Kapitel 56

Direkt, als sie beide seine Gemächer betraten, ließ sich Kaden stöhnend auf das Bett fallen und machte quälende Geräusche. »Gibst du mir noch einmal eine Massage, bevor ich gehen muss?«, fragte er hoffnungsvoll und schielte mit seinem braunen Blick zu Lilitha.
»Gern«, sagte sie und lächelte ein wenig kläglich. Kaden hatte einen langen Tag und eine schwere Nacht vor sich, denn sie würden erst am nächsten Morgen ankommen und wohl die ganze Nacht reiten. Für einen Vampir kein Problem, aber doch kräftezehrend für alle Anwesenden.
Kaden schien Lilithas Mimik bemerkt zu haben, denn er richtete sich ein wenig auf, um sie besorgt zu mustern. »Ich schaffe das schon. Mach dir nicht zu viele Gedanken«, versuchte er sie zu beschwichtigen und winkte sie vorsichtig zu sich.
»Das werden die schrecklichsten Tage hier«, murmelte sie und drückte ihm einen verlangenden Kuss auf die Lippen. Ohne Zögern erwiderte Kaden ihre Leidenschaft und zog Lilitha zu sich auf das Bett.
Langsam ließ er von ihr ab, um sie zu mustern. »Du wirst noch da sein, wenn ich wieder komme?«
»Ja«, versprach Lilitha, ebenfalls ohne zu zögern. »Aber ich werde nicht den ganzen Tag vor dem Fenster stehen und auf dich warten. Also bin ich vielleicht in der Stadt, wenn du kommst. Auch wenn ich es nicht hoffe«, erklärte sie sicherheitshalber. Nicht, dass er verzweifelte, wenn er heim kam und sie war nicht sofort anwesend.
Dennoch musterte er sie besorgt und strich ihr über die Wange. »Sei lieber vorsichtig. Mir wäre es lieber, wenn du nicht in die Stadt gehst. Ich weiß, du kennst dich aus, aber ich will nicht, dass dir etwas passiert.«
Lilitha verzog unwillig den Mund und machte eine Bewegung, die Kaden andeutete, er solle sich umdrehen, damit sie ihm die versprochene Massage geben konnte. »Ich weiß, dass du dir Sorgen machst, aber auch ich mache mir Sorgen, wenn du nicht hier bist. Denkst du nicht, dass das gerecht ist?«
Mit einem unzufriedenen Seufzen folgte er ihrer Deutung und verschränkte die Arme unter seiner Stirn. »Du weißt, ich würde nicht gehen, wenn ich nicht müsste. Du hast die Wahl«, erklärte er und wirkte sichtlich angespannt.
»Ja, aber ohne dich werde ich mich hier im Palast nicht wohlfühlen«, erklärte Lilitha leise und begann ihn zu massieren. »Ich brauche etwas, wo ich hin kann, wenn ich den anderen Frauen und auch Sergej entwischen möchte«, fügte sie hinzu. Sie brauchte einfach die Möglichkeit, sich von allen anderen hier zu entfernen.
»Du hast doch jetzt das Gewächshaus«, beharrte er und konnte sich nicht so recht entspannen.
Lilitha seufzte ergeben. »Na gut, ich verspreche, ich werde den Palast nicht verlassen«, murmelte sie, weil sie ihn beruhigen wollte. Er sollte sich nicht noch um sie Sorgen machen, wenn er wahrscheinlich permanent selbst in Gefahr war.
»Lügst du mich an?«, fragte er skeptisch und schien ihr nicht glauben zu wollen. Er kannte Lilitha inzwischen schon lang genug, um zu wissen, dass sie regelmäßig Abwechslung brauchte.
»Nein, auch wenn es mir sehr schwerfallen wird«, gestand sie und ließ ein wenig den Kopf hängen. Es fühlte sich schon jetzt wieder an, als wäre sie hier gefangen. Sie hasste dieses Gefühl.
Kaden schwieg eine Weile und schien noch immer nicht recht zufrieden mit der Situation. Seufzend legte er den Kopf gerade und schloss die Augen. »Na gut, du darfst raus, aber nur in Begleitung«, gab er sich widerwillig geschlagen.
