Kapitel 5

Die weiche Bettdecke, die Lilitha einhüllte, fühlte sich himmlisch an. Sie konnte sich gar nicht recht daran erinnern, wann sie zuletzt in einem richtigen Bett geschlafen hatte. Als sie zu Hause bei ihren Eltern lebte, hatte sie eines …, doch diese beiden Betten zu vergleichen war kaum möglich. Obwohl die Matratze durchaus schön gewesen war, aber Lilitha wusste nicht, ob sie sich daran noch richtig erinnerte. Viele Dinge ihrer Kindheit schienen in den letzten Jahren verblasst zu sein.
Die gleißenden Sonnenstrahlen zwangen sie, die Lider zu öffnen, obwohl sie sich am liebsten einfach umgedreht hätte, um weiterzuschlafen. Sonnenstrahlen … Tagesanbruch! Lilitha erinnerte sich sofort, wo sie war und hätte am liebsten einfach die Augen wieder geschlossen, um der Realität zu entfliehen. Leider war das nicht möglich, denn nach dem letzten Tag schwirrten ihr noch immer die Wörter Bestrafung und Hinrichtung durch den Kopf. Sie wollte nicht testen, ob sie der Wahrheit entsprachen.
Schnell sprang sie auf, warf das Nachthemd von sich, schmiss sich das weiße Unterkleid über und zog mühsam das Korsett an, ehe sie versuchte, es zu schnüren. Es gelang ihr nicht ansatzweise, es so eng zu ziehen, wie Chiana es am gestrigen Abend geschnürt hatte, doch das war auch gut. So war es viel angenehmer. Schnell streifte sie sich auch noch den Yukata über, ehe sie ihre Haare kämmte und zu einem Zopf flocht. Diesen wickelte sie schließlich zu einem Knoten, damit die Haare nicht störten.
Sie stürmte aus ihren Räumlichkeiten, um langsam und leise Chianas Zimmertür, neben der ihren, zu öffnen, nur um festzustellen, dass die Haremsdame bereits wach war und sich durch das Quietschen der Tür zu ihr umwandte.
»Du bist zu spät.« Waren die seufzenden Worte, die sie anstatt einer Begrüßung erhielt. »Beeil dich. Hol die Öle und massier mich. Du hast gehört: Der Highlord wünscht mich in seinen Gemächern«, dirigierte sie hektisch und rieb sich angestrengt die Schläfen. Lilitha nickte und eilte auf die Öle zu, ehe sie die griff, die Chiana ihr am Abend gezeigt hatte. Damit kam sie zurück und begann, die Öle auf Chianas nackter Haut zu verteilen und einzumassieren. »Das braucht viel mehr Übung«, murmelte Chiana, ehe sie sich erhob. Lilitha war so erschrocken, dass sie zurückstolperte, über ihre Füße fiel und auf dem Boden landete. »Bring mir meine Sachen, wir haben kaum noch Zeit«, wies die Schwarzhaarige ungeduldig an und wartete darauf, dass Lilitha sich beeilte, doch die Rothaarige war so langsam, dass sich Chiana dazu entschied, sich selbst anzukleiden und die Haare zu bürsten.
Fertig angekleidet in einem weißen Gewand, das schon fast aufreizend wirkte, stellte sie sich in den Raum, um sich im Spiegel zu betrachten.
»Du wirst mich zu seinen Räumen begleiten und bei den Wachen warten«, erklärte Chiana, ohne den Blick von dem Spiegel abzuwenden und den letzten Feinschliff vorzunehmen.
Lilitha nickte niedergeschlagen. Sie hatte gleich bei ihrer ersten Aufgabe versagt. Das war ja wunderbar. Hoffentlich war Chiana nicht allzu böse auf sie und würde akzeptieren, dass sie eben noch lernen musste.
»Komm jetzt«, wies Chiana an und verließ mit langen, schnellen Schritten den Raum.
Wie sie Lilitha gestern beigebracht hatte, lief diese zwei Schritte hinter ihr und hielt den Blick gesenkt.
