Kapitel 60

Lilitha trug dafür extra ein Kleid und ihre Haare waren zu einer Hochsteckfrisur gebunden. Auf Schmuck hatte sie dennoch verzichtet. Nur das Armband behielt sie bei. Sie wollte immerhin wissen, wie es Kaden ging.
Beinahe aus der Gewohnheit heraus, wollte sie ihre Haare offen lassen, da Kaden das immer am meisten gefallen hatte, doch umso mehr hatte ihr Herz geschmerzt, als ihr wieder einfiel, dass sie ja nicht mit ihm zu Abend essen würde.
Wann hatte sie sich so sehr an ihn gewöhnt? Sie konnte sich gar nicht vorstellen, so lange von ihm entfernt sein zu müssen! Und mit jedem Tag mehr konnte sie Chiana verstehen. Die Schwarzhaarige tat ihr unglaublich leid. Wie musste sie sich wohl gefühlt haben, als Kaden sie hinausgeschmissen hatte?
Schnell schüttelte sie den Kopf und betrat den Speiseraum, in dem sie sich mit Kadens Mutter treffen würde.
Das Essen war bereits angerichtet und auf einem großen Tisch verteilt. Doch nur zwei Plätze am Kopfende waren gedeckt.
Sie schluckte nervös, als ihr bewusst wurde, dass sie mit der Mutter allein sein würde. Natürlich hätte sie sich das schon denken können, nur hatte sie sich keine Gedanken darüber gemacht. Mit leicht zittrigen Armen griff sie nach ihrem Armband, nur um Kaden irgendwie näher zu sein und bewegte sich langsam auf das schlicht gedeckte Kopfende zu.
Sie nahm an, dass die Mutter am Kopfende sitzen würde und so ließ sie sich auf einen Stuhl nieder, der seitlich des Kopfendes stand und versuchte ihre Nervosität zu verstecken, während sie wartete.
Als die ältere Dame ebenfalls den Raum betrat, erhob sich Lilitha, weil sie es als höflich erachtete. Auch wenn sie es wahrscheinlich nicht musste. »Guten Abend, Mylady«, grüßte sie mit einer leichten Verbeugung, die ihrem Gegenüber Respekt zollte. Immerhin war sie die stärkste Frau in dieser Dynastie und dazu auch noch Kadens Mutter.
Diese nickte Lilitha anerkennend zu und ließ sich dann am Kopfende nieder, um es sich gemütlich zu machen. »Ich hoffe, ich habe Eure Pläne nicht allzu sehr durcheinander gebracht. Doch ich halte dieses Gespräch für wichtig«, erklärte die Frau und legte sich die Serviette auf den Schoß.
Lilitha ließ sich nun auch wieder nieder und schüttelte leicht den Kopf. »Nein, das habt Ihr nicht. Im Gegenteil. Es hilft mir, mich vom Warten abzulenken«, erklärte Lilitha aufrichtig und ihre Finger begannen mit der Serviette zu spielen, ehe sie diese ebenfalls auf ihren Schoß legte. Es war lange her, seitdem sie so zivilisiert gespeist hatte. Mit Kaden saß sie meist in einer der Sitzecken, oder manchmal sogar auf den weichen Fellen am Boden. Doch nur selten richtig am Tisch.
Und wieder hatten sich ihre Gedanken zu ihm verirrt. Sie versuchte sich zu fassen, indem sie kurz die Augen schloss und tief durchatmete. Doch sie vermisste diese Abende trotz allem. Das simple Essen auf den Fellen, wo er sie gefüttert hatte. Sie miteinander gekuschelt hatten und sie sich so sicher gefühlt hatte.
»Man gewöhnt sich daran«, nickte die Frau ein wenig traurig, aber dennoch ergeben. »Doch irgendwie auch nicht«, fügte sie nun mit einem leisen Lachen hinzu und musterte Lilitha neugierig.
Diese lächelte ein wenig gequält. »Wahrscheinlich habt Ihr Recht, doch ich habe mir bis zu diesem Moment nicht einmal vorstellen können, dass etwas so weh tun kann«, sagte sie und wurde bis zum Ende hin immer leiser.
Die Frau lächelte ein wenig mitleidig. »Verzeiht. Es ist nur sehr ungewohnt, dass mein Sohn eine solch … monogame Beziehung eingeht. Nur weil ich nicht im Harem lebe, heißt es nicht, dass ich nicht informiert bin«, erklärte sie mit einer unterschwelligen Nachricht und tat sich etwas auf den Teller auf.
»Natürlich nicht. Immerhin ist er Euer Sohn. Wahrscheinlich hat er Euch mehr erzählt als mir. Zutrauen würde ich es ihm«, antwortete Lilitha, doch es schwang kein abfälliger Unterton mit, sondern eher ein liebender. Als würde sie diese Art, die andere auch gern als Spielen bezeichneten, sehr an ihm schätzen. Was sie auch tat. Irgendwie.