Lilitha lachte ein wenig freudlos. »Und wer soll diese Begleitung sein?«, fragte sie. »Es ist ja nicht so, als wäre es den Haremsfrauen gestattet, diesen Palast überhaupt zu verlassen. Ich denke nicht, dass jemand mitkommen würde«, sagte sie fast schon schnaubend.
»Ich werde mich schon darum kümmern«, versprach er und schien das Thema damit beenden zu wollen.
»Gut«, murmelte Lilitha, auch wenn sie ein wenig misstrauisch war, wie er das anstellen wollte. Viel Zeit hatte er dafür nicht mehr. Aber sie vertraute ihm.
»Pass bitte auf dich auf. Ich will nur nicht, dass dir etwas passiert«, versuchte er sie zu beschwichtigen, aus Angst zu feindselig zu wirken.
»Ich weiß«, seufzte die Rothaarige und schob sich eine ihrer Strähnen aus dem Gesicht und hinter ihr Ohr.
Kaden mochte es, wenn sie ihr Haar offen trug, also tat sie es, auch wenn die anderen Frauen darüber oft die Nase rümpften. »Ich werde aufpassen, versprochen.«
Schleichend zog er seine Hände unter seinem Kopf hervor und legte sie neben seinen Körper, um Lilithas Bein zu streicheln. »Ich hoffe, dass ich nicht lange bleibe.«
»Ich werde hier sein, wenn du zurückkommst, egal wann das sein wird«, versprach sie leise und küsste seinen Nacken. Wie eine Art Bestätigung drückte er kurz ihren Knöchel, den er mit seiner Hand umfasst hielt und schloss die Augen.
Auch, wenn er versuchte sich zu entspannen, so wollte es ihm einfach nicht gelingen. Das bloße Wissen, er würde in einigen Stunden Lilitha für unbekannte Zeit verlassen müssen, nagte zu sehr an ihm. Dennoch konnte er nichts dagegen tun.
Ein Klopfen an der Tür, zeigte Kaden, dass es so weit war. Die Dienstmädchen würden ihn ankleiden, wie es sich gehörte und dann würden die Haremsdamen ihn verabschieden, ehe er mit einigen Soldaten in die Nacht reiten würde.
Widerwillig rutschte Lilitha von Kaden runter und sah zu, wie die Dienstmädchen eintraten, während Kaden sich mit einem genervten Seufzen aufrichtete. »Willst du bleiben oder dich mit den anderen Frauen bereit machen?«, fragte Kaden leise und blickte Lilitha erwartungsvoll entgegen.
Diese lächelte leicht. »Ich glaube, heute folge ich mal den Regeln und gehe mich fertig machen«, verkündete sie mit einem letzten Kuss auf seinen Mundwinkel.
Der Blonde senkte ergeben die Lider, doch es war wohl besser, wenn Lilitha sich zumindest für die nächste Zeit ein wenig anpasste. Schließlich würde er sie nicht vor dem feuerspeienden Haufen Hyänen, die nur darauf warteten etwas zu zerfleischen, was Kaden zu nahe kam, beschützen können. Er sollte wohl nicht mehr so viel Zuneigung in der Öffentlichkeit zulassen, doch er wollte es sich auch nicht verbieten lassen. Dazu hatte er sie viel zu gern um sich.
Lilitha neigte den Kopf und verließ danach das Zimmer, um Kaden der Obhut der Dienstmädchen zu überlassen.
Im Gegensatz zu den anderen Haremsfrauen, die sich für diesen Anlass herausputzen würden, schmiss Lilitha ihre Dienstmädchen hinaus und entschied sich für eine simple Blume im Haar und das blaue Kleid, das Kaden ihr geschenkt hatte.
Ihre Haare ließ sie offen. So, wie Kaden es gern mochte. Sie wollte ihm an seinem letzten Tag besonders gefallen, damit er wusste, wieso er überhaupt zurückkommen sollte. Und das würde er auch. Ganz egal, was ihr Unterbewusstsein ihr einreden wollte. Er würde zurückkommen!
Als Lilitha den Raum wieder verließ, hielt sie eine kleine Schatulle vorsichtig in den Händen.
