Kapitel 12 – Schweigegelübde
Schweigegelübde
Cassandras Mörderin keucht und spuckt Blut. Ihre Haare sind völlig zerzaust und die Handgelenke ganz wund. Ava hat genug Vertrauen in ihre Kraft, sodass sie kurz hinaus in den Gang schreitet, um eine Fackel zu organisieren. Kaum erleuchtet die Beschützerin die Zelle, zieht Samira scharf die Luft ein. Auf den Boden befindet sich neben dem dreckigen Stroh überall getrocknetes Blut, wohin das Auge blickt.
Fassungslos über den Zustand der Behausung verharrt Samira wie versteinert an Ort und Stelle. Unfähig zu handeln und zu denken. Ava tritt an die Elfe heran, deren glühender Blick der letzten Prinzessin gilt.
„Denk nicht mal dran! Es wäre ein Leichtes, dir den Hals umzudrehen!“, droht Ava ihr.
Die Kirsche der kläglichen Gastfreundschaft. Die Elfe mag Cassandras Mörderin sein und doch kann Samira nicht wegsehen. Entschlossen tritt sie an die Gefangene heran, um ihr die helfende Hand zu reichen. Doch die Elfe kriecht zischend zurück in die Dunkelheit.
„Abstand, Eure Hoheit!“, fordert Ava streng. Mit einer Stimme, die keine Widerrede duldet. „Diese Frau ist gefährlich.“
Worte, die auf taube Ohren stoßen. Samira nähert sich furchtlos der Elfe und beugt sich entschlossen hinab. Groß ist die Verwirrung, als der Gefangenen die helfende Hand entgegengestreckt wird.
„Verzeiht den Zustand Eures Verlieses. Es beschämt mich zu sehen, in welchen einem Dreck die Gefangenen knien dürfen. Lasst mich Euch aufhelfen. Das Zimmer meiner Schwester steht zur freien Verfügung. Ich lasse ein Bad für Euch herrichten und ersetze Euch die dreckige Kleidung.“
„Prinzessin Samira! Was erlaubt Ihr Euch?“, schimpft Ava mit ihr.
Aufmüpfig hebt Samira den Kopf. „Das sollte ich meinen Vater an den Kopf werfen! Sie mag Cassandras Mörderin sein, aber so sollte keine Gefangene behandelt werden.“
Ava schüttelt enttäuscht den Kopf. „Ihr lebt in einer Blase. Wohlbehütet und verwöhnt. Aber die Welt ist grausam und kalt. Das Urteil der Elfe steht bereits und es wird kein gnädiger Tod.“
Um die Situation besser einzuschätzen fordert Samira eine weitere Information: „Wie lange bis zu ihrem Verfahren?“
„Dieser Frau steht kein Gerichtsprozess zu. Dafür liegen zu viele Beweise vor. Gegen Mittag wird das Urteil vollstreckt.“
„Kein Prozess!“ Samira schnauft erbost. „Schämt euch! Niemand will ihre Version hören? Schön! Dann mag ich es sein, die sich hierfür Zeit nimmt.“
Aber Ava verbarrikadiert den Ausgang mit ihrer muskulösen Gestalt. „Diese Mörderin wird die Kerker nicht verlassen.“
Nichts, was Samira aufhalten mag. „Auch gut, dann verbringe ich die Nacht hier an der Seite der Elfe und schenke ihr mein offenes Ohr.“
Die Augen ihrer Freundin werden schmal. Ein bedrohliches Brummen soll für Einschüchterung sorgen, aber Samiras Entschluss steht. Noch hat die Elfe keinen Finger krummgemacht und liegt fassungslos auf dem Boden, daher handelt Samira und zieht sie entschlossen auf die Beine. Zuerst trifft die Prinzessin auf Widerstand, denn die am Boden Liegende macht sich absichtlich schwer und windet sich in ihrem Griff. Sie ist störrisch wie ein Esel, aber wenn Samira für den größten Dickschädel konkurrieren würde, dann wird sie als Sieger herausgehen. Zuerst bellt die Elfe. Sie fordert, augenblicklich losgelassen zu werden. Ihre Rufe verlieren an Kraft und am Ende muss Samira die Ohren spitzen, um ihr Flehen überhaupt vollständig wahrzunehmen.
Wenige Augenblicke später klopft Samira all den Dreck von der elfischen Kleidung und betrachtet ihr Werk zufrieden, um schließlich den zweiten Versuch zu wagen. Am Arm gepackt führt Samira die Elfe zu Ava und versichert: „Du weißt, ich halte Wort. Wollen wir die Nacht im Verließ verbringen oder in Cassandras Zimmer?“
Ihre Beschützerin schnauft verärgert und blickt trotzig fort. Ihr Kiefer versteift sich, aber das rechte Auge zuckt verräterisch. Samiras Grinsen gewinnt an Größe, denn sie schmeckt den süßen Sieg. Tatsächlich knickt ihr Gegenüber ein. Eine einfache Kopfbewegung und schon tritt Ava zur Seite.