»Um Gottes willen«, lachte die Frau herzlich, was Lilitha so überhaupt nicht erwartet hatte. »Nein, er versucht mich immer weitgehend aus seinem Leben rauszuhalten. Immerhin bin ich diejenige, die möchte, dass er sich bindet. Er selbst hält davon jedoch leider nichts. Ehe ist für ihn schon fast ein Tabuthema.«
»Ja, das habe ich bemerkt«, meinte Lilitha nüchtern, als sie an ihre erste Unterhaltung mit dem Ring zurückdachte. Während sie dies tat, nahm sie sich ein Stück Obst und ein kleines, belegtes Brot, um es sich auf den Teller zu legen. »Aber korrigiert mich, falls ich mich irre, als Highlord ist es ihm doch auch nicht erlaubt, so etwas wie eine Ehe einzugehen?«, fügte Lilitha leise hinzu und wartete auf eine Reaktion.
Ein leises Seufzen kam über ihre Lippen und ließ sie die Augenbrauen heben. »Es ist ihm gestattet, mehrere Frauen zu ehelichen und Mätressen zu besitzen. Es ist nicht seine Pflicht zu heiraten, doch ich wünsche ihm ein besseres Leben, als meines«, erklärte sie wie selbstverständlich und begann zu essen.
»Ich muss gestehen, ich verstehe den Sinn des Harems. Aber nicht, warum man mehrere Ehefrauen haben sollte«, erklärte Lilitha aufrichtig und nahm einen Bissen ihres Apfelscheibchens.
»Die Ehefrauen bekommen mehr Macht und noch dazu ist es eine Art Liebesbeweis. Je nachdem, wie man es nimmt. Der Harem bleibt dennoch bestehen und ist nur dafür da, um Nachkommen zu zeugen. Oder gegebenenfalls zur Unterhaltung des Highlords. Ihr wisst bestimmt, wie selten Vampire heutzutage sind.«
Lilitha nickte. »Ich verstehe. Aber im Grunde ist es ähnlich dem System der Favoritin, oder? Generell scheint der Highlord nicht ganz so zufrieden damit zu sein.« Sie schnitt dieses Thema nur sehr ungern an, doch es war Kadens Mutter, mit der sie sprach. Das war hoffentlich in Ordnung.
Die Dame nickte, ohne den Blick zu heben. »Die Favoritin besteht normalerweise nur solange, bis er diese auch heiratet. Sie steht ja im Normalfall für die potenzielle, nächste Ehefrau des Highlords. Doch diese kann auch einfach nur eine seiner liebsten Mätressen sein. Das kommt ganz auf den momentanen Highlord an«, erklärte sie und räusperte sich ein wenig, als hätte sie sich verschluckt. »Doch das System der unterschiedlichen Stufen, mit den Gelehrten und Unterhaltern, kam erst von meinem Sohn. Vorher gab es nur die Favoritin und diejenigen, welche ein Kind vom Highlord bekamen. Ganz zu schweigen von den Ehefrauen.«
Lilitha kaute ein wenig nachdenklich auf einer Pfirsichhälfte herum, während sie sich die Worte der Dame durch den Kopf gehen ließ. »Verstehe. Nun, der Highlord scheint im Moment nicht erpicht darauf, sich zu binden, selbst wenn er mehrere haben kann«, meinte sie und fragte sich, warum sie ständig Kaden sagen wollte. »Dabei würde es ihm sicher guttun, wenn er mehr als eine Person hätte, mit der er etwas … ungezwungener sein könnte.«
Die Dame musste schmunzeln und blickte nun wieder ein wenig auf. »Du meinst mehr als dich?«, fragte sie ein wenig belustigt und nickte zustimmend. »Womöglich. Aber ich denke, es ist ein Fortschritt, dass er überhaupt jemanden hat. Und manchmal ist eine Person besser als mehrere«, warf sie ein und griff nach einer Schale, in welcher sich eine köstlich duftende Suppe befand. »Doch auch wenn es mir selbst nicht zusagt. So ist es nun mal, aber so, dass er sich mit so vielen wie möglich fortpflanzen muss.«
»Für einen Vampir die effektivste Methode, um überhaupt Kinder zu bekommen«, stimmte Lilitha widerwillig zu. Ihr musste es immerhin nicht gefallen. »Und auch wenn mir die Vorstellung nicht gefällt, wäre es vielleicht gut, wenn wenigstens ein Nachfolger vorhanden wäre. Damit die Blutlinie nicht ausstirbt. Auch wenn Ka… der Highlord noch sehr jung ist, ist die Blutlinie wichtig«, meinte sie und erinnerte sich an die Worte ihrer Mutter, während sie sich ihres kleinen Fehlers bewusst wurde und hoffte, dass Kadens Mutter es nicht bemerkt hatte.