Die anderen Frauen, denen sie begegnete, waren herausgeputzt und warfen ihr skeptische Blicke zu. Einige dieser Blicke glichen den reichen Frauen, die sie früher auf der Straße immer angesehen hatten. Eine schreckliche Erinnerung, an die sie nicht denken wollte.
Sie schluckte leise und schritt erhobenen Hauptes auf den großen Saal zu, wo auch schon der Haremstanz stattgefunden hatte.
Bevor sie ihn allerdings erreichte, wurden ihre Schritte langsamer und sie spürte die aufkommende Unruhe. Sie würde Chiana und Laura sicher über den Weg laufen und solange Kaden nicht da war, würde er sie nicht beschützen können. Und die ganze Zeit würde sie auch nicht allein bleiben wollen.
Hinter ihr stießen einige der Frauen gegen sie, die wohl nicht bemerkt hatten, dass sie dort stand. Lilitha senkte den Blick und schloss kurz die Augen, um sich zu sammeln.
Die erste, richtige Konfrontation nach der Sache mit dem Aphrodisiakum. Wollte sie das wirklich … jetzt? Nein, aber ihr blieb keine andere Wahl. Also atmete sie ein, drückte ihren Rücken durch und stolzierte in den Saal, als wäre es ein Tag wie jeder andere.
Mehrere Blicke wandten sich zu ihr um und die Frauen begannen zu tuscheln, doch Lilitha widerstand dem Drang ihre Blicke zu erwidern und trat vor. Im Saal angekommen setzte sie sich stillschweigend in eine Sitzecke und musste unwillkürlich an die letzte Woche denken, in der sie und Kaden die meiste Zeit in einer solchen verbracht hatten. Zwischen Gärtnerarbeiten und Kadens Terminen, war viel Zeit für sie beide übrig gewesen. Zeit, die sich Kaden eindeutig für sie genommen hatte.
Lilitha schloss kurz die Augen, um in Erinnerungen zu schwelgen, doch da hörte sie Schritte, die auf sie zukamen. Innerlich verdrehte die Rothaarige die Augen und reagierte auch nicht. Vielleicht zog der Besuch wieder ab, wenn sie ihn ignorierte.
»Du bist ja immer noch hier. Ich hatte schon Angst, dass du heimlich enthauptet wurdest«, lachte Lauras Stimme und sie ließ sich neben ihr auf die Polster fallen.
Lilitha knurrte innerlich und wäre am liebsten einfach aufgestanden, um sich woanders hinzusetzen. Aber sie musste die nächsten Wochen, vielleicht Monate, mit diesen Frauen auskommen. Also konnte sie gleich jetzt anfangen.
Lilitha öffnete die Augen und blickte Laura an. »Wie kommst du darauf, dass ich hingerichtet werden würde?«, fragte sie leise.
Laura lachte belustigt und lehnte sich zurück. Ihre Haut, ein Traum aus flüssiger Schokolade, schimmerte golden im Licht Kronleuchter. »Ich weiß nicht. Du warst die letzte Zeit nirgendwo zu finden«, erklärte diese schulterzuckend und sah sich im Raum um.
Lilitha zuckte die Schultern. »Ich wollte einfach meine Ruhe haben«, erklärte sie, als wäre es das Normalste der Welt. Aber eigentlich war es nur dazu da, damit Laura sie nicht weiter nervte.
»Deine Ruhe, ja?«, machte Laura nachdenklich. »Wo denn? Ich hab oft in deinem Zimmer nach dir gesehen, aber du warst nie da«, fügte sie hinzu und schielte schelmisch zu der Vampirin.
Lilitha verdrehte die Augen. »Was denkst du, warum ich nicht im Zimmer war, wenn da ständig jemand gestört hat?«, fragte sie nach und überging damit ihre Anspielung.
Laura rollte lediglich seufzend die Augen und schnipste ein Dienstmädchen zu sich, um sich ein Glas mit einer durchsichtigen Flüssigkeit zu nehmen. »Sag bloß, du warst Unkraut jäten und so Zeug.«
»Warum nicht? Was hast du dagegen, dass ich meiner liebsten Freizeitbeschäftigung nachgehe, nur weil sie dir nicht passt?«, fragte Lilitha zurück und gab sich bewusst desinteressiert, doch ihr goldener Blick suchte den Raum ab, da sie darauf wartete, dass Kaden vorbeikommen würde.
