Kapitel 30

»Mylord, das Fest ist mal wieder wunderbar hergerichtet worden«, begrüßte ihn Laura lächelnd und stupste Lilitha unauffällig an. Diese zwang sich sitzen zu bleiben und nicht aufzuschrecken und wegzurennen. Ihr Blick blieb gesenkt. Was sollte sie sagen? Sie fand es nicht schön und am meisten hasste sie die armen Vögelchen, die in den Käfigen gehalten wurden, die hier überall hingen. Kleine, bunte Singvögel, die zwar hübsch anzusehen waren, doch in die freie Natur gehörten. Außerdem war ihr zu viel los.
Laura stupste sie erneut an und Lilitha schluckte, ehe sie ganz leicht aufblickte. »Es ist wirklich interessant«, bestätigte sie ein wenig kleinlaut.
»Belästigst du wieder die Neuen, Laura?«, fragte der Highlord stattdessen, da ihm Lilithas gezwungene Art neben Lauras strahlendem Lächeln auffiel.
Laura lachte lediglich leise und legte den Kopf schief. »Belästigen ist eine ziemlich übertriebene Bezeichnung«, wägte sie ab und strich Lilitha eine Strähne aus dem Gesicht, um ihr Kinn anzuheben. »Ich habe mir nur gedacht, dass sie sich gut bei den Mätressen machen würde, meint Ihr nicht?«, fragte sie mit ihrer von Natur aus aufreizenden Stimmlage und blickte zu ihrem Gebieter.
Dieser sah jedoch weniger begeistert aus, was selbst Lilitha auffiel.
»Lass sie in Ruhe, Laura. Sie kann schon für sich selbst entscheiden«, warf er ein und sah nun zu Lilitha. Diese wurde rot und ihr Herz schlug heftig in ihrer Brust, aber sein Kommentar sorgte dafür, dass sie leicht lächeln musste. Wie er sie in Schutz nahm, gefiel ihr irgendwie. Lilitha fiel auf, dass er allein war. Sein Berater und seine Mutter schienen woanders unterwegs zu sein.
»Es freut mich zu hören, dass Mylord mich als alt genug ansieht, um selbst Entscheidungen zu treffen«, meinte Lilitha leise und es klang nicht so, als würde sie es ernst meinen. Eher mit einer leicht spöttischen Note.
»Du hast es mir doch selbst angedeutet«, verteidigte er sich unschuldig, da er Lilithas Ton bemerkt hatte. Laura sah mit einem verschmitzten Grinsen zwischen den beiden Hin und Her, als sie langsam begann von Lilitha abzurücken und unbemerkt zu verschwinden.
Das hätte sich die Rothaarige auch denken können. Diese Frau ließ keine Gelegenheit aus, um Lilitha dem Highlord näherzubringen. Doch vermutlich war es ganz gut, dass sie gegangen war. Sie wollte nicht, dass jemand von dem Kuss erfuhr, der womöglich zur Sprache kommen könnte. Allein bei dem Gedanken an diesen Moment musste Lilitha schlucken und sich zusammenreißen, seinen braunen Blick zu erwidern.
»Du trägst ja gar nicht das Kleid«, erklang seine fast schon enttäuschte Stimme.
Lilitha lächelte matt. War klar, dass er das ansprach. »Nicht jeder im Saal muss mich anstarren«, sagte sie, weil sie wusste, dass dieses Kleid, das hier so gar nicht reinpasste, für Aufsehen gesorgt hätte. Zumindest war es eine passable Ausrede.
Sie hörte ein kurzes Lachen des Highlords, als dieser leicht den Kopf schüttelte.
»Sag doch wenigstens die Wahrheit. Du hast Angst davor, dass ich dich in dem Kleid sehe«, korrigierte er sie und blickte sie auffordernd an, zu ihrem Schamgefühl zu stehen. Als wäre es etwas Schlimmes, wenn sie nicht nackt durch den Harem lief, wie manch andere Frauen.
Lilithas Antwort war nüchtern und völlig unerwartet: »Keine Sorge, Ihr werdet mich schon noch in diesem Hauch von Nichts sehen.«
Sein Blick war überrascht, doch er wandte ihn nicht von ihr ab. Kurz zuckten seine Mundwinkel, die wohl ein Lächeln andeuteten, als er sie wieder mit diesem Blick ansah. Vermutlich dachte er, dass sie nicht den Tanz meinte.
Lilitha wollte gar nicht wissen, woran er dachte, doch sie wusste es bereits. Allein die Vorstellung brachte ihre Wangen zum Glühen, dass sie sich wünschte, ihr Gesicht hinter einem Schal verdecken zu können, wie in der Stadt. Dort war alles noch ganz leicht und unkompliziert gewesen.
Wieso ausgerechnet hier vor allen anderen anwesenden Haremsfrauen? Was, wenn jemand sie so sah? Oder noch schlimmer … was, wenn Chiana sie so sah?
»Bitte schaut mich nicht so an, Mylord«, murmelte Lilitha wieder peinlich berührt und blickte zu Boden. Unruhig zupften ihre Hände in ihrem Schoß an dem Stoff ihres Kleides, während es sich für sie anfühlte, als würden alle im Raum sie anstarren. Auch wenn das nur bei sehr wenigen der Fall war, so fühlte es sich dennoch anders an.
»Ich dachte, dir gefällt das«, verteidigte sich der Mann, ließ den Blick jedoch nicht von ihr ab.
»Es macht mich nervös«, flüsterte sie und sie spürte, wie ihr ganz warm wurde. Dieser Blick ging ihr durch und durch. Und er hatte recht. Es gefiel ihr. Lilitha war sich nun sicher, dass er genau wusste, welche Auswirkungen dieser Blick auf sie hatte. Er wusste, wann er welche Knöpfe drücken musste, doch vermutlich hatte er einfach genug Erfahrung mit den anderen Haremsfrauen, um abzuschätzen, wie sie reagieren würde.
In Lilithas Bauch breitete sich eine angenehme Wärme aus, die langsam ihren Körper einnahm. Am liebsten hätte sie diese Wärme von sich geschoben, da sie davon ausging, dass diese von ihrem Körper kam, der auf die Blicke des Blonden reagierte. Was wollte er damit überhaupt erreichen?
»Und … hast du dich schon umentschieden?«, fragte er nun und schien alles um sie herum zu vergessen. Auch, dass alle Frauen in diesem Raum ihm hinterherrannten, wie Verdurstende, und um seine Aufmerksamkeit buhlten.
Lilitha schluckte. »Nein«, hauchte sie, auch wenn ihr das Sprechen schwerfiel. »Ich bleibe bei meiner Entscheidung«, fügte sie leise hinzu.
Der Highlord lachte leise und sehr dezent, als er den Kopf minimal schräg legte und die braunen Augen, die auf Lilitha gerichtet waren, ein wenig verengte. »Das glaube ich nicht«, hauchte er zurück und verpasste Lilitha mit diesen Worten einen angenehmen Schauer, der sie überkam.
»Doch«, beharrte die Rothaarige und fragte sich, wann jemandem auffiel, dass er mehr Zeit bei ihr als mit den anderen verbrachte. Oder kam ihr das nur so vor?
»Das werden wir noch sehen«, murmelte er leise, mit rauer Stimme und senkte den Blick kurz ein wenig, ehe er sich leicht zurückzog.
Wie bitte? Sollte das eine Art Herausforderung werden? Lilitha hatte ihm bereits gesagt, sie wollte es nicht und das würde auch so bleiben. Vielleicht hatte er aber auch nur zu viel Selbstbewusstsein, dass er sich überschätzte.
Sollte sie doch lieber nicht tanzen? Sie wollte nicht zu den Roten. Was, wenn er sie doch dort reinsteckte? Plötzlich vernahm sie ein eindringliches Räuspern, das sie aus ihrer Hypnose riss und sie zusammenzucken ließ. Erschrocken blickte sie auf, als sie die Mutter des Highlords hinter ihm erkannte. Sie senkte schnell ihren Blick, als sie sich an seine Anweisungen im Umgang mit ihr erinnerte.
»Dein Harem wartet auf die Eröffnung«, erklärte sie an ihren Sohn gewandt.
Lilitha konnte ein genervtes Augenrollen des Highlords aus dem Augenwinkel sehen, ehe er sich zu ihr umwandte und sich erhob.
»Wir sehen uns bestimmt noch«, sagte er mit einem letzten Blick zu Lilitha, bevor er seiner Mutter folgte.
Lilitha war froh wieder allein zu sein, doch sie wusste, dass es nicht lange so sein würde.
Vorsichtig hob sie den Kopf und beobachtete, wie der Highlord zu seinem Thron schritt, um einige eröffnende Worte zu sagen. Lilitha hörte fast gar nicht zu, sondern hatte den Blick nur beschämt auf die Hände in ihrem Schoß gerichtet.
Vermutlich hasste seine Mutter sie jetzt auch noch, nur weil er sie angesehen hatte. Was konnte sie denn dafür, wenn er ihr Aufmerksamkeit schenkte? Sie wollte diese Beachtung überhaupt nicht!
Sie glaubte zu hören, wie der Highlord den Ablauf des Tages erklärte und eigentlich hätte sie zuhören müssen, doch Lauras Blick, der sich deutlich grinsend in sie bohrte, machte alles nur noch schlimmer. Lilitha schluckte und beobachtete, wie die ersten, jungen Frauen sich im Kreis versammelten, um ihre Talente zur Schau zu stellen. Einige gingen sogar so weit, dass sie sich auszogen! Wie beschämend!
Laura lachte leise und gesellte sich wieder zu ihr. »Es gibt immer wieder einige, die es so versuchen. Aber vergebens. Er wird nur jemanden nehmen, der ihn beeindruckt. Der Harem ist sehr voll.«
Lilitha saß nur wie erstarrt da und beobachtete gerade, wie eine Frau sich vor dem Thron des Highlords räkelte und ihren entblößten Körper präsentierte. Die Rothaarige schluckte bei dem Gedanken, sich dermaßen preiszugeben. Ganz egal, wie verzweifelt sie war, das ging nun wirklich zu weit.
»Ich bin mir sicher, dein Körper kann sich auch dermaßen verrenken, wenn du erstmal in Ekstase bist«, hauchte Laura in ihr Ohr und war ihr bereits so nah, dass ihre Brüste Lilithas Oberarm berührten.
»Ich hatte nicht vor, etwas Derartiges zu tun«, murmelte sie und begann damit, ihr oberstes Kleid auszuziehen, um sich für den Tanz bereitzumachen. Dabei nutzte sie die anderen Frauen als Ablenkung und Schutzschild.
Sie kam nicht umhin, Lauras große Augen zu bemerken. Wobei sie sich einredete, dass sie so schaute, weil sie nicht wusste, woher Lilitha das Kleid hatte. Natürlich war das nicht der Fall, doch sie wollte sich jetzt nicht wegen Lauras anzüglichen Blicken verrückt machen.
Auch wenn die meisten abgelenkt waren, so spürte sie doch schon einige Blicke, die sich bei dem Klimpern ihres Kleides, zu ihr umwandten, mit dabei Chianas violette Augen, die sie ungläubig anstarrten.
Lilitha atmete tief durch. Gleich wäre sie mit den anderen Dienstmädchen an der Reihe. Es würde lustig werden, sie zu umtanzen. Zumindest versuchte sie, sich darauf zu konzentrieren.
Als sie sich erhob, packte sie ihre Kastagnetten und machte sich bereit. Dann beobachtete sie, wie sich die jungen Frauen zurückzogen und wartete, bis die ersten Dienstmädchen in Stellung waren, ehe sie folgte. Steigende Nervosität packte sie und alles, was Lilitha hoffte, war den Tanz zu beherrschen. Sie wollte aber auch nicht allzu viele Blicke auf sich ziehen. Doch das ließ sich wohl, inmitten einer Bühne, nicht vermeiden.
Die Rothaarige schluckte beunruhigt, als sie genau spürte, wie sich ein ganz bestimmter, dunkelbrauner Blick auf sie heftete, auch wenn sie nicht hinsah.
Die anderen Dienstmädchen begannen, also begann auch sie, indem sie leise und sanft ihre Kastagnetten klimpern ließ. Einer der Vögel begann im Takt mitzuträllern und vorsichtig bewegte sie ihren Körper zur Musik.
Es war ein Tanz, der die Natur und das Leben huldigte, aber auch die typischen vampirischen Verführungseigenschaften besaß. Das war wohl unumgänglich in ihrer Kultur, die auch jeder in Vampiren sah. Sie priesen ihre Reize an und lebten ihre Triebe frei und ohne Scham aus. Egal, ob Blut oder Sex. Dementsprechend erwarteten vermutlich auch alle im Harem, dass Lilitha diesem Leitbild entsprach. Doch das tat sie nicht. Dennoch würden die meisten vermutlich nach diesem Tanz und der reichlichen Aufmerksamkeit, die sie vom Highlord erhielt, dafür sorgen, dass sie anders über sie denken würden. Etwas, was Lilitha nicht gerade beruhigte. Aber das hier war nun einmal ein Schlangennest und egal wie gefährlich es hier war, es war besser als auf der Straße. Und weil sie wusste, dass es die Wahrscheinlichkeit gab, dass sie dorthin zurückgeschickt werden konnte, gab sie sich die größte Mühe.
Ihr Körper bewegte sich im Takt ihrer Instrumente und das Kleid schmeichelte ihren Bewegungen.
Einige der Dienstmädchen hatten sich zurückgezogen, um sie zu beobachten, doch Lilitha richtete ihren Blick nur auf den Highlord. Was dieser im Moment wohl über sie dachte? Sie hatte erwartet, er würde sie wieder mit diesem hungrigen Blick ansehen, mit diesem Kleid und bei diesen Bewegungen, doch er sah eher überrascht aus. Mitgerissen von ihrem Tanz und abgedriftet in eine ferne Realität, die Lilitha für ihn gestaltete.
Sie konnte spüren, wie er förmlich versuchte ihren Blick zu halten, doch immer wieder wirbelte sie herum und vollzog ihre einstudierten Bewegungen, sodass der Highlord quasi nach ihrem goldenen Augenpaar suchen musste. Lilitha hätte fast geschmunzelt bei dem verlorenen Blick, den er immer zeigte, sobald sich ihr Gesicht von seinem abwandte.
Schließlich endete der Tanz in einer Bewegung, die ihren Rock weit hochwirbeln ließ und somit alle Perlen auf einmal zum Klimpern brachte.
Sie sank in einer Art Verbeugung nach unten, senkte den Kopf kurz, ehe sie den Blick hob und den des Highlords einfing. Dann erhob sie sich und verschwand, nach Atem ringend, durch die Massen an Frauen wieder zu dem Sofa, wo Laura sie mit großen Augen anstarrte.
Am liebsten wäre Lilitha aus dem Saal verschwunden. Ihre selbstsicheren Schritte waren dahin und es blieb nur noch ein Rotschopf zurück, der sich unkoordiniert auf die Kissen sinken ließ und das Gesicht hinter seinen Haaren versteckte.
»Das war großartig! Hast du gesehen, wie er dich mit seinen Blicken ausgezogen hat?«, fragte Laura begeistert und wippte aufgeregt auf den Polstern auf und ab.
»Das war nicht Sinn und Zweck der Sache«, murmelte Lilitha leise. »Ich möchte zu den Grünen, nicht zu den Roten«, erklärte sie und fragte sich, was wohl war, wenn er sie doch zu den Roten steckte. Was sollte sie dann tun? Dann würde er sie immer rufen können und von ihr verlangen … Schnell richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf die restlichen Frauen, die dem Highlord ihre Aufwartung machten.
»Was redest du denn da? Du würdest dich perfekt bei uns machen! Wer weiß, vielleicht kann ich den Highlord ja überreden, uns beide mal zu sich zu holen«, flüsterte sie ihr euphorisch zu. »Leider macht er das auch nicht mehr, aber so angetan wie er von dir ist, wird er dir bestimmt keinen Wunsch abschlagen«, murmelte sie und beobachtete Lilithas Profil. Diese hatte ihren Kopf zu den Frauen gedreht, die sich anpriesen, um sie genau zu betrachten.
Lilitha vergrub ihren Kopf stöhnend in den Kissen. »Ich will nicht«, murmelte sie. Aber sie wusste, dass es wohl auf taube Ohren stieß. Laura schien zu wissen, was sie wollte und ihr war egal, ob Lilitha ebenso empfand.
Erneut vernahm sie Lauras unverkennbares Kichern, als diese ihr in die Seiten kniff. »Sag nicht nein zu einer Frucht, die du noch nicht gekostet hast«, flüsterte sie in Lilithas Ohr und zog die Rothaarige raus aus ihrer Abwehrhaltung. »Verbotene Früchte schmecken immer besser … und nach dem Blick zu urteilen, den Chiana dir gerade zuwirft, ist der Highlord für dich mehr als verboten«, erklärte sie und lächelte der schwarzhaarigen Hexe provokant zu.
Lilitha seufzte genervt. Sie traute sich nicht, Chiana anzusehen.
Da erhob sich der Highlord, wahrscheinlich, um die Halsbänder zu verteilen. Doch bevor er etwas tat, ließ er Chiana zu sich rufen.
Sie trat zwar lächelnd auf ihn zu, um neben ihm ihren Platz zu finden, doch Lilitha sah ihr an, dass das alles für sie eine einzige Qual war. Was Lilitha durchaus verstehen konnte. Wer wäre schon froh, wenn der Mann, den man liebt, von Frauen, mit denen man zusammenlebt, schamlos bezirzt wurde.
Schluckend wandte sie sich mit dem Rücken zu ihm, wo er ihr das weiße Halsband abnahm. Vermutlich, damit er eine neue Favoritin bestimmen oder besser gesagt, dieselbe erneut erwählen konnte.
Mit einem letzten Blick zum Highlord wandte sich Chiana wieder ab und stellte sich zu den anderen Frauen zurück.
Nach und nach begann der Highlord Frauennamen aufzurufen und ihnen die neuen Halsbänder anzulegen. Lilitha hatte fast schon Angst, einen Herzinfarkt zu bekommen. »Lilitha«, rief er nun aus und sah sie direkt an. Sie fragte nicht mal, wie er sie so schnell in dem Gemenge hatte finden können, doch das war egal. Im Moment zählte nur die Farbe. Wie schon alle anderen Frauen vor ihr, trat sie nach vorne und kniete sich mit dem Rücken zum Highlord, damit er ihr ein noch unbekanntes Halsband anlegen konnte.
































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