Lilithas Mutter hatte es ihr damals lange genug erklärt, damit sie es verstand. Dennoch gefiel es ihr nicht. Aber vielleicht würde es Kaden ein wenig Zwang nehmen, wenn er wüsste, dass es jemanden gibt, der im Notfall seinen Platz übernehmen konnte. Doch natürlich konnte das auch eine Menge böses Blut auf sich ziehen. Sie wollte lieber gar nicht wissen, was Kaden durchstehen musste, um auf den Thron zu kommen. Ein Kind war leichter zu eliminieren als ein ausgewachsener Vampir.
Die Frau blinzelte ein wenig überrumpelt und starrte Lilitha wie gebannt an, sagte jedoch nichts. »Ja … das ist wahr«, meinte sie nach einer Weile leise. Ob sie gemerkt hatte, dass Lilitha den Highlord beim Namen ansprechen wollte? Das wäre wohl eine dieser Sachen, die sie sich auf keinen Fall leisten durfte.
Aber es war so leicht. Sie war so oft mit ihm zusammen und sprach ihn fast nur noch so an. Und diese Frau war seine Mutter! Sie kannte ihn besser, als jeder andere hier. Dennoch war es nicht ratsam.
Lilitha widmete sich wieder ihrem Essen, um nicht aus Versehen noch etwas Dummes zu sagen.
»Ihr … steht Euch wirklich recht nahe. Sehe ich das richtig?«, bemerkte die Dame nach einer Weile, ohne den Blick von ihrem Essen zu nehmen. Doch sie tippte dennoch ein wenig nervös mit der Gabel gegen den Teller.
Lilitha lächelte leicht. »Auf eine gewisse Art und Weise schon«, stimme sie leise zu, denn sie wusste nicht genau, wie sie diese Beziehung eigentlich beschreiben sollte.
»Hat er schon … habt ihr schon … Pläne oder sowas in der Art?«, fragte sie stockend und Lilitha war sich nicht ganz sicher, was sie meinte. Eine Beziehung? Eine Ehe? Oder sogar Kinder?
Diese Frage irritierte Lilitha etwas. »Nein, ich denke nicht. Es ist … kompliziert«, meinte sie und ihre Hände spielten ein wenig unruhig mit der Serviette. »Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob er Dinge ernst meint, oder sie nur sagt, um mich zu ärgern. Aber ich habe das Gefühl, er mag mich und solange er meine Gegenwart genießen kann, bin ich zufrieden.«
Langsam und mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck nahm Kadens Mutter eine Kirsche ins Visier. »Das klingt beinahe so, als würdest du seine Zuneigung nur tolerieren, aber nicht erwidern«, stellte sie misstrauisch fest und legte die Kirsche zurück, anstatt sie zu essen.
Lilitha atmete hörbar aus und wieder ein und dachte darüber nach, was sie sagen sollte. »Ich mag ihn sehr gern. Ich genieße seine Gegenwart, aber ich weiß, dass es wohl nicht von Dauer sein wird. Irgendwann wird er mir überdrüssig werden. So wie er auch Chiana überdrüssig geworden ist. Vielleicht versuche ich mich davor zu schützen, indem ich versuche mich etwas zu distanzieren, aber Euer Sohn reißt diese Distanz mit schöner Regelmäßigkeit immer wieder, mit einem freudigen Lächeln, ein.«
»Er ist definitiv ein Spieler«, stimmte sie bescheiden zu, worauf sie wohl nicht sonderlich stolz zu sein schien. »Er wird auch nicht jünger und irgendwann wird er sich auch nach etwas Ernsterem sehnen. Vermutlich ist diese Zeit bereits gekommen«, merkt sie beiläufig an, doch es schien mehr dahinterzustecken. Und zwar Hoffnung.
»Ich würde es mir wünschen. Aber letztlich ist es seine Entscheidung, nicht die meinige. Auch wenn ich mir Mühe geben werde, sie für mich zu wichten«, erklärte Lilitha und es schwang etwas Sehnsüchtiges und auch Entschlossenes in ihrer Stimme mit.
Die Dame lachte erneut dezent und schüttelte leicht den Kopf. »Ich muss zugeben, ich habe irgendwie gemerkt, dass er Interesse an Euch hat, seit er Euch das erste Mal mit zu mir gebracht hat. Sowas macht er normalerweise nicht, müsst Ihr wissen. Nicht mal bei einem Dienstmädchen, wo es irrelevant wäre.«
»Ja, Ähnliches wurde mir bereits berichtet. Ich verstehe nur nicht, warum. Ich würde es gern wissen, aber gleichzeitig auch nicht«, murmelte Lilitha nachdenklich und entschied sich ebenfalls für die Suppe. Etwas Leichtes sollte sie essen. Kaden hatte sie immer wieder dazu ermahnt.