Obwohl kein Grund zur Eile besteht, gewinnen Samiras Schritte an Tempo. Die Neugier zerrt an der jungen Prinzessin. An ihrer Hand läuft der Schlüssel zu verborgenen Geschichten. Der Wahrheit, die ihr Vater vermutlich verschleiern würde. Aus unbekannten Gründen. Samira vermutet Scham, denn ab und zu wirkte er auf sie gegrämt. Immer dann, wenn es das Elfenvolk betraf. Ihre Wanderung bleibt nicht unbemerkt, der pflichtbewusste Paladin sucht erneut ihre Nähe. Diesmal mit einem verärgerten Ausdruck.
„Sir Riley.“ Kurz hält Samira inne, um ihn anständig zu begrüßen. Als könne Ava ihre Gedanken lesen, übernimmt sie die Eskorte der gefangenen Elfe. Ein kurzer Knicks und Samira will den Paladin einfach abwimmeln. „Verzeiht, aber ich bin in Eile.“
Doch Cassandras Freund drängt sich ihr auf. Sein Arm packt bestimmend zu und im nächsten Moment schiebt er sie in den Hintergrund. Diesmal mit einer Warnung.
„Diese Elfe ist Eure Zeit nicht wert. Sie ist gefährlich und Ihr vergesst anscheinend, dass sie Eure Schwester auf dem Gewissen hat.“
Genervt lockert Samira seine Hand. Woraufhin er erst jetzt seine Grobheit realisiert und überrascht einen Schritt Abstand nimmt.
„Danke für die Warnung, aber ich bin mir der Gefahr bewusst.“
Ruckartig blickt er auf. Erneut mit einer Gefühlsschwankung. Der entschlossene Krieger schaut sie nun an.
„Irrtum. Ihr seid nicht im Bilde ihrer Fähigkeiten. Ava mag stark sein, aber sie ist zu langsam. Im fairen Kampf würde Eure Leibgarde versagen. Lasst mich die Elfe zurück in den Kerker bringen.“
Zorn keimt in Samira. Mit erhobenem Finger warnt sie ihn: „Untersteht Euch!“
Riley schließt genervt die Augen. Ein Fehler, denn somit tritt sie von ihm fern und winkt ihre Begleitung an sich heran. Aber noch ehe sie einen Fuß Richtung Gemächer setzen kann, trifft der Paladin einen Entschluss.
„Also gut. Ich lasse Euch gewähren, aber nur, wenn ich für Euren persönlichen Schutz sorge. Lasst mich Euer Vorhaben überwachen.“
Alle Probleme würden sich mit einem Schlag in Luft auflösen, leider gibt es einen Hacken. Daher faltet Samira die Hände ineinander und übt sich an einem Engelslächeln. Anscheinend erfolglos, denn der Krieger verzieht keine Miene, als sie sich zu ihm dreht. Ganz im Gegenteil. Er wirkt wie eine eiserne Mauer, die sämtliche Anschläge überstehen wird. Sein messerscharfer Blick bohrt sich durch ihre Seele und verstimmt die Götter der See. Aus einem ruhigen Gewässer wird ein tobendes Meer. Ihr Geist wird auf längerer Sicht einknicken. Das leichte Zittern versucht Samira, zu ignorieren, und schluckt den Kloß hinab.
„Nicht möglich!“
Tapfer überkreuzt sie die Arme und wehrt sich gegen die mächtige Paladinaura. Aber ihr Gegenüber macht Ava ordentlich Konkurrenz. Er knickt nicht ein, selbst dann nicht, als sie auffällig mit den Wimpern klimpert. Dabei ist dies ihre Geheimwaffe, um Ava immer dann zu überzeugen, wenn nichts anderes hilft.
„Und der Grund lautet?“
Er spielt mit guten Karten. Samira kann ihn unmöglich sagen, dass es hier um paranormales, abgedrehtes Zeug geht, worüber sie einerseits sprechen mag. Auch die Geheimnisse ihres Vaters will sie wahren. Daher ist die Version der Elfe nicht für fremde Ohren bestimmt.
„Ich bedaure, aber Angelegenheiten der Krone erfordern äußerste Geheimhaltung.“
Kaum iausgesprochen, mag sich Samira vor Stolz am liebsten selbst auf die Schulter klopfen. Wäre doch nur ihr Vater dagewesen und hätte sie gehört. Es ist Ava, die leise im Hintergrund lacht und Samiras Aufmerksamkeit weckt.
Kaum dreht sich die Prinzessin um, versichert ihre Leibwächterin: „Ganz sicher lasse ich Euch nicht allein mit dem Feind.“
„Ich bestehe darauf!“
„Mir egal! Euer Vater würde mich einen Kopf kürzer machen. Wenn es erforderlich ist, lege ich ein Schweigegelübde ab“, verspricht Ava.
Damit weckt sie Hoffnung in Riley. Seine Augen weiten sich auffällig und seine Mundwinkel zucken freudig.
„Dem schließe ich mich an. Ich werde schwören, nichts preiszugeben.“
Gefrustet stampft Samira und verzweifelt. Die Ausreden gehen ihr aus und auch die Uhr tickt bedrohlich im Hintergrund. Als hätte sie keine andere Wahl…





























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