein. Das hieß, sie brauchten Dinge zum Handeln. Mit einer Windmühle, Mehl und Brot würden sie nur den Grundstein der Ernährung für das Dorf legen. Was auch schon einmal ein Anfang war.
Kleine Schritte, sonst verzettelte sie sich noch irgendwo. Sobald das Problem der Nahrungsversorgung geklärt wäre, könnten sie sich um andere Dinge sorgen. In dieser Region war es nicht möglich, genug Weizen anzubauen, um sich damit komplett selbst zu versorgen. Sie mussten also ein Handelsgut finden, das die Kosten davon decken könnte.
Dazu würden sich die Kikinira Früchte eignen, sofern diese wirklich existierten.
„Wo bist du gerade mit deinen Gedanken?“, fragte Dylan und riss sie so aus ihren Überlegungen. Erst jetzt bemerkte Mirinia, dass sie am Fluss stehengeblieben war.
Mirinia blickte auf und bemerkte, dass die Windmühle zwischen den beiden Flüssen lag, welche den See speisten, in dem sie geschwommen war. Um dorthin zu gelangen mussten sie den Fluss überqueren, vor dem sie nun standen.
Zuerst wollte sie fragen, wie sie das tun sollten, als sie die Bretter bemerkte, die über diesen gingen. „Sieht nicht gerade sicher aus“, bemerkte sie skeptisch, als hätte sie sich darüber Gedanken gemacht.
Dylan schnaubte verächtlich. „Es ist provisorisch. Eine Brücke kann sich hier niemand leisten.“
„Ich hab mit der Bäckerin gesprochen. Sie meinte, dass das Weizen rationiert ist“, bemerkte Mirinia, die das Thema ansprach, da es ihr nicht aus dem Kopf ging. Wenn sie genau darüber nachdachte, hieß dass doch, dass sie nicht über den Winter kommen würden, wenn sie zu viel aßen. War sie als Besucherin dann überhaupt eingeplant? Oder der Hof? Dieses Dorf konnte vermutlich keinen Hof versorgen, selbst wenn er dafür bezahlte.
„Niemand hier hat Geld, um das Weizen zu importieren“, bemerkte er abwinkend. „Wenn wir das tun würden, würden die Brötchen drei Bronze oder mehr kosten. Niemand kann sich das leisten. Also wird es nicht gemacht.“
„Verstehe“, murmelte Mirinia, der bewusst wurde, dass es vielleicht doch schlimmer um das Dorf stand, als ihr bewusst wurde.
Sie setzte sich in Bewegung und stieg vorsichtig über die Bretter. Es wurde Zeit, dass sie sich ansah, wie schlimm es um die Windmühle stand und was sich machen ließ.


























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