»Die Wachen vor dem Schlafgemach des Highlords sind taub und stumm. Man hat ihnen die Zungen herausgeschnitten und das Trommelfell zerstochen, damit sie nichts belauschen und ausplaudern können«, erklärte Chiana, als wäre es das normalste der Welt. Lilitha hingegen wurde blass und erschauderte. Wie grausam! Wie sollten sie so denn ihrer Aufgabe nachgehen? »Sie dienen nur dem Highlord. Du wirst dich zu ihnen knien und auf mich warten. Keine Abstecher, keine Plaudereien oder andere Verschwendungen.«
Lilitha schluckte. »Jawohl«, sagte sie leise. Ihr blieb vermutlich auch nichts anderes übrig. Durch den Harem streifen war sicherlich keine gute Idee.
Die Hände nervös vor ihrem Bauch gefaltet folgte sie Chiana durch die Gänge. Vorbei an zahlreichen Frauen, die der Favoritin mit neidischem Blicke folgten, und hinaus durch die Türen. Die Bauten waren prachtvoll, geradezu anbetungswürdig, doch Lilitha konnte nur an ihr Versagen denken. Sie durfte nicht noch einmal etwas falsch machen! Dafür hing sie zu sehr an ihrem Leben, doch sie wusste, dass es nicht ihre Entscheidung war. Sie konnte nur alles tun, was ihr möglich war und ihr Bestes geben. Leider war das nicht sehr viel.
Gerade noch rechtzeitig bemerkte sie, dass Chiana stehengeblieben war und bremste, um nicht in Chianas Rücken hineinzulaufen. Die Wachen, die stur geradeaus blickten, ließen sie hindurch und Chiana gab Lilitha ein stummes Handzeichen hier zu warten, bevor diese hindurchschritt.
Lilitha erhaschte einen kurzen Blick auf den dunkelblonden Mann, der scheinbar bereits auf sie gewartet hatte, ehe sich die Türen schlossen. Dann kniete sich die Rothaarige nieder, wie Chiana es ihr gesagt hatte, doch dort blieb sie nicht lange, denn die Tür ging wieder auf und der Highlord trat mit Chiana zusammen auf den Gang.
Die Schwarzhaarige gab Lilitha in einer Geste zu verstehen, dass sie sich erheben und ihnen folgen sollte. Schnell war diese wieder auf den Beinen und folgte den beiden, die hinaus in einen der Innenhöfe schritten.
Chiana, die dicht neben dem Highlord lief, schien fast schon peinlich berührt von der Situation. Was war passiert? Lilitha, deren Kopf mit Fragen gefüllt war, genoss die frische Luft und stellte sich für eine Sekunde vor, keine Sklavin in diesen Mauern zu sein. Es könnte so schön sein … aber immer noch besser, als in einer Gosse zu liegen und zu hungern.
»Du bist ganz schön hochmütig geworden, wenn du gleich bei allem, was ich sage, nur von dem einen ausgehst«, brach schließlich der blonde Vampir, mit fast belustigter Stimme, das Schweigen, blieb aber nicht stehen. Sein stiller Begleiter, mit ausreichendem Abstand, neben ihm. Derselbe, der auch schon gestern an seiner Seite gewesen war.
Chiana senkte den Blick. »Ihr verlangt sonst nicht nach meiner Gegenwart, wenn Euch nur nach einem Spaziergang zumute ist«, sagte sie langsam und leise. Ihre Stimme zeigte deutlich, wie peinlich ihr die Situation war.
»Du bist nicht nur meine Favoritin, weil du gut im Bett bist, sondern auch, weil ich deine Gesellschaft genieße«, erklärte der Blonde ohne Scham. »Außerdem steht heute die Begutachtung der neuen Mädchen an, die du ausgesucht hast. Ich möchte, dass du dabei bist, sie mir vorstellst und mir erklärst, warum du und meine Mutter sie erwählt habt. Ich bin neugierig, nach welchen Kriterien ihr beiden euch einigt.«
Chiana senkte den Blick, wobei ihre violetten Augen hinter dichten schwarzen Wimpern verschwanden. »Seid Ihr neugierig?«, fragte sie mit einem Schmunzeln. Der Mann verlangsamte seine Schritte ein wenig und blickte zur Seite, in die Richtung, in der sich die Palastterrasse befand. Dort stand dieselbe ältere Dame, die bei der Begutachtung dabei gewesen war und unterhielt sich gerade mit einem der Dienstmädchen.
»Ich würde nur gerne verstehen … es ist mir auch ein Rätsel, wieso du das Kind bei dir aufgenommen hast.« Mit diesen Worten deutete er, mit einer Kopfbewegung, auf Lilitha, bevor er normal weiterlief.