»Ich denke, die Antwort darauf ist weitaus simpler, als Ihr womöglich denkt. Man stellt nicht jedes dahergelaufene Mädchen seiner Mutter vor. Und mein Sohn war schon immer sehr darauf bedacht, mich aus seinen Angelegenheiten rauszuhalten«, erklärte sie, als wäre diese Tatsache für sie vollkommen unlogisch.
Lilitha konnte nicht anders, als die Mutter des Highlords mit offenem Mund anzublicken und brauchte einen Moment, bis sie sich wieder gefangen hatte. Dann senkte sie den Blick und musste schmunzeln. »Nun, wenn Ihr es so ausdrückt, ist da natürlich etwas dran.«
Lilitha bemerkte nicht, wie die Dame flüchtig zu ihr schielte. Viel zu sehr war sie darin vertieft, an ihrem Stück Brot herumzuzupfen. Ob er wirklich einen solchen Gedanken verfolgt hatte, als er sie mitgenommen hatte? Womöglich auch nur, weil sie eine Vampirin war. Doch so oder so, war es irgendwie schmeichelnd.
»Wisst Ihr, was es mit dem schwarzen Halsband auf sich hat?«, fragte die Dame und deutete kurz mit ihrem Löffel auf Lilithas Hals.
Automatisch griff Lilitha danach und fuhr mit ihren Fingern darüber, bevor sie den Kopf schüttelte. Sie würde ihr gern eine Antwort geben, nur war sie bisher noch nicht schlau daraus geworden. »Nein. Ich habe keinerlei Ahnung und rätsle schon seit Wochen selbst. Euer Sohn möchte es mir allerdings auch nicht verraten.«
Die Frau seufzte und schüttelte dezent den Kopf. »Das sieht ihm ähnlich«, murmelte sie ein wenig verärgert. Schien jedoch nicht weiter darauf einzugehen. »Ich habe gehört, Eure Eltern sind im Krieg gefallen. Welchem Clan gehört Ihr denn an?«, fragte sie nun und hob den Blick, um Lilitha eindringlich zu mustern.
Diese senkte den Kopf und war über den Themenwechsel nicht sonderlich begeistert. Sie wollte nicht an ihre Eltern denken, aber die Dame hatte gefragt, also hatte sie zu antworten. Doch sie würde nicht mehr erfahren, als Kaden. »Tut mir leid, Mylady, meine Mutter hat mir das Versprechen abgerungen, nicht darüber zu sprechen. Sie hat Angst, dass ich durch diese Information vielleicht in Bedrängnis kommen könnte«, erklärte die Rothaarige leise.
Der intensive Blick der Dame schien sie geradezu einzuengen, obwohl der Saal groß genug war. »In Bedrängnis?«, fragte sie und Lilitha konnte das Misstrauen darin heraushören.
Auch, wenn Kaden wusste, welche Gabe sie besaß, so wusste Lilitha dennoch, dass seine Mutter wohl nicht so gelassen reagieren würde wie er.
»Meine Eltern dienten beide im Heer des Highlords. Sie sind nicht ohne Grund an der Front gestorben und soweit ich weiß, waren sie mit einem wichtigen Spionageauftrag beauftragt. Sie hatten immer Angst, dass jemand, der sich an ihnen rächen möchte, es am Ende auf mich abgesehen hat«, erklärte sie ganz leise. »Ein Grund dafür, warum mein Vater auch nie jemandem verriet, wo wir wohnten. Euer Sohn besitzt viele Feinde.«
Die Dame nickte langsam, als würde sie verstehen, worauf Lilitha hinauswollte. »Ja, das ist wahr«, stimmte sie ihr gedämpft zu und strich sich eine braune Strähne hinter ihr Ohr. »Und er weiß auch nicht, woher Ihr stammt?«
»Nein, Mylady«, sagte sie leise und schüttelte den Kopf. »Auch wenn ich ihm genug Informationen gegeben habe, dass er es herausfinden könnte.«
Mit einem Seufzen wischte sich die Frau den Mund ab und legte die Serviette wieder vor sich hin. »Nun denn«, begann sie und nahm einen Schluck Tee. »Ich denke, sollte mein Sohn sich wirklich an Euch binden wollen, werden wir es irgendwann erfahren.«
»Ja, das denke ich auch«, stimmte Lilitha ihr zu und strich über ihr Armband. Alle Blumen waren so, wie sie sein sollten. Das war beruhigend.






























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