Die Mätresse schüttelte verständnislos den Kopf. »Das ist mir doch egal, was du in deiner Freizeit machst. Ich meine nur, du könntest in dieser auch Besseres zu tun haben«, stöhnte Laura genervt und sah so aus, als hätte sie keinerlei Vergnügen an dieser Veranstaltung. »Der Highlord ruft niemanden mehr zu sich. Ich hab langsam den Verdacht, dass er vom anderen Ufer ist.«
»Das wäre lächerlich«, murmelte Lilitha und konnte sich das gar nicht vorstellen. Sie war niemand, der etwas dagegen hatte, doch sie wusste sehr genau, dass Kaden nicht dieser Typ war.
Laura hob eine Braue und wandte sich nun wieder Lilitha zu. »Ach ja?«, fragte sie skeptisch. »Es ist die Pflicht eines Highlords Nachkommen zu zeugen und mit einem gleichgeschlechtlichen kann man das nicht. Womöglich tut er sich nur deswegen diesen Harem an.«
Lilitha zuckte die Schultern. »Und wenn dem so wäre, könnte man es sowieso nicht ändern«, murmelte Lilitha und ihr gefiel die Idee, dass die anderen Frauen dachten, dass Kaden vielleicht schwul wäre. Wenigstens würden diese dann aufhören, ihn zu begaffen, wie ein Stück Fleisch.
»Und wenn dem so wäre …?«, wiederholte die Frau entrüstet und schnaubte. »Dann wären wir alle dazu bestimmt als vertrocknete Pflaumen zu enden, denen es nicht gestattet ist, von jemand anderem begehrt zu werden, als von jemandem, der nicht das geringste Interesse am anderen Geschlecht zeigt.«
Lilitha seufzte. »Ja, das ist generell das Problem eines Harems. Ihr seid dazu da dem Highlord Nachkommen zu gebären, aber nur wenn dieser es möchte. Und dieser hier scheint kein Interesse daran zu haben«, murmelte Lilitha und versuchte eigentlich nur Kaden zu finden und Laura hinzuhalten.
»Ich bitte dich«, kicherte Laura und besah sich gelangweilt ihre Fingernägel. »Diese Dynastie geht doch sowieso früher oder später vor die Hunde«, murmelte sie. Doch Lilitha bekam es nur am Rande mit, denn sie sah wie Kaden, in seiner Rolle des Highlords, in der sie ihn so lange nicht mehr gesehen hatte, den Raum betrat. Wenn sie zusammen waren, war er so gut wie nie der Highlord, sondern immer nur Kaden.
Lilitha hielt die Luft an, als sie sah, wie Chiana auf den blonden Vampir zulief und ihn begrüßte, wie es die Etikette verlangte. Sie nahm Lauras Stimme bloß am Rande wahr, während sie sah, wie Chiana einen kleinen Knicks machte und Kadens Aufmerksamkeit bekam. Ganz im Gegenteil zu Lilitha, die mit Laura in der Sitzecke festsaß.
Aber Kaden hatte seine Aufgaben und diesen würde er nachkommen. Dazu gehörte der respektvolle Umgang mit seinem Harem und Lilitha hielt sich absichtlich zurück. Auch wenn es ihr sehr schwerfiel. Sie wollte Kaden nicht von seiner Aufgabe abhalten, oder sich noch mehr Zwietracht zuziehen.
»Oh, der Highlord«, bemerkte Laura leise und erhob sich nun auch, um ihr Geschenk zu überreichen.
Lilitha dagegen blieb nach wie vor sitzen und beobachtete, wie Laura auf den Vampir zuging und nun ebenfalls einen Knicks machte. Chiana sah dabei grimmig aus, doch das war Lilitha egal. Sie bemerkte nur, wie Kadens Blick an Laura vorbeiging und mit einem Lächeln in den dunklen Augen, auf Lilitha traf. Diese erwiderte das Lächeln sanft und wartete ab, was Laura tat.
Sie schien Kadens Blick nicht zu bemerken und tat genau das, was auch Chiana getan hatte. Laura überreichte ihm ihr Abschiedsgeschenk und bat ihn schnell wiederzukommen. Kaden sah sie nun zwar an, doch schien mit den Gedanken wohl noch immer bei Lilitha, denn immer wieder flüchtete sich sein Blick zu der Rothaarigen. Lilitha musste lächeln, doch sie tat so, als würde sie es nicht bemerken und achtete nur auf Laura und Kaden.
Am liebsten hätte sie sich Kaden jetzt selbst genähert, doch sie traute sich irgendwie nicht. Ihre Hände schlossen sich um ihre kleine Schatulle. Im Gegensatz zu den Geschenken der anderen Frauen wirkte ihr Geschenk geradezu lächerlich. Und die Tatsache, dass sie es ihm vor den ganzen Augen des Harems und noch dazu die des Beraters und Kadens Mutter, geben musste, machte es nicht weniger peinlich. Es schien wohl doch offizieller zu sein, als sie gedacht hatte. Sonst wären diese bei einer solch kleinen Tradition nicht auch noch hier.
Trotz allem entging Lilitha nicht der unterschwellig, auffordernde Blick, den Kaden ihr zuwarf, als gerade die nächste Haremsfrau vortrat.
Lilitha wartete ab, um Mut zu fassen und schließlich erhob sie sich mit weichen Knien. Es war doch egal, was die anderen dachten, solange es Kaden gefiel. Aber würde ihm eine Blume in einer silbernen Brosche gefallen? Gut, sie war speziell, doch ob er sich noch daran erinnerte?
Sie hoffte jedenfalls, dass es nicht so war. Er wollte schließlich nicht, dass sie alles über seinen Aufenthalt wusste und wie es ihm ging. Gerade, als sich die Frau vor Lilitha von Kaden verabschiedete, blickte die Rothaarige auf und begegnete dem unmittelbaren Blick des Highlords.
Er lächelte vorsichtig und trat ebenfalls einen Schritt auf Lilitha zu. Diese schluckte und fühlte sich wieder so unsicher, wie sie es am Anfang in seiner Gegenwart getan hatte. Immerhin war er der Highlord und das rief er ihr im Moment wieder ins Gedächtnis.
Lilitha folgte den Regeln, machte einen Knicks zur Eröffnung und hob dann die Hand mit der kleinen Schatulle, in der sich die Brosche befand. »Eine kleine Erinnerung, damit Ihr wisst, dass ich an Euch denke«, erklärte sie leise und nutzte fast die gleichen Worte, wie auch ihre Vorgängerinnen.
Sie zuckte unerwartet zusammen, als sie spürte, wie Kadens Hand sich auf ihre Wange legte und sie anwies, sich aufrecht hinzustellen. Sie war sich nicht sicher, aber es war dennoch ziemlich offenkundig, dass das nicht zur Tradition gehörte.
Erschrocken blickte sie auf zu Kadens warmem Blick, welcher sie augenblicklich alle anderen Anwesenden im Raum vergessen ließ. Sie schnappte nach Luft, als er sich plötzlich zu ihr nach unten neigte und seine Lippen die ihren berührten.
Der Kuss war kurz, aber dafür bittersüß. Ein deutliches Missachten der Etikette, die besagte, dass der Highlord nur seine Favoritin ein wenig den anderen vorziehen durfte.
Ein Beweis, wie sehr er doch an ihr hing und obwohl Lilitha die wütenden Blicke in ihrem Nacken spürte, genoss sie seinen Kuss sichtlich. Gleichzeitig stieg aber auch unendliche Traurigkeit in ihr auf.
Als er sich von ihr löste, wurde sie augenblicklich rot im Gesicht und senkte leicht den Blick, damit er die Tränen in ihren Augen nicht sehen konnte. Sie wollte ihm nicht noch mehr Sorgen bereiten.
Erst jetzt nahm er die Schatulle entgegen und bedankte sich nochmal in einem höflich dezenten Ton, doch Lilitha hörte die Ironie darin mitschwingen. Sie sorgte dafür, dass die Traurigkeit durch ein wenig Fröhlichkeit ersetzt wurde, denn sein Ton zauberte ein leichtes Lächeln auf ihre Lippen.
Lilitha atmete kurz durch und wandte sich nach einem weiteren, leichten Knicks wieder ab. Sie wollte nur raus und weg von den Blicken. Sie wollte gar nicht wissen, was sich gerade in den Köpfen der Frauen abspielte. Doch sie wollte Kaden … für sich allein und sie wünschte sich, sich wenigstens noch einmal persönlich von ihm verabschieden zu können.
Doch dieses Privileg konnte nicht einmal sie sich gönnen, denn Kaden würde vor den Augen aller in wenigen Minuten auf ein Pferd steigen und losreiten. Ihr blieb also nur noch die Zeit, die sie mit allen zusammen verbringen musste. Was zwar schade war, doch Tradition blieb nun einmal Tradition.
Sie würde die Blicke ignorieren müssen und wenn sie Glück hatte, konnte sie noch einmal kurz in einer ruhigen Ecke mit Kaden reden. Auch wenn sie sich nicht sicher war, ob das eine gute Idee war. Im schlimmsten Fall würde sie wohl in Tränen ausbrechen und sich an Kadens Hals werfen. Kein guter Eindruck, dem restlichen Harem gegenüber. Und mit diesem musste Lilitha nun leider auskommen. Für eine lange Zeit.
Ihr Blick blieb an Kaden hängen, während sie sich zurück in eine Sitzecke zog und weitere Frauen um die Aufmerksamkeit des Highlords wetteiferten. Dieser behandelte sie alle höflich, doch keine von ihnen bekam einen Kuss. Ein Privileg, das wohl nur Lilitha vorbehalten war, was sie ebenfalls zum Schmunzeln brachte.
Gedankenverloren hob sie die Hand an ihr Halsband und legte den Kopf ein wenig schief. Wenn sie doch wenigstens wüsste, zu welcher Klassifizierung sie gehörte. Oder hatte er eine neue eingeführt? Vielleicht war es auch das neue Halsband der Favoritin. Möglich war es schließlich. Und er hatte es ihr nicht gesagt, weil sie doch nicht wollte? Das würde sie ihm zutrauen.
Es gab so viele Möglichkeiten, doch die Tatsache, dass das weiße Halsband noch immer in einer Schublade Staub ansetzte, bekräftigte ihre These nur. Irgendetwas bedeutete es jedenfalls.
Sie hasste es jetzt schon, die Fragen der anderen Haremsfrauen zu beantworten. Vielleicht würde sie ihnen wirklich irgendeine Lüge auftischen.
»Jetzt kannst du es nicht mehr leugnen«, trällerte Laura, die sich neben die Rothaarige setzte. »Es ist ja wohl offensichtlich, dass da mehr ist zwischen euch, als nur Händchenhalten«, kicherte sie und stieß Lilitha anstößig mit dem Ellenbogen.
Lilitha seufzte hörbar. »Ich bin eine Vampirin. Die beste Möglichkeit für ihn, einen reinrassigen Nachkommen zu zeugen. Wahrscheinlich versucht er daher alles, um mich rumzubekommen«, erklärte sie, auch wenn sie wusste, dass es eine dreiste Lüge war. Aber es war eine Möglichkeit, Laura loszuwerden.
»Hm«, machte diese, als würde ihr das erst jetzt auffallen. »Ja, wahrscheinlich hast du recht«, stimmte sie ihr ergeben zu und verschränkte die Arme vor der Brust. »Eigentlich traurig«, murmelte sie und legte den Kopf in den Nacken.
Lilitha zuckte die Schultern, als wäre es ihr egal. Das war es allerdings nicht, denn sie hatte Angst, dass sie in der Zeit, in der Kaden weg war, diese Meinung am Ende auch noch glauben würde.
Die rothaarige Vampirin richtete ihren Blick wieder auf den Highlord, der gerade eben das letzte Geschenk entgegennahm. Gleich war es so weit und er würde sie verlassen.




























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