Chiana gab ein leises Seufzen von sich. »Es war eher Mitleid. Das kleine Ding ist vollkommen verwahrlost. Allerdings scheint sie auch nicht als Kammerzofe zu taugen«, erklärte sie, als würde Lilitha nicht gerade direkt hinter ihr laufen, und wandte den Blick zu ihrem Begleiter. Dieser lachte leise auf, ehe er den Kopf schüttelte, ihren Blick jedoch nicht erwiderte.
»Vielleicht bist du auch einfach zu anspruchsvoll?«, warf er nun, mit einem herablassenden Unterton, ein.
Chiana zuckte die Schultern. »Das ist möglich. Aber sie ist eine junge Vampirin. Sie sollte sehr schnell lernen«, erklärte die Schwarzhaarige und spielte mit einer seidig glänzenden Strähne.
»Eine Vampirin, ja?«, fragte der Highlord neugierig, als hätte er es am gestrigen Abend nicht schon bemerkt. »Was macht eine Vampirin denn als Sklavin hier?«, fragte er, da es selten war, dass Vampire in seinem Harem auftauchten. Wenn dann kamen sie freiwillig, oder waren Gefangene aus fremden, oder verfeindeten Clans. Lilitha schwieg und sah weiterhin zu Boden.
»Der Highlord hat dich angesprochen«, erklärte Chiana zerknirscht.
Lilitha hob ruckartig den Kopf, senkte ihn aber sofort wieder. Dennoch hatte sie einen kurzen Blick auf die schönen, braunen Augen des Highlords werfen können. Sie hatte ihn sich ganz anders vorgestellt. Eher dick, verwöhnt und träge. Dabei war er ein sehr attraktiver, junger Mann. Kein Wunder, dass die meisten Frauen um seine Aufmerksamkeit buhlten.
»Meine Eltern fielen im Krieg, Mylord«, erklärte Lilitha mit leiser Stimme, hielt dabei aber den Kopf gesenkt. Nun wandte sich der Highlord zu ihr um, um sie abermals zu mustern.
»Waren sie Soldaten?«, fragte er interessiert, während Chiana ein wenig nervös zu Lilitha schaute. Sie hoffte nur, dass diese nichts Unangebrachtes sagen würde. So etwas konnte viel ausmachen. Der Ton, der Wortlaut, die genauen Wörter. Alles spielte eine Rolle. Und das Kind hatte noch keine Ahnung von diesem Tanz. Das Problem war nur, dass alles auf Chiana zurückfallen würde.
»Das weiß ich nicht, Mylord«, erklärte Lilitha niedergeschlagen. »Ich war zu jung, um zu verstehen, was sie taten«, fügte sie leise hinzu und dachte an ihre Kindheit zurück. Ihre Eltern hatten um diese Sache immer ein großes Geheimnis gemacht. »Aber mein Vater sagte, ihre Aufgabe bestände darin, Informationen zu sammeln. Bitte verzeiht meine Unwissenheit, Mylord«, stammelte Lilitha reichlich unbeholfen und wenn sie gekonnt hätte, wäre sie weggelaufen. Die Aufmerksamkeit, die der Mann ihr zuteilwerden ließ, fühlte sich in Verbindung mit ihrer Vergangenheit mehr als erdrückend an. Vermutlich wollte er wissen, ob sie aus einem verfeindeten Clan kam, oder ob ihre Eltern in seinen Armeen Zugange waren. Er selbst schien allerdings eher belustigt über ihre Ahnungslosigkeit.
»Wie heißt du?«, fragte er nach einer Weile, in der er wohl einige Blicke mit dem Mann und Chiana ausgetauscht hatte. Nicht, dass Lilitha irgendwas davon mitbekommen hätte. Alles, was sie sah, war der mit Steinen gepflasterte Weg unter ihr.
»Lilitha, Mylord«, erklärte die Rothaarige leise. Ihr gefiel diese Aufmerksamkeit überhaupt nicht. Sie wollte am liebsten weg und sich verstecken. Oder im Boden versinken. Es war besser, wenn starke Männer sie nicht bemerkten. Das hatte sie auf der Straße gelernt. Man sollte die Aufmerksamkeit von anderen nicht auf sich ziehen, wenn man überleben wollte.
»Lilitha«, wiederholte er langsam und hielt einen Moment inne, ehe er weiterging und sowohl sein Begleiter, als auch Chiana ihm eilig folgten. Lilitha war froh, dass sie weitergingen. Somit konnte er sie nicht weiter mustern.
»Hast du schon mal als Zofe gearbeitet, Lilitha?«, fragte er nun im Gehen, ohne den Blick wieder auf sie zu lenken. Stattdessen lief er weiter geradeaus und ließ sein Augenmerk über den gepflegten Garten des Harems wandern.
»Nein, Mylord«, erwiderte Lilitha zögerlich. Sie erwähnte nicht, dass sie selbst eine Zofe besessen hatte, als sie kleiner war. Auch ein Kindermädchen und einen Hauslehrer hatten sie gehabt. Ihre Familie musste reich gewesen sein. Bis ihre Eltern starben und ihr Haus eben jenem Krieg zum Opfer fiel.
»Hätte sie mehr Erfahrung, wäre sie nicht so schlecht in ihrem Gebiet. Sie ist schon mehr als nur unbeholfen, wenn ich das so sagen darf«, erklärte Chiana und faltete die Hände vor ihrem Bauch. Langsam kam der Mann wieder zum Stehen und wandte sich zu seiner Favoritin, um ihr Kinn leicht zu heben, damit sie ihn ansah.
»Ich kenne jemanden, auf den das früher auch zugetroffen hat«, flüsterte er und küsste sie sanft auf den Mundwinkel. Chianas weiblichen Lippen umspielte ein zurückhaltendes Lächeln und die Nähe des Highlords ließ sie die Augen schließen. Dieser löste sich jedoch wieder von ihr und wandte sich zu Lilitha, die nervös mit ihren Händen spielte, jedoch noch immer den Kopf gesenkt hielt.
»Knie dich hin«, befahl er mit einem selbstverständlichen Befehlston.
Lilitha schluckte und ließ sich so fallen, wie es Chiana ihr beigebracht hatte und wie sie es gestern Abend stundenlang immer wieder geübt hatte. Die Übung hatte sich nur bedingt ausgezahlt, denn Lilitha war nun einmal nicht sonderlich motorisch veranlagt. Dennoch konnte man einen kleinen Fortschritt erkennen, als sie ihre Stirn auf den Boden legte. Ihr Herz schlug heftig, weil sie Angst hatte, was nun passieren würde. Hatte sie den Highlord irgendwie verärgert?
Sie sah nicht, was vor sich ging und auch Geräusche gab es keine. Vermutlich tauschten die Beiden gerade verschwörerische Blicke aus, oder unterhielten sich stumm über sie, mit Handzeichen. Lilitha zuckte ruckartig zusammen, als sie plötzlich zwei Hände an den Schultern fassten und sie aufsetzten. Vor ihr erschien Chiana, die sie wohl aufgerichtet hatte, damit sie nun kniend auf dem Boden saß. Panik überkam sie. Sie konnte nicht anders als sich vorzustellen, wie man ihr mit einem glatten Schnitt den Kopf abtrennte.
»Ich bin sicher, dass du ihr alles Nötige lehren kannst, was eine Kammerzofe braucht«, erklärte die Stimme des Highlords. Erst jetzt fiel Lilitha auf, dass er gar nicht mehr vor, sondern anscheinend hinter ihr stand, wo sie ihn nicht sehen konnte. Lilithas Herz klopfte schneller, denn sie hasste es, ihn in ihrem Rücken zu haben. Dennoch widerstand sie dem Drang, sich umzudrehen und nachzuschauen, was er dort tat. Das würde nur zu unnötigen Strafen führen.
Ihr tat von den Knieübungen noch immer alles weh, doch sie versuchte trotzdem stillzusitzen. Lilitha unterdrückte mühevoll das Zittern ihres Körpers, zuckte dann jedoch zusammen, als sie etwas an ihrer Kehle spürte. Ein leises Klicken folgte und die Rothaarige spürte das Gewicht an ihrem Hals. Es war nicht viel, aber es machte ihr deutlich, dass sie wohl im Moment ein Halsband trug. Automatisch griff sie danach und ihre Finger berührten Leder, das eng an ihrer Haut lag.
































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