Kapitel 40

Bevor sie die Räume des Hamam betrat, atmete sie tief durch. Sie hätte vielleicht doch mit Chiana gehen sollen. So allein fühlte sie sich nicht sonderlich wohl.
Aber vielleicht konnte eine entspannende Massage sie etwas beruhigen. Immerhin gab es genug Dienstmädchen, die ihr nun zur Verfügung standen. Auch wenn sie sich erst noch an diesen Gedanken gewöhnen musste. Es fühlte sich noch immer eigenartig an.
Lilitha kam die dampfende Wärme des Hamam entgegen, was sie wohlig seufzen ließ. Sie nahm ihren Mantel ab und legte ihn zur Seite, bevor sie sich eines der Handtücher umwickelte. Mit leisen, tapsenden Schritten ging sie die marmorierten Gänge entlang und hörte bereits das Widerhallen der Stimmen, was sie nervös innehalten ließ.
»Würdest du dich vielleicht nicht geben wie eine Dunkelelfe persönlich, würde er dich vielleicht auch nicht als das sehen, was du nun mal bist«, lachte eine Stimme, gefolgt von dem Plätschern des Wassers. Das fing ja schon großartig an. Sie wollte da nicht rein! Warum war sie noch einmal hier?
Weil dort gerade Hochbetrieb zu sein schien, entschied sie sich dazu, einen der anderen Gänge zu nehmen.
Diese feuchte, neblige Gegend war schon fast ein Labyrinth mit haufenweise Räumen und Zimmern. In manchen konnte man liegen und entspannen, in anderen in riesigen Becken im Boden baden und in anderen sich massieren lassen. Vielleicht hatte Lilitha Glück und einer der Räume war gerade leer.
Vorsichtig, um nicht auszurutschen, durchforstete sie die unterschiedlichen Flure, bis sie doch einen Gang entdeckte, der leer war. Einer der Räume, die simpel aufgebaut waren. Mit einigen Bänken, heißen Steinen und einem kleinen, offenen Brunnen. Vermutlich eine Sauna.
Erleichtert über die Ruhe, ließ sich Lilitha nieder und überlegte, was sie tun sollte.
Womöglich sollte sie einfach dem Highlord weiß machen, sie wäre doch nicht so unschuldig, wie er dachte. Es war das Einzige, was sie von den anderen unterschied. Doch vermutlich würde er es ihr sowieso nicht glauben. Und dann würde er sich nehmen, was sie ihm nicht geben wollte. Damit hätte sie ihr Ziel auch nicht erreicht.
Es war zum Verrücktwerden. Was sollte sie nur tun? Wahrscheinlich war es wirklich am einfachsten, wenn sie Kadens Lust für Chiana wieder entfachte. So, dass er nicht mehr auf sie achtete. Möglicherweise bot sich ihr dann eine Möglichkeit zur Flucht, sobald sie uninteressant genug war. Statt sich beim Haremstanz so ins Zeug zu legen, hätte sie gleich gehen sollen. Nur hatte sie damals nicht gewusst, was der Highlord vorhatte. Zu dem Zeitpunkt hatte sie noch immer gehofft.
Und jetzt hatte sie seine volle Aufmerksamkeit.
Die Vorstellung, dass der Highlord wieder Gefühle für Chiana entwickelte, fühlte sich jedoch seltsam an. Allein der Gedanke daran, dass er sie nicht mehr beachtete, ließ Lilitha schwer schlucken, während sich ein Knoten in ihrem Magen bildete. Nein, es war besser so. Sie durfte nicht so denken.
Es würde irgendwann sowieso passieren. Je eher es geschah, desto einfacher würde Lilitha damit umgehen können. Auch wenn sie ihn schon jetzt vermisste, hatte sie sich noch nicht so stark an ihn gewöhnt. Aber sie wusste, dass es leicht werden würde, sich an ihn zu gewöhnen. Erschreckend leicht …
Frustriert schloss Lilitha die Augen, legte den Kopf in den Nacken und versuchte sich zu beruhigen. Dieser Mann brachte sie um den Verstand und das machte ihr Angst.
Schweigend genoss sie die Wärme und ließ sich von dem Dampf einhüllen, der die Sauna erfüllte. Sie würde dieses Mittel herstellen und Kaden würde sich in Chiana verlieben. Lilitha hätte ihre Ruhe und könnte ihre Flucht planen.
Sie hatte sich gerade entspannt, als sie tapsende Schritte vernahm. Neugierig spitzte sie die Ohren. »Hier bist du«, erklang eine Stimme, die Lilitha innerlich die Augen verdrehen ließ. »Ich wollte dich besuchen, aber du warst nicht mehr in deinem Zimmer«, erklärte Laura gut gelaunt und ließ sich neben Lilitha auf die Bank fallen.
Da war wohl die Ruhe dahin.
Lilitha zwang sich zu einem halbherzigen Lächeln und senkte den Blick, während sie sich klein machte, um Laura nicht wieder einen Grund zu geben, sie zu berühren. »Ja, ich darf wieder nach draußen, also wollte ich auch mal was anderes sehen, als immer dieselben Wände«, erklärte sie leise und wäre am liebsten einfach aufgestanden und gegangen. Aber das wäre unhöflich gewesen. Also blieb sie einfach sitzen und hoffte, dass Laura wieder ging.
»Aber was machst du dann hier? So allein? Komm doch mit zu den anderen«, sagte sie und griff Lilithas Hand, um diese hochzuziehen.
Lilitha leistete wenig Widerstand, doch sie versuchte dennoch nicht weiterzugehen, als aufzustehen.
»Nein, ich wollte die anderen nicht stören«, erklärte sie kleinlaut und wollte wirklich überall hin, nur nicht in den Hauptraum des Hamam. Außerdem wollte sie ihre Ruhe haben. War das denn so schwer zu verstehen?
»Die anderen warten schon auf dich, um dich willkommen zu heißen«, erzählte Laura übermütig.
Ehe Lilitha sich versah, schleifte die Frau sie auch schon mit sich durch die Flure, ohne dass Lilitha überhaupt reagieren konnte. Obwohl sie als Vampirin stärker war, war sie doch so überrascht, dass sie gar nicht auf die Idee kam, sich dagegenzustemmen.
»Aber … aber mir geht es nicht sonderlich gut«, versuchte sie es stotternd und hätte sich am liebsten losgerissen, aber das sprach gegen ihre Natur. Der Gedanke, von dutzenden von Augenpaaren angestarrt zu werden, war Lilitha zuwider. Wieso konnte sie sich nur nicht wehren?
Laura zog sie einfach weiter. »Eine Massage wird dir helfen«, versicherte sie und Lilitha hätte am liebsten aufgeschrien. Nein, eine Massage würde nicht helfen! Vor allem nicht vor so vielen Leuten.
Lilitha setzte dazu an, etwas zu sagen, doch da schob Laura sie schon mitten in den Raum. »Seht mal, wen ich gefunden habe«, verkündete Laura kichernd und trat mit Lilitha im Arm tiefer in den Raum.
Die Köpfe der Anwesenden hoben sich alle zu der Rothaarigen und Laura, um die Neue eindringlich zu mustern und über sie zu tuscheln. Sie erkannte auch Chiana in deren Mitte, die frustriert die Augen schloss. Sie schien Laura ebenso sehr zu mögen, wie Lilitha sie leiden konnte.
Lilitha hatte das Bedürfnis, sofort im Boden zu versinken. Warum hatte sie sich mitschleifen lassen? Und warum wurde sie so angestarrt?
Laura zog sie weiter und sorgte dafür, dass sie sich auf eine der Bänke setzte. »Dein Tanz war wirklich atemberaubend«, erklärte eine Haremsfrau und bekam zustimmende Laute von einigen anderen.
»Wie hast du den Highlord so eingewickelt?«, fragte nun eine andere deutlich misstrauisch.
»Hat er schon mit dir geschlafen?«, fragte gleich eine weitere, die bereits jetzt Laura vom Auftreten her sehr ähnelte.
Lilitha verdrehte die Augen. »Nein, habe ich nicht und es war auch nicht geplant, dass er so darauf reagiert. Das war ein einfacher Tanz, der zu jedem Vampirfest aufgeführt wird«, erklärte Lilitha zähneknirschend.
»Erzähl uns doch nichts!«, lachte Laura laut auf und stieß Lilitha mit dem Ellenbogen an. »Ihr hättet die beiden vor dem Tanz sehen sollen. Er hatte nur Augen für sie. Ich hätte nackt daneben sitzen können«, erzählte sie und erntete Gelächter, welches Lilitha die Röte in die Wangen trieb. Diese Frau war doch einfach unmöglich! Sie tat so, als hätten sie und Kaden sich gegenseitig auf dem Sofa abgeleckt. Was überhaupt nicht stimmte! Auch wenn sie sich sicher war, dass er es versucht hätte, wenn sie sich nicht gewehrt hätte.
Dieser Gedanke ließ die Röte in ihrem Gesicht noch schlimmer werden. Es war gut, dass es hier drin so nebelig war, sonst hätte vermutlich jeder gesehen, wie peinlich ihr das war.
»Komm, lass dich massieren, du hast es dir verdient«, sagte eine der Frauen mit wunderschönem, nussbraunem Haar und deutete auf eine Liege, vor der ein Dienstmädchen kniete und darauf wartete, jemandem behilflich zu sein.
Laura, die hinter Lilitha stand, schubste sie fast schon in die Arme des Dienstmädchens. Widerwillig setzte sich Lilitha auf die Liege und sträubte sich, sich hinzulegen oder gar ihr Handtuch abzulegen. Sie hätte einfach in der Sauna bleiben sollen.
Chiana blieb stillschweigend auf ihrem Platz und rieb sich mit gesenktem Blick die Arme. Dieses Thema musste ihre Nerven wirklich unheimlich strapazieren.
»Erzähl mal, los!«, drängte eine andere sie und der Großteil der Frauen schien wohl auf Geschichten zu warten, die Lilitha nicht hatte. Oder vielleicht doch … aber die würde sie nie mit ihnen teilen, erst recht nicht, wenn Chiana da war. Sie war gerade erst dabei wieder sowas wie Vertrauen in Lilitha zu fassen und das würde diese auf keinen Fall riskieren. Auch wenn der Start mit Chiana sehr schwer gewesen war, so konnte sie ihre ehemalige Gebieterin doch als sowas wie eine Freundin bezeichnen.
»Ich bin interessant, neu und unschuldig. Er spielt nur mit mir. Wenn die Neuen kommen, wird das auch wieder vorbei sein«, sagte sie stattdessen und ließ zu, dass das Dienstmädchen damit begann, sie zu massieren. Am liebsten hätte sie es zur Seite genommen und ihr einmal erklärt, wie es richtig ging!
»Das ist doch nur ein Grund mehr, es zu genießen, so lange es andauert«, warf Laura ein und ging vor Lilithas Gesicht in die Hocke, sodass die Rothaarige gezwungen war, sie anzusehen. »Du hast immerhin nicht gesagt, dass es dir nicht gefällt«, verteidigte sie sich. Auch wenn Lilitha nicht so recht wusste, wieso. »Was habt ihr denn gemacht?«, fragte sie nun leise, hinter vorgehaltener Hand, auch wenn die anderen Frauen sie sowieso, durch das Echo, im Bad hören konnten.
Lilitha seufzte. »Nichts Unanständiges«, meinte sie und hoffte, dass sie so Lauras Neugier nicht weiter anheizte. »Wir haben uns ganz langweilig unterhalten, während ich ihn massiert habe«, erklärte sie und verdrehte die Augen. Was sollte sie auch sonst sagen?
»Das klingt wirklich langweilig«, murmelte Laura unzufrieden und verzog das Gesicht. Seufzend richtete sie sich wieder auf und streckte sich ausgiebig. »Dann nimm dir lieber, was du kriegen kannst, so lange er noch Interesse an dir hat«, erklärte die Blonde und ging zurück zu den anderen Mätressen. »Vielleicht wirst du sogar die nächste Favoritin, was meinst du, Chiana?«, fragte sie und legte provokant eine Hand auf die nackte Schulter der Hexe. Ohne Laura anzusehen, schlug diese ihre Hand von der Schulter und erhob sich, um das Bad zu verlassen.
Wie gern wäre Lilitha jetzt auch gegangen, doch das Dienstmädchen war gerade dabei sie durchzukneten, was ihr auf eine gewisse Art und Weise sehr guttat. Nur wünschte sie sich, dass es nicht ihre Hände, sondern die von Kaden wären. Wie es sich wohl anfühlte, wenn dieser sie massierte? Allein seine oberflächlichen Berührungen waren schon angenehm, doch das Massieren war auch wieder etwas anderes …
Wieso dachte sie das überhaupt? Dazu würde es nicht kommen und er hieß auch nicht Kaden, sondern der Highlord! Sie sollte ihre Gedanken wirklich ein wenig unter Kontrolle bringen!
Während sie versuchte, sich zu entspannen, endete es darin, dass sie erneut von der Horde an Frauen ausgefragt wurde und eigentlich nur damit beschäftigt war, die Fragen zu umgehen oder ganz zu ignorieren.
Die geplante Ruhe verlief alles andere als ruhig und so war Lilitha fertig, als sie am Abend das Bad verließ.
Ihre Schultern und ihr Rücken schmerzten, weil das Dienstmädchen einige Stellen so massiert hatte, dass sie wohl blaue Flecken davontragen würde.
Angestrengt ließ sie sich in ihrem Zimmer nieder und hätte sich am liebsten schlafen gelegt. Doch wenn sie wirklich das Aphrodisiakum herstellen wollte, brauchte sie mehr als nur diese Kräuter. Gequält blieb sie eine Weile in ihrem Bett und genoss das Gefühl der weichen Matratze unter sich.
Plötzlich klopfte es an der Tür, doch anstatt zu antworten, gab Lilitha nur einen murmelnden Laut von sich.
Zwei Dienstmädchen traten ein und schlossen die Tür hinter sich. »Der Highlord wünscht Eure Gesellschaft zum Abendmahl. Wir haben den Befehl, Euch herzurichten